Der Rechten liebster Kampfbegriff

von Mark Braumeister
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 - Juli / August 2018

#Begriffe

Vor gut 20 Jahren waren Aufkleber mit »PC – nein danke« Teil einer Kampagne der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«. Seit 2004 hetzt »Politically Incorrect« im Internet gegen Menschen islamischen Glaubens, FeministInnen und AntifaschistInnen. Für das gesamte Spektrum der Rechten ist »Political Correctness« ein rotes Tuch.

Magazin der rechte rand

Eingangstür des Neonazi-Labels »PC-Records« © Mark Mühlhaus / attenzione

»Political Correctness«, abgekürzt PC, ist seit geraumer Zeit ein abwertender Begriff im politischen Diskurs. Mit »Political Correctness« in Verbindung gebracht werden etwa geschlechtssensible Sprache, Gleichstellungsmaßnahmen am Arbeitsplatz, Quotenregelungen, die Förderung einer stärkeren kulturellen Repräsentation von Frauen und Minderheiten sowie Versuche, verletzende Ausdrücke zu vermeiden. Damit einher geht die Unterstellung, politisch korrekte Personen machten sich gerne zu Kontrolleuren der Sprache und des Verhaltens anderer. »Political Correctness« wird in diesem Zusammenhang auch als eine Form der Zensur verstanden. Vom linksliberalen bis ins rechte Spektrum hinein, in der Medienlandschaft und im alltäglichen Sprachgebrauch werden AkteurInnen vor den vermeintlich totalitären Zügen gewarnt, die geeignet seien, die freie Meinungsäußerung zu beschneiden. Neuere Kritiken mutmaßen, ein »Zuviel« an PC habe der extremen Rechten Auftrieb geben. Die Bemühungen der BürgerInnenrechtsbewegung in den USA prägten in den 1970er Jahren den Begriff der »Political Correctness«. Er stand damals für das Eintreten für einen diskriminierungsfreien Sprachgebrauch sowie für eine sensible Sprachpolitik und machte den Zusammenhang von Sprache und Gewalt deutlich. Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre wurde PC von konservativen AutorInnen aufgegriffen, die eine angeblich linke Meinungsführerschaft an amerikanischen Universitäten anprangerten.

Deutung und Kampf
Eine ganz eigene Deutung ist der radikalen und extremen Rechten zu eigen. Die dominante Deutung von »Political Correctness«, ihrem Wesen und Anliegen, schreibt dieser eine klar strategische Funktion zu. Sie wird als Teil eines größer angelegten politischen Projektes angesehen, mit dem Ziel, abweichende Meinungen zu unterdrücken und eine linke kulturelle Hegemonie zu etablieren beziehungsweise aufrecht zu erhalten. In solchen Deutungen stellt »Political Correctness« eine Waffe dar, mit der eine linke Vorherrschaft in der öffentlichen Diskussion gesichert und rechte Positionen mundtot gemacht würden. Radikale und extreme Rechte verbinden mit ihrer Kritik die Überzeugung, dass vor allem politisch korrekte Sprachregelungen dazu führten, dass eine schweigende Mehrheit rechte Positionen nicht offen äußere. Der neu-rechte Denker Karlheinz Weißmann drückt dies wie folgt aus: »(D)ie Konservativen vertreten bestimmte Positionen, die von einem Großteil der Bevölkerung als richtig angesehen werden. Aber aufgrund bestimmter historischer Umstände gibt es massive Behinderungen, dem Geltung zu verschaffengroße (sic!) Begrenzungen durch die political correctness.« Nach diesem Verständnis sind die unter dem Sammelbegriff »Political Correctness« kritisierten Maßnahmen nicht etwa ein »über das Ziel Hinausschießen«, sondern der gezielte Versuch, eine politische Agenda durchzusetzen. Konsequenterweise bemühen sich AnhängerInnen der US-Amerikanischen »Alt-Right«-Bewegung bewusst darum, den Raum der gesellschaftlich akzeptierten Meinungen und Ideen zu erweitern. Extrem rechte Positionen sagbar zu machen und als Teil des politischen Mainstreams zu etablieren, ist für die »Alt-Right«-Bewegung Teil des Kampfes gegen »Cultural Marxism«, womit »Alt-Right« sämtliche Phänomene bezeichnet, die sie mit linken Bemühungen um die Erringung beziehungsweise Aufrechterhaltung einer vermeintlichen kulturellen Hegemonie verbindet. Dieser rechte Gramscianismus ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal der »Alt-Right«. Alain de Benoist, der wohl bekannteste Denker der europäischen »Neuen Rechten«, meint in seinem 1985 erschienenen Buch »Kulturrevolution von Rechts«, Ziel rechter Kulturarbeit müsse es sein, »eine langsame Verschiebung der Mentalitäten von einem Wertesystem (…) auf ein anderes (zu) verursachen«. Legitimiert werden diese teils manipulativen Taktiken für die »Neue Rechte« dadurch, dass sie als Reaktion auf eine vermeintliche PC-Kultur erfolgen, in der Mehrheitswille und Wahrheit politischen Erwägungen geopfert würden.

