… kein Anrecht auf Sendezeiten im Rundfunk

von Georg Restle
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 200 - Januar | Februar 2023

Es wirkte wie reine Routine, als der Landtag von Baden-Württemberg am 23. Juli 2020 seine Vertreter:innen in den Rundfunkrat des SWR entsandte – darunter, wie selbstverständlich, auch ein Abgeordneter der AfD. Allein über den Frauenanteil wurde noch diskutiert, nicht aber darüber, ob ein Abgeordneter einer im Kern rechtsextremen Partei, deren Funktionär:innen sich für die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einsetzen, einen Sitz im Rundfunkrat beanspruchen darf. Was in vielen Aufsichtsgremien landesweit mittlerweile üblich ist, wirft ganz grundsätzliche Fragen auf: Wie viel Extremismus darf’s denn sein im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Oder muss das sogar sein: ein Vertretungsrecht für Rechtsextremisten der AfD, weil es die Verfassung und die Rundfunkordnung so verlangen? Müssen ARD und ZDF die Partei bei Wahlsendungen dennoch gleichberechtigt berücksichtigen? Begründet der Grundsatz der Vielfaltsicherung ein Vertretungsrecht in Aufsichtsgremien oder ein Recht auf repräsentative Teilnahme an Talkshows oder anderen Formaten? Muss die AfD im Gesamtprogramm »angemessen zu Wort kommen«, weil sie im Bundestag und in vielen Landtagen die zahlenmäßig größte Oppositionspartei ist? Oder gibt es Grenzen der Ausgewogenheit? Gilt der Grundsatz der wehrhaften oder streitbaren Demokratie auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Und wie verhält es sich mit der Programmautonomie der Rundfunkanstalten?

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Für Redaktionen und Programmverantwortliche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stellt sich diese Frage immer wieder aufs Neue: Gibt es eine Pflicht zum Proporz für die in den Parlamenten vertretenen Parteien, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dem Medienstaatsvertrag oder den Landesrundfunkgesetzen zwingend ergibt? Und gilt diese Pflicht auch für rechtsextreme Parteien und deren Vertreter:innen? In Politik und Medien wurde darüber in den letzten Jahren kontrovers diskutiert. Was daran erstaunt: Der rechtliche Rahmen spielte dabei oft eine untergeordnete Rolle. Die Debatte erschöpfte sich meist in Verweisen auf die Pflicht zur Meinungsvielfalt und einen angeblichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der allen Parteien – auch der AfD – einen Anspruch zubillige, in den Gremien vertreten zu sein und im Programm angemessen zu Wort zu kommen. Eine Argumentation, die dem Wesen der Rundfunkfreiheit, ihren historischen Wurzeln und ihrer Funktion im Gesamtgefüge der verfassungsrechtlichen Werteordnung wohl kaum gerecht werden dürfte.

Extremist:innen als Sachwalter des Allgemeininteresses?
Schaut man auf das jüngste Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2014, scheint die Antwort auf den ersten Blick klar. In Fortschreibung seiner Rechtsprechung zur Vielfaltsicherung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk garantiert Karlsruhe einen weiten Rahmen für alle relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen in Aufsichtsgremien und im Gesamtprogramm.
Wörtlich heißt es: »Die Aufsichtsgremien sind vielmehr Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit. Sie sollen die für die Programmgestaltung maßgeblichen Personen und Gremien darauf kontrollieren, dass alle bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte, deren Vielfalt durch ein gruppenplural zusammengesetztes Gremium auch bei ausgewogener Besetzung nie vollständig oder repräsentativ abgebildet werden kann, im Gesamtprogramm angemessen zu Wort kommen können.«

