Milieubeschreibung Kampfsport
von James Tubman und Harriet Baldwin
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019
#Fight
Das Weltbild von Nazis ist geprägt durch Ungleichheitsideologie, Anti-Pluralismus, Demokratiefeindlichkeit, Elitarismus, Sozialdarwinismus und das Streben nach Macht und Stärke. Dieses setzen sie mit Gewalt gegen Andersdenkende durch. Die – auch im Nazirock oft beschworene – »Macht auf der Straße« muss körperlich erschaffen werden. Kraft- und Kampfsport gehören für viele Neonazis zum Alltag und sind Teil faschistischer Kultur. Im Kampfsport-Milieu gibt es Überschneidungen zwischen Hooligans, Rockern und Türstehern. Auch etliche Rapper demonstrieren ihre Nähe zu Kampfsportlern. Zu den Selbstbildern als archaischer Wikinger, politischer Soldat und gewalttätiger Skinhead ist mittlerweile das des »Mixed Martial Arts« (MMA)-Kämpfers hinzugekommen. Während ein kleiner Teil der Neonaziszene tatsächlich fast täglich trainiert und ein noch kleinerer Teil regelmäßig an Wettkämpfen teilnimmt, brüstet sich der Großteil meist nur mit dem Image des gefährlichen Kämpfers. Mit dem T-Shirt einer Kampfsportmarke soll die eigene Gefährlichkeit signalisiert werden. Durch diese Mimikry gelingt es auch dem unsportlichsten Neonazi, sich selbst als Kampfmaschine in Szene zu setzen und mehr Platz auf der Straße zu beanspruchen. Die Selbstaufwertung durch ein Bedrohungsszenario funktioniert nur über die aktiv kämpfenden Neonazis. Ohne sie würde manch Bierbauch, über den sich ein Cagefighter-Shirt spannt, eher der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Deswegen sind Kampfsportveranstaltungen auch Kristallisationspunkte der Szene. »Fight Nights«, auf denen zumeist Kämpfer, selten Kämpferinnen, gegeneinander antreten, werden vielerorts neben einem eher apolitischen Publikum auch in großer Zahl von Neonazis besucht. Auf die Frage eines Journalisten, warum Kampfsport diese so sehr anziehe, antwortete der MMA-Kämpfer Jesse-Björn Buckler: »Generell kann man sagen, dass Vollkontaktsportarten besonders attraktiv für Menschen sind, in deren Alltag Gewalt und körperliches Durchsetzungsvermögen eine wichtige Rolle spielt. (…) In bestimmten Gegenden, speziell im Osten, hat sich nun noch ein besonderes soziales Milieu herausgebildet, in dem eine rechte Hegemonie existiert und eine weitgehende Akzeptanz solcher Positionen vorhanden ist. Das ist aber kein sportspezifisches Problem, schon gar kein MMA-spezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches.« Mit anderen Worten: Wer Gewalt als Mittel des gesellschaftlichen Umgangs, das heißt der Konfliktlösung ansieht, muss Teil einer Gruppe sein, die sich körperlich durchsetzen kann. Die Affinität zu Kampfsport, Waffen, zur Bildung von Männerbünden und die Idealisierung soldatischer Männlichkeit sind das Ergebnis.
Eine einheitliche Betrachtung der verschiedenen Kampfsportkreise in Deutschland ist nicht zielführend. Es existieren seriöse Clubs und Verbände sowie der Profisport, in denen viele AthletInnen kritisch auf die »Schattenseiten« ihres Sports blicken: auf die Personen und Gruppen, die Kampfsport trainieren, um sich effizienter prügeln zu können. Es ist daher festzuhalten, dass sich unter den Profi-KämpferInnen und den TrainerInnen nur wenige Neonazis befinden.
