Konsolidierter Rechtsaußen-Block
von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020
#AfD
Nach der Landtagswahl in Thüringen ist die »Alternative für Deutschland« (AfD) unter Leitung des Faschisten Björn Höcke als zweitstärkste Fraktion in das Landesparlament des Freistaates eingezogen. Statt zuletzt sieben, entsendet die Partei nun 22 der insgesamt 90 Abgeordneten in den neu gebildeten Landtag. Damit konnte sie ihr Wahlergebnis aus dem Jahr 2014 mehr als verdoppeln, als sie unter Bernd Lucke noch als »Professorenpartei« fungierte. Der deutliche Stimmenzuwachs der AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen kommt nicht von ungefähr: Immerhin war der Partei in diesen drei Bundesländern schon 2014 der erste Einzug in die Landesparlamente seit der Parteigründung gelungen. Neu hingegen ist, dass die AfD in Thüringen ein Viertel der Direktmandate holen konnte, die traditionell vor allem der CDU vorbehalten waren. Die Hoffnung, das Stimmverhalten jüngerer Wähler*innen könnte den Aufwärtstrend der AfD stoppen, hat sich angesichts der Tatsache zerschlagen, dass die AfD in Thüringen am meisten bei Wähler*innen zwischen 18 und 44 Jahren gewählt wurde.
Thüringen als Experimentierfeld
Das erzielte Wahlergebnis und die damit ausgebaute Machtposition im Landtag ist für den Fraktions- und Landesvorsitzenden Höcke eine gute Ausgangslage, um zu testen, wie standhaft die roten Linien gegenüber seiner Partei wirklich sind. Denn der konservativ-liberale Block um CDU und FDP kann nur mit Unterstützung der AfD Mehrheitsverhältnisse herstellen. Der CDU-Vorsitzende Mike Mohring hatte zwar noch kurz vor der Wahl betont, »Höcke ist ein Nazi« und erklärt: »Ich habe nichts mit diesen Drecksnazis gemeinsam, die gehen mir auf den Sack«. Teile seiner Basis aber sehen das offenbar anders, denn kurz nach der Wahl machte der offene Brief einer 17-köpfigen Gruppe »konservativer Unionsmitglieder in Thüringen« die Runde, die forderte, dass die CDU sich »aktiv am Gesprächsprozess mit ALLEN demokratisch gewählten Parteien im Thüringer Landtag beteiligt«. Dass die Unterzeichner*innen vor allem aus der Lokalpolitik stammen, lässt erahnen, dass es seit den Kommunalwahlen im Mai 2019 immer wieder zu einer Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene kommt. Höcke bot an, sich selbst zurück zu nehmen, um eine Kooperation mit der von ihm als »bürgerlich-konservative Partei« bezeichneten AfD zu erleichtern. Es gehe nicht darum, »das Lenkrad selbst in die Hände zu bekommen, sondern es in die richtige Richtung zu drehen«, so Höcke, der lange Jahre an der Rolle der AfD als »Fundamentalopposition« festgehalten hatte. Die Wahrnehmung seiner Person in der Öffentlichkeit bezeichnet er als »Kontrastphänomen: Nach vielen Jahren ›nationaler Nulldiät‹ wirkt selbst Schmalkost wie ein allzu üppiges Essen, das bei dem einen oder anderen Magendrücken hervorruft«. Er selbst arbeite aber daran, »die Kost bekömmlicher zu machen«. CDU und FDP lehnten das »Angebot« ab, Zustimmung erhielt Höcke dafür von der Parteispitze: Auf dem Bundesparteitag der AfD in Braunschweig bezeichnete der damalige Bundesvorsitzende Alexander Gauland dessen Vorgehen als »einen klugen Schachzug«. Denn die AfD in Thüringen als Kernland des völkischen Netzwerks »Der Flügel« und die fragilen Verhältnisse im Landtag bieten ein Experimentierfeld, auf welchem getestet werden kann, wie realistisch und praktikabel das von Georg Pazderski vorgelegte und im Juli vom Bundesvorstand der Partei verabschiedete Papier »Strategie 2019-2025. Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei« wirklich ist. Darin wird nach einem Weg gesucht, die AfD nach einer innerparteilichen Konsolidierung »zu einer respektierten Volkspartei zu machen, die […] die Voraussetzungen dafür gelegt hat, Regierungsverantwortung zu übernehmen«.
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Neuer Bundesvorstand unter Duldung von »Der Flügel«
Auf dem strategischen Weg zu diesem Ziel aber stören »rhetorische Querschläger, Hasstiraden und sinnlose Provokationen« aus dem »gärigen Haufen«, wie Gauland die AfD bezeichnet hatte. Darüber muss nun der neu gewählte 15-köpfige Bundesvorstand beraten, der auch ohne größeren öffentlichen Eklat in Braunschweig den konsolidierten Weg der AfD nach Rechtsaußen manifestiert. So wurde Höckes Vertrauter Stephan Brandner als stellvertretender Bundesvorsitzender installiert; Andreas Kalbitz, der mit Höcke der Parteiströmung »Der Flügel« vorsteht, wurde Beisitzer. Und auch Joachim Paul aus Rheinland-Pfalz, der für die extrem rechte Publikation »hier & jetzt« geschrieben haben soll, erhielt einen Platz als Beisitzer. Ohnehin zeigt sich, dass das Personal der Bundesspitze davon abhängig ist, wen das Netzwerk »Der Flügel« duldet – und wen eben nicht. Kay Gottschalk, Georg Pazderski und Albrecht Glaser verloren ihre Posten im Bundesvorstand, Uwe Junge, Dana Guth und Roland Hartwig erhielten keinen Platz im Gremium. Sie alle zählen zu den vermeintlich »Gemäßigten« und Kritiker*innen des völkischen Netzwerks in der extrem rechten Partei. Ihnen gegenüber hatte Höcke kurz vor dem Parteitag unverhohlen gedroht: »Keine Unterstützung des Flügels werden in Braunschweig jene Kandidaten bekommen, die in den letzten Jahren durch Wort und Tat ihre fehlende Integrationskraft bewiesen haben«. Für einen vermeintlich seriösen Eindruck nach außen wurde nach Gaulands Verzicht neben Jörg Meuthen Tino Chrupalla als zweiter Bundessprecher gewählt. Der Maler- und Lackierermeister mit einem eigenen Unternehmen und Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Görlitz hatte bei der Bundestagswahl 2017 mit einem Erststimmenergebnis von 32,4 Prozent dem sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer das Direktmandat abgejagt und ist einer von fünf stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion. Chrupalla setzte sich in Braunschweig in der Stichwahl mit 54 Prozent gegen den Scharfmacher der AfD im Bundestag, Gottfried Curio, der 41 Prozent bekam, durch. Im Vorfeld der Wahl hatte Höcke Chrupallas Kandidatur demonstrativ unterstützt, schließlich wirkte er im September 2019 als Redner beim ersten »Der Flügel«-Treffen in Sachsen mit. Doch nicht nur seine Nähe zum »Flügel« machte ihn zum idealen Konsenskandidaten neben dem in Essen geborenen Meuthen. Der Handwerksmeister ohne akademische Laufbahn repräsentiere »allein schon mit seiner eigenen Biographie einen erheblichen Teil der bestehenden und potentiellen AfD-Wählerschaft«, kommentierte der inzwischen aus der AfD ausgeschlossene Landtagsabgeordnete in Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, die Wahl. Zudem gibt der Sachse Chrupalla den ostdeutschen Landesverbänden ein Gesicht im Bundesvorstand.
Die Suche nach Kernzielgruppen
Mit dem selbstständigen Unternehmer und Mitglied des AfD-Mittelstandsforums Sachsen bietet sich die Chance, die »Kleinen Leute« zu erreichen, die im Strategiepapier als eine von drei besonders wichtigen sozioökonomischen Zielgruppen genannt werden. Dort wird die Gruppe »Angestellte, Facharbeiter und Selbständige« in der unteren Mittelschicht und oberen Unterschicht verortet. Trotz eines vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenanteils existierten hier ein Gefühl wachsender Ungleichheit und Ängste vor Abstieg und Verdrängung. In dieser Gruppe will sich die Partei als »Schutz vor Lohndrückerei, hohen Steuer- und Abgabelasten, Schuldenwirtschaft, sittenwidrigen Arbeitsbedingungen« ebenso inszenieren wie vor »unklaren Zukunftsperspektiven bei der Rente, bei der Pflege und im Gesundheitssystem«. Angesichts der im Papier attestierten »Präferenz für Sicherheit und Ordnung und eine[r] Abneigung gegen Verwahrlosung, Verantwortungslosigkeit und Egoismus kleiner Minderheiten« soll diese Zielgruppe mit dem Motto »Gemeinwohlorientierung statt Bedienung von Interessengruppen« geködert werden. Weitere besonders wichtige »Kernzielgruppen« sind »Arbeiter, Angestellte und Selbstständige in Positionen mit schlechter Bezahlung, ungünstigen Arbeitsbedingungen und unsicheren Arbeitsverhältnissen« sowie ein »Konservativ-liberales Bürgertum in der politischen Mitte und rechts davon«. Letztere Gruppe, zu der die AfD »mittlere und höhere Angestellte und Beamte, wohlhabende Selbstständige, Freiberufler sowie kleine und mittlere Unternehmer« zählt, ist für die Partei besonders interessant, weil sie »zahlenmäßig vergleichsweise groß ist und über Sachkompetenz, finanzielle Mittel und den Zugang zur Bürgergesellschaft verfügt«. All dies sind Indikatoren, die eine Volkspartei, wie sie die AfD werden will, vorweisen muss. Innerhalb dieser drei Zielgruppen will die AfD verstärkt auf Untergruppen zugehen, bei denen es »in drei Bereichen Sympathieprobleme gibt«: Frauen, Rentner*innen und Erstwähler*innen. Auch das Potenzial der Nichtwähler*innen will die Partei stärker als bisher ausschöpfen, außerdem soll eine Strategie entwickelt werden, »wie der Stimmanteil der AfD bei den weiblichen Wählern insbesondere in ihren Zielgruppen erhöht und die Partei für weibliche Mitglieder attraktiver werden kann«. Im Strategiepapier heißt es, die AfD erreiche »bei Frauen nicht einmal 60 % des Stimmenanteils, den sie bei Männern erzielt«, der Frauenanteil bei Parteimitgliedern wird mit rund 15 Prozent beziffert.
Strategiejahr 2020
Für die Überprüfung, Modifizierung und Umsetzung der im Strategiepapier empfohlenen Maßnahmen hat die AfD das gesamte Jahr 2020 Zeit, denn außer Kommunalwahlen in zwei Bundesländern und der Bürgerschaftswahl in Hamburg stehen keine wichtigen Wahlen an, die die parteilichen Ressourcen aufbrauchen könnten. Erst im Folgejahr muss sich die AfD bei fünf Landtagswahlen und der Bundestagswahl beweisen. In die Arbeit zur Zielgruppe »Frauen« könnte bereits Anfang Februar 2020 Bewegung kommen, wenn in München der erste bundesweite Kongress der AfD-Frauenorganisation »Frauenalternative« (FAlter) stattfindet. Auch bei der im Papier als eine von fünf Schwächen skizzierten fehlenden Positionierung zu Themen wie Arbeitsmarkt, Steuern und Abgaben, Alterssicherung oder Pflege soll jetzt Abhilfe geschaffen werden. Am letzten Aprilwochenende soll im badischen Offenburg der »Bundesparteitag zu Fragen der Sozialpolitik« stattfinden. Er war von Höcke beantragt und im Sommer 2018 beschlossen worden, wurde jedoch 2019 verschoben. Bis April sollen nun der zuständige Bundesfachausschuss und die Bundesprogrammkommission einen Entwurf aus etwa 20 teils diametral entgegengesetzten Rentenkonzepten entwickeln.