Spätberufener Faschist

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 204 September | Oktober 2023

#HöckeEin Portrait

Antifa Magazin der rechte rand
Höcke Foto © geschützt!

Es gibt das Bild, das elitäre Männer – oder die sich dafür halten – zeigt, wie sie auf wuchtigen Ledermöbeln vor einem Feuer im Kamin sitzen und mit einem Cognacschwenker in der Hand vermeintlich tiefsinnige Gespräche führen. So oder ähnlich könnte auch die Situation ausgesehen haben, aus der heraus das 2018 veröffentlichte Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« entstand. Ein Band der »während eines Jahres geführten Gespräche«, ein »Gedankenaustausch« zwischen dem neu-rechten Publizisten Sebastian Hennig und dem Faschisten Björn Höcke. Zum Erscheinungszeitpunkt ist Höcke bereits seit fünf Jahren Landesvorsitzender der »Alternative für Deutschland« (AfD) in Thüringen, seit 2014 ist er auch ihr Fraktionsvorsitzender im Landtag. Ende 2022 wird der ehemalige Oberstudienrat und Geschichtslehrer mit knapp 90 Prozent in seinem Amt als Landesvorsitzender bestätigt und kündigt an, er wolle bei den Landtagswahlen 2024 ebenfalls wieder für Platz 1 der Landesliste antreten. Stets gibt sich Höcke als Versteher der Ostdeutschen, doch geboren wurde er am 1. April 1972 im westfälischen Lünen.

Das Bullerbü im Osten
Sein Vater, Wolfgang Höcke, arbeitete als Sonderschullehrer, seine Mutter als Krankenschwester. Nach eigenen Angaben verbringt er seine Kindheit als eines von drei Kindern im Westerwald als »Dorfkind« und ist schon früh fasziniert vom »Mythos Wald«. Die schwärmerische Vorstellung der Romantiker vom deutschen Wald als Gegenpol zur Moderne wird zurückkehren, als Höcke später in die Öffentlichkeit tritt. Zu seinem imaginierten Idyll kommen die Geschichten »aus der alten Heimat« seiner Großeltern mit ihren Opfermythen aus der westdeutschen Vertriebenenbewegung, die sich Höcke selbst zu einer Traumwelt, zu einem »Bullerbü« zurechtbastelt. Flankiert vom Abo der revanchistischen und antisemitischen Zeitschrift »Die Bauernschaft« des Vaters, die von dem Holocaust-Leugner Thies Christophersen herausgegeben wurde. Auch die neu-rechte Wochenzeitung »Junge Freiheit« (JF) landet regelmäßig im Briefkasten der Familie Höcke. Der Name des Vaters findet sich auch unter einem Solidaritätsaufruf für den damaligen CDU-Abgeordneten und späteren AfD-Funktionär Martin Hohmann, der 2004 wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossen wurde. Ein weiterer Unterzeichner ist Heiner Hofsommer, ebenfalls ehemaliges CDU-Mitglied und später Mitbegründer der AfD. Er brüstet sich später damit, Höcke erfunden zu haben: »Ich habe sein politisches Talent entdeckt.«

Der Mann als Krieger
Mit 14 Jahren wird Höcke Mitglied der CDU-Jugendorganisation Junge Union, nach eigenen Angaben war er ein Fan von Helmut Kohl, den er für seine »geistig-moralische Wende« bewundert habe. Nach seinem Abitur leistet er Anfang der 1990er Jahre seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr ab. Zwar klagt er über eine demoralisierte Truppe, die im »Dienst fremder Mächte« den Bruch mit den »großen natio­nalen Militärtraditionen« forciert habe. Der Wehrdienst an sich aber sei »auch eine Chance für junge Männer – in Form einer »männlichen Initiation«. Höcke redet vom »Archetypus des Kriegers«, der »sich zum Wohle der Gemeinschaft entfalten« könne. Diese Zuschreibung der männlichen Rolle findet sich später in seinen Reden wieder, wenn der AfD-Funktionär ein »verkümmertes männliches Selbstbewusstsein« beklagt, Plädoyers »zur männlichen Wehrhaftigkeit« hält und erklärt: »Unsere Zukunft hängt auch an der Frage männlicher Ehre und Würde.« Nach der Bundeswehr studiert Höcke erst zwei Semester Jura und wechselt dann auf Lehramt für Sport und Geschichte in Gießen und Marburg. Es folgt das Referendariat am Goethe-Gymnasium im hessischen Bensheim und eine Stelle in Groß-Gerau. Nach vier Jahren an der dortigen Gesamtschule kündigt der Lehrer, weil er dort »das Desaster der Multikulturalisierung« erlebt habe. Es zieht ihn und seine Familie nach Nordhessen, wo er eine Stelle am Gymnasium in Bad Sooden-Allendorf annimmt.

