Wiedereinzug zu erwarten
von Sascha Schmidt
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 203 Juli | August 203
#Hessen
Am 8. Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Der Einzug der »Alternative für Deutschland« gilt als sicher. Aktuelle Umfragen gehen von einem deutlichen Stimmenzuwachs aus; allerdings nicht auf dem Niveau des derzeitigen bundesweiten Umfragehochs.
Es war das bislang beste Wahlergebnis, das die hessische »Alternative für Deutschland« (AfD) landesweit erzielen konnte: 13,1 Prozent. Bei der Landtagswahl im Oktober 2018 errang sie 19 Mandate. Doch nur wenige Tage nach dem Einzug erfolgte der erste Dämpfer: Nachdem öffentlich bekannt wurde, dass die AfD-Abgeordnete Alexandra Walter auf ihrem Facebook-Account die Verbrechen der Wehrmacht geleugnet und Sympathien für einen Oberscharführer der Waffen-SS gezeigt hatte, sah sich die neu gegründete Fraktion genötigt, ihre Aufnahme zu verweigern. Walter ist seitdem fraktionslos. Dies sollte jedoch nicht als Ausdruck einer »gemäßigten Fraktion« gedeutet werden. Denn rund ein Drittel der verbliebenen 18 Fraktionsmitglieder gehörte dem »Flügel« an oder stand diesem politisch nahe. Zu den einflussreichsten zählen: der zweite Landesvorsitzende und langjährige Vereinsvorsitzende des »Instituts für Staatspolitik« (IfS), Andreas Lichert, der Fraktionsgeschäftsführer und Burschenschafter Frank Grobe sowie der stellvertretende Landesvorsitzende Heiko Scholz, der nur wenige Wochen nach der Gründung der Fraktion den ehemaligen hessischen Bezirksleiter der »Identitären Bewegung« (IB), Jens Mierdel, als persönlichen Referenten einstellte.
Insbesondere der Fraktionsvorsitzende und erste Landesvorsitzende Robert Lambrou bemühte sich, den Eindruck einer geschlossen auftretenden Fraktion zu vermitteln. Dabei setzte er auf die gleiche Strategie, mit der es ihm nach seiner Wahl zum Vorsitzenden im Dezember 2017 weitgehend gelungen war, den schier heillos zerstrittenen Landesverband zu befrieden: Dementieren der öffentlich gewordenen Grabenkämpfe und Vermeidung der Spaltung zwischen den Strömungen. Dazu zählte auch, sich immer wieder schützend vor »Flügel«-Leute wie Lichert zu stellen (s. drr Nr. 174). Nichtsdestotrotz wurden die bestehenden Differenzen in der Fraktion früh sichtbar. So im Mai 2019, als der Landtag zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes zu einer Feierstunde lud. Als der damalige Präsident des Staatsgerichtshofs und heutige Justizminister Roman Poseck (CDU) in seiner Rede betonte, dass »völkisches Gedankengut und Rassismus die Würde anderer Menschen an(greifen)« und es mit Blick auf die Verfassung gelte, »Position zu beziehen«, blieb bei dem nachfolgenden Applaus ein Drittel der AfD-Fraktion sitzen. Ein weiteres Drittel klatschte, offensichtlich anstandshalber, nur kurz.
Angriffe auf Zivilgesellschaft und Forschung
Die Erziehungswissenschaftler*innen Benno Hafeneger und Hannah Jestädt haben die Fraktion von der konstituierenden Sitzung im Januar 2019 bis zum Januar 2020 in ihren Reden teilnehmend beobachtet und ihre Anträge systematisch untersucht. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, die Fraktion sei zu Beginn »eher zurückhaltend, moderat-gemäßigt aufgetreten«, jedoch sei deren Agieren ab der zweiten Hälfte des Jahres 2019 »aggressiver« und »mit Hass und Hetze verbunden« gewesen. »Deutlich« wurde, so die Wissenschaftler*innen, »dass alle parlamentarische(n) Aktivitäten – Anträge, Anfragen, Debattenbeiträge, Zwischenrufe – einer durchaus heterogenen Fraktion gemeinsam das Ziel verfolgten, die Demokratie, Gesellschaft und politische Kultur auch in der Landespolitik renationalisierend nach rechts zu verschieben«.
