Immer noch aktuell: Spengler
von Volker Weiß
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 131 - Juli / August 2011
Oswald Spengler, obwohl vor 75 Jahren verstorben, ist in der extremen Rechten, nicht nur in Deutschland, noch aktuell.
»Oswald Spengler, wir gedenken Deiner als einer der großen deutschen Denker, mit diesen Worten würdigte Max Otte am 7. Mai 2011 auf dem Münchner Nordfriedhof den 1936 verstorbenen deutschen Populärphilosophen, der vor allem als Autor des Untergangs des Abendlands (1918/1922) und glühender Gegner der Weimarer Republik bekannt wurde. Vielleicht dreißig Personen waren auf Einladung des Instituts für Staatspolitik (IfS) am Grab Spenglers für eine kurze Gedenkfeier zusammengekommen. Die kurzfristig verschickten Einladungen zu der Zusammenkunft hatte Erik Lehnert unterzeichnet, seit 2008 gemeinsam mit Karlheinz Weißmann Leiter des derzeit umtriebigsten Think Tanks der extremen Rechten in Deutschland. Entsprechend erlesen präsentierte sich die Runde. Als Höhepunkt der Veranstaltung legte Erik Lehnert gemeinsam mit Martin Böcker einen Kranz an Spenglers Grab nieder: Optimismus ist Feigheit, verkündete die Schrift auf der Schleife.
Spengler-Verehrer Otte
Max Otte war wohl der prominenteste Teilnehmer dieses klandestin vorbereiteten und durchgeführten Treffens. Der Wirtschaftsprofessor, Unternehmer und »Börsianer des Jahres« 2009 und 2010 (Börse Online) wird von der so genannten Neuen Rechten als Krisentheoretiker geschätzt. Anfang Mai hatte er einen ausführlichen Nachruf auf Spengler in der Jungen Freiheit?(JF, Nr. 19 v. 6.5.2011) publiziert. 2010 sprach er bei der »Preußischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg« über das »Erfolgsmodell Schweiz«, der Verein führt ihn mittlerweile als Beirat. Politisch oszilliert Otte also zwischen den verschiedenen Spektren des Revisionismus. Der Öffentlichkeit ist der Euro-Gegner Otte vor allem als häufiger Gast in Rundfunk und Fernsehen bekannt. Ebenfalls im Mai diskutierte der Ökonom bei Anne Will die Frage »Riskiert die Regierung unser Geld?«. Auf dem Friedhof trat Otte als Grabredner auf, beim anschließenden Beisammensein in einem Restaurant in der Münchner Innenstadt waren er, Karlheinz Weißmann und Frank Lisson als Referenten für den inhaltlichen Teil zuständig. Noch am Grab betonte Karlheinz Weißmann den aktuellen Charakter von Spenglers Denken. Die Rede verdeutlichte, warum sein Werk bis heute von jenen herangezogen wird, die sich als letztes intellektuelles Bollwerk der deutschen Schicksalsgemeinschaft sehen: »Spengler ging es gerade nicht um Resignation, sondern es ging ihm um ein Standhalten. Es ging ihm darum, dass man in der entscheidenden Situation, in die man historisch gestellt ist, das tut, was notwendig ist. In dieser Hinsicht ist er, mit der Klarsichtigkeit seines Denkens und der Entschiedenheit, mit der er auch das formuliert hat, was unangenehm, was nicht gerne gehört wird, uns allen ein Vorbild.« Den gleichen Tonfall vom Durchhalten in heroischer Pflichterfüllung schlug auch Max Otte an, der eines der wohl am meisten verbreiteten Spengler-Zitate bemühte: »Die Zeit lässt sich nicht umkehren. Es gibt keine weise Umkehr, keinen klugen Verzicht. Nur Träumer glauben an Auswege, Optimismus ist Feigheit. Wir sind in diese Zeit geboren und müssen tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist. Auf dem verlorenen Posten ausharren ohne Hoffnung, ohne Rettung, ist Pflicht. Ausharren wie jener römische Soldat, dessen Gebeine man vor einem Tor in Pompeji fand, weil man vergessen hatte ihn abzulösen. Das ist Größe, dieses ehrliche Ende ist das einzige, das man den Menschen nicht nehmen kann.« Das Gleichnis vom römischen Soldaten ist, wie auch die Losung »Optimismus ist Feigheit«, Spenglers Essay »Der Mensch und die Technik« (1932) entnommen. Es liefert eine der markantesten Selbstbeschreibungen des Lebensgefühls seiner heutigen Epigonen. Handelt es doch von der Unabdingbarkeit des Schicksals, das mannhaft zu tragen sei und gibt damit einem zentralen Motiv des »konservativ-revolutionären« Denkens Ausdruck. Allerdings hat Otte ein nicht unwesentliches Detail ausgelassen. Im Original endet das Zitat: »Das ist Größe, das heißt Rasse haben. Dieses ehrliche Ende ist das einzige, das man dem Menschen nicht nehmen kann.« Bereits im »Untergang des Abendlandes« hatte Spengler seinen Rassenbegriff als »Dauer der kosmisch- pflanzenhaften Lebensseite des Daseins« definiert, als »Zeugungen in einer engeren oder weiteren Landschaft fortkreisenden Blutes«. Spengler lebte im Glauben, dass sich das »Rassenschicksal« in der Geschichte offenbare. Seine Furcht galt der »farbigen Weltrevolution«, die gemeinsam mit der nivellierenden Kraft des Welthandels und den europäischen Unterschichten der weißen Elite ihre historische Führungsrolle rauben könnte. Da die rassistischen Züge von Spenglers Werk gerne von jenen unterschlagen werden, die ihn lediglich als bedeutenden Kulturphilosophen erinnern wollen, passt Ottes Auslassung ins Konzept der »Rettung« Spenglers.