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Agieren im Verborgenen
Nur etwa zehn Kilometer entfernt liegt am westlichen Rand des Thüringer Eichsfeldes das Dorf Bornhagen mit seinen etwa 300 Einwohner*innen. Dort, am Fuß der Burgruine Hanstein, kauft die Familie Höcke 2008 das 500 Jahre alte Pfarrhaus am Waldrand. Auch hier »ein kleines Bullerbü«, Höcke bezeichnet die »Ländlichkeit, wo die Welt noch groß und der Tag noch lang ist«, als seine »eigentliche Heimat«. Auch hier pflegt der vom ehemaligen AfD-Vize Alexander Gauland als »Nationalromantiker« verklärte Lehrer den Mythos Wald aus Kindertagen und inszeniert sich als der von Ernst Jünger entworfene »Waldgänger« in einem Wald als Ort des Widerstands. »Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie einst die tapfer-fröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück!«, sagt Höcke später gegenüber Hennig, von hier aus werde dann die Rückeroberung ihren Ausgang nehmen. Noch zwei Jahre vor dem Umzug erregt ein geschichtsrevisionistischer Leserbrief von Höcke in der Regionalzeitung Aufsehen, in dem es unter anderem heißt: »In der Weltgeschichte sind niemals zuvor und niemals danach in so kurzer Zeit so viele Menschen vom Leben zum Tode befördert worden wie im ehemaligen Elbflorenz.« Der damals 34-jährige Geschichtslehrer muss der Schulleitung versprechen, sich nie wieder derart öffentlich zu äußern und holt sich Rat beim Mitbegründer des neu-rechten »Instituts für Staatspolitik« (IfS), Karl-Heinz Weißmann. Der empfiehlt, Höcke müsse sich zwischen seiner pädagogischen Dienstlaufbahn und seinen Überzeugungen entscheiden. »Wenn er sich für die zweite Möglichkeit entscheide, werde das einer Karriere im Wege stehen«, sagt Weißmann 2015 rückblickend in einem Interview und ergänzt: »Soweit erkennbar, hat er es längere Zeit mit niedrigem Profil versucht und ist ganz gut vorangekommen.« Das mag den Grund gehabt haben, dass Höcke nicht unter seinem Namen in der Öffentlichkeit auftreten wollte. Auf die Frage des JF-Chefredakteurs Dieter Stein, ob der Geschichtslehrer gelegentlich in der neu-rechten Wochenzeitung publizieren wolle, habe Höcke 2007 geantwortet, er wolle wegen seines Berufs als Lehrer nur unter Pseudonym schreiben. Das mag auch erklären, wieso in dieser Zeit Artikel in einer vom langjährigen Neonazi Thorsten Heise herausgegebenen Publikation unter dem Pseudonym Landolf Ladig erscheinen, obwohl zahlreiche Metaphern und selten verwandte Begriffe öffentlich später lediglich von Höcke verwendet werden. In die Zeit vor seiner Rolle als AfD-Funktionär fällt 2010 auch die Teilnahme des damaligen Lehrers am europaweit größten Neonazi-Aufmarsch Europas in Dresden. Als diese sieben Jahre später öffentlich wird, erklärt die AfD Thüringen, Höcke habe dort »mit zwei Freunden an einer friedlichen Gedenkveranstaltung für die Opfer der Bombardierung Dresdens teilgenommen, (…) um sich einen Eindruck von der Veranstaltung zu verschaffen«. Nicht überliefert ist, wer die zwei Freunde waren, aber Götz Kubitschek vom IfS und Ellen Kositza nahmen damals ebenso teil wie weitere Vertreter des neu-rechten Milieus, zu denen Höcke in dieser Zeit schon Kontakt hatte. Aus den Veröffentlichungen des IfS ziehe er sein »geistiges Manna« sagt er später, Schnellroda sei für ihn »eine Oase der geistigen Regeneration«.

Politischer Aktivist und Parteisoldat
Nach 13 Jahren gibt der Oberstudienrat für Geschichte und Sport das sichere Dasein auf und wird politischer Aktivist. »Der Leidensdruck, der sich in Anbetracht einer grundsätzlich falsch angelegten Politik in diesem Land aufgebaut hat, wurde irgendwann unerträglich«, sagt Höcke rückblickend, die Gründung der AfD habe ihm nur den letzten Ruck gegeben. Im April 2013 gehört er zu den Mitbegründern des Thüringer Landesverbandes, ein Foto zeigt ihn in Herrenhof bei Gotha unter anderem mit seinen späteren Landtagskollegen Michael Kaufmann und Olaf Kießling.

