Die Fußballszene

von Lotta Behrens, Ida Campe, Johannes Grunert und Tim Mönch
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#Chemnitz

Als am 26. August 2018 bis zu 1.000 Personen unvermittelt durch Chemnitz marschierten und aus ihrer Mitte immer wieder Jagd auf vermeintliche MigrantInnen gemacht wurde, fragten sich viele, wie es dazu kommen konnte. Der Versuch einer Einordnung.

Magazin der rechte rand

»Kaotic«-Graffiti in Chemnitz

Bereits acht Stunden, nachdem im Nachgang des Chemnitzer Stadtfestes der 35-jährige Daniel H. erstochen worden war, erschien auf der Facebook-Seite »Kaotic Chemnitz« ein Aufruf: »ALLE Chemnitz Fans und Sympathisanten« sollten »zeigen wer in der Stadt das sagen hat« (Fehler im Original). Chemnitz ist ein erprobtes Aufmarschgebiet der Neonazi-Szene. »Kaotic«, eine Fangruppierung, die gerade ihr 10-jähriges Bestehen feierte, setzte ein Fanal, indem sie auf den Zusammenhalt der Fußballszene setzte. Doch wer steckt hinter »Kaotic«?
»Kaotic Chemnitz« wurde 2008 gegründet. Die Gruppe positionierte sich bislang nicht eindeutig als extrem rechte Gruppe. Nachdem die »NS Boys«, eine offen neonazistische Hooligan-Gruppe, 2006 mit einem bundesweiten Erscheinungsverbot durch den »Chemnitzer FC« (CFC) belegt worden war, fanden mehrere Mitglieder in »Kaotic« eine neue Heimat. Die Gruppe durfte allerdings nur vier Jahre offiziell ihr Banner im Stadion positionieren: Nachdem mehrere Stadionbesucher den schwarzen Dynamo-Dresden-Spieler Mickael Poté 2012 mit Affenlauten beleidigt hatten und Pyrotechnik gezündet worden war, belegte der CFC »Kaotic« und weitere Gruppen mit einem Erscheinungsverbot. »Kaotic« ist jedoch weiterhin aktiv und pflegt bundesweit und international Fanfreundschaften, beispielsweise zum »FC Energie Cottbus« und dessen extrem rechter Ultragruppe »Inferno Cottbus 99«. So fielen auch Chemnitzer Ultras, unter anderem Mitglieder der »NS Boys« und »Kaotic«, bei Ausschreitungen in Spielen zwischen Cottbus und Babelsberg im November und April 2017 auf. Des Weiteren wurden Ultras von »Dynamo Dresden« 2016 zur EM nach Lille sowie im September 2017 nach Prag begleitet, wo es jeweils zu Straftaten kam. In Prag waren es Sieg-Heil-Rufe.

Fußball-Szene und Neonazi-Strukturen
Die Chemnitzer Kameradschafts- sowie die gesamte Neonazi-Szene ist nicht ohne Fußball-Umfeld zu denken. Mitglieder jeder rechten Ultra-Generation – nach »HooNaRa« und den »NS Boys« ist »Kaotic Chemnitz« bereits die dritte Generation – waren auch immer außerhalb des Fußballs aktiv. Mehrere Mitglieder von »Kaotic« sind beispielsweise aus dem Umfeld der 2014 verbotenen Kameradschaft »Nationale Sozialisten Chemnitz« (NSC) bekannt. Seit dem Verbot steckt die organisierte Neonazi-Szene der Stadt in der Krise. Gerade für »aktionsorientierte« Neonazis wie Anton E. und Marcel A., beide bei »Kaotic«, gab es in den vergangenen Jahren keine politische Heimat. Eine Ausnahme bot das »Rechte Plenum«, eine lose Gruppe von Neonazis, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das Chemnitzer Stadtviertel »Sonnenberg« zur »national befreiten Zone« zu erklären. Die »Kaotic«-Mitglieder Anton E. und Rick B. mischten hier mit. Doch auch diese Gruppe hielt nicht lange und war nach steigender Repression und einem Antifa-Outing 2016 schnell Geschichte. In dieser Zeit betrat eine weitere Person die Chemnitzer Bühne, die heute ebenfalls zu »Kaotic« gezählt wird: Christoph Drewer. Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender von »Die Rechte« und gilt in seinem Wohnort Dortmund als einer der Hauptakteure des dortigen »Nazi-Kiez« im Stadtteil Dorstfeld.
Die Vernetzung von »Kaotic«-Mitgliedern fällt in weiteren Zusammenhängen auf: Rick B. war Teil der Hooligangruppe, die in Lille 2016 vor einer Reichskriegsflagge posierte, 2009 war er noch für die »Bürgerbewegung PRO Chemnitz« zur Chemnitzer Stadtratswahl angetreten. »PRO Chemnitz« war für den zweiten Aufmarsch in Chemnitz am 27. August 2018 mit bis zu 8.000 Teilnehmenden verantwortlich, aus dem es zu Gewalt gegenüber der Presse und GegendemonstrantInnen kam. Ein weiteres Mitglied von »Kaotic«, Chris J., befand sich am 14. August 2010 in einer Gruppe, aus der das alternative Wohnprojekt »Reitbahnstraße 84« in Chemnitz angegriffen wurde. Anton E. war unter den rund 450 BesucherInnen beim neonazis­tischen Kampfsportturnier »Tiwaz« im erzgebirgischen Grünhain im Juni 2016. Die weiteren Mitglieder, allesamt Männer, sind bisher nur wenig in Erscheinung getreten.

