»Die Wölfe sind los«

von Martin Leonow
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 175 - November / Dezember 2018

#Chemnitz

In Chemnitz wurde eine Neonazi-Zelle ausgehoben – sie soll geplant haben, eine Maschinenpistole zu kaufen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Rechtsterrorismus.

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Drei Männer mit Käppi und New-Balance-Turnschuhen auf dem Aufmarsch in Chemnitz am 1. September 2018;
in der Mitte Tom Woost. © Pixelarchiv.org

Der 3. Oktober 2018 war ein ruhiger Tag in Chemnitz. Dabei ist die Stadt in Aufruhr, nachdem dort Ende August ein junger Mann erstochen wurde. In dichter Folge marschieren Rechte aller Spektren immer wieder auf, macht die Szene bundesweit mobil. Sie weiß: In der sächsischen Stadt kann man was reißen, seitdem sich die völlig unterbesetzte Polizei gleich zweimal von einem Mob aus Neonazis und Hooligans überrennen ließ. Aber wenn sich bestätigt, was die Bundesanwaltschaft annimmt, wäre am »Tag der Deutschen Einheit« um ein Haar alles noch schlimmer gekommen: »Revolution Chemnitz« (RC) nannte sich eine Zelle mutmaßlicher Rechtsterroristen, die zwei Tage zuvor ausgehoben wurde. Acht Verdächtige sitzen seitdem in Untersuchungshaft.

Der Grund dafür: Sie sollen ein »noch nicht näher aufgeklärtes Geschehen« geplant haben. Den Haftbefehlen sollen unter anderem beängstigende Absprachen aus einer Chatgruppe mit dem Titel »Planung zur Revolution« zugrundeliegen. In den dort gesponnenen Gewaltszenarien sei von einem Bürgerkrieg die Rede; von einer Revolu­tion, die Opfer fordern werde; von einer Überwindung des Systems, die den NSU wie eine »Kindergarten-Vorschulgruppe« aussehen lassen werde. »Nur gewaltbereite Leute« wollten die Kameraden demnach um sich scharen, um künftig auf das Kommando »Die Wölfe sind los!« loszuschlagen. Dafür solle eine Maschinenpistole gekauft werden, der Preis stehe schon fest. Die Mitglieder wollten zusammenlegen, die Polizei kam ihnen zuvor.

Die Mitglieder, das sollen sein: Sten E., Martin H., Christian K., Maximilian V., Marcel W., Sven W., Christopher W. und Tom Woost. Es sind durchweg junge Männer – Anfang 20 bis Anfang 30 – aus der Neonazi- und der Hooligan-Szene mehrerer Vereine, aktiv in Chemnitz und dem Umland, aber auch im Landkreis Leipzig, Mittelsachsen, bis hin nach Dresden. Mindestens einer war NPD-Mitglied, ein anderer ist auf einem Foto mit der Fahne der Partei »Der III. Weg« zu sehen, die in Sachsen stetig expandiert. Die meisten der Beschuldigten kamen wegen Gewalt- und Propagandadelikten schon mit dem Gesetz in Konflikt. Was genau sie künftig vorhatten, wird nun ermittelt.

Probelauf mit »Bürgerwehr«
Gewalt stand schon am Anfang der Ermittlungen. Am 14. September hatte einmal mehr die Lokalpartei »Pro Chemnitz« um den Rechtsaußen-Anwalt Martin Kohlmann in Chemnitz demonstriert. Im Nachgang zog eine 15-köpfige Gruppe durch das Stadtzentrum, gab sich als »Bürgerwehr« aus, kontrollierte auf eigene Faust Ausweise. Als sie auf »Ausländer« trafen, griffen sie sofort an, verletzten einen Iraner. Die Polizei stellte die Verdächtigen, Videoaufnahmen zeigen eine hochaggressive Gruppe, teils vermummt. Mindestens fünf Beteiligte werden heute als RC-Mitglieder angesehen. Noch vor Ort wurden bei ihnen Glasflaschen, Quarzhandschuhe und ein Elektroschocker sichergestellt. Einer von ihnen, der 31-jährige Christian K., kam gleich in Haft – er war nur auf Bewährung frei. Nun ist er eine Schlüsselfigur im aktuellen Fall.

Wäre es nach der örtlichen Staatsanwaltschaft gegangen, die »Bürgerwehr«-Mittäter hätten schon in einem beschleunigten Verfahren vor Gericht gestanden. Das Chemnitzer Amtsgericht lehnte dies jedoch ab, der Fall sei zu komplex. Obendrein dauerte es fast eine Woche, bis überhaupt Hausdurchsuchungen stattfanden. Dann hatten die ErmittlerInnen unverhofft Glück: Einer der Verdächtigen offenbarte sich, gab Hintergründe preis, gewährte offenbar auch Zugang zu Chat-Daten. Was die Polizei erfuhr, ist so brisant, dass die Generalbundesanwaltschaft (GBA) binnen Tagesfrist ein eigenes Ermittlungsverfahren einleitete. Sie zog den Bürgerwehr-Fall an sich – und erweiterte den Tatvorwurf gegen die mutmaßlichen RC-Anhänger. Seitdem steht der Verdacht des Rechtsterrorismus im Raum. Die »Bürgerwehr«-Aktion – dies soll aus den Textnachrichten hervorgehen – war demnach nur ein »Probelauf« für etwas Größeres, viel Schlimmeres. Die GBA spricht von »gewalttätigen Angriffen und bewaffneten Anschlägen auf Ausländer und politisch Andersdenkende«, womöglich auch auf PolitikerInnen und Medienschaffende.

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Bildmitte Sten E. © Pixelarchiv.org

Seit einem halben Jahrzehnt bekannt
Die Kommunikation bei »Revolution Chemnitz« soll Christian K. dirigiert haben, er wird als Rädelsführer angesehen. Schon Ende August, als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für ein Bürgergespräch nach Chemnitz kam, wurde Christian K. von der Polizei in der Nähe kontrolliert, bekleidet mit einer Stichschutzweste. So eine ist auch auf seinem privaten Facebook-Profil zu sehen, der Tätowierer posiert dort als Security-Mann mit Knopf im Ohr. Das Beschlagnahmeprotokoll zur Weste, einer verbotenen Schutzbewaffnung, wurde im Internet veröffentlicht – auf dem bis zuletzt öffentlich zugänglichen Facebook-Profil von RC. Hinter dieser Seite soll K. selbst gesteckt haben. Seitdem er nach der »Bürgerwehr«-Aktion wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft kam, wurde die Seite nicht mehr aktualisiert. Was aber aufhorchen lässt: Sie existierte bereits seit 2013, versehen mit dem Namenszusatz »Alternativer Nationaler Widerstand«. Man sah sich dort in schwülstiger Rhetorik in einem »Kampf gegen Staat und Kapital«: »Wir bilden den Widerstand, der schon lange fehlt«, hieß es in der Selbstbeschreibung. Augenscheinlich wahllos und unregelmäßig erschienen dort Beiträge, vor allem Werbung für Szeneveranstaltungen.

Eindeutiger Schwerpunkt waren aber die Aktionen der »Nationalen Sozialisten Chemnitz« (NSC), einer 2014 verbotenen Kameradschaft, die unter anderem Schießübungen durchgeführt hatte und aus deren Reihen gleich mehrere Mitglieder dem NSU-Umfeld zugeordnet werden. Ein NSC-Banner schmückte früher das RC-Profil. In der damaligen Verbotsverfügung gegen die Chemnitzer Kameraden wurde RC sogar namentlich erwähnt, als eine Propaganda-Plattform der Gruppe. Wer eigentlich dahintersteckte, blieb zunächst im Dunkeln. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz rechnete das Profil damals einer anonymen »Aktionsgruppe Chemnitz« zu.

Weitere Ermittlungen scheint es in den nächsten vier Jahren nicht gegeben zu haben. Viel spricht dafür, dass RC keine neue Gruppe ist, sondern lange vor den Augen, aber trotzdem unter dem Radar der Behörden agieren konnte. Mehrere der aktuell Beschuldigten hinterließen auf der Facebook-Seite »Likes« unter ihren Klarnamen oder leicht zu entschlüsselnden Pseudonymen, zeigten sich gar unvermummt auf Fotos – viele Indizien, denen man hätte nachgehen können. Besonders aufschlussreich: Auf einem Bild, das den Beschuldigten Maximilian V. zeigt, ist der Chemnitzer Neonazi Martin Z. zu sehen, der offenbar mit den meisten Gruppenmitgliedern bekannt war. Martin Z. war Anfang 2015 schon einmal aufgefallen, im Umfeld der rechtsterroristischen »Oldschool Society« (OSS). Mit der Kombination aus öffentlichem Facebook-Auftritt als legaler Fassade und geheimem Chat als klandestines Planungswerkzeug ähnelt vieles, was jetzt erst aufflog, der OSS, aber auch der »Gruppe Freital«. Alle drei Vereinigungen waren in Sachsen aktiv.

Alte Bekannte von »Sturm 34«
Neben Christian K. gibt es eine weitere Schlüsselfigur im aktuellen Fall: der 30-jährige Tom Woost, der zuletzt im mittelsächsischen Lunzenau wohnte. Er kommt als Waffenbeschaffer infrage und soll in einer Textnachricht den Preis der Maschinenpistole genannt haben, an deren Kauf RC interessiert war. Woost war außerdem schon einmal, vor mehr als einem Jahrzehnt, Rädelsführer einer militanten Neonazi-Clique gewesen: »Sturm 34«. Die dazu geführten Ermittlungen hatten 2006 begonnen und Wellen geschlagen. In einem internen Dossier des Chemnitzer Staatsschutzes wurden 18 Taten aufgeführt, begangen allein im ersten Halbjahr 2006: etliche gefährliche Körperverletzungen, einige Sachbeschädigungen und Hausfriedensbrüche, eine Brandstiftung. Das war nur die vorläufige Bilanz, die Zahl verdoppelte sich bald. Knapp 60 Verdächtige und weitere rund 100 mutmaßliche SympathisantInnen ermittelte die Polizei. Dort war man sicher: Das ist das Werk von »Sturm 34«, einer Neonazi-Kameradschaft, die sich Anfang des Jahres im mittelsächsischen Mittweida ihren Namen gegeben hatte, in Anlehnung an einen SA-Sturm im Chemnitzer Land. Das Ziel war, die ganze Gegend »zeckenfrei und braun« zu machen, eine »national befreite Zone zu schaffen«, wie Beschuldigte ungerührt einräumten.

Teile der Gruppe spielten vorher gemeinsam in einer Band, der auch Woost angehörte. In einem ihrer Lieder heißt es, man wolle »sterben für einen heiligen Rassenkrieg«. Über Ausländer und Juden wurde gedichtet: »Früher war noch alles besser, man stach sie nieder mit ‘nem Messer.« Auf der Suche nach GegnerInnen fuhr Woosts Gefolgschaft regelrecht Streife, »Skinheadkontrollrunden« nannten sie das, ein ähnliches Vorgehen wie einst bei den berüchtigten »Skinheads Sächsische Schweiz«. Ein Informant hielt die BeamtInnen darüber auf dem Laufenden. Unter abgehörten Telefonaten waren verfängliche Gespräche, etwa mit einem örtlichen NPD-Politiker. Er forderte die Kameraden um Woost – damals NPD-Mitglied – unverhohlen auf, Linken »richtig vor die Glocke« zu schlagen.

Milde Strafe
Die Ermittlungen kamen dann auch zügig voran. In den alten Akten tauchte bereits Christian K. auf, der beim Bürgerwehr-Überfall dabei gewesen sein soll. Die Behörden hatten genügend Beweise: Bei Woost, er soll eines der Gründungsmitglieder sein, die sich selbst »Offiziere« nannten, liefen alle Fäden zusammen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung stieß die Polizei auf scharfe Schrotmunition, deren Herkunft im Dunkeln blieb. Woost selbst gab an, er habe die Patronen »von einem meiner Leute« erhalten. Fünfmal hatte er da schon vor Gericht gestanden, vier weitere Anklageschriften lagen bereit. Trotz »hoher Rückfallgeschwindigkeit«, wie es in einem Urteil heißt, war er bis dato immer mit glimpflichen Jugendstrafen davongekommen. Das hätte sich nun ändern können. Im April 2007 verfügte das sächsische Innenministerium das Verbot von »Sturm 34«. Woost war unter den Empfängern des Bescheids, weil er »an der Spitze der Hierarchie« stand und die Entscheidungsgewalt innehatte. Zudem erhob die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen Woost und vier Mittäter wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung und weiterer Taten. Zunächst wurde Woost auch in drei Fällen der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden und zu einer empfindlichen Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Ins Gefängnis musste er trotzdem nicht: Weil die Gruppe keine Satzung hatte, mochte das Landgericht Dresden eine kriminelle Vereinigung nicht erkennen. Die Staatsanwaltschaft ging dagegen in Revision und hatte mit Unterstützung der Generalbundesanwaltschaft (GBA) Erfolg. Im zweiten Anlauf wurde Woost nun auch wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung schuldig gesprochen. Aber unterm Strich gab es Strafrabatt: zwei Jahre Haft auf Bewährung – einer günstigen Sozialprognose und der langen Verfahrensdauer wegen. Inzwischen ist es 2012, fünf Jahre waren seit der Anklageerhebung vergangen.

Neustart in aller Öffentlichkeit
Die GBA hatte sich damals schon ausführlich mit Woost beschäftigt, erwog sogar, die Ermittlungen ganz an sich zu ziehen. Aber von der Idee ließ man ab. Die oberste Anklagebehörde stützte sich auf die Einschätzung der Dresdner Staatsanwaltschaft, der zufolge »Sturm 34« nur ein »eng begrenztes regionales Aktionsfeld« gehabt habe. Und das, obwohl Mitglieder und Taten sich auf einen recht großen Landstrich von Chemnitz bis Dresden verteilten. Besondere Bedeutung habe der Fall jedenfalls nicht, entschied die GBA, da die Gruppe »von der überregionalen Öffentlichkeit praktisch nicht zur Kenntnis genommen wurde«.
Als Woost das Gericht einmal mehr als freier Mann verließ, hatten sich mehrere seiner früheren Kameraden bereits den »Nationalen Sozia­listen Chemnitz« angeschlossen. Woost selbst wurde danach wieder bei Neonazi-Aufmärschen gesehen; er soll auch Anschluss an die rechtsoffene Fanszene des »Chemnitzer FC« gefunden haben. Und schließlich, das ist Gegenstand des aktuellen Verfahrens, an die extrem rechten Umstürzler von »Revolution Chemnitz«.

Ermittlungen wegen des Verdachts, frühere Mitglieder würden den »Sturm 34« wiederbeleben, ihre Gewaltserie fortsetzen wollen, waren da längst versandet. Dabei hätten die Behörden in Sachsen nur auf die Facebook-Seite von »Revolution Chemnitz« schauen müssen. Gleich in der Anfangszeit wurde dort eine handgemalte Grafik veröffentlicht, vermutlich der Entwurf für ein Gruppenlogo. Im Hintergrund prangt groß eine Zahl: 34.

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