Vermeintlich neutrale Experten

von Charles Paresse
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 202 - Mai | Juni 2023

Zwei Kronzeugen der Friedensbewegung suchen seit Jahren die Nähe zur »Neuen Rechten«: Der Ex-Militär und frühere Merkel-Berater Erich Vad sowie der sozialdemokratische Historiker Peter Brandt. Das ist kein Zufall.

Für den Frieden wollten am 25. Februar 2023 Tausende am Brandenburger Tor in Berlin demonstrieren. Aufgerufen hatten neben der Publizistin Alice Schwarzer, der Politikerin Sahra Wagenknecht und vielen anderen auch der ehemalige Brigadegeneral Erich Vad und der Historiker Peter Brandt. Unter den Demonstrant*innen fanden sich schließlich eine Reihe prominenter Rechter – am bekanntesten wohl der Chef der Zeitschrift »Compact« Jürgen Elsässer, aber auch die neu-rechte Publizistin Ellen Kositza mischte sich unter die Menschen.
Vad und Brandt gelten durch ihre Biografien als vermeintlich neutrale Experten, um die Positionen der Bewegung aus unterschiedlichen Hintergründen zu stützen: Vad als ehemaliger Top-Militär und Ex-Mitarbeiter im Umfeld der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Brandt als anerkannter sozialdemokratischer Historiker und Sohn von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), der vor allem mit seinen Bemühungen um Verständigung zwischen Ost und West in Erinnerung geblieben ist. Auffällig bei beiden: Wiederholt kreuzten ihre Wege die »Neue Rechte« – und das nicht zufällig.

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Erich Vad
Mit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wurde Erich Vad zum Medien-Liebling. Mit provokanten Thesen, als Militär-Experte und früherer Mitarbeiter der Bundesregierung war er gern gesehener Gast in den Talkshows – selbst dann noch, als schon klar war, dass seine Prognose eines schnellen Siegs Russlands falsch war. Vad machte nach einem Studium an der Universität der Bundeswehr und einer Promotion Karriere in der Armee und in der Politik: Generalstabsausbildung, Chef des Stabs einer Panzerbrigade, Dienste in der NATO und im Verteidigungs- und Außenministerium, verteidigungspolitischer Referent der Bundestagsfraktion von CDU/CSU und schließlich Leiter einer für die Außenpolitik einflussreichen Struktur im Bundeskanzleramt. Auch wenn es zur Frage seines realen Einflusses im Kanzleramt widersprüchliche Aussagen gibt: Seine früheren Funktionen verschafften ihm in der aktuellen Debatte den Anschein von Kompetenz und Seriosität.

Von der Geopolitik zu Carl Schmitt
Vad war Vielschreiber. Bücher über Clausewitz, innere Führung der Bundeswehr oder neue Kriege – seine Themen waren vielfältig. In seinen Texten denkt er über »drängende geopolitische Fragen« nach, unter anderem über die Versorgung Europas mit Rohstoffen und Energie. Seine Überlegungen sind – so weit, so unspektakulär – geprägt vom Interesse an einem vitalen, starken Deutschland und Europa, von klassischem Sicherheitsdenken und militärischen Logiken. Beispielhaft wurde das 2010 in einem Aufsatz über »Neue geopolitische Herausforderungen« deutlich. Vom Frieden, Aussöhnung oder Diplomatie liest man wenig. Warum auch, ist Vad doch als PR-Berater im Lobbyregister des Bundestags registriert und für mindestens zwei Unternehmen tätig, die auch im Rüstungsbereich aktiv sind.

