Die Geburtsstunde der Ost-Antifa
von Christin Jänicke, Benjamin Paul-Siewert und Dietmar Wolf
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 190 - Mai / Juni 2021
#Zionskirche
Wohl niemand hätte 1987 in Ostberlin damit gerechnet, dass ein Rockkonzert in einer Kirche zur Geburtsstunde der unabhängigen Antifa werden würde. Doch der damalige Neonazi-Überfall auf die Zionskirche setzte eine Selbstorganisierung in Gang, die es in dieser Weise wohl nur in der DDR geben konnte.
Der 17. Oktober des Jahres 1987 war schon vor den Ereignissen am Abend ein besonderer Tag. Denn ein Auftritt einer Westberliner Rockband auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, noch dazu deklariert als musikalische Andacht in einer Kirche, gehörte mitnichten zur samstäglichen Normalität. Dementsprechend klar war, dass die Staatssicherheit dieses Konzert minutiös überwachen würde. Doch das hielt die über tausend Gäste kaum davon ab, zu kommen. Was sie nicht wussten: Nach den Auftritten von »Element of Crime« und »Die Firma« sollte eine Gruppe von Neonazis die noch verbleibenden Besucher*innen angreifen.
Die Attacke auf das maßgeblich von der oppositionellen Kirche von Unten (KvU) und der Umwelt-Bibliothek organisierte Konzert fiel nicht vom Himmel. Denn die 1980er Jahre standen in Ost- wie Westdeutschland im Zeichen einer sich rasch ausbreitenden rechten Szene. Gerade in den Fußballstadien von »Lok Leipzig« und »BFC Dynamo Berlin« bestimmten immer mehr rechte Skinheads und Hooligans das Bild. Der Übergang zu gewalttätigen Neonazi-Banden war fließend. Für nicht-rechte Jugendliche und Vertragsarbeiter*innen konnte die Freizeit zum Spießrutenlauf werden, wie sich ein Antifaschist drei Jahrzehnte später erinnerte: »Ich bin in Lichtenberg groß geworden und als ich in den Achtzigerjahren politisch aktiv wurde, ging es permanent darum, die eigene Haut irgendwie zu retten. Als Punk musstest du flitzen. Wenn ich aufs Land gefahren bin – egal ob Mecklenburg, Brandenburg, Potsdam, Frankfurt/Oder – und in Klubs gegangen bin, man galt sofort als Fremder und hat auf die Fresse bekommen. Oder in Lichtenberg, die Angolaner, Kubaner und Vietnamesen, die in den Wohnheimen am Tierpark lebten. Wenn sie versucht haben in Klubs zu kommen, haben sie immer auf die Fresse gekriegt.«
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Ordentliche Nazis und »negativ-dekadente« Antifa
Doch der Überfall in der Zionskirche hatte eine neue Qualität: Es war keine Gelegenheitstat, sondern ein gezielter Angriff. Außerdem wurde die Tat öffentlich bekannt. Denn unmittelbar nach der Attacke berichtete unter anderem der Westberliner Radiosender RIAS. Eine Aufmerksamkeit, die die DDR-Obrigkeit unter Handlungsdruck setze. Die DDR-Justiz subsumierte die Täter unter dem »Rowdytum«-Paragraphen 215 und stellte damit ganz allgemein die Missachtung des »sozialistischen Gemeinschaftslebens« unter Strafe. Im Prozess wurden zwar die Nazi-Parolen ausführlich thematisiert und laut Urteil auch straferschwerend gewertet. Doch die lediglich vier Angeklagten kamen zunächst mit milden Strafen zwischen ein und zwei Jahren davon. Erst nach erneuten Protesten und Berichten von Westmedien wurde das Strafmaß in zweiter Instanz ohne erneute Beweisaufnahme und Berufungsmöglichkeit verdoppelt.
