Konservative Gefährder*innen

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 200 - Januar / Februar 2023

#Brandmauer

Glamour und Glorie. Prominent und populär. In Boulevard-Magazinen und in den öffentlich-rechtlichen Programmen ist die Adlige seit Jahrzehnten präsent. Gloria von Thurn und Taxis weiß aufzutreten, sich zu inszenieren – und zu positionieren. Die frühere »Punk-­Adlige« ist längst über die bayerischen Landesgrenzen hinaus als konservativ-katholische Fundamentalistin bekannt. Einen Stargast hatte sie 2012 zum zehnten Jubiläum ihrer Schlossfestspiele in Regensburg eingeladen: den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, da er ein »Held« sei, der »sein Volk« in »die Freiheit führe«. Das gemeinsame Feindbild: die »westliche Ideologie«. Im vergangenen Jahr störte die Fürstin dann auch, dass beim Angriffskrieg Russlands gegen die ­Ukraine nur die Sicht der »westliche(n) Kriegspartei« wahrzunehmen sei: »Putin ist böse, Selenskyj ist klasse.«

Alles im Fluss
Der antiwestliche Sound gehört traditionell zum Grundton des Konservatismus. Die politische Strömung entwickelte sich in der frühen Neuzeit. Der absolutistische Staat und der Adel wollten ihren Machtanspruch einer »wohlgeordneten« Gesellschaft gegen den dritten Stand verteidigen. Die Ordnung wurde als gott- oder naturgegeben postuliert. Im 18. Jahrhundert verdichtete sich die Position gegen die Aufklärung nach der mit Ratio und Logik eine emanzipatorische Welt mit den gleichen Rechten für alle erreicht werden sollte: Ordnung statt politischer Freiheit, Zucht statt individueller Selbstentscheidung oder Strenge statt Liberalität. In der Ablehnung der Französischen Revolution entstanden so auch konservative Programmschriften. Der irisch-britische Theoretiker Edmund Burke gilt bis heute als »Vater des Konservatismus«. Der 1797 verstorbene Burke meinte, demokratische Mehrheiten sollten nicht das Recht haben, entscheidende Neuerungen herbeizuführen.

Gern bezieht sich der Ehrenvorsitzende der »Alternative für Deutschland« (AfD) Alexander Gauland auf den konservativen Denker. Die Grenzen zwischen konservativ und extrem rechts waren schon immer auch Zonen der Abgrenzung und Annäherung. Auf dem Schloss in Regensburg war eine andere politische Prominenz ebenso zu Gast. Zum öffentlichen Weihnachtsmarkt trat Markus Söder (CSU) schon vor Jahren als Ehrengast auf. »Ich oute mich«, bekannte 2017 der damalige Minister für Finanzen und für Heimat und heutige bayerische Ministerpräsident sogleich untertänigst. Es sei »zwar nicht immer super politisch korrekt«, was die Fürstin mache, manche täten sich gar »schwer damit, aber ich bin ein Fan von ihr«. Sie sei jemand, die zu ihren Idealen stehe, auch »wenn es nicht immer jedem Feuilletonisten in der Republik gefällt«, sagte Söder dem Wochenblatt. Er wünsche sich, es gäbe »mehr Leute«, »die nicht immer nur das sagen, was ankommt, sondern Leute, die sich trauen, das zu sagen, was sie denken und das tut unsere Fürstin!« Vor fünf Jahren huldigte Söder nicht bloß »unserer Fürstin«, sondern erhob sie gleich zur wackeren Freiheitskämpferin gegen die Political Correctness. Nicht der Einzige aus der Union, der heute die angeblich herrschende Cancel Culture und das bestimmende »woke« Feuilleton beklagt oder bekämpft: Der CDU-Bundesabgeordnete und Hamburger Landesvorsitzende Christoph Ploß fordert laut ein »Genderverbot« für staatliche Einrichtungen.

In dieser Logik dürften sich die Positionen der Fürstin gegen Abtreibungen – eine »Kultur des Todes und des Tötens« oder zu diverser Sexualaufklärung – eine »Form des Kindesmissbrauchs« – oder zum Klimawandel – eine »systematische Irreführung« – jeglicher Kritik entziehen. Ihre Inschutznahme der Verantwortlichen bei den Regensburger Domspatzen gegen den Verdacht von hunderten Fällen von Kindesmissbrauch oder ihre gedankliche Nähe zu »Querdenken« und Fake-News sollten nicht minder ohne Kritik bleiben. Wer cancelt hier wen? In »Gekränkte Freiheit« weisen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey 2022 zurecht auf die Verdrehung der Argumentation hin, um sich nicht der inhaltlichen Auseinandersetzung stellen zu müssen. Die Meinungsdiktator*innen sind ja bekanntlich immer die anderen.