Spengler-Verehrer Lisson
Wie ungebrochen die Spengler-Verehrung der deutschen Rechten bis heute ist, zeigen Veröffentlichungen aus den letzten Jahren. Vor allem das IfS ist bemüht, den Autor in die Gegenwart zurückzuholen: Im Mai 2005 erschien ein Sonderheft der »Sezession« zu Spengler. Im gleichen Jahr publizierte der an der Feier beteiligte Frank Lisson das Büchlein »Oswald Spengler, Philosoph des Schicksals« in der Reihe »Perspektiven« der auf Schnellroda, Sitz des IfS, erscheinenden »Edition Antaios«. 2007 gab er Spenglers »Jahre der Entscheidung« mit einem Vorwort aus eigener Feder neu heraus. Auch Lisson zählt zu den Protagonisten der Szene, die Außenwirkung zu entfalten vermögen. Er war nicht nur Referent des IfS, sondern auch Autor mehrerer Features für den Deutschlandfunk und publizierte 2004 eine Nietzsche-Monographie bei dtv.
Spengler-Verehrer Bigalke
2009 wurde Spenglers Schrift über den »Neubau des Reiches« (1924) im thüringischen »Arnshaugk-Verlag« nachgedruckt. Als Herausgeber fungierte Daniel Bigalke, der ebenfalls als Autor von »Sezession« und der ähnlich gestrickten Schülerzeitung »Blaue Narzisse« in Erscheinung getreten ist. In »Neubau des Reiches« zeigt sich die besondere Anschlussfähigkeit Spenglers für die heutigen Attacken auf den Sozialstaat, greift doch Spenglers These vom »Steuerbolschewismus« heutigen Autoren wie Peter Sloterdijk oder Karl Heinz Bohrer vor. Ganz im Geiste Spenglers beklagt auch Bigalke, dass nichts anderes als die Demokratisierung Deutschlands zum Verlust der staatstragenden Tugenden geführt habe: »Harter Dienst, karge Bezahlung, sparsame Anerkennung – die gewissenhafte Leistung bei sparsamer Belohnung, im Vertrauen, dass die ideelle Belohnung im Wirken für das Ganze liege, diese Haltung ist höchst schätzenswert. Revolution und Parlamentarismus haben auch diese Haltung des Deutschen vernichtet und den Staat zur Versorgungsanstalt werden lassen.« Den Leser*innen trägt Bigalke nicht ohne Pathos auf, sie mögen »aus dem Buch Anregungen für die Gegenwart entnehmen und dies mit tragischer Seele und rebellischem Herzen tun.«
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Spengler-Verehrer Benoist
Dass nach diesem publizistischen Vorlauf 2011 für die »Neue Rechte« zum Spengler-Jahr wurde, ist ein grenzübergreifendes Phänomen. Die »Nouvelle Ecole«, ein Traditionsformat der französischen »Nouvelle Droite« unter der Ägide von Alain de Benoist, widmete ihre Doppelausgabe 2010/11 dem Denker der »Konservativen Revolution«. Auch Benoist, seit Jahrzehnten Spiritus Rector der intellektuellen Rechten, empfiehlt seinen französischen Leser*innen die Lektüre Spenglers zum Verständnis der Gegenwart. Neben den heroischen Inhalten birgt auch Spenglers Habitus Identifikationspotential. Den Notizen aus seinem Nachlass, die kürzlich von dem seriösen französischen Spengler- Forscher Gilbert Merlio herausgegeben wurden, lässt sich entnehmen, wie sehr Spengler von einem heute adoleszent erscheinenden Weltschmerz und Weltekel getragen wurde. Die autobiographischen Aufzeichnungen zeichnen einen schwer leidenden, zwanghaft distanzierten Mann, vereinsamt, todessüchtig und mit Angst vor Frauen, geflohen in sein eigenes geistiges Universum; ein wenig wie Nietzsche, dem er Zeit seines Lebens nacheiferte, ohne je an ihn heranzureichen.
