Position bezogen

von Andreas Speit
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 173 - Juli / August 2018 - OnlineOnly

#Maaßen

Der Präsident des Verfassungsschutzes hat keine belastbaren Informationen, aber eine klare Meinung.

Das »Bundesamt für Verfassungsschutz« (BfV) legt Wert auf Seriosität. Ihre Fakten und ihre Bewertungen würden auf Analysen mit Hintergrundwissen beruhen – aus Quellen, die oft geschützt werden müssten. Eine Selbstzuschreibung, der nun der eigene Präsident – höflich formuliert – nicht gerecht wird. Er zweifelt und glaubt, wo er eigentlich abklären und wissen müsste. Doch auch nach den Skandalen um den »Nationalsozialistischen Untergrund« bleibt der Verfassungsschutz eben jener Verfassungsschutz, der den Opfern misstraut.

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Maassen mit einem Koffer ohne Beweise © Christian Ditsch

In »Bild« sprach BfV-Chef Hans-Georg Maaßen einem Video, das eine Hetzjagd auf MigrantInnen in Chemnitz zeigt, die Echtheit ab. »Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz wird von mir geteilt«, sagte Maaßen dem größten deutschen Boulevardblatt. Dem Verfassungsschutz lägen »keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben«, führte er aus und ergänzte: »Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken«. Gute Gründe, die er aber zum Beweis nicht gleich mitliefert. »Bild« ist »Bild«, eine andere Redaktion hätte vielleicht nach Fakten für die »vorsichtige Bewertung« gefragt und nachgehakt, welches Video denn gemeint sei. Denn Maaßens Behauptung – so darf eine Bewertung ohne Beweise genannt werden – ist nicht »vorsichtig«. Er widerspricht mit dieser Aussage nicht bloß der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – er führt sie vor.

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Maaßen widerspricht mit dieser Aussage nicht bloß der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – er führt sie vor. © Christian Ditsch

Mit seinen Bedenken bezweifelt Maaßen auch die Aussagen von Betroffenen rechter Gewalt – trotz Anzeigen von Opfern bei der Polizei und Gesuchen um Unterstützung bei Beratungsstellen. Bis zum 3. September 2018 registrierte die »Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen« (RAA) mehr als 30 Angriffe in einer Woche: 23 Körperverletzungen und 22 Nötigungen oder Bedrohungen. All diesen Menschen, Geflüchteten, MigrantInnen, GegendemonstrantInnen und JournalistInnen, hat der vermeintliche »Verfassungsschützer« nun deutlich signalisiert, wo er steht: Nicht bei jenen, die ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen. Nicht bei jenen, die hier Schutz vor Krieg und Not suchen. Nicht bei jenen, die Protest gegen Rechte und »Wutbürger« auf die Straße tragen und nicht bei jenen, die über aggressive RechtspopulistInnen und militante Hooligans berichten und recherchieren. Mit seiner Aussage hat Maaßen die Feinde der offenen Gesellschaft gestärkt. Dass er nicht wie die Staatsanwaltschaft von Totschlag, sondern von Mord gesprochen hat, ist nicht bloß eine juristische Spitzfindigkeit. Die Wortwahl verstärkt den Angriff. Er befeuerte die Auseinandersetzung, wo er qua Amt beruhigen sollte.

 

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Maassen checkt das Video selbst nochmal © Christian Ditsch

Keine Überraschung, dass die Spitze der AfD erfreut ist. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion konnte dank des BfV-Präsidenten eine Täter-Opfer-Umkehr vornehmen. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, hätte, so sagte Alexander Gauland, mit seiner Aussage, dass »Hetzjagden« stattfanden, eine »regierungsamtliche Falschinformationen verbreitet«. Damit hätte Seibert »maßgeblich zur aufgeheizten Stimmung in Chemnitz und zur Eskalation der Situation beigetragen«, meint Gauland. Schon die Einschätzung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wenige Tage zuvor, dass es »keinen Mob, keine Pogrome oder Hetzjagden« gegeben hätte, hat nicht bloß die Bundes- und Landtagsfraktionen der AfD erfreut. Auch der »Wutbürger« auf den Chemnitzer Straßen dürfte sich verstanden und abgeholt fühlen. Die militanten Rechten und Hooligans werden sich amüsiert haben. Erst jagen und schlagen – und dann entlastet werden. Hier geht was, dürften sie denken. Und sie alle eint der Glaube, dass die Presse nur »Lügenpresse« sei.

 

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Maassen und Seehofer – ziemlich beste konservative Freunde © Christian Ditsch

Kein rechter Diskurs zu Chemnitz, den Maaßen nicht angeheizt hat – inklusive Verschwörungsvorstellungen. Den Zulauf zum rechten Mob in der Stadt und den künftigen in weiteren Städten hat er so mit zu verantworten – ebenso wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Erst fand der keine Worte zu den Ausschreitungen, nun spricht er Maaßen sein »volles Vertrauen« aus. Am Freitagabend veröffentlichte das »Bundesamt für Verfassungsschutz« eine Erklärung, dass die »Prüfung insbesondere hinsichtlich möglicher ´Hetztjagden´ von Rechtsextremisten gegen Migranten« noch »weiter andauern« werde. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält indes ein bekannt gewordenes Video von einem Übergriff auf MigrantInnen in Chemnitz für echt: »Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte«, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein. Die diskursive Unterstützung des rechten Milieus durch den Präsidenten des Verfassungsschutzes dürfte die belegten Fakten wenig abschwächen. Den Betroffenen rechter Gewalt, den DemonstrantInnen gegen einen rassistischen Mob und den JournalistInnen, die über die extreme Rechte berichten, wurde der staatliche Schutz entzogen. Erneut wurde sichtbar, auf wen sie sich – auf wen wir uns – in der Auseinandersetzung mit den Rechtsentwicklungen verlassen können – auf sich selbst, auf uns.