Richterlich legitimierter Rassismus

von Judith Goetz und Mahriah Zimmermann
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#Identitäre

Ende Juli 2018 wurden die wegen Bildung einer krimineller Vereinigung angeklagten 17 Mitglieder der »Identitären Bewegung Österreich« weitgehend freigesprochen. Eindrücke aus dem Gerichtssaal.

Magazin der rechte rand

Sexistische Werbung mit Antimuslimischen Rassismus – Werbung der Identitären Bewegung bei Facebook.

 

Der Prozess in Graz lieferte einerseits ein anschauliches Beispiel von Rassismus und Sexismus. Andererseits erhielt die extrem rechte Gruppe durch den Freispruch politische Legitimität für ihre Aktionsformen. Der steigende Bedeutungsverlust der »Identitären Bewegung« (IB) scheint dadurch dennoch nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Seit geraumer Zeit versuchen die »Identitären« sich als gewaltfreie, patriotische NGO zu inszenieren und werden dabei auch von anderen extrem rechten AkteurInnen unterstützt. So sprach der frühere FPÖ-Generalsekretär und inzwischen österreichische Innenminister Herbert Kickl schon 2016 in einer Stellungnahme von den »Identitären« als »Bürgerinitiative«. Auch Felix Mayrbäurl, Spitzenkandidat des FPÖ-nahen »Ring freiheitlicher Studenten«, bezeichnete die IB bei den letzten Studierendenvertretungswahlen in Österreich als »eine Aktivistengruppe wie Greenpeace oder Peta«. Diese Selbstdarstellung wurde auch im Vorfeld des Prozesses beschworen, wenn es einerseits darum ging, die eigenen Aktivitäten zu verharmlosen und andererseits das juristische Szenario zu zeichnen, dass nach einer möglichen Verurteilung auch gegen NGOs wie Greenpeace ermittelt werden könnte. Diese Inszenierungen zeigten auch Wirkung: Gerade die professionelle Kampagnenarbeit der IB, vergleichbar mit jener von NGOs, wurde vom Richter entlastend gewertet beziehungsweise ihr Aktionismus sowie die zugespitzten Forderungen als legitime Formen zur Durchsetzung politischer Interessen beurteilt. Der Widerspruch, dass sich die IB zwar der Mittel zivilen Protestes bedient, ihre Ideologie – und damit verbunden auch ihre Aktionen – jedoch zutiefst menschenverachtend und antidemokratisch sind, blieb dabei weitgehend unthematisiert. Schließlich geht es den »Identitären« um die Schaffung einer »ethnisch relativ homogenen Gemeinschaft«, die unter den Voraussetzungen einer durch Migration geprägten Gesellschaft nur mit massiver Gewalt durchzusetzen wäre. Zwar versuchte der Staatsanwalt immer wieder, die Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit der »Identitären«, für die es inzwischen in Österreich und Deutschland zahlreiche Belege gibt, zum Thema zu machen, diese wurden jedoch im Prozessverlauf und auch in der medialen Berichterstattung nicht weiter verfolgt. Lediglich Greenpeace äußerte sich in einer distanzierenden Stellungnahme: »Nur weil man die Protestformen demokratisch gesinnter Organisationen kopiert, ist man noch lange kein Teil der Zivilgesellschaft.«

Verharmlosung in den Medien
Die Presseberichte beschränkten sich oftmals darauf, das Prozessgeschehen in Kurzmeldungen wiederzugeben und die Schutzbehauptungen der Angeklagten kommentarlos abzudrucken, anstatt ExpertInnen und Betroffene zu Wort kommen zu lassen. So ist es der IB mit Hilfe einer unkritischen und teils sympathisierenden Berichterstattung erneut gelungen, ihre menschenverachtende Propaganda in den Medien zu platzieren und weiterhin als »gewaltfrei und harmlos« beschrieben zu werden. Die Kritik am Vorwurf der kriminellen Vereinigung – wie sie bei einem sogenannten »Fluchthilfeprozess« gegen acht Geflüchtete der Refugeeproteste in Wien gänzlich ausblieb – war zudem gespickt mit der Verharmlosung extrem rechter Ideologie. Auch dem Vorwurf der Verhetzung wurde vom Großteil der Medien das Selbstbild der IB entgegengehalten.

Rassismus im Gerichtssaal
Währenddessen wurde im Gericht darüber diskutiert, ob die konkreten Inhalte überhaupt zur Herabwürdigung und Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen anstacheln. Dass sich die Ideologie und das Handeln der extrem rechten Gruppierung deutlich vor allem gegen Geflüchtete und MigrantInnen richten, zeigte sich aber schon in der im Prozess mitverhandelten »Störaktion« in der Universität Klagenfurt/Celovec im Juni 2016. Selbst der zuständige Richter thematisierte vor Gericht die Parallelen zur Stürmung des Theaterstücks »Die Schutzbefohlenen« im Wiener Audimax zwei Monate zuvor. Wurden die Angeklagten IB-Mitglieder im »Audimaxprozess« noch freigesprochen, genügte nun ein Faustschlag gegen den Klagenfurter Rektor zur Verurteilung. Ihm schenkte das Gericht wohl mehr Glauben als dem linken und migrantisch geprägten Publikum in Wien. Zugleich stellte sich beim Prozess in Graz heraus, dass die Polizei gegen einen Zeugen mit Fluchthintergrund ermittelte, der die gewaltvolle Störung beenden wollte, indem er dem IB-Mitglied Luca K. das Megafon aus der Hand zu reißen versuchte. Er sprach vor Gericht als Zeuge von einer Retraumatisierung. Für ihn war die aggressive, wie eine »Invasion« wirkende, Aktion ganz klar gegen MigrantInnen, Geflüchtete und Menschen islamischen Glaubens gerichtet. Diese Aussage schaffte es wie kaum eine andere, den Gerichtssaal zum Verstummen zu bringen. Er verurteile den Hass, der von der IB ausgehe, denn dadurch würden Menschen »in die Radikalisierung getrieben«. Er war nur einer von vielen, deren Schilderungen sowohl vor Gericht als auch in den Medien keinen Platz fanden.