Rückblick: Kämpfer, Soldat und Faschist
In der Anfangszeit der faschistischen Bewegung in Deutschland wurde der Kampfsport ideologisiert. Der Polizeileutnant Erich Stephan schrieb 1922 in »Körperkultur und Selbstverteidigung«: »Die Armee, die Schule der Wehrhaftigkeit, ist uns durch den Vernichtungswillen unserer Feinde genommen (…) Strebe darum jeder danach, allein seinen Körper zu stählen und durchzubilden, um wehrhaft zu werden.« In der Weimarer Republik existierende Boxer-, Ringer- und Jiu-Jitsu-Verbände gingen in den NS-Sportorganisationen auf und sorgten für die vormilitärische Ausbildung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verboten die Westalliierten Kampfsport, Fechten und Schießsport. In der DDR wurde Boxen und Ringen als proletarisches Kulturgut begriffen und gefördert. In der BRD hatten die traditionellen, europäischen Kampfsportarten ein schlechtes Image. Dem Boxsport und Kickboxen haftete bis in die 1990er Jahre hinein der Ruf des Rotlichtmilieu- und Ganovensports an.
Die Entdeckung asiatischen Kampfsports
In den 1970er Jahren lösten Kung-Fu-Filme in Westdeutschland ein Interesse an ostasiatischen Kampfkünsten aus. Diese hatten etwas Exotisches und Geheimnisvolles, beispielsweise der Mythos des »Do«, des Weges zu Vervollkommnung und Meisterschaft nicht nur im Körper, sondern auch im Geist. Disziplinen wie Karate, KungFu, TaeKwonDo und Aikido erfreuten sich wachsender Beliebtheit.
Die Begeisterung für japanische Kampfkünste ging mit der Popularisierung der Samurai einher. Dabei steht nicht die Schwertkampfkunst im Mittelpunkt, sondern das Denksystem der japanischen Kriegerkaste und des Feudalismus. Der Samurai wurde zur Identifikationsfigur der Kampfkunstszene. Er wird dort zur Ikone aufgebaut, die einen Kodex von Loyalität bis in den Tod verinnerlicht habe und in ewiger Treue ihrem Lehnsherren diene. Der Samurai kämpfte nicht für sich, sondern für sein Herrscherhaus. Das macht ihn zum bedingungslosen Diener und Soldaten, einem Werkzeug ohne Verantwortung und Gewissen. Auch den Nationalsozialisten und ihrem Achsenpartner, dem faschistischen Japan, galt der Samurai deshalb als Leitbild. Heinrich Himmler ließ von dem 1937 erschienenen Buch von Heinz Corazza »Die Samurai, Ritter des Reiches in Ehre und Treue« 52.000 Exemplare an SS-Männer verteilen. Unter Neonazis ist das Werk bis heute ein begehrter Klassiker.
Faschisten in Kampfsportvereinen
Die japanischen Kampfkünste bieten mit dem Samurai Anschluss an ein faschistisches Weltbild. Doch gibt es in Deutschland nur wenige Verstrickungen in die Karate- oder Judoverbände. Ausnahme war in den 1990er Jahren die Kampfsport-Schule »Hak-Pao« in Solingen. Sie war für rassistische Jugendliche in der Stadt Anlaufpunkt, Ausbildungsstätte, sozialer Treffpunkt und fungierte als Rekrutierungsbüro der neonazistischen Szene. Mitglieder von Hak-Pao stellten den Saalschutz bei neonazistischen Veranstaltungen. Jeden Freitag fand ein exklusiver »kanackenfreier Unterricht« im »Combat-Karate« statt, obwohl im Team auch migrantische Menschen trainierten. Im Mai 1993 zündeten zwei Teilnehmer der »Freitagsgruppe« ein von TürkInnen bewohntes Haus in Solingen an. Fünf Menschen starben in den Flammen, darunter drei Kinder.
2002 gründeten die Neonazis Tim Bartling und Peter Borchert, die zu den MMA-Pionieren in Deutschland zählen, in Neumünster den heute noch existierenden »Athletik Klub Ultra« (AKU). Bartlings Karriere als Kämpfer geriet jedoch wegen antifaschistischer Interventionen ins Stocken. Es ist unbekannt, ob er noch politisch aktiv ist. Im AKU trainieren zwar weiterhin stadtbekannte Neonazis, doch gibt sich der Verein mittlerweile mit seiner multiethnischen Trainingsgemeinschaft unpolitisch.