Keine rechtsgrenzenlose Vielfalt
Die Frage lautet: Wo setzt das Bundesverfassungsgericht die Grenzen der Vielfalt? Bei präziser Betrachtung fallen zwei Einschränkungen ins Auge. Zunächst stellt das Urteil klar, dass eine vollständige oder repräsentative Abbildung aller relevanten »Kräfte« in den Aufsichtsgremien nicht verpflichtend sein kann.
Damit überlässt es dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, ob und in welchem Ausmaß alle in den Parlamenten vertretenen Parteien ein Vertretungsrecht in den Gremien beanspruchen können und ob deren Vertreter:innen als »Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit« anzusehen sind. Auch wenn sich diese Einschränkung nicht direkt aufs Programm bezieht, so dürfte sie doch im Grundsatz auch hier gelten. Dies erschließt sich schon aus der zweiten Einschränkung, wonach nur »bedeutsame« Kräfte im Gesamtprogramm angemessen zu Wort kommen können. Dass es sich hier um keine rein quantitative Betrachtung handeln dürfte, ergibt sich dabei wohl schon aus dem Wesen der Rundfunkfreiheit und seiner historischen Begründung, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk als unabhängiges Bollwerk gegen alle Versuchungen etabliert wurde, in den staatlichen Totalitarismus der NS-Zeit zurückzugleiten. Auf diese Erfahrung stützen sich bis heute die wichtigsten Pfeiler der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Rundfunkordnung: die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, seine Unabhängigkeit und Orientierung an den zentralen Grundwerten der Verfassung.

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Rechtsextreme Gruppierungen oder Parteien, die einen homogenen völkischen Nationalismus vertreten und wesentlichen Grundrechten wie der Meinungs- und Rundfunkfreiheit, dem Diskriminierungsverbot oder der Religionsfreiheit offen feindlich gegenüberstehen, dürften demgemäß kaum als Sachwalter des Allgemeininteresses oder »bedeutsam« im Sinne einer Meinungsvielfalt anzusehen sein, die von ihnen selbst bekämpft wird. Immerhin handelt es sich bei der AfD um eine Partei, die sich die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer wieder auf die Fahnen geschrieben hat, deren Jugendverband und deren Landesverbände in Ostdeutschland als rechtsextremistische Verdachtsfälle gelten und deren vom Verfassungsschutz beobachteter »Flügel« faktisch nach wie vor einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesamtpartei hat. Dies alles macht deutlich, dass die AfD hier vor allem ein Ziel im Auge hat: Ihren Einfluss in den Gremien und im Programm zu missbrauchen, um unter anderem auch die auf der Rundfunkfreiheit fußende Rundfunkordnung außer Kraft zu setzen, und mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen mächtigen Schutzwall dieser Demokratie aus dem Weg zu räumen. Kaum jemand hat das klarer formuliert als der »neurechte« Vordenker der AfD, Götz Kubitschek, der einer »staatsfinanzierten Umerzählung des normalen Lebens«, einer »großen Beutegemeinschaft aus Parteien, ›Zivilgesellschaft‹, allem Öffentlich-Rechtlichen« den Kampf angesagt hat. Maßgebliche Funktionäre der AfD wie der stellvertretende Bundessprecher Stephan Brandner lassen keinen Zweifel daran, was das bedeutet. Demnach ist es das erklärte Ziel der AfD, »kontinuierlich« daran zu arbeiten, »das zwangsfinanzierte Staatsfernsehen abzuschaffen«.

Keine rein arithmetische Betrachtungsweise
Allein die formale Begründung, dass die AfD im Bundestag und einigen Landtagen die zahlenmäßig größte Oppositionsfraktion stellt, dürfte keinesfalls ausreichen, um daraus einen verfassungsrechtlich begründeten Rechtsanspruch abzuleiten, regelmäßig im Programm zu Wort zu kommen oder nach Proporzregeln in Gremien oder Talkshows vertreten zu sein – es sei denn, man möchte den Feinden dieser freiheitlich verfassten Demokratie ein Werkzeug zu deren Vernichtung überreichen. Man mag es auch als Ausdruck des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundgedankens einer wehrhaften oder streitbaren Demokratie ansehen, die den Feinden der Freiheit nicht alle Freiheiten gleichermaßen zugesteht. Und selbst wenn man einer solch robusten Idee von Demokratie aus rechtsstaatlichen Erwägungen skeptisch gegenübersteht, so wäre es in diesem Fall doch ein geradezu verhältnismäßiger Eingriff, der einer weitgehend verfassungsfeindlichen Partei diesseits eines Parteienverbots auf so geeignete wie erforderliche Weise ihre Grenzen aufzeigt.

