Nationale Wochenzeitung

von Klaus Niebuhr
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 190 - Juni 2021

#NeueRechte

Seit 35 Jahren gibt es die neu-rechte Zeitung „Junge Freiheit“. Ihre Geschichte ist auch die Geschichte der Normalisierung rechter Diskurse in der Bundesrepublik.

der rechte rand Magazin
Junge Freiheit Stand auf der Frankfurter Buchmesse © Mark Mühlhaus / attenzione

Nationale Wochenzeitung

„Wohin steuert Deutschland?“, so lautete die Schlagzeile auf dem Titel der Jubiläumsausgabe der neu-rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) vom 11. Juni dieses Jahres. Dass es dem Blatt aus Berlin stets um Deutschland, also um die Nation, und weniger um Demokratie geht, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Geschichte. Gegründet wurde die Zeitung 1986 als Blatt für Schüler*innen und Student*innen von dem bis heute als Chefredakteur und Geschäftsführer an der Spitze stehenden Dieter Stein in Freiburg/Breisgau. Stein, der einer Offiziersfamilie entstammt, war zeitweise bei der Partei „Die Republikaner“ (REP) aktiv. Seit Januar 1991 erschien die JF monatlich, seit 1994 ist sie Wochenzeitung. Der damalige Umzug der Redaktion von Freiburg/Breisgau nach Potsdam wurde in der JF als triumphaler Einzug in die alte preußische Residenzstadt gefeiert. Doch vorerst zog die Redaktion  an den Stadtrand, in den Ortsteil Bornstedt und später dann nach Berlin-Wilmersdorf, wo sie bis heute ihren Sitz hat.

Das JF Milieu

Bedingt durch ihre Entstehungsgeschichte kann die JF in ihrer frühen Phase als publizistisches Projekt aus dem Spektrum von Burschenschaften, der völkisch-bündischen Jugend, des rechten Rands der CDU/CSU und der extremen Rechten verstanden werden. Nach dem Ende der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ im Jahr 2010 als Stimme des Konservatismus, bemühte sich die JF erkennbar um deren christlich-konservative Leser*innenschaft, und öffnete sich deren thematischem Kanon des rechtsintellektuellen Milieus.

„Konservative Revolution“

„Jedes Abo eine konservative Revolution“ – mit diesem Satz wurde zu Beginn der 1990er Jahre eine Abo-Kampagne der JF vorangetrieben, die Rückschlüsse auf die politische Selbstverortung der Zeitung zulässt. Die JF sah sich in der Traditionslinie der sogenannten „Konservativen Revolution“ und räumte deren Ideenwelt im Blatt breiten Raum ein. Zu Wort kam mit Armin Mohler auch jener Autor, der unter dem Begriff „Konservative Revolution“ den Versuch unternommen hatte, präfaschistische Strömungen der Weimarer Republik von ihrer Verantwortung für den Nationalsozialismus freizusprechen. Mohler, bis heute ein „Säulenheiliger“ des rechtsintellektuellen Milieus, wurde von der JF erst ausgebootet, als er sich weigerte, hinreichend Distanz zu Holocaustleugner*innen zu halten. Früh publizierte die JF auch die Texte des Franzosen Alain de Benoist, des intellektuellen Kopfs der französischen „Nouvelle droite“. Für ihre Leser*innen bereitete die JF die rechte Ideengeschichte von Carl Schmitt bis Arthur Moeller van den Bruck als Erweiterung des geistig-kulturellen Horizonts mit dem Ziel auf, diese zu rehabilitieren und in den intellektuellen Diskurs einzuführen.