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In seinen Texten verstecken sich jene Schlagworte und Verweise auf andere Autor*innen, die Hinweise auf eine mögliche Nähe zum Denken der radikalen Rechten geben können. Sein positiver Bezug auf Samuel P. Huntingtons Buch »Kampf der Kulturen« ist zwar noch lange kein ausreichender Hinweis, denn dieser wurde sowohl von Liberalen und Konservativen als auch von Rechtsradikalen beklatscht. Und auch Vads Träume vom Einsatz der Streitkräfte »im Inneren«, vom gewünschten Ausbau der europäischen »zivil-militärischen Planungs- und Führungsfähigkeit« oder von europäischer Vorherrschaft können noch bürgerlich-konservativ bestimmt sein: »Wenn wir wollen, dass unsere europäische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bestimmend in der Welt wird, dann muss die EU auch stärker nach außen auftreten.« Doch wenn Vad von »Großräumen« oder einer »Großraumordnung« schreibt, dann weiß der an Carl Schmitt geschulte Lesende um die Bedeutung der Worte aus dem Schreibbaukasten des »Kronjuristen des Dritten Reiches«. Noch deutlicher wird das in dem 1996 veröffentlichten Buch »Strategie und Sicherheitspolitik – Perspektiven im Werk von Carl Schmitt«. Neben Schmitt stellte Vad dem Buch ein Zitat von Ernst Jünger, einem Wegbereiter des deutschen Faschismus, voran. Ein Wunder, dass bisher in Medien und Friedensbewegung niemand auf die Idee kam, hier einmal nachzuschlagen. In dem gut 250 Seiten starken Buch untersucht Vad auf der Grundlage von Schmitts Denken die »heutigen sicherheitspolitischen und strategischen Fragestellungen und Herausforderungen«. Auch in vielen aktuellen Beiträgen von jenen, die einen schnellen Kompromissfrieden zulasten der Ukraine fordern, findet sich das geopolitische Denken des Vordenkers des Faschismus Schmitt, wie Michael Wendl in einem lesenswerten Artikel im Mai-Heft der Zeitschrift »Sozialismus.de« nachweist. Er kritisiert die »Liebe zu Generälen und Carl Schmitt« und einen nicht analytischen, sondern »moralischen« Antiamerikanismus als zwei Phänomene aktueller Analysen aus der Friedensbewegung. Hier fänden sich in der Rechtfertigung des russischen Vorgehens ideologische Bezüge zur völkerrechtlichen Großraumphilosophie der einschlägigen Vordenker des deutschen Faschismus, nach der Großmächte auch ein über ihr eigenes Territorium hinausgehendes Recht auf Einflussnahme hätten und den Einfluss »raumfremder« Mächte dort zurückschlagen dürften. Wendl resümiert: »Vielen Linken ist nicht klar, dass sie einen Anhänger faschistischer Raumordnung zu ihrem Zeugen machen.« Für den ehemaligen General Vad hat Schmitts Denken trotz seiner Rolle vor und während des NS »Aktualität und Bedeutsamkeit« sowie »Brillanz« und »analytische Schärfe«. Seine Vorarbeiten zum NS seien vor allem »Verirrungen« und ein »naiv anmutender Versuch der Kollaboration mit dem Dritten Reich«. Frieden sei, so schreibt Vad in seinem Buch, »nicht ewig und universal, sondern stets konkret und raumgebunden«. Schmitts »Großraumkonzept« wird handlungsleitend: Humanitäre Interventionen zum Beispiel im Bereich der »Großraumordnung« seien schlimmer zu bewerten als die Menschenrechtsverletzungen an sich. Was zu Ende gedacht heißt: Die mächtigen Staaten können in dem durch sie selbst definierten Einflussbereich tun und lassen, was sie mögen. Die Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen, Sicherheitsinteressen und deren Austarierung seien die einzigen legitimen Motive außenpolitischen Handelns. Das ist nicht Vads Analyse der Weltlage, sondern das sind Vads politische Empfehlungen auf der Grundlage des Denkens eines faschistischen Theoretikers.


Vads außenpolitisches Denken lässt die Herzen der »Neuen Rechten« höherschlagen. Auf der »3. Winterakademie« im Februar 2002 des »Instituts für Staatspolitik« (IfS) referierte Vad – damals gerade verteidigungspolitischer Referent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – zur »Friedenssicherung und Geopolitik im Denken von Carl Schmitt«. Sein Beitrag wurde anschließend in der ersten Ausgabe der Zeitschrift »Sezession« des IfS abgedruckt. In seinem Fazit wird die Gemeinsamkeit klar: Schmitts Denken, das »vom Ausnahmezustand und der ständigen Möglichkeit inner- und zwischenstaatlicher Anarchie und Gewalt ausging« und deren notfalls autoritäre Beherrschbarkeit fordert, »steht im Gegensatz zur idealistischen Utopie einer weltweiten Entfaltung der Menschenrechte, eines friedlichen Ausgleichs der Kulturen und Zivilisationen sowie freizügiger, offener und multikultureller Gesellschaften«. Dieser »Gefahr« könne man »nicht durch moralische Appelle begegnen (..), sondern nur durch Gefahrensinn, politischen und militärischen Realismus und durch rationale Antworten auf die konkreten Herausforderungen der Lage«. Schöner könnte auch das »Institut für Staatspolitik« die rechten, autoritären Träume nicht zusammenfassen. Und so war auch die Wochenzeitung »Junge Freiheit«(JF) begeistert: »Vad nahm die Gelegenheit wahr, bei seiner Reflexion über ›Friedenssicherung und Geopolitik im Denken Carl Schmitts‹ diesen dem überwiegend jungen Publikum als anhaltend brisante Problemperspektive vorzustellen, als ›Seismograph der politischen Wirklichkeit‹. Die sei in den letzten Jahrzehnten in der BRD aus der Perspektive eines außenpolitisch coupierten Pseudoidealismus wahrgenommen worden, der sich der Nischenexistenz der Nachkriegszeit verdankte, das heißt der bundesdeutschen Generallinie aus »einzigartiger Schuld« und allgemeinem Wohlstand. Dagegen stelle Schmitts Realismus die richtigen Fragen und eröffne einen substanziellen Zugang zur internationalen Politik, auch heute noch. Begeistern kann Vad die JF bis heute. Über einen Fernsehauftritt im April 2022 titelte sie: »Brigadegeneral knöpft sich Grünen-Politiker vor.«