Das Urteil stellte eine Zäsur im Umgang mit Neonazis dar, denn bis dahin störten sich weder der Staat noch das Gros der Gesellschaft an ihnen. Ein Zeitzeuge erinnert sich: »In der DDR wurde das Nazi-Problem nicht ernst genommen. Die Nazis hätten immer alles aus dem Westen bekommen, einschließlich der Jacken und der Musik. (…) Mit der DDR hatte das nichts zu tun. (…) Für den durchschnittlichen Ostspießer waren die Nazis sauber, fleißig und gingen arbeiten – und wir Linken nicht.«
Eine ebenso von der SED und Staatssicherheit vertretene Auffassung: In einem Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurden insbesondere den Punks »Züge der Entartung und Asozialität« sowie eine »politisch negative Grundeinstellung« bescheinigt, die sich »durch Identifizierung mit bürgerlichen Freiheitsauffassungen, pseudopazifistischem, teilweise linksradikalem Gedankengut und dessen Propagandierung« äußere. Noch Mitte der 1980er Jahre galten Punks als die größte Herausforderung für das MfS. Die Gefahr von Rechts wurde heruntergespielt.
Aufmüpfig und unabhängig
Die allgemeine Ignoranz gegenüber Neonazi-Gewalt und der Überfall auf die Zionskirche führten dazu, dass im Umfeld der linken DDR-Opposition und Punkszene mehrere unabhängige Antifagruppen entstanden. Wie etwa in Dresden eine Anti-Nazi-Liga, die aus der bereits existierenden anarchistischen Gruppe Wolfspelz hervorging und im Untergrund Flugblätter verbreitete. Oder in Potsdam, wo aus der Punkszene eine sehr aktive Antifagruppe entstand, die vor allem über die Existenz und Ursachen von Faschismus in der DDR aufklären wollte. Darüber hinaus versuchten die Aktivist*innen Druck auf die staatlichen Stellen auszuüben.
In Halle an der Saale entschied sich 1988 ein Teil der lokalen Punkszene, ausschließlich mit militantem Straßenwiderstand auf die alltägliche Gewalt von Neonazis zu antworten. Dafür gaben sie sich den Namen Skinhead-Vernichtungs-Kommandos (SVK); auch in Brandenburg an der Havel und Berlin-Buch sollen Ableger des SVK existiert haben, wobei diese Annahme aber nur auf einzelnen Zeitzeugenberichten basiert. Um den Mauerfall gründete sich dann in Abgrenzung dazu die Antifaschistische Aktion Halle.
In Berlin gelang die Gründung einer unabhängigen Antifa erst im zweiten Anlauf im April 1989. Dieses Mal initiierten vor allem Aktive der KvU die Autonome Antifa Ostberlin. In den Folgemonaten entwickelte sich ähnlich wie in Potsdam eine thematisch strukturierte Arbeit, unter anderem in Jugendarbeits- und Recherchegruppen. Eine Zeitungsredaktion produzierte bereits im Juli eine erste Ausgabe des Antifa Infoblatt Ostberlin. Zwischenzeitlich waren um die 100 Engagierte beteiligt.
Auch abseits der größeren Städte gab es eine Organisierung von Antifas in der DDR, wie etwa in Guben, einer Kleinstadt in Südbrandenburg. Rassistische Angriffe auf Vertragsarbeiter*innen und eigene Gewalterfahrungen führten ab Sommer 1989 zu dem Entschluss: »Wir machen jetzt Antifa-Arbeit.« Im Frühjahr 1990 folgte eine erste Hausbesetzung.
Die Aktivitäten der Gruppen waren vielseitig. In der Nacht auf den 6. November 1987 wurden in Potsdam die ersten dokumentierten Antifa-Plakate mit dem Titel »Warnung – Neonazis auch in der DDR« an die Wand gebracht. Im Juli 1989 organisierten sie den »1. Potsdamer Antifa-Tag« und in Ostberlin fand im April 1990 ein DDR-weites Vernetzungstreffen statt.