Für die Rechte ist der Begriff attraktiv, weil er zwei weitere ideengeschichtliche Stränge aufgreift, die feste Bestandteile des rechten Denkens sind. Zum einen die Idee, dass moralische Postulate politische Waffen der ressentimentbeladenen Schwachen seien, die damit starke Individuen kontrollieren wollten. Diese Idee geht auf die »Genealogie der Moral« des Philosophen Friedrich Nietzsche zurück und hat sich zum festen Bestandteil rechter Moralkritik entwickelt. Zum anderen die Vorstellung, konstant in einem Abwehrkampf gegen mal diffusere, mal klar erkennbare Bedrohungen zu sein. Das Gefühl, die Eigengruppe sei stets Angriffen böser Mächte ausgeliefert, ist zentrales Motiv rechten Denkens. Folglich wird auch Politik in martialischen, kriegerischen Begriffen beschrieben: Das Manifest der »Identitären Bewegung« war eine »Kriegserklärung«, de ­Benoist übernimmt Gramscis Begriff des »Stellungskrieges« und die »Alt-Right« bekämpft »White Genocide«. Es ist die Wahrnehmung einer konstanten Bedrohung, aus der Rechte seit jeher die Notwendigkeit und die Legitimität ihrer Politik ableiten, auch wenn diese auf Gewaltanwendung zielt. Aggressives Vorgehen bis hin zum militärischen Angriff wird so zur reinen Verteidigung.

Praktische Funktion
Zudem erfüllt die Anti-PC-Rhetorik wichtige Funktionen in der politischen Agitation. Wer sich als KämpferIn gegen »Political Correctness« stilisiert, kann sich relativ schnell das Image eines »Bad Boy«, das heißt eines mutigen Rebellen, erwerben und sich mutig fühlen, ohne groß etwas zu riskieren. Ist die Ablehnung der »Political Correctness« doch gesellschaftlich derart weit verbreitet, dass sie selbst eine eigene Form politisch-kultureller Hegemonie darstellt. Wer sich hingegen zum Anwalt vermeintlich »politisch korrekter« Maßnahmen macht, wird bestenfalls als naiver Spießer angesehen, schlimmstenfalls als totalitärer Zensor. Diese Image-Funktion mag wie eine Marginalie wirken, sie ist jedoch in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen.

Da der Kampf gegen »Political Correctness« auf dem Feld der politischen Kultur stattfindet, kann er außerdem abgekoppelt von der Tagespolitik und jenseits tatsächlicher Machtverhältnisse geführt werden. Im Jahr 13 einer CDU-geführten Regierung in Deutschland, im Jahr acht eines von den Konservativen regierten Großbritanniens und in den USA, wo die »Republikaner« drei Regierungsbranchen dominieren, stilisieren sich AktivistInnen immer noch als KämpferInnen gegen ein übermächtiges linkes Establishment. Kulturkämpfe, oder, wie sie im Englischen bezeichnet werden, »Culture Wars« enden nicht. Sie erlauben so eine stetige Mobilisierung und Agitation.