Vernetzung über Chemnitz hinaus
Dass eine derart kleine Fußballgruppierung innerhalb weniger Stunden bis zu 1.000 Menschen auf die Straße bringt, kann mit mehreren Ansätzen erklärt werden. Die bundesweite rechte Szene befindet sich seit PEGIDA in einer kontinuierlichen Phase der Vernetzung. In den vergangenen Jahren verschwammen die Grenzen zwischen ehemals als rechtskonservativ bekannten AkteurInnen und Neonazis immer weiter und trugen dazu bei, dass heute rechte Gruppen aller Couleur gemeinsam mobilisierbar sind. In Chemnitz ist die selbsternannte »Bürgerbewegung PRO Chemnitz« ein Scharnier diverser rechter Akteure, ob nun der extremen Rechten, dem alten Geflecht mit Kubitscheks »Institut für Staatspolitik« oder der Gruppierungen der rassistischen Mobilisierungen von Einsiedel, PEGIDA Chemnitz-Erzgebirge bis hin zu den »Heimattreuen Niederdorf«. All diese sollten sich in den späteren Demonstrationen wiederfinden.
Bei der Mobilisierung zu den ersten Demonstrationen am 26. und 27. August 2018 in Chemnitz spielen weitere Faktoren eine Rolle. Parallel zur rasanten Verbreitung des Aufrufes von »Kaotic« auf Facebook soll sich die Nachricht auch auf informellen Kanälen und Chats der bekannten Messenger-Dienste verbreitet haben. Ein unzählig oft geteilter Bericht einer regionalen Boulevardzeitung, ergänzt durch wiederholte und unwidersprochene Falschmeldungen und Gerüchte über die Tatumstände waren weiteres Öl im Feuer der rassistischen Empörung an dem Tod eines Deutschen. Mit Verweis auf das Chemnitzer Stadtfest im Vorjahr, das laut rechtem Narrativ bereits aufgrund angeblicher migrantischer Übergriffe abgebrochen werden musste, wurde die eigene Erzählung verstärkt. Diese zeichnete ein Szenario der Bedrohung durch Geflüchtete und Unfähigkeit der Bundesregierung, darauf zu reagieren. Die subjektive Bedrohung durch Migration, vor allem, wenn die »deutsche Frau« vor dem »übergriffigen Fremden« geschützt werden muss, erscheint für die rechten Akteure als Fanal, dem nur eine autoritäre Machtdemonstration durch die Bevölkerung selbst Einhalt gebieten könne. Der Todesfall von Daniel H. war der Auslöser, um die bestehende rassistische und chauvinistische Stimmung aufzunehmen und zu kanalisieren. Am ersten Tag der Demonstrationen folgten dem Aufruf noch überwiegend Personen des CFC-Fanspektrums, die sich, in klarer Ignoranz der Anwesenheit und Anweisungen der Polizei, die Stadt »zurückzuholen« gedachten.
Parallel breiteten sich die Ereignisse des Sonntags in den sozialen Medien aus, aufgeheizt durch Statements von PolitikerInnen wie dem Tweet des Bundestagsabgeordneten der »Alternative für Deutschland«, Markus Frohnmaier: »Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!« Die hohe Emotionalisierung der Ereignisse sowie das Gefühl der Selbstermächtigung durch die erste Spontandemonstration, die die Polizei nicht unterbinden konnte, führten maßgeblich zur affektiven Beteiligung an der Demonstration am nächsten Tag. Diese erreichte mit ihren 8.000 Teilnehmenden das Maximum der Mobilisierungskraft. Viele der Angereisten dürfte die Fantasie gelockt haben, womöglich einem nahenden Umsturz beizuwohnen. Diese Verheißung mobilisierte Menschen bundesweit nach Chemnitz und zeigte sich in Habitus und Reden des Aufmarsches, der einer rechten Machtdemonstration gleich kam.

Gibt es ein Spezifikum Chemnitz?
Die offene Mobilisierung zu rechten Veranstaltungen durch die Chemnitzer Fußballszene ist ein neues Phänomen der jüngeren Vergangenheit, die durch die langjährige Verschränkung der Chemnitzer rechten Szene und Personen im Fußballmilieu möglich war. Die Zusammenarbeit von Neonazis und Fußballfans ist jedoch kein Novum, wie die HoGeSa-Ausschreitungen 2014 in Köln oder der Überfall auf den Leipziger Stadtteil Connewitz 2016 gezeigt haben.
Eine entscheidende Rolle spielt in Chemnitz auch die Stärke und Vernetzung verschiedener rechter Akteure. Auf diese gefestigten Strukturen seit den 1990er Jahren konnte schon der NSU beim Untertauchen in Chemnitz zurückgreifen. Die Zivilgesellschaft schafft es nur schwer, dem alltäglichem Rassismus und den wiederkehrenden Aufmärschen etwas entgegenzusetzen.

 

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Texte Chemnitz:

»Wir sind keine Nazis« von Andreas Speit

Position bezogen von Andreas Speit

Das Experimentierfeld für den Aufstand von Ida Campe und Tim Mönch

»Rechtes Plenum« Chemnitz von Johannes Grunert