Vorbild Spengler
Ohnehin traditionell im Kanon der deutschen Rechten beheimatet, ist Spengler also der passende Stichwortgeber für das Milieu um das IfS und die JF. Durch sein Hauptwerk »Der Untergang des Abendlandes« hatte er international Beachtung gefunden, schien es doch den Zeitgeist der Epoche nach dem Ersten Weltkrieg zu bannen. 1919 versuchte er zudem mit der Schrift »Preußentum und Sozialismus« das Konzept des autoritären Staates mit dem besonderen Auftrag Preußens in der Geschichte zu verschweißen. Die Attraktivität Spenglers für den theorieinteressierten Flügel der äußersten deutschen Rechten beruht aber vor allem auf einer Legende um seine letzte Publikation »Jahre der Entscheidung«. Dieser Text erschien Anfang des Jahres 1933 und gilt als Positionsbestimmung des Autors gegenüber dem Nationalsozialismus. Spengler schreibt im Vorwort, dass das Buch am 30. Januar, zum Zeitpunkt der Machtübergabe an Hitlers Kabinett, bereits bis Seite 106 gedruckt gewesen sei – das waren fast zwei Drittel des gesamten Textes. Eine Änderung sei aber nicht notwendig geworden, er schreibe »nicht für Monate oder das nächste Jahr, sondern für die Zukunft. Was richtig ist, kann durch ein Ereignis nicht aufgehoben werden.« Mit dieser Diagnose verweigerte er sich der Tendenz seiner Zeitgenossen, in Hitlers Kanzlerschaft bereits die nationale Erlösung zu sehen. Diese Zurückhaltung und der Umstand, dass Spengler sich dem lärmenden Siegestaumel des Januar 1933 entzog und mahnte, man könne die Regierung Hitlers erst an ihren Leistungen vor der Geschichte messen, haben eine Legende von einer Ablehnung des Nationalsozialismus durch Spengler begründet, die in den einschlägigen Kreisen bis heute gepflegt wird. Auch Max Otte behauptet in der JF, die »Jahre der Entscheidung« seien »zu Recht als ein Manifest des konservativen Widerstands« gelesen worden. Diese Auslegung entspringt jedoch einem gewollten Missverständnis. Spengler war viel zu sehr dem Gedanken einer völkergeschichtlichen Tiefenzeit verpflichtet, als dass ihn ein Regierungswechsel alleine umzustimmen vermochte. Er wollte warten, dass sich die neue Regierung vor der Zukunft beweise, vor allem außenpolitische Fakten geschaffen sehen, die dem Reich wieder zu seinem imperialen Glanz verhelfen sollten. Spengler verdächtigte Hitler schlicht der mangelnden Radikalität. Seine Freude über die Abschaffung der Weimarer Republik hatte er bereits in den ersten Sätzen des Buches deutlich zum Ausdruck gebracht: »Niemand konnte die nationale Umwälzung dieses Jahres mehr herbeigesehnt haben als ich. Ich habe die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an gehasst, als den Verrat des minderwertigen Volkes an dem starken, unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war, weil es eine Zukunft haben konnte und wollte. Alles, was ich seitdem über Politik schrieb, war gegen die Mächte gerichtet, die sich auf dem Berg unseres Elends und Unglücks mit Hilfe unserer Feinde verschanzt hatten, um diese Zukunft unmöglich zu machen. Jede Zeile sollte zu ihrem Sturz beitragen und ich hoffe, dass das der Fall gewesen ist.« Sicher gehörte Spengler zu den zentralen nationalistischen Autoren, die zum Fall Weimars beigetragen haben. Richtig ist auch, dass Spengler kein Parteigänger Hitlers war und Avancen der Nationalsozialisten ablehnend beschied. Stattdessen setzte er schon sehr lange auf den italienischen Faschismus, sah in Mussolini die Verkörperung des von ihm erhofften »Cäsaren«. So bleibt von der Widerstands-Legende um Spengler nichts übrig.
Alte »Neue Rechte«
Vor allem die JF hat sich in den letzten Jahren viel Mühe gegeben, der Öffentlichkeit ihren Abschied vom radikalen Erbe des völkischen Nationalismus zu verkaufen. Erfolgreich klagte sie sich aus dem »Verfassungsschutzbericht« Nordrhein-Westfalens. Mithilfe ihr gewogener Publizisten und breiter Werbekampagnen gelang es ihr, sich der Öffentlichkeit als »nur konservativ« darzustellen. Der Aufmarsch namhafter Protagonisten von IfS und JF an Spenglers Grab zeugt jedoch von einer anderen Realität. Denn wer sich auf Spengler bezieht, hat diesen Rahmen längst verlassen. Der vorgeblich harmlose Konservatismus des »neu rechten« Milieus ist nach wie vor eine Täuschung. Noch immer orientiert man sich dort an den Schlüsseltheoretikern des deutschen Nationalismus und Hauptfeinden der Weimarer Republik.