Politische Farbenlehre

von Carsten Neumann
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020 - online only

#blaubraun

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Die blaue Partei: AfD im Mai 2014 vor dem Brandenburger Tor in Berlin © Christian Ditsch

Gelb-Schwarz-Blau-Braun könnte das politische Farbspektrum von der Mitte bis extrem rechts sein. Nur ist diese Lesart der aktuellen politischen Farbenlehre so falsch wie die ihr zu Grunde liegende Extremismusfantasie. Betrachten wir durch das Kaleidoskop der politischen Farbenlehre diese Mischung etwas genauer, samt seinen Brechungen des Lichts durch die Geschichte und den dazugehörigen Ort.

Die Wege des Rots
Rot waren die Umhänge der Cäsaren, das Rot, welches den Anspruch auf die Macht der Kaiser symbolisierte, aber durch die Aufklärung und französische Revolution neue Wege ging. Es wurde das Rot der Revolutionäre, der Republikaner, der Mützen der Jakobiner. Das Rot steht für das vergossene Blut der Arbeiter*innen ebenso wie für die wehenden roten Fahnen der Revolutionen. Rot war die vorherrschende Farbe der Nationalsozialisten, die Grundfarbe ihrer Fahnen und Armbinden. Ergänzt um den weißen Kreis und das rechtsdrehende Hakenkreuz in schwarz auf der Spitze stehend. Entworfen von niemand geringerem als dem Führer selbst. Gut erkennbar die Farben der Trikolore des deutschen Kaiserreiches: Schwarz, Weiß, Rot. Auch wenn sie es sich vermutlich wünschten, das revolutionäre Rot konnten die Nazis den Sozialist*innen und Kommunist*innen nicht entreißen.

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Bild der Braunhemden im Nationalsozialismus

Die Geburt des Braunhemds
Eine neue Farbe wurde für den historischen NS gefunden. In Italien, dem Mutterland des Faschismus, trugen die Schlägerbanden Mussolinis schwarze Hemden, was ihnen ihren Namen »camicie nere« einbrachte. Auch in England gingen die Faschisten der »blackshirts« in schwarz auf die Jagd nach ihren politischen Gegner*innen. Sie holten sich im Gegensatz zu ihren italienischen Brüdern schnell blutige Nasen und spielten keine weitere nennenswerte Rolle. Nur in Deutschland trugen die »Sturmabteilungen« das braune Hemd unter dem Sturmriemen. Es waren anfangs die günstig erstandenen Restbestände der Hemden der Schutztruppen aus den Kolonien. Das Braunhemd war geboren und damit die Farbe des Nationalsozialismus. Ein Schnäppchen, welches nach dem verlorenen Platz an der Sonne vorerst keine weitere Verwendung hatte. So kam das Rot des Blutes mit dem Braun des Bodens zusammen.

Erweiterung des Farbspektrums
Heute ist es etwas komplizierter. Manche glauben immer noch, der Faschismus hätte sich mit dessen Niederlage im Mai 1945 endgültig erledigt.

Das Farbspektrum der altehrwürdigen BRD kannte über Jahrzehnte nur drei Fernsehprogramme in Schwarz-Weiß und drei Farben im Parlament – die Farben der Fahne von Weimar, die des Hambacher Festes: Schwarz, Rot, Gold/Gelb. Schwarz war die Kennzeichnung der CDU. Ihr Bündnis mit der CSU wertete es zu einem Blauschwarz auf, da die bayrische Union die Landesfarbe Blau ihrer Rauten für sich beanspruchte. Für die SPD wurde, auch wenn sie sich vom Sozialismus seit Godesberg immer schneller verabschiedete, das Rot zur Kennung. Und die FDP, die Liberalen, präsentieren sich in Gelb – die Farbe der sozial Geächteten im Mittelalter und danach die Farbe des Verrates. Aktuell wurde diese Farbwahl in Weimar mit demokratischen Würden versehen.

Erweitert wurde das Spektrum dann um die Grünen, welche, nun ja, das Grün bekamen. Die Linke, die Verschmelzung von WAsG und PDS, war dann das zu viel Rot im Parlament. Sie illuminierte das schwindende Rot der SPD. Vielleicht wäre es folgerichtig in Zukunft zwischen Abendrot und Morgenrot zu unterscheiden.

Blauäugige Deutsche
Mit Blau ist es ein weites Feld. Der Bezug dieser Farbe auf verschiedenen Landesfahnen wird von politischen Parteien weltweit genutzt. Ohne den Bezug auf die eigene Flagge nutzen die Liberalen die Farbe der Weite des Himmels und der Unendlichkeit der Meere gerne als Symbol der von ihnen angestrebten grenzenlosen Freiheit – so wie in der Schweiz. Doch in der benachbarten Alpenrepublik Österreich steht Blau für die Freiheitlichen, die »Freiheitliche Partei Österreichs« und ihre faschistischen Freunde. Der Grund warum sich die »Alternative für Deutschland« (AfD) eben diese Farbe, das tiefe Blau, zu eigen machen konnte, ist spannend. Interessanterweise übernahm sie die Farbe ganz ohne Widerspruch aus den Reihen der Liberalen und der bayrischen Christsozialen, denen in Deutschland historisch gesehen ein Copyright zustehen würde.

Vielleicht steht die Farbwahl der AfD ganz im Zeichen ihrer eigenen Entwicklung. Von der Anti Euro-pro Deutsche Mark Partei entwickelte sie sich hin zur völkischen antiemanzipatorischen Sammlungsbewegung – nur für blauäugige, kartoffelbraune Deutsche. Gegründet von konservativen Professoren wurde die Partei jetzt gekapert von einem geschichtsvergessenen Lehrer.

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Der Erfolg innerhalb der eigenen Reihen gibt den Faschist*innen in der AfD Recht. Doch das Blau, für welches die nationalistischen Wirtschaftsliberalen angetreten sind, kleidet sie nicht mehr. Diese Blauäugigkeit überwindet zunehmend auch die bürgerliche Presse, indem sie in Wahlstatistiken den braunen Balken zum Messen der Erfolge der Neofaschist*innen nutzt.

Wer wie Erika Steinbach (ehemals CDU) oder Thomas Kemmerich (noch FDP) nun Rot mit Braun gleichsetzt, zeigt mehr seine Nähe zur Blut und Boden Ideologie als zur politischen Analyse. Eine gewisse Unterstützung der AfD ist somit erwünscht – sie sind, wie viele andere im Staate, eben weder auf dem rechten Auge noch farbenblind. Ihr gewissenloser und geschichtsvergessener Drang zur Macht, ihr Antikommunismus, der Hass auf die Roten, den sie mit allen Faschist*innen teilen, kann vielen zum Verhängnis werden.