Landesvorsitzender wird Matthias Wohlfahrt, dessen Amt Höcke im Juni 2014 vor der Landtagswahl in Thüringen übernimmt. Mit Beginn des Landtagswahlkampfes in Thüringen lässt er sich vom Schuldienst freistellen und wirbt im Freistaat für die AfD. Auf einer Kundgebung in Erfurt knüpft er an den Rassisten Thilo Sarrazin aus der SPD an, um eine »eingeschränkte Meinungsfreiheit« zu kritisieren und erklärt: »Ich bin mir sicher, dass wir ohne diesen mutigen Einsatz dieses Mannes heute nicht hier ständen und ich möchte Danke sagen, Danke Thilo Sarrazin.« Neben ihm wartet der damalige Bundesvorsitzende Bernd Lucke darauf, reden zu können – nur ein Jahr später wird er mit maßgeblicher Hilfe von Höcke und seinem Netzwerk »Der Flügel« zugunsten von Frauke Petry gestürzt. Mit Stefan Möller führt der freigestellte Lehrer seit 2014 ununterbrochen den Landesverband an, seit dem Einzug ins Landesparlament steht das Duo an der Spitze der Thüringer Landtagsfraktion. Der nach eigenen Angaben »Parteisoldat« im »gärigen Haufen« (Alexander Gauland) bringt die Thüringer AfD nach und nach auf Linie und versteht es, den Landesverband gefügig zu machen. Wer seine Linie stört, muss gehen. Innerparteilich ist von selbstherrlichem Führungsstil, egomanischen Ausfällen, einem »exzessiv zur Schau gestellten Personenkult« und einer »Ich-Orgie« die Rede. Offenbar wolle Höcke den »Thüringer Weg als Führer vorgeben« und bekenne »sich damit zum Führerprinzip«, heißt es 2017 im Ausschlussantrag des Bundesvorstandes. Der Antrag scheitert und Petry muss gehen.

Gewaltvolle Homogenisierung des »deutschen Volkes«
Seit den gestiegenen Flüchtlingszahlen ab 2015 hatte sich ihr Kontrahent mit den rassistischen Aufmärschen in Thüringen mit dem ihm eigenen Pathos längst zum vermeintlichen Volkstribun aufgeschwungen. Es ist eine Abstimmung mit Füßen: Mit einer »Herbstoffensive« wollte der Bundesvorstand 2015 den damaligen PEGIDA-Boom nutzen, doch das Ergebnis blieb überschaubar. Zur Großdemonstration in Berlin kommt nur die Hälfte der angekündigten 10.000 Teilnehmer*innen, in Erfurt folgen Höcke bis zu 8.000 Teilnehmer*innen. Er gibt sich bescheiden und betont stets, wie zufällig er in die ihm fremde Politik gekommen sei. Seine Tabubrüche sind kalkuliert und durchchoreografiert wie etwa am Rand des Bundesparteitages im Juli in Magdeburg, wenn er einem Journalisten vor laufender Kamera sagt: »Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.« Wohl wissend, dass diese Aussage auf den Opfermythos des NS-Dichters Heinrich Lersch zurück geht. Seine Rhetorik basiert auf Freund-Feind-Schema, Endkampf und Opferrolle, seine Auftritte werden von Standing-Ovations und »Höcke, Höcke«-Rufen begleitet. Vergessen sind Auftritte wie bei Günther Jauch, wo Höcke »aus tiefer Liebe zu Deutschland« eine Deutschland-Fahne über seine Sessellehne hängt. Medien bezeichnen ihn anschließend als »Irren« und »wirren AfD-Politiker«, doch der Auftritt ist kennzeichnend für den Bismarck-Fan, der in seinem »historischen Auftrag« ein »auf den preußischen Tugenden fußendes Dienstethos für Politiker« einfordert und Preußen »als positives Leitbild« sieht. Dabei sind Höckes rhetorische Fähigkeiten überschaubar, seine öffentlichen Auftritte folgen über die Jahre stets dem gleichen Muster und sind akribisch vorbereitet, Spontaneität gehört nicht zu seinen Fähigkeiten. Mit antisemitisch und rassistisch konnotierten Versatzstücken aus Verschwörungsideologien bedient der AfD-Politiker die Sucht nach dem Untergang und bietet als Erlösung die gewaltvolle Homogenisierung des »deutschen Volkes« an. Bei der Umsetzung seines »Remigrationsprojekts« werde man um eine »Politik der wohltemperierten Grausamkeit« nicht herumkommen. Katalysator für den geplanten Aufbau eines solch autoritären Systems ist die AfD, die zu Mobilisierungszwecken ihren Charakter als fundamentaloppositionelle Bewegungspartei nicht verlieren dürfe. Die Partei als »letzte friedliche Chance für unser Vaterland«. Sollte diese Chance ungenutzt bleiben, stelle sich die Frage, »Schaf oder Wolf« zu sein. »Und ich, nein wir entscheiden uns in dieser Lage, Wolf zu sein!«, erklärt der ehemalige Lehrer. Auch wenn Höcke das Spiel mit der Zweideutigkeit professionalisiert hat: Es ist eine unverhohlene Kampfansage und Gewaltandrohung gegen die offene demokratische Gesellschaft.



Wir haben den Text korrigiert: »Es stand dort: aus der heraus das 2015 veröffentlichte Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« « Das Buch erschien aber 2018.