»Das ist unser Marsch!«

von Jos Stübner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 175 - November / Dezember 2018

#Polen

Die polnische extreme Rechte feiert mit und gegen die Regierung die polnische Unabhängigkeit.

Magazin der rechte rand

© Jos Stübner

Über 200.000 Menschen nahmen am 11. November 2018 in Warschau an einem gemeinsam von der extremen Rechten und der regierenden »Prawo i Sprawiedliwosc« (»Recht und Gerechtigkeit«, PiS) organisierten Marsch teil. Anlass war das hundertjährigen Jubiläum der nationalen Unabhängigkeit von 1918. Konnte PiS damit, wie manche meinen, die faschistischen Kräfte bändigen oder handelt es sich vielmehr um einen weiterer Schritt zur Etablierung extrem rechter Strömungen in Polen?

Der Unabhängigkeitsmarsch ist bereits seit 2010 das zentrale Ereignis der extremen Rechten in Polen. Zehntausende ziehen regelmäßig am Nationalfeiertag hinter ihren Bannern durch die Straßen Warschaus. Offizielle Ausrichter des Marsches sind das »Obóz Narodowo-Radykalny« (»Radikalnationales Lager«, ONR), die »Modzie Wszechpolska« (»Allpolnische Jugend«,MW) sowie die Parteiformation »Ruch Narodowy« (»Nationale Bewegung«, RN). ONR und MW sehen sich in direkter Tradition gleichnamiger faschistischer und antisemitischer Organisationen der Zwischenkriegszeit. Neben deren Kadern stellen Hooligans aus dem ganzen Land einen großen Teil der nationalistischen Massen. Der Marsch bietet aber auch traditionell die Bühne für ein internationales Schaulaufen – Stammgäste sind die italienische »Forza Nuova«, »Jobbik« aus Ungarn und die neonazistische slowakische »Kotleba – Ludová strana Naše Slovensko« (»Kotleba – Volkspartei Unsere Slowakei«, LSNS). Zuletzt waren, wenngleich nicht in exponierter Rolle, auch Deutsche vertreten; in diesem Jahr etwa »Identitäre« und PEGIDA-RepräsentantInnen. Über die Jahre hinweg erhielt der Marsch aber auch zunehmend Zulauf von politisch nicht organisierten Menschen, ältere wie jüngere, auch ganze Familien mit Kindern.
Nach Blockadeversuchen in den Anfangsjahren sowie Straßenschlachten mit der Polizei unter der liberalen Vorgängerregierung konnten die FaschistInnen unter PiS fast ungestört die Hauptstadt für sich beanspruchen. Die Regierung zog sich seit 2015 am Nationalfeiertag aus Warschau zurück, der Präsident schickte Grußnoten. PiS-PolitikerInnen nahmen den Marsch vor Kritik in Schutz und der Innenminister bekundete gar seinen Stolz über den patriotischen Anblick.

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© Jos Stübner

Im Vorfeld
Zum hundertjährigen Jubiläum der nationalen Unabhängigkeit von 1918 konnte die Regierung den FaschistInnen jedoch schwerlich wie in den Vorjahren die Hauptstadt alleine überlassen. Die Frage nach der Organisationshoheit der Feierlichkeiten fiel nun aber zusammen mit einem seit Ende 2017 zunehmend offeneren Konflikt zwischen PiS und der extremen Rechten, die sich gegenüber der autoritär-nationalistischen Regierung zu profilieren sucht (s. derrechterand Nr. 173). Noch im Oktober hatte das extrem rechte Lager den Rücktritt des Innenministers gefordert, nachdem die Polizei rechte Blockadeversuche einer LGBT-Pride in Lublin unter Einsatz von Wasserwerfern geräumt hatte.
Nach dem anfänglichen Versuch, die konkurrierenden Organisationen zu ignorieren und aus den Planungen zur Jubiläumsfeier komplett auszuschließen, versuchte die PiS schließlich in verschiedenen Anläufen den Marsch zu entschärfen oder unter eigene Kontrolle zu bringen. Vorgeschlagen wurde etwa eine gemeinsame Organisation, jedoch unter der Bedingung eines Verzichts auf jegliche politische Symbolik bis auf die polnischen Flagge. ONR & Co. beharrten dagