Editorial / Kommentar Ausgabe 178

von der Redaktion

Magazin »der rechte rand« Ausgabe 178 - Mai / Juni 2019

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

das »Bundesamt für Verfassungsschutz« will und soll ein »Frühwarnsystem« sein – dafür bekommt es jährlich immense Millionenbeträge. Doch früh warnen, das tut es nicht. Ob das daran liegt, dass die Bedrohungen von rechts nicht gesehen werden können oder nicht gesehen werden wollen, sei hier erst einmal dahingestellt. Aber über Phänomene wie »Reichsbürger«, »Identitäre« oder »Prepper« – oder früher einmal RechtsRock und völkische SiedlerInnen – las man in Zeitschriften und Blogs antifaschistischer Recherchegruppen, in ausgewählten Medien und bei kritischen WissenschaftlerInnen deutlich früher und vor allem detaillierter als beim Geheimdienst – oder bei den mit Steuergeldern auskömmlich finanzierten »Extremismus-Experten« gewisser Hochschulen und in ihren »Jahrbüchern«. »Schneller als der VS erlaubt«, so werben wir daher etwas überspitzt für unser antifaschistisches Magazin.

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Und dennoch – oder gerade deswegen – sind die jüngsten Äußerungen des neuen Präsidenten des BfV, Thomas Haldenwang, beachtlich – wenn auch nur im Kontext seiner Vorgänger. Offensiv warnt er vor der »Normalisierung« der radikalen Rechten und beschreibt Überschneidungen von rechten Szenen mit der Mitte der Gesellschaft. Und: »Wir bemerken eine intensivierte Vernetzung unterschiedlicher rechtsextremistischer Gruppierungen«, verkündete er vermeintliche Neuigkeiten. Die »Grenzen zwischen rechtsextremistischen Kreisen und dem Protestbürgertum verschwimmen zunehmend«, warnte er mit großer Geste. Aus gewalttätigen Neonazi-Gruppen könnten sich gar Terrorgruppen bilden. Natürlich, von der »Extremismus-Theorie« kann und will sich das Amt nicht lösen und warnt also vor »Extremismus« von rechts und links – und doch gibt es eine erkennbare Verschiebung. Mehr Augenmerk nach rechts und eine Positionierung gegen genau jene Normalisierungsbestrebungen, die Haldenwangs Vorgänger, Hans-Georg Maaßen, mit seinen Gesprächen mit der rechtsradikalen »Alternative für Deutschland« und seiner Leugnung rechter Gewalt in Sachsen aktiv vorantrieb.

Offenbar haben Ereignisse wie die rechten und rassistischen Hetzjagden in Sachsen 2018, der rechter Terror von Christchurch in Neuseeland im März 2019, Spenden des neuseeländischen Attentäters an die »Identitären« in Österreich, die erschreckenden Fälle von rechten »Preppern«, Terror-PlanerInnen und rassistischen Chat-Gruppen im Milieu von Bundeswehr, Polizei und Geheimdienst und die konstant hohe Zahl rassistischer und rechter Angriffe auf Geflüchtete, MigrantInnen, Linke und demokratische PolitikerInnen inzwischen ein Niveau erreicht, das zumindest Teile des Staatsapparats zu erhöhter Aufmerksamkeit zwingen. Zumindest so viel, wie es das staatlich alimentierte Kartell der Verharmloser – zu denen beispielsweise Eckhard Jesse, Werner Patzelt, Rainer Wendt oder Michael Kretschmer zählen – es zulassen.

Nach Redaktionsschluss veröffentlichten Medien skandalöse Videomitschnitte des rechtsradikalen österreichischen Vize-Kanzlers Heinz-Christian Strache von der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) – gut 24 Stunden später trat er am 18. Mai 2019 von seinen Ämtern zurück und die Regierungskoalition aus Konservativen und Rechtsradikalen wurde aufgelöst. Der Fall belegte erneut, dass das Image einer Partei der »kleinen Leute« und einer »sozialen« Politik im Namen »des Volkes« nichts als Lüge ist. Für die radikale Rechte in der Regierung ist der Staat eine Beute, die geplündert werden darf. Die rassistische, nationalistische Politik und die Rehabilitierung des historischen Faschismus werden – als immanenter Bestandteil – von Selbstbedienung, kriminellen Bündnissen und Handeln jenseits der Grenzen der Legalität begleitet. Deutsche Konservative aus CDU und CSU hatten nur wenige Tage zuvor ein antisoziales Steuerkonzept aus der Feder der FPÖ begeistert aufgenommen.