Rezensionen Ausgabe 162

von Timo Schenker
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 162 - September 2016

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Bücher zu NSU, rechtem Terror und dem Verfassungsschutzskandal

Seit dem Auffliegen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) im November 2011 sind eine Reihe von Büchern zum Thema erschienen. Die Vielzahl zeigt die Breite unterschiedlicher Interessen und Zugänge zum Komplex NSU: Bisher wenige wissenschaftliche Arbeiten, ein Stapel journalistischer und antifaschistischer Recherchen zwischen Buchdeckeln, kaum etwas aus Sicht der Opfer sowie einige rechte und verschwörungstheoretische Ansätze. Die für Sachbücher vergleichsweise hohen Auflagen einiger Titel belegen dabei das öffentliche Interesse am Thema. Auf die rechten und verschwörungstheoretischen Publikationen soll hier nicht eingegangen werden, diese Sparte muss eigenständig betrachtet werden.

»Heimatschutz«
Das Standardwerk zum Thema NSU ist und bleibt der dickleibige Wälzer Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU (2014, Pantheon Verlag) der beiden Journalisten Stefan Aust und Dirk Laabs. Auf fast 900 Seiten schreiben sie detailverliebt die Geschichte des NSU – von seinen Anfängen im Jenaer Plattenbau in den frühen 1990er Jahren, den rassistischen Pogromen der damaligen Zeit über die Morde und Anschläge des NSU bis zum tödlichen Ende in einem Campingmobil in Eisenach im November 2011. Sie weisen auf unzählige Ungereimtheiten in dem Fall und die relevanten offenen Fragen hin, beschreiben kenntnisreich die Neonazi-Szene und ihre HelferInnen, zeigen Pannen der Behörden auf und analysieren schonungslos das fatale Spitzel-System der Verfassungsschutzämter, das als intransparente und verselbständigte Parallelgesellschaft beschrieben wird. Die beiden Journalisten haben wahrscheinlich fast alle greifbaren Akten, Berichte und Protokolle gelesen und mit unzähligen Beteiligten gesprochen. Ein Makel dieser Fleißarbeit ist allerdings das Fehlen eines mit Seitenzahlen untersetzten Registers.

»Nicht nur der NSU«
Eine kompetente Einführung ins Thema Rechtsterrorismus bietet Fabian Virchow. In dem Buch Nicht nur der NSU. Eine kleine Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland (2016, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) beschreibt der Politikwissenschaftler rechte Terrorgruppen seit den Gründungsjahren der Bundesrepublik, Konzepte wie »führerloser Widerstand« und die Entstehungsbedingungen rechter Terrorgruppen. Einen kritischen Blick wirft Virchow auf die Praxis der Verfassungsschutzämter und das Versagen von Behörden und Politik, die zu einer »Kultur weitgehender Straflosigkeit« gegenüber rechten Taten geführt hätten.

»… in bester Gesellschaft«
Auf den Umgang der Gesellschaft mit dem NSU, seinen Taten und den deutschen Rassismus blicken die AutorInnen des Sammelbandes Der NSU in bester Gesellschaft. Zwischen Neonazismus, Rassismus und Staat (2015, Unrast), herausgegeben von Sebastian Friedrich, Regina Wamper und Jens Zimmermann. Das Agieren der »hegemonialen Medien« und der Ermittlungsbehörden, struktureller Rassismus, die Sicht der extremen Rechten auf den NSU und das Erinnern an die Opfer sind einige Themen, die sachkundig erörtert werden. Für eine vertiefende Beschäftigung ein unerlässliches Buch mit interessanten Reflexionen über den NSU und die bundesdeutsche Gesellschaft.

»Das Unwort erklärt die Untat«
Wie Medien über die Morde und Anschläge des NSU berichteten, bevor diese der rechten Terrorgruppe zugeordnet werden konnten, zeichnet die Studie Das Wort erklärt die Untat. Die Berichterstattung über die NSU-Morde – eine Medienkritik (2015, Otto Brenner Stiftung) nach. Elke Grittmann, Tanja Thomas und Fabian Virchow belegen das Versagen der Medien, die konsequent falsche Verdächtigungen und falsche Ermittlungsansätze der Polizei wiedergaben und so rassistische Klischees mitbedienten. Vermutungen über Neonazis als Täter oder rassistische Motive der Taten wurden in den Redaktionen offenbar nie erwogen und teils sogar unterdrückt. Es sei ein »strukturelles Merkmal« deutscher Medien, dass MigrantInnen als »Bedrohung« gesehen würden, resümieren die AutorInnen.
Terror, Nazi-Netzwerke, rassistische Gewalt
Seit 2012 erschien eine Reihe journalistischer und antifaschistischer Recherchen und Reportagen zum Neonazismus, zu rechter Gewalt und zum NSU – darunter auch wenig fundierte Schnellschüsse. Empfehlenswert sind aus dieser Sparte mindestens neun Bücher, die Hintergrundmaterial zur Neonazi-Szene seit den 1990er Jahren und zum Entstehen des NSU, zu rechter Gewalt und Terrorplanungen, zu den damaligen Zuständen in Gesellschaft, Politik, Behörden und zum Verfassungsschutz bieten. Andrea Röpke und Andreas Speit: Blut und Ehre: Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland (2013, Ch. Links Verlag) / Maik Baumgärtner und Marcus Böttcher: Das Zwickauer Terror Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe (2012, Das Neue Berlin) / Andreas Förster (Hrsg.): Geheimsache NSU: Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur (2014, Klöpfer & Meyer) / John Goetz und Christian Fuchs: Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland (2012, Rowohlt) / Hajo Funke: Staatsaffäre NSU. Eine offene Untersuchung (2015, Kontur Verlag) / Johannes Radke und Toralf Staud: Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts (2012, Kiepenheuer und Witsch) / Bodo Ramelow (Hrsg.): Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal (2012, VSA Verlag) / Bodo Ramelow (Hrsg.): Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen. Wie rechter Terror, Behördenkumpanei und Rassismus aus der Mitte zusammengehen (2013, VSA Verlag) / Olaf Sundermeyer: Rechter Terror in Deutschland. Eine Geschichte der Gewalt (2012, C.H. Beck).

Die Stimmen der Opfer
Die Stimmen der Opfer und ihrer Angehörigen blieben auch im Fall des NSU oft ungehört. In ihrem Buch Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (2013, Rowohlt) beschreibt Semiya ?im?ek, Tochter des 2000 in Nürnberg ermordeten Enver ?im?ek, eindrücklich den Mord an ihrem Vater, die völlig unbegründeten Verdächtigungen und Ermittlungen der Polizei gegen ihre Familie und die Auswirkungen der Tat auf ihr Leben in Deutschland und das tief erschütterte Vertrauen in Staat und Gesellschaft. Auch die »Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der Opfer der NSU-Morde«, Barbara John, stellt in ihrem Buch Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen. Was der NSU-Terror für die Opfer und Angehörigen bedeutet (Herder Verlag, 2014) das Leben der Opfer des NSU in den Mittelpunkt. Zwölf Angehörige von NSU-Mordopfern und eine Betroffene des Kölner Sprengstoff-Anschlags kommen mit ihrer Sicht auf die rassistische Mord- und Anschlagsserie des NSU zu Wort. Sie schildern, wie dramatisch sich nach den Taten die haltlosen Verdächtigungen gegen die Opfer und ihre Angehörigen auf ihre Leben auswirkten und die Polizei systematisch Hinweise auf rassistische Motive zurückwies.