Anstatt die Antifas zu unterstützen, begann der DDR-Geheimdienst – das MfS – die Gruppen zu bekämpfen. So wurden in Potsdam 20 Jugendliche brutal festgenommen, die im September 1989 zum »Tag der Opfer des Faschismus« kritisch an einer offiziellen Kundgebung teilnehmen wollten. Parallel dazu warb das MfS inoffizielle Mitarbeiter*innen als Spitzel an.
Erst um den Jahreswechsel 1989/1990, unter dem Eindruck ihres drohenden Zusammenbruchs und politischer Bedeutungslosigkeit, kamen aus den Kreisen von Volkspolizei und SED Angebote zur Zusammenarbeit. Doch da war es schon zu spät, denn statt mit dem untergehenden Staat zu paktieren, protestierten die unabhängigen Antifaschist*innen gegen die Diktatur – etwa mit einem schwarz-roten Block am 4. November 1989 auf der Großdemonstration in Berlin. Wie für viele Oppositionelle in dieser Zeit bedeutete der Protest gegen die Obrigkeit nicht automatisch ein Ja zur Angliederung der DDR an die Bundesrepublik. Ihren Protest gegen die Übernahme des kapitalistischen Systems zeigten sie zum Beispiel mit der Anti-Kohl-Demonstration vom 19. Dezember 1989 und mit der »Demonstration gegen Großdeutsche Träume« am 19. März 1990, einen Tag nach der Volkskammerwahl.
Besetzte Häuser als Angriffsziel
In diesen Monaten veränderte sich der Organisationsgrad der Neonazis in der DDR deutlich. Im ganzen Land kam es zu einem sprunghaften Anstieg von Angriffen. Neben massiver rassistischer Gewalt waren es im Besonderen fast tägliche Überfälle auf die besetzten Häuser. Diese entstanden nicht nur in Ostberlin und Potsdam zahlreich, sondern auch in Leipzig und Dresden – oder in Kleinstädten wie Weimar. In Zerbst belagerten am Vorabend des 3. Oktober 1990 über 200 Neonazis ein besetztes Haus und brannten es nieder. Die mehr als ein Dutzend Besetzer*innen im Gebäude überlebten nur durch Glück und teils schwerverletzt.
Die auch lebensbedrohliche Gewalt erhöhte die Bereitschaft vieler Antifaschist*innen zur militanten Selbsthilfe. Diese wurde zu einem zentralen Mittel des antifaschistischen Widerstands, wodurch an einigen Orten effektive Gegenmacht entwickelt werden konnte. Wenn auch nicht freiwillig, wie sich ein Zeitzeuge erinnert: »Ganz kurz und knapp gesagt, ich bin gar nicht zur Militanz gekommen, sondern die Militanz ist zu mir gekommen. Also es war ja nicht irgendwas, was wir gewollt hätten. Es ging uns nicht darum, uns mit Nazis zu prügeln. Aber wir mussten. Wir sind angegriffen und attackiert worden. Es ging eher um eine Form von aufgezwungener Selbstverteidigung.«
Von der DDR nach Ostdeutschland
Das Jahr 1987 liegt über 30 Jahre zurück, die DDR existiert nicht mehr. Zum Überfall auf die Zionskirche gibt es inzwischen einige Dokumentationen, häufig mit dem Fokus auf Neonazis und deren Organisierung im Osten. Die Betroffenen und Engagierten, die sich aufgrund der Gewalterfahrungen und Beobachtungen einer erstarkenden rechten Szene organisierten, sind dabei häufig nur eine Randbemerkung. Doch gerade die unabhängigen Antifaschist*innen der DDR vereinigen im Rückblick vieles in sich: Sie waren Oppositionelle, Hausbesetzer*innen und Revolutionäre zugleich. Ihr Vermächtnis ist wenig bekannt, dafür prägt es die antifaschistische Politik in Ostdeutschland bis heute.
Dieser Beitrag basiert unter anderem auf dem Sammelband »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland: Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung«, der zuletzt 2020 in der 4. Auflage erschienen ist.