Schließlich lässt sich dieser Kampf zugleich als Kampf gegen Bevormundung und für Meinungsfreiheit darstellen. Deren essenzielle Bedeutung für den Bestand von Demokratien spiegelt sich schon in ihrem verfassungsmäßigen Schutz wider. Zugleich ist die Meinungsfreiheit so beliebt, dass auch erklärte GegnerInnen der Demokratie nur selten auf die Idee kommen, dieses Grundrecht offen anzugreifen. Wenn doch, wird das wichtige Gut der Meinungsfreiheit strategisch für ihre Politik eingesetzt. So werden tatsächliche wie auch nur vermeintliche Einschränkungen der eigenen Meinungsfreiheit genutzt, um das Vertrauen in die Demokratie zu unterminieren und die Bigotterie der liberalen Demokratie zu entlarven. Darüber hinaus wird »Political Correctness« als Zensur und Mittel der »Meinungsdiktatur« identifiziert, welche die freie Meinungsäußerung gefährde. So wird beispielsweise in Diskussionen um rassistische Äußerungen vom eigentlichen Inhalt der Diskussion abgelenkt und die Diskussion auf eine andere Ebene verschoben. Es geht dann nicht mehr um das konkret Gesagte, sondern darum, dass dieses doch wohl noch gesagt werden dürfe.

Anti-PC und die Folgen
Diese Diskussionsdynamik ist freilich nicht auf die Rechte beschränkt. Auch Liberale geraten häufig in jene reflexive Abwehrhaltung gegen »politisch korrekte« Kampagnen oder gegen »Political Correctness« im Allgemeinen. In den USA hat sich aus der Verteidigung der Meinungsfreiheit gegen vermeintliche Bedrohungen durch Political Correctness bereits ein veritabler Markt entwickelt. Der mittlerweile bei der eigenen Bewegung in Ungnade gefallene Milo Yiannopoulis machte den Kampf gegen PC zu seinem zentralen Thema. Aber auch KolumnistInnen der »New York Times« (NYT) kritisieren PC beispielsweise in ihren Artikeln über linke College-AktivistInnen und im NYT-Profil über das »Intellectual Dark Web«, eine Gruppe dezidiert politisch inkorrekter Intellektueller. »Turning Point USA« (TP USA), eine konservative Gruppe, die an US-amerikanischen Universitäten aktiv ist, hat den Kampf gegen »Political Correctness« und die angebliche linke Campus-Kultur in den USA zu einem ihrer Hauptbetätigungsfelder gemacht. Worin die behauptete Verteidigung der Meinungsfreiheit gegen PC resultiert, lässt sich am Aktivismus dieser Gruppe gut aufzeigen: Ende 2016 veröffentlichte TP USA eine Website mit dem Namen »Professors Watchlist«, auf der Studierende ProfessorInnen melden konnten, die sich als ‹linke Propagandisten› erwiesen hätten, oder die konservative Studierende diskriminierten. Das Denunziationstool zeigt exemplarisch, dass die Angst vor einer Einschränkung der eigenen Meinungsfreiheit nicht unbedingt mit einer prinzipiellen Verteidigung dieses Rechts einhergeht. Im Gegenteil – im Namen der Meinungsfreiheit werden so identifizierte vermeintliche VertreterInnen der »Political Correctness« eingeschüchtert. Die Behauptung, selbst der Meinungsfreiheit beraubt zu werden, erweist sich als Projektion dessen, was man anderen antun möchte. In Deutschland ist derzeit eine ganz eigene Version der »Professors Watchlist« geplant: So vermeldete die Fraktion der »Alternative für Deutschland« (AfD) in der Hamburger Bürgerschaft am 28. Mai 2018, eine interaktive Plattform einrichten zu wollen, auf der SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen vertraulich Verstöße gegen das Neutralitätsgebot melden können. Grund für die Plattform sei die »politische Indoktrination gegen die AfD«. Der Kampf gegen die »Political Correctness« ist somit nicht der Kampf für eine freie Debatte, sondern der Kampf für die rechte Dominanz im politischen Diskurs.