Benjamin Brinsa und “Imperium”
Das derzeit bekannteste Beispiel eines Neonazis im deutschen Kampfsport ist der MMA-Kämpfer Benjamin Brinsa. Er, der für die Bekleidungsmarke »Staffbull Department« mit Kampfhunden warb, gehörte unter anderem der 2014 aufgelösten, neonazistischen Leipziger Fußballschläger-Truppe »Scenario Lok« an. Nachdem Brinsa in der ostdeutschen Free-Fight-Szene Erfolge feierte, wurde er vom professionellen MMA-Manager Tim Leidecker unter Vertrag genommen. Mit seiner Unterstützung bekam er im April 2012 den Hauptkampf bei der damals größten deutschen MMA-Veranstaltung »Respect FC«. Doch kurz vor der Gala wurde Brinsa von AntifaschistInnen als aktiver Neonazi geoutet. Daraufhin sorgten teilnehmende Athleten für seine Streichung. Das Kampfsport-Internetportal »GroundandPound.de« erklärte: »Aufgrund der derzeit vorherrschenden Faktenlage begrüßt Groundandpound.de die Entscheidung von Respect. Jegliche Art von politischem Extremismus, Rassismus und Antisemitismus hat im Kampfsport nichts zu suchen.« Tim Leidecker, ehemaliger Mitinhaber des »Ground and Pound«, hält aber an Brinsa fest und vermittelte ihm einen Vertrag in der weltweit größten und finanzkräftigsten Promotion, der »Ultimate Fighting Championship« (UFC). Die UFC wurde jedoch mit den politischen Aktivitäten von Brinsa konfrontiert und löste im September 2013 den Vertrag mit ihm auf, noch vor seinem ersten Kampf.
Brinsa organisierte daraufhin eine eigene Veranstaltung namens »Imperium FC« in Leipzig. Diese wurde 2017 eingestellt. Zur Zeit kümmert er sich um sein Fight-Team und gemeinsam mit Tim Leidecker um ihre Teilnahme bei der neuen von »ran Fighting« der »ProSiebenSat.1 Sports GmbH« übertragenen Veranstaltungsreihe »Nova FC«. Die Premiere im April 2019 kam schon vor dem ersten Event ins Schlingern: Der Auftritt des Neonazi-Hooligans Timo Feucht, dessen Trainer Brinsa ist, von der Kampagne »Runter von der Matte« öffentlich gemacht wurde; Feucht trat letztendlich nicht an. Ein weiterer, der mit Nazisymbolen tätowierte Anton Radko aus der Ukraine sollte, wie der Veranstalter Peter Sobotta in einem Interview auf »ran Fighting« bekannt gab, per Airbrush temporär seine strafbewehrte »Odalsrune« auf der Brust übermalen. Um die Teilnahme der beiden entbrannte eine öffentliche Debatte. Trotz des Löschens jeglicher kritischer Kommentare auf ihren Social-Media-Kanälen kann »Nova FC« die Auseinandersetzung nicht verhindern. Wie sich »ran Fighting« gegenüber VeranstalterInnen verhält, die unbedingt Neonazis ins Fernsehen bringen wollen, bleibt spannend.
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Neonazis im Training
In Kampfsportgruppen, in denen Neonazis trainieren, finden sich häufig Menschen mit Migrationshintergrund. Neonazis nutzen die Angebote unabhängig von ihren sportkulturellen oder ideologischen Hintergründen. So trainieren deutsche Neonazis auch Selbstverteidigungstechniken aus dem israelischen »Krav Maga« oder fliegen nach Thailand, um sich dort im »Muay Thai« auszubilden. Rassismus ist im Sport hinderlich. Gerade ambitionierte KämpferInnen sind auf viele unterschiedliche TrainingspartnerInnen angewiesen. Sie nach Hautfarbe, Nationalität, Religion oder politischer Überzeugung auszusuchen, wäre nicht zielführend. Durch Teamzugehörigkeit wird die politische Gesinnung ausgeklammert und Kritik abgewehrt. Das Gleiche ist auch zu beobachten, wenn sich Neonazis einer Motorrad-Gang wie den »Hells Angels« oder »Bandidos« anschließen. Machtstreben im Kampfsport und die körperliche Männlichkeit werden zum übergeordneten Bezugspunkt und bilden eine Grundlage, die (ehemalige) Neonazis und SportlerInnen mit Migrationshintergrund in einem Team mit gemeinsamen Idealen und Zielen funktionieren lässt. Die autoritäre Pose mit dem einhergehenden Heterosexismus schafft Verbindungen. Doch selbst wenn die »eigenen« SportkameradInnen mit Migrationshintergrund von rassistischen Anfeindungen ausgeklammert werden, so wird Rassismus in der Regel weiter gelebt und richtet sich dann gegen Personen außerhalb der Sportkameradschaft. Dieser pragmatische Umgang wird, oftmals von außen, wohlwollend als Zeichen der »De-Radikalisierung« durch Sport fehlinterpretiert.