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Peter Brandt
Politisch kommt Peter Brandt von links. Der Historiker hat anerkannte Studien zur Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, der Verfassungsgeschichte und des Trotzkismus geschrieben und lehrte als Professor an der Fernuniversität Hagen. Bis heute referiert und publiziert der Sozialdemokrat überwiegend in linken Kontexten und tritt als Hüter des politischen Erbes seines Vaters, des Ex-Kanzlers Willy Brandt, auf. Nun aber erschien in der aktuellen Ausgabe (März / April 2023) der neu-rechten Zeitschrift »Cato« ein langes, wohlwollendes Interview mit ihm unter dem Titel »Sind Sie ein Patriot, Herr Brandt?«. »Cato« ist Ergebnis einer Spaltung der »Neuen Rechten« über den richtigen strategischen Weg. Ihr Vordenker und frühere Kopf der JF und des IfS, Karlheinz Weißmann, ist als »ständiger Mitarbeiter« ideologischer und strategischer Referenzpunkt des Magazins »Cato«. Das Blatt ist unübersehbar Teil der radikalen Rechten.

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Dass Brandt im Kontext der »Neuen Rechten« auftaucht, ist nicht neu. Ausgangspunkt für die Überschneidungen ist sein Blick auf die Nation. Seit den 1980er Jahren bemüht er sich mit Buchpublikationen, »die nationale Frage« von links zu besetzen – ein Versuch, der theoretisch falsch und in Deutschland immer zum Scheitern verurteilt war. Der Versuch, Nation von links positiv zu debattieren, führte ihn zeitweise ins neu-rechte Milieu. So verfasste er 2004 in der JF einen Nachruf auf den rechten Publizisten Wolfgang Venohr, war in einem von dem Chefredakteur des Blattes, Dieter Stein 2005 herausgegebenen Sammelband »Ein Leben für Deutschland. Gedenkschrift für Wolfgang Venohr« mit einem Beitrag präsent, referierte bei einer Berliner Burschenschaft und schrieb auch in »Wir selbst – Zeitschrift für nationale Identität«. 2010 sagte er dann in einem Interview mit der JF, seine Partei – die SPD – müsse ein »positives Verhältnis zu Volk und Nation« entwickeln. Zuletzt schien Brandts Ausflug ins neu-rechte Milieu nur mehr eine vergangene Episode zu sein. Doch mit dem aktuellen »Cato«-Interview kehrt er zurück: Zwar geht er auf Distanz zur explizit rechten Deutung von Nation, Staat und Volk und übernimmt nicht vollständig die angebotene rechte Deutung des Kriegs gegen die Ukraine. Doch Brandt spricht sich für »nationale Gemeinschaften« und »deutsche Traditionen« aus und wehrt sich dagegen, beim Begriff des »Volks« nur an eine völkische Interpretation zu denken. Die Idee von Nation und Volk scheint hier als quasi leeres Begriffsgefäß, das politisch beliebig gefüllt werden könnte. Brandt verknüpft die Begriffe aber nur schwammig mit progressiven Inhalten. Sein Appell für die Nation in einem Magazin der radikalen Rechten, das ist nicht mehr nur leichtfertig, sondern vielmehr als Versuch zu werten, eine Brücke von links nach rechts zu schlagen.