… und täglich grüßt das Murmeltier
Der Vorwurf erfolgte in der Bundesrepublik vor Jahren vornehmlich aber nur aus einem Spektrum – dem Milieu der Zeitung »Junge Freiheit«. Heute gehört er zum Kanon des Spektrums von »Cicero« und der »Welt«. Die Erosion des Konservatismus zum extrem Rechten läuft in der Bundesrepublik eben nicht erst seit ein paar Monaten. Sie findet nicht nur im Osten statt und sie beschränkt sich auch nicht allein auf den Umgang der Union mit der AfD. Die verkündete Brandmauer gegen »Rechtsextremismus« wird immer wieder von konservativen Politiker*innen unterhöhlt. Cancel Culture ist hier gerade sehr en vogue. Glauben die Ressentiments-Schützenden doch, das ausgemachte Volk, die einfachen Leute, die normalen Deutschen zu vertreten. Sie schützen allerdings vornehmlich eine gut situierte weiße Bevölkerung, die sich ihre erzwungenen Vorrechte nicht nehmen lassen will – sei es das Schnitzel, den SUV oder den Herrenwitz.

»Ein bisschen Spaß muss sein«, darf doch mal gesagt werden. Seit 1973 stimmt Roberto Blanco den Schlager an. Die Rolle des »wunderbaren Negers« kam schon immer in der weißen Mehrheitsgesellschaft gut an. 2015 nannte Joachim Hermann den Sänger bei »Hart aber fair« so. 2023 ist Hermann immer noch bayerischer CSU-Innenminister, auch zuständig für den »Bereich Integration«. Nach den Übergriffen in Berlin während der Silvesterfeiern 2022 auf Rettungs- und Ordnungskräfte wusste Hermann auch sofort: »Das Problem sind nicht die Böller, sondern die Krawallmacher, teils aus dem linksextremen Spektrum, teils mit Migrationshintergrund.« Jahrelang sei nicht energisch gegen die Rechtsbrüche aus diesen Spektren vorgegangen worden, betonte er. Die Bundeshauptstadt habe sich zur »deutschen Hauptstadt« der »Chaoten und kriminellen Clans entwickelt«. Der CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz markierte ebenso »die Chaoten«, von denen viele einen »Migra­tionshintergrund« hätten und den Staat verachteten. Wenige Wochen zuvor griffen die gleichen Personen in schon schrillen Tönen die Proteste der »Letzten Generation« als »Klima-RAF« an. Asyl- und Umweltpolitik, seit Jahrzehnten die verlässlichen Joker, wenn nichts anderes mehr geht.

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Screenshot des YouTubers und ehemaligen Chefredakteurs der Bild, Julian Reichelt, im Interview mit Gloria von Thurn und Taxis

Auf der Suche
Markige Töne allein sind aber kein politisches Programm, bilden kein konservatives Profil. Im Gegenteil, sie offenbaren die fluiden Grenzen zum extrem Rechten. Das konservative Milieu fragt sich schon länger selbst, was in der Spätmoderne noch konservative Werte und Haltungen sind. Das Antiwestliche, verstanden als antimoderner Reflex auf das philosophische Versprechen, ist virulent, aber nicht ausformuliert. Diese Positionen wären auch jenseits der Realität der gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Mensch in der Moderne ist zwar ein verlassenes Individuum, doch nicht alle wollen durch Autoritäten vergemeinschaftet werden. In dieser Ambivalenz steht aber der Konservatismus und birgt das Potenzial der Radikalisierung.


Die Suche offenbarte sich nicht minder in der Debatte um eine »Merkelisierung« der Union. Unter der Führung von Angela Merkel habe die Union ihre eigenen Werte verloren. Die vermeintliche Entleerung und Entkernung des Profils habe so auch die Leerstelle für die AfD eröffnet – beschleunigt mit ihrem »Wir schaffen das« in der Krise der Flüchtlingspolitik 2015. Doch »starke Frauen« schreiben ebenso wenig wie »starke Männer« allein Geschichte. Diese Vorhaltungen aus dem konservativen Milieu sind auch ein Versuch, sich der eigenen Verantwortung zu entziehen. Ein Merz, verbunden mit traditionellen konservativen Positionen und Traditionen brachte manche in der Union letztlich gegen eine Merkel mit einer konservativen Flexibilität und Moderne in Stellung. Der Mann von gestern, aus den 1990er Jahren, lieferte bisher Ressentiments, jedoch kein Programm.

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Im Spektrum des »Instituts für Staatpolitik« ist dieser Konservatismus längst als »cuckservative« abgeschrieben – keine Werte und ohne Rückgrat. Zu wenig würden sie den gebotenen Kulturkampf führen. Einen Kampf, der nicht nur Chancen bietet, wie einige Konservative erkannt haben. Ein »konservatives Schwadronieren über einen notwendigen Kulturkampf gegen die sogenannte Wokeness-Bewegung« gehe »allzu leicht Hand in Hand mit rechtsradikalen Verschwörungsmythen von ‹Umerziehung›, ‹Umvolkung› und ‹Gleichschaltung›« einher, stellen der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann und der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke in der FAZ vom 29. Dezember 2022 fest. Und sie warnen vor einer »Radikalisierung« des Konservatismus. Die Entwicklung der Republikaner in den USA und der Tories im Vereinigten Königreich hätte nicht bloß die Parteien zu »ehemals bürgerlichen Parteien« werden lassen. Das »Verlassen der Mitte für die politische Stabilität« gefährde die »Demokratie selbst«. Diesen Konservatismus muss das konservative Milieu für sich endlich aushandeln und vertreten. Wo die ideologischen Werte jedoch fragil sind, ist der politische Weg zur Macht virulent und die Allianz mit der AfD eine Option.