Die einzige Angeklagte
Kira G. inszenierte sich als naive Mitläuferin, die bei ihrem ersten Besuch eines IB-Stammtischs für eine Aktion angeworben wurde, von der sie nichts Genaueres gewusst haben will. So habe sie, als mehrere männliche »Identitäre« auf das Dach der »Grünen«-Parteizentrale in Graz kletterten – gemäß der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung in der Szene – »nur ein Transparent gehalten«. Diese verharmlosende Inszenierung wurde auch vom Staatsanwalt übernommen, der in seinem Abschlussplädoyer meinte, sie sei auch »ein Opfer« gewesen, weil sie »von selbst nie auf so eine Idee gekommen« wäre. Wie er zu dieser Einschätzung kam, ist gerade angesichts ihrer Aussage mehr als verwunderlich, da diese ein klares Bild ihrer politischen Gesinnung zeichnete. Die Angeklagte hatte nicht nur Geld für die Gruppierung gespendet, sondern pflegte auch freundschaftliche Kontakte zu mehreren Führungspersonen der IB und identifiziert sich durchweg mit der Ideologie der »Identitären«. In gewohnt rassistischer Rhetorik gab sie zum Besten, sie habe schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht, die sie als »migrantisch« wahrnehme. Daher würden diese eine Bedrohung darstellen. Zudem möge sie »Tracht und Traditionen«. Und auf dem Weg ins Gericht hielt sie ein T-Shirt der FPÖ-Organisation »Ring Freiheitlicher Jugend« vor ihr Gesicht, um sich vor der Presse zu schützen.
Doch Richter und Staatsanwalt negierten die politische Überzeugung der Angeklagten beharrlich. Die Medien erwähnten Kira G. lediglich als einzige angeklagte Frau. Im Gericht und den Medien kamen die gängigen, sexistischen Umgangsformen mit extrem rechten Frauen zum Tragen: Unsichtbarmachung und Verharmlosung ihrer politischen Mittäterschaft sowie die Übernahme der Selbstinszenierung als naives Opfer.

Stärkung der ‹Identitären›?
Resümierend hatte der Prozess geringere Auswirkungen als vorher vermutet. Er dauerte nicht nur deutlich kürzer als anberaumt, die mediale Aufmerksamkeit hielt sich in Grenzen und breite Solidaritätskampagnen blieben ebenso aus wie begleitende gesellschaftliche Debatten über die weite Verbreitung von Rassismus und Nationalismus. Informationen über die vom Abwehramt des Bundesheers als Quelle angeworbene Person, die internationale Vernetzung oder weitere Beteiligte fehlten. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Aussagen der Beschuldigten, wie zu erwarten, abgestimmt und auf das Nötigste reduziert waren – schließlich entschieden sie, zu welchen Vorwürfen sie Stellung bezogen und wozu sie großzügig schwiegen.
Da alle Angeklagten durch den gleichen Anwalt vertreten wurden, waren die Prozesskosten für die Gruppierung wohl relativ gering. Bis auf wenige Anhaltspunkte zur Finanzierung der österreichischen »Identitären«, die ein Beamter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung preisgab, sorgte das nur zehn Sitzungstage dauernde Verfahren diesbezüglich für wenig neue Erkenntnisse. In einem noch laufenden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche wurden bisher 57 österreichische Konten überprüft, die der IB zuordenbar sind. Hier wird es wahrscheinlich zu einem gesonderten Prozess kommen. Ob sich die beschuldigten Personen dann zu ihren Einnahmen und Ausgaben äußern werden, ist jedoch fraglich.
Die »Identitären« haben zwar durch den Freispruch die politische Legitimität für ihre Aktionsformen erhalten, gestärkt dürften sie aus dem Prozess dennoch nicht hervorgehen. Abgesehen von der psychischen Belastung, stellt die Nähe zu Straftaten wenig Anreiz für neue Mitglieder dar. Insgesamt scheitert die IB gegenwärtig an einem Mangel an neuen Konzepten, zumal ihre Großmobilisierungen auf der Straße mehrfach hinter den Erwartungen zurückblieben und von massiven antifaschistischen Gegenprotesten begleitet wurden. Die Kampagnen floppen zusehends und ihre Medienstrategien generieren weniger Aufsehen. Die Befürchtungen, dass die »Identitären« durch das Urteil mehr Zulauf bekommen oder den stetig wachsenden Bedeutungsverlust aufhalten könnten, scheinen sich aktuell nicht zu bestätigen. Gerade in Österreich braucht die extreme Rechte angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ schlichtweg keine solche außerparlamentarische Kraft. Da bis Redaktionsschluss keine Urteilsbegründung vorlag, lässt sich nur mutmaßen, ob der Prozess in die zweite Instanz geht. Auch die Äußerungen zu einer Reformierung des Paragraphen zum Verbot krimineller Vereinigungen sind noch unkonkret. Eine Verurteilung der IB wäre zwar ein Zeichen gegen menschenverachtende Propaganda gewesen und hätte das Fortwirken der Gruppe erschwert sowie Auswirkungen für andere Gruppierungen mit sich gebracht. Doch auch so bleiben die »Identitären« ein Teil der extremen Rechten.