Mixed Martial Arts – ein umkämpftes Terrain
Dass MMA, ein Kampfsport, der das Image hat, der »härteste« zu sein, für Neonazis attraktiv ist, liegt nahe. Speziell in Sachsen und Sachsen-Anhalt waren die ersten MMA-Galas 2004 Treffen einer Mischszene aus Neonazis, Hooligans, Rockern und Rotlichtmilieu.
Bis heute ist die Kampfsportszene, insbesondere Kickboxen und MMA, dort stark von Neonazis beeinflusst und sorgt für viele Auseinandersetzungen, die es sonst nur im Kontext Fußball gibt.
Erfreulicherweise meldeten sich früh in der MMA-Szene aktive SportlerInnen, die sich offen und konsequent für die Ausgrenzung von Neonazis aussprachen. Da aber kein Dachverband existierte, konnte auch keine gemeinsame Linie und kein konsequenter Umgang mit Neonazis gefunden werden.
Ein Beispiel ist die Diskussion um die Teilnahme von KämpferInnen des »Athletik Klub Ultra« auf einer Veranstaltung des »Shidokan« (sinngemäß übersetzt: »Die Gruppe, die nach den Traditionen der Samurai lebt«). Auch bei »Shidokan«, so die Kritik, würden Neonazis geduldet. Der Vorsitzende Peter Angerer erklärte dazu: »Mit großer Besorgnis verfolge ich derzeit ein noch nie dagewesenes Beispiel an Ungleichbehandlung, Intoleranz und Ignoranz in unserem Sport (…) die Leute, die für Toleranz, Gleichheit, Freiheit und viele weitere schöne Begriffe einstehen, gestehen diese Rechte anderen nicht zu.« Der MMA-Kämpfer Jesse-Björn Buckler sagte gegenüber der »taz«: »Im Kampfsport gelten Respekt, Teamfähigkeit und Fairness als Grundwerte. Daraus leitet sich eine falsch verstandene Toleranz auch für die dümmsten Leute ab«, und weiter: »Wenn man wiederum auf einfachen zivilisatorischen Selbstverständlichkeiten beharrt und darauf besteht, Rassisten und Sexisten keinen Raum zu bieten – dann gilt man schnell als intolerant.«
Neonazis im Wettkampf
Nachdem es für Neonazis in den vergangenen Jahren schwieriger wurde, bei professionellen Veranstaltungen anzutreten, gehen sie dazu über, eigene Turniere zu veranstalten. Mit der Parole »Leben heißt Kampf« organisierte das verbotene neonazistische »Spreelichter«-Netzwerk aus Brandenburg eine Reihe von »Kampfsportturnieren des Nationalen Widerstands«. Diese konspirativen Veranstaltungen erreichten niemanden außerhalb der eigenen politischen Szene. Unter dem Motto »Kampf der Nibelungen« finden seit 2014 an wechselnden Orten in Deutschland Veranstaltungen nur für Neonazis statt. Organisiert werden sie von »Hammerskins« und dem verbotenen Netzwerk »Blood & Honour« – einer selbsternannten Elite der Neonaziszene, deren Mitglieder sich zu körperlicher »Ertüchtigung« verpflichten. Hier entsteht eine neue Form der Mobilisierung und Unterhaltung durch Kampfsport in Kombination mit Neonazirockkonzerten, die nicht nur der Finanzierung von Terror dient.