Der Partei gehe es zudem darum, »demokratiebewusste und menschenrechtsbasierte Aktivitäten in allen gesellschaftlichen Bereichen, Teile(n) der Zivilgesellschaft und der Kultur unter Druck« zu setzen. Ins Visier gerieten dabei unter anderem Initiativen für Geflüchtete, Antidiskriminierungsprojekte, Genderforschung, Projekte zur Förderung von Frauen an den Universitäten und gegen den Klimawandel sowie alternative Kulturzentren. Deren Fördergelder sollten nach dem Willen der AfD gestrichen werden.
Immer wieder Skandalauftritte
Hinsichtlich der beobachteten Reden kommen die Wissenschaftler*innen zu der Wertung, diese seien »durchweg kaum inspirierend und intellektuell wenig anspruchsvoll« gewesen. Doch der harsche Umgang mit Abgeordneten anderer Parteien sowie die im Landtag verbreiteten Thesen sorgten immer wieder für öffentliche Aufmerksamkeit.
So sprach beispielsweise der Abgeordnete Gerhard Schenk, der mehrfach an Seminaren des IfS in Schnellroda teilgenommen hatte, von einer »kollektive(n) Verwahrlosung dieses Landes« und bezeichnete die Bundesrepublik als »Unrechtsregime offener Grenzen«. Gegenüber Schüler*innen einer 9. Klasse, die den Landtag besuchten, behauptete er, die Verfassung der Bundesrepublik habe »eindeutig nur provisorischen Charakter«.
Im Umweltausschuss des Landtags sorgte der Abgeordnete Klaus Gagel für Empörung: Nachdem er Maßnahmen zum Klimaschutz als nutzlos bezeichnet hatte, entgegnete ihm die Umweltministerin Priska Hinz (Die Grünen), mit einer derartigen Haltung »könnte ich mich ja gleich erschießen«. Gagel reagierte darauf in einem Zwischenruf mit den Worten: »Das können wir machen.« Ebenfalls im Zuge einer Debatte zum Klimaschutz wetterte Lichert in verschwörungsideologischer und antisemitischer Manier über die »internationale Hochfinanz«, die hinter dem Klimawandel stünde. Gemeinsam mit Frank Grobe, der die AfD im Kuratorium der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung vertritt, tourt Lichert durchs Land und verbreitet die These vom »Great Reset«. Diesen sieht er als Teil eines »sehr perfiden Plans zur Zwangstransformation unserer sozialen Marktwirtschaft in Richtung Planwirtschaft 2.0«.
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Zerstrittene Fraktion schrumpft
Die innerhalb der Landtagsfraktion existierenden politischen und zwischenmenschlichen Brüche traten ab Sommer 2020 schließlich offen zutage: Es wurde bekannt, dass die Fraktion Dossiers über das vermeintliche Fehlverhalten der Abgeordneten Rainer Rahn und Horst Kahnt angelegt hatte. Kahnt wurde im Juni 2021 aus der Fraktion ausgeschlossen und verließ daraufhin die Partei. Dabei beklagte er die »zunehmend rechtsextremen Entwicklungen« der AfD auf Bundes- und Länderebene. Der »Flügel« habe im Hintergrund nach wie vor das Heft des Handelns in der Hand. Dass nicht alle Fraktionsmitglieder hinter dem ehemaligen »Flügel«-Vertreter Lichert standen, zeigte sich im Juni 2022, als sich dieser zur Wahl als Landtagsvizepräsident aufstellen ließ: Mindestens vier Fraktionsmitglieder verweigerten ihm ihre Zustimmung.
