Keine Blumen – Anstand adé

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020 - online only

#Thüringen

Er wäre gerne Landesministerpräsident in Thüringen geblieben. Der erste Ministerpräsident in einem Bundesland von Gnaden der CDU und AfD wollte nicht gehen. Nach noch nicht einmal 24 Stunden musste Thomas Kemmerich (FPD) dann doch seinen Rücktritt ankündigen. Zu der Entscheidung führten der politische Druck aus den Bundesvorständen von CDU und FDP, die mediale Kommentierung und der zivilgesellschaftliche Protest. Bundesweit haben am Mittwochabend mehrere Tausend Menschen gegen die Wahl des FDP-Landespolitikers zum neuen Landesministerpräsidenten demonstriert. Allein in Thüringen gingen am Tag der Wahl mehr als 3.000 Personen gegen die Zusammenarbeit mit der AfD auf die Straße.

Ohne diese Reaktion dürfte Kemmerich nicht eingelenkt haben. Die ersten Statements am Mittwoch nach der Wahl legen diese Einschätzung ebenso nahe wie die ersten Statements nach der Rücktrittsansage. Seine Annahme der Wahl sei kein Fehler gewesen, erklärte er und betonte, die FDP kämpfe in Thüringen weiterhin für einen Politikwechsel und gegen die »Extreme von rechts und links«. Eine kurze Positionierung, die das große Dilemma des vermeintlichen »Kandidaten der Mitte« offenbart. Ein Dilemma der gesamten »Mitte«, die noch immer nicht die Dimension der »konstruktiv-destruktiven« Strategie der AfD um den Thüringer Landtagsfraktionsvorsitzenden Björn Höcke realisiert. Diese Strategie, von der der neu-rechte Publizist Götz Kubitschek schwärmt, gefährdet die Demokratie. Doch was viele Politiker*innen und Politolog*innen, zivilgesellschaftliche Projekte und antifaschistische Initiativen bundesweit sehen, sieht die FDP und CDU in Thüringen nicht. Schlimmer noch. Sie sieht weiterhin einen alten Feind ganz neu: Die Linke bzw. das was sie als links wahrnehmen. Bis weit in die Nacht zum Freitag musste dann auch erst die CDU im Erfurter Landtag beraten. Am Schluss stand die Entscheidung, dass Kemmerich die Vertrauensfragen stellen soll, um eine Neuwahl des Ministerpräsidenten zu ermöglichen.

 

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Proteste in Erfurt am Tag der Wahl zum neuen Ministerpräsidenten der FDP mit Stimmen der CDU und den Neofaschist*innen der AfD © Kai Budler

 

Keine 24 Stunden im Amt, doch die Amtsannahme wird über Jahre nachhallen. Mit ihrem Wahlverhalten hat die Koalition von CDU und FDP gegen den sich zur Wiederwahl stellenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow das Wahlziel der AfD erreicht: Rot-Rot-Grün abzuwählen. Wenn vielleicht auch nur für wenige Tage. Die vermeintlichen Parteien der »Mitte« in dem Ostbundesland haben Höckes Wunsch erfüllt, der offensichtlich auch ihr Wunsch war. »Dammbruch« ist nach dem dritten Wahlgang, in dem Kemmerich mit einer Stimme mehr im Erfurter Landtag gegen Ramelow gewann, das Wort in fast allen Kommentaren. Ihre Verfasser*innen geben sich überrascht. Doch diese Überraschung über die aktuelle Entwicklung überdeckt den geschichtlichen Hintergrund. Zwar wird darauf verwiesen, dass in Thüringen 1930 die NSDAP erstmals an einer Regierung beteiligt war, aber schon 2014 stand nicht bloß die AfD gegen die erste Rot-Rot-Grüne-Regierung auf der Straße. Im Hass vereint und mit der Linken als gemeinsames Feindbild. Erst später prägte der AfD-Bundessprecher und Europaabgeordnete, Jörg Meuthen mit dem »links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland« ihren Kampfbegriff.