„TAZ von rechts“

Seit 1994 erschien die JF als Wochenzeitung. Dieses Wagnis war nicht ohne ökonomisches Risiko, da zum damaligen Zeitpunkt ungeklärt schien, ob es rechts der katholisch-konservativen Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ einen publizistischen Platz für eine weitere rechte Wochenzeitung geben könne. Den Malus ihrer mangelnden Bekanntheit in einer Zeit vor dem Internet, versuchte die JF durch eine Kommunikation der gezielten Provokation des politisch-medialen Betriebs auszugleichen. So postulierte die Zeitung, man wolle eine „TAZ von rechts“ sein: unkonventionell, frech und jung. Damals nicht gerade Begriffe, die mit der nationalen Rechten assoziiert wurden. Ein Mittel zur Erregung von Aufmerksamkeit waren Interviews, welche die JF mit Prominenten aus Politik und Kultur führte, ohne dass diesen immer bewusst war, welcher Zeitung sie ein Interview gaben. Anders als heute, galten Interviews in der JF damals für Politiker*innen noch als politischer Tabubruch und Fauxpas. Gespräche mit Politiker*innen oder Intellektuellen – gerade aus dem linken und linksliberalen Lager – erzeugten Aufsehen, sorgten für Kontroversität und brachten die Zeitung ins Gespräch. Im Umfeld der JF bildeten sich in ihrer Entstehungsphase „JF Lesekreise“, die regional Gleichgesinnte sammelten. Später trennte sich die JF von diesem Format. Die „Freunde und Förderer der JF“ dienten als ökonomischer Schutzschirm für die Zeitung, der immer wieder hilft, Investitionen zu stemmen und ökonomische Unsicherheiten zu überbrücken.

Verhältnis zu Parteien

Wer heute die JF aufschlägt, bemerkt die ausführliche und wohlwollende Berichterstattung der Zeitung zur AfD. Zeitweise wurde die JF von Beobachtenden als das inoffizielle Parteiblatt der AfD, zumindest der Anhängerschaft des Parteisprechers Jörg Meuthen angesehen. Tatsächlich hat die JF in ihrer Geschichte zahlreiche Versuche, rechts der CDU/CSU eine erfolgreiche Partei zu etablieren, erlebt und hoffnungsvoll begleitet. Ob REP, „Statt Partei“, „Schill Partei“, „Bund freier Bürger“ oder eben die AfD – immer unterstützte die JF diese Parteiprojekte in der Hoffnung, sie würden dauerhaft eine Partei rechts der Union etablieren. Erst mit dem Aufstieg der AfD hat sich dieser Wunsch erfüllt. Dabei unterstützt die JF jene Strömung in der AfD, die als moderat gilt: erst Bernd Lucke und Frauke Petry, und nun Jörg Meuthen. Dies hat seinen Grund darin, dass sich das in der JF artikulierende Spektrum der Rechten strategisch darauf setzt, in den politischen Institutionen mit Personen, Themen und Begriffen zu wirken.

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Karlheinz Weißmann © Mark Mühlhaus / attenzione

Trennungslinien nach Schnellroda?

Das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) wurde 2001 aus dem direkten Umfeld der JF gegründet. Inzwischen geht man aber erkennbar getrennte Wege. Im Blog der IfS-Zeitschrift „Sezession“ wird der JF regelmäßig opportunistische Anpassung an den Mainstream vorgeworfen. Mit der „Bibliothek des Konservatismus“ in Berlin, der sie tragenden „Förderstiftung konservative Bildung und Forschung“ (FKBF) und der von ihr unterstützten zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift „Cato“ verfügt die JF über eine Infrastruktur für rechte Ideologieproduktion, die eigentlich um die gleiche Zielgruppe des rechten akademischen Milieus wirbt wie das IfS. Der Unterschied zwischen beiden Institutionen besteht in der inhaltlichen Akzentsetzung ihrer Resonanzräume. Während man sich beim IfS in Schnellroda in rustikaler Atmosphäre an den aktivistischen Nachwuchs zwischen der AfD-Jugend „Junge Alternative“ und den Resten der „Identitären Bewegung“ wendet, geht es in der „Bibliothek des Konservatismus“ in Berlin gediegener zu. Zudem zählen in Berlin Akteur*innen aus dem Umfeld der Union selbstverständlich zum Reigen der Referierenden. In Schnellroda hingegen reüssiert ein ehemaliger Kader der NPD-Studierendenorganisation „Nationaldemokratischer Hochschulbund“ (NHB), Thor von Waldstein, als Referent. Die „Bibliothek des Konservatismus“ steht heute zu Unrecht im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung neu-rechter Bildungsarbeit. Anders ausgedrückt: das IfS in Schnellroda vermag seit Jahren in den Medien den Eindruck erwecken, dort sei das Zentrum rechtsintellektuellen Denkens in Deutschland. Doch dies ist nur die Hälfte der Wahrheit. Denn im Umfeld von JF, „Cato“ und der „Bibliothek des Konservatismus“ ist ein intellektuelles  Potential der „Neuen Rechten“ anzutreffen, das mit dem medial überrepräsentierten IfS mindestens gleichrangig ist.