Im November 2022 verließen auch Rainer Rahn und Walter Wissenbach Fraktion und Partei. Rahn kritisierte, in weiten Teilen der AfD dominiere »inzwischen die Ideologie über faktenbasierte Politik«. Wissenbach, der als isoliert geltende ehemalige Sprecher der »Alternativen Mitte«, bezeichnete seine Ex-Kolleg*innen als »gescheiterte Existenzen« und »Berufsversager«, die nicht noch einmal für fünf Jahre an die »Fleischtöpfe« des Landtags kommen dürften. Zudem monierte er den internen Umgangston, die russlandfreundliche Politik der AfD sowie deren Haltung zu Corona. Gerichtlich hatte er erstritten, Lichert – aufgrund dessen Rolle beim Kauf eines Hauses in Halle, das die IB als Zentrum nutzte – als »stolzes Mitglied« der IB bezeichnen zu dürfen. Schließlich trat im Januar 2023 die einzige in der Fraktion verbliebene Frau, Claudia Papst-Dippel, aus der Partei aus. Nachdem sie bei der Aufstellung der Wahllisten für die Landtagswahl gescheitert war, kritisierte sie, qualifizierte Frauen würden nicht berücksichtigt. Damit war die Fraktion auf 14 Mitglieder geschrumpft.
Schwierige Zeiten auch fernab des Landtags
Erfolgserlebnisse blieben der Partei auch außerhalb des Landtags in den vergangenen Jahren versagt. Bei den Kommunalwahlen im März 2021 fiel die Partei mit einem landesweiten Schnitt von 6,9 Prozent um satte 5 Prozent hinter ihr Ergebnis von 2016 zurück. Geprägt war der Wahlkampf von Berichten über Bezüge zu Neonazis wie dem Lübcke-Mörder Stephan Ernst oder dem ehemaligen Kameradschaftsaktivisten Christian Wenzel (s. drr Nr. 200). Bescheiden verlief aus hessischer Sicht auch die Bundestagswahl 2021 mit einem Ergebnis von 8,8 Prozent – ein Verlust von 3,1 Prozent gegenüber 2017. Zudem verlor der Landesverband zwischen Dezember 2019 und Dezember 2022 fast ein Drittel seiner Mitglieder (von 3.033 auf 2.157). Sein einziger Erfolg: Ihm gelang es, die im September 2022 verkündete Einstufung als »rechtsextremer Verdachtsfall« durch den »Verfassungsschutz« gerichtlich vorerst zu untersagen. Eine abschließende Entscheidung steht noch aus.
Die Reihen nun wieder fest geschlossen?
Im Februar 2023 verabschiedete die Partei im nordhessischen Melsungen ihre Schwerpunkte zur Landtagswahl. Wenig überraschend setzt sie auf die Themen Zuwanderung und Energieversorgung. Mittels einer restriktiven Asylpolitik sollen Geflüchtete in Auffanglagern nahe ihrer Heimatländer unterkommen. Auch verwehrt man sich gegen Zuwanderung, um den Fachkräftemangel zu mindern. Entgegen der Einschätzung diverser Wirtschaftsexpert*innen ist die AfD der Meinung, dies sei mit inländischen Arbeitnehmer*innen zu lösen. Als Kontrapunkt zur Energiewende fordert die AfD einen Stopp des Ausbaus von Wind- und Solaranlagen.
Ein Blick auf die Landesliste deutet darauf hin, dass sich die Mehrheit der verbliebenen Fraktionsmitglieder etabliert hat. So bilden die ersten fünf Listenplätze – mit Lambrou und Lichert als Spitzenkandidaten sowie Volker Richter, Arno Enners und Frank Grobe – den jetzigen Fraktionsvorstand ab. Insgesamt 12 der verbliebenen 14 Abgeordneten finden sich auf den ersten 19 Plätzen wieder. Ausscheiden wird mit Karl Hermann Bolldorf einer der wenigen Gemäßigten. Der 73-Jährige, der vor seinem Eintritt in die AfD 44 Jahre Mitglied der CDU gewesen war, fand keine Berücksichtigung mehr. Die Polizei-Hauptkommissarin Sandra Weegels (Platz 9) ist die einzige Frau auf einem aussichtsreichen Listenplatz.
In den jüngsten Prognosen könnte die AfD laut Forschungsgruppe Wahlen vom 28. August auf 15 Prozent kommen. Das bundesweite Umfragehoch der Partei kommt in Hessen demnach bislang kaum an. Keine Konkurrenz erfährt die AfD aus dem extrem rechten Spektrum: Die NPD – jüngst in »Die Heimat« umbenannt – tritt erstmals seit 2003 nicht zu einer Landtagswahl in Hessen an.