Dieses Feindbild klang in den vergangenen Monaten auch bei Bundespolitiker*innen von CDU und FDP an, wenn sie zur Distanz zur AfD mahnten und gleichzeitig vor Links warnten. Ein Mantra der selbsternannten Mitte, das in Thüringen FDP und CDU eben mit dazu bewegte, sich lieber von Rechtsradikalen wählen zu lassen als noch einmal eine Rot-Rot-Grüne-Alternative zu ertragen. Der Wille der Wähler*innen wird da unwichtig. Denn der hätte alleine schon geboten, dass eine Partei, die mit knapp 5 Prozent in den Landtag zieht, überhaupt gar keinen Ministerpräsidentenkandidaten aufstellt. Anstand adé.

 

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Proteste in Erfurt am Tag der Wahl
© Kai Budler

In den ersten Reaktionen gaben sich CDU und FDP in Erfurt über die Wahl des Ministerpräsidenten noch überrascht. Ein Kandidat der »Mitte« sei aufgestellt und – oh Überraschung – mit Stimmen der AfD gewählt wurden. Binnen weniger Stunden war jedoch offenbar, dass sie solch ein Szenario durchspielten – und auch gerne durchgezogen hätten. Denn wenn hier ernsthaft eine unerwünschte Koalition zum nicht gewollten Wahlergebnis geführt haben sollte, dann hätte diese Koalition sogleich aufgelöst werden können. Bei der Frage zur Annahme der Wahl hätte Kemmerich einfach nur »nein« sagen müssen. Hat er aber nicht. Mit Rückendeckung des FDP-Bundesvorsitzenden hatte er kandidiert. Christian Lindner sprang ihm zunächst auch bei und erklärte: »Freiheit und Weltoffenheit jenseits von AfD und Linkspartei sind unser Wählerauftrag«. Die erneute Gleichsetzung macht deutlich, dass in der Debatte über die Rechtsentwicklung nicht bloß über die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geredet werden muss. Es geht auch um eine Kategorie die lange nicht ausgesprochen wurde: Antikommunismus oder das, was hier als »links-versifft« und/oder »68er-geprägt« angefeindet wird.

 

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Im ZDF-Heute-Journal argumentierte Kemmerich ebenso, als vermeintlicher Kandidat der »demokratischen Mitte« angetreten zu sein, räumte aber ein, dass er mit den AfD-Stimmen »rechnen musste«. Gerechnet hat aber auch die CDU – im Vorfeld. In »The European – Das Debatten-Magazin« spielte der Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der CDU-Fraktion, Karl-Eckard Hahn, drei Tage vor der Wahl genau dieses Szenario durch und präferiert die AfD-Unterstützung. Er selbst kommt aus der »Deutschen Gildenschaft« – aus der kommt auch ein enger Freund Höckes. Doch es muss gar nicht spekuliert werden.

In Thüringen haben CDU und FDP mit der angestrebten Akzeptanz die gesellschaftliche Mitte verlassen. Was wäre ohne den gesellschaftlichen Druck passiert? Was wäre geschehen, wenn die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nicht massiv interveniert und FDP-Chef Lindner nicht nun stark insistiert hätte?

Die CDU und FDP in Erfurt stören weder, dass Höcke nach einem Gerichtsurteil als »Faschist« bezeichnet werden darf, noch dass der Flügel vom Bundesamt für Verfassungsschutz als wider das Grundgesetz eingestuft wird. Sie waren im Osten die ersten Dammbrecher, sie werden nicht die letzten sein. Einem Ministerpräsidenten von solchen Gnaden ohne Anstand gebühren keine Blumen anstandshalber. Anstand und Haltung gebieten es, ihm die Blumen vor die Füße zu werfen, wie es die Vorsitzende der Linken getan hat. Danke Susanne Hennig-Wellsow.