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»Neue Rechte« wie Erik Lehnert (seit 2008 Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik – IfS) hier auf einem Stand der »Jungen Freiheit« auf der Frankfurter Buchmesse.

Wer schreibt für die JF?

Das Verzeichnis der Autoren und wenigen Autorinnen aus den 35 Jahren der „Jungen Freiheit“  liest sich wie ein Who-is-Who des breiten Spektrum der extremen Rechten und eines Teils des Konservatismus. Unter den Autor*innen finden sich Akteur*innen, die eine fortwährende Rolle im Kosmos rechter Organisationen und Zeitschriften spielten und spielen: Götz Kubitschek etwa, der Chef des „Antaios Verlag“ mit Sitz in Schnellroda, arbeitete zeitweilig als Redakteur der JF,  und gab 2006 das Buch „20 Jahre Junge Freiheit“ heraus. Seine Frau, Ellen Kositza, nahm für ihren publizistischen Weg ebenfalls in der JF Anlauf. Sie bekam im Jahr 2008 den von der Zeitung gestifteten „Gerhard Löwenthal Preis“. Langjähriger Hausautor ist der inzwischen pensionierte Lehrer und Historiker Karlheinz Weißmann, der als geistiger Verwalter von Armin Mohler und „Lordsiegelbewahrer“ der „Konservativen Revolution“ gilt, und in der JF seit Jahrzehnten programmatische Texte und Bücher veröffentlicht. Langjährige Autoren sind darüber hinaus Detlef Kühn, Albrecht Jebens und der Germanist Baal Müller. Zu den prominenten, inzwischen verstorbenen Autoren gehörte der vormalige Journalist der Tageszeitung „Die Welt“, Günter Zehm.

Geschichts- und Gesellschaftspolitik

Wer die JF Ende Juli dieses Jahres kaufen wird, bekommt sicherlich erneut eine Titelgeschichte über den Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg und dessen angeblich durchgehend edle Gesinnung und seine elitär preußische Lebenswelt serviert. Im jährlichen Stauffenberg-Kult der JF kumuliert, was die Zeitung als ihr gesellschaftspolitisches Leitbild entwirft: ein nationalistisch-mythisch überhöhter, autoritär formierter Ständestaat, in dem eine selbsternannte Elite die Geschicke der Nation lenkt. Nicht umsonst gilt der JF das Preußentum als zentrale historische und geistige Bezugsgröße. Variantenreich sind die Aspekte, in denen Preußen in der JF als deutsches Leitbild gepriesen wird: Gesellschaft, Kultur, Tradition, Brauchtum und Militär. Dies schließt eine Parteinahme für jene Adligen ein, die nach der Wiedervereinigung 1990 eine Revision der Bodenreform in den ostdeutschen Bundesländern durchsetzen wollten und dazu vor diversen deutschen und europäischen Gerichten erfolglos klagten.

Konservativer und rechter Antifeminismus hat in der JF einen festen Platz. Regelmäßig berichtet sie wohlwollend über den „Marsch für das Leben“ christlich-fundamentalistischer „Lebensschützer“. Antifeministischen Publizistinnen, wie Gabriele Kuby und Birgit Kelle, bot die JF früh ein Podium und half so, sie und ihre Bücher bekannt zu machen. Im Umgang mit der NS-Vergangenheit praktiziert die JF die Strategie der Dethematisierung durch Akzentsetzung. Stets betont die Zeitung die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung im Kontext von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung. Der 8. Mai 1945 wird folgerichtig als „Zusammenbruch“ verstanden. Zugleich diagnostiziert die Autor*innenschaft der JF seit Jahrzehnten, Deutschland befinde sich in Bezug auf die NS-Vergangenheit in einer geistigen und kulturellen babylonischen Gefangenschaft, die ein selbstbewusstes Nationalbewusstsein blockiere. Autoren wie Thorsten Hinz attestieren der politischen Kultur der „Berliner Republik“ einen Schuldkomplex, der das gesamte Handeln der Politik dominiere, und sie der Fähigkeit beraube, eine souveräne, geopolitische Interessenpolitik zu betreiben. Dass sich die geistigen und politischen Koordinaten der Republik in den vergangenen 30 Jahren nach rechts bewegten, wird in der JF nicht gesehen – im Gegenteil: Autor*innen der JF sehen Deutschland wahlweise auf dem Weg in einen antifaschistischen „Linksstaat“ oder den rot-grünen Maßnahmenstaat.

Weg in die Mitte?

In den Anfangsjahren verstand sich die JF als Eisbrecher angeblicher oder tatsächlicher Tabus der Diskurse der Bundesrepublik. In der Tat war sie lange Zeit das publizistische Zentrum neu-rechter Selbstverständigung in Deutschland. Inzwischen gibt es eine Vielfalt der Angebote auf dem Markt rechter Printprodukte, der für jede Zielgruppe ein publizistisches Produkt anbietet, das am Kiosk erhältlich ist. Ihr Alleinstellungsmerkmal als rechte Publikumszeitung hat die JF verloren. Wer die Zeitung durchblättert kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier würden in der Regel statt neu-rechter doch wohl eher klassisch konservative Brot- und Butter-Themen, wie Familie, Mittelstand und Wertedebatte dominieren. Doch die polierte konservative Patina der JF kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die essentiellen politischen Kategorien der JF immer noch Volk, Staat und Nation sind. Diese werden vor allem im Kultur- und Debattenteil der JF nach wie vor in der Tradition der antidemokratischen Rechten der Weimarer Republik ausgelegt. Die Tonalität rechter Kulturkampfthemen wie Islam, Familie und Gender in der JF gibt einen Hinweis darauf, dass die ideologische Ausrichtung der JF im Wesentlichen konstant ist, sich also nicht in die Mitte bewegt hat. Vielmehr haben sich Debatten in der Mitte der Gesellschaft auf die Themen und Antworten der JF zubewegt.

ABO
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oder ins Büro.

Ganz rechts, ganz normal

Heute ist die „Junge Freiheit“ eine Wochenzeitung, in der extrem rechte Positionen ebenso ihren Ort haben wie Positionen des Mainstreams des Rechtskonservatismus. In der JF zu publizieren, ist schon lange kein Tabubruch mehr. Zu den Kolumnisten zählen Autoren wie der jüngst verstorbene ehemalige Moderator des Deutschlandfunks und katholisch-konservative Netzwerker Jürgen Liminski und der Dresdner Politikwissenschaftler und Pegida-Versteher Werner Patzelt. Im Vergleich zur ebenfalls in einem vergleichbaren Spektrum angesiedelten „Preußischen Allgemeinen“ ist die JF das reichweitenstärkere Periodikum.

Auflage und Bedeutung

Die JF gibt ihre Abo-Auflage mit etwa 25.000 Exemplaren an. Mehrfach hat die JF in den vergangenen Jahren verkündet, ihre Printauflage steige gegen den Trend auf dem Markt der gedruckten Tages- und Wochenzeitungen. Die JF ist nach wie vor die publizistische Stimme im Vor- und Umfeld der AfD und bildet zentral deren Debatten und Kontroversen ab. Zugleich begleitet sie nach wie vor den Diskurs am rechten Rand der Union, wie die Parteinahme in der Debatte um den ehemaligen Verfassungsschutz-Chef und rechten CDU-Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen zeigt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die JF und ihre Inhalte inzwischen in allen großen Medienhäusern der Republik zur Kenntnis genommen und dort ihre Multiplikator*innen finden. Dass die thematischen Schwerpunkte der JF durchaus auch in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) oder auch der Süddeutschen Zeitung (SZ) aufgegriffen werden, ist kein Zufall, sondern Ausdruck des publizistischen Einflusses der JF, der nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Die JF ist somit 35 Jahre nach ihrer Gründung die wichtigste Plattform rechter Publizistik im Wochenzeitungsformat in der Bundesrepublik.