In diesem Sinne definiert Verfassungsfeindlichkeit die Grenze der Ausgewogenheit und der Vielfaltsicherung. So jedenfalls sind wohl auch die Regelungen einzelner Rundfunkgesetze zu verstehen, die die Bedeutung der grundgesetzlichen Werteordnung ins Zentrum ihres Selbstverständnisses rücken – und damit den im Medienstaatsvertrag festgelegten Programmgrundsätzen Ausdruck geben, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk »die Würde des Menschen sowie die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten« und »auf ein diskriminierungsfreies Miteinander« hinzuwirken habe.
So wird in Paragraph 5 des WDR-Gesetzes der Vielfaltsicherung zwar eine ebenso große Bedeutung zugemessen wie in den Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts, gleichzeitig werden ihr aber auch hier klare Grenzen gesetzt. Demnach gehört es zu den Programmgrundsätzen des WDR, die »demokratischen Freiheiten« zu »verteidigen«. Was hier geradezu als demokratischer Kampfauftrag formuliert wird, kann nur schwerlich mit einem Anspruch auf proportionale Präsenz für die Feinde ebendieser demokratischen Freiheiten in Einklang gebracht werden.

Ähnliche Formulierungen finden sich im Bayerischen Rundfunkgesetz, wonach die »in der Verfassung festgelegten Grundrechte und Grundpflichten« als »Leitlinien der Programmgestaltung« gelten und »Sendungen verboten« sind, »die Vorurteile gegen Einzelne oder Gruppen wegen ihrer Rasse, ihres Volkstums, ihrer Religion oder Weltanschauung verursachen oder zu deren Herabsetzung Anlass geben können«. Auch diese Grundsätze dürften mit dem offenen Rassismus, der Islamfeindlichkeit oder der antidemokratischen Grundgesinnung weiter Teile der AfD kaum vereinbar sein. Und selbst wenn einzelne Vertreter:innen der Partei öffentlich als »bürgerlich« oder »konservativ« auftreten mögen, so dürfte doch die Gesamtbetrachtung der Partei mit ihren zahlreichen rechtsextremistischen Gliederungen schwerer ins Gewicht fallen als die offensichtlich wohlkalkulierte Strategie einer so bezeichneten »Selbstverharmlosung«, die die verfassungsfeindlichen Ziele der AfD nur zu kaschieren versucht.

Programmautonomie der Sender
Wo ein Rechtsanspruch auf Programmpräsenz aus dem Grundsatz der Vielfaltsicherung für die AfD also nicht begründet werden kann, bleibt es der Programmautonomie der Sender und der Redaktionen überlassen, wie sie mit den Vertreter:innen der AfD im Programm umgehen wollen. Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2007 zuletzt deutlich hervorgehoben. Demnach steht »die Entscheidung über die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms (…) den Rundfunkanstalten zu«.

Die inhaltlichen Grenzen dieser Programmautonomie sind in den bereits zitierten Programmgrundsätzen festgelegt. Die darin beschriebene Verfassungsorientierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks setzt auch hier die Grenze der Ausgewogenheit dort, wo Funktionär:innen von Parteien das Wort überlassen wird, die die demokratischen Freiheiten attackieren oder rassistische Vorurteile verbreiten.

So klar der Medienstaatsvertrag und die Rundfunkgesetze die Grenzen formulieren, so verunsichert scheinen viele Programmverantwortliche mit der AfD umzugehen. Dabei geht es nicht darum, die Partei totzuschweigen oder sich nicht mit ihr auseinanderzusetzen. Einem kritischen Umgang mit der AfD steht nichts im Wege – im Gegenteil: Er ist angesichts der offenkundigen Gefahr, die diese Partei für das demokratische Gemeinwesen darstellt, sogar dringend geboten. Allen Versuchen von Vertreter:innen der Partei, deren völkisch-nationalistische und damit zutiefst rassistische Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, darf sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedoch nicht zur Verfügung stellen. Dafür hat er gute verfassungsrechtliche Argumente – und hoffentlich auch das nötige journalistische Selbstbewusstsein, um den Feinden von Freiheit und Demokratie entschlossen entgegenzutreten.

Der hier leicht gekürzt abgedruckte Artikel erschien zuerst in: Recht gegen Rechts. Report 2022. Frankfurt am Main 2022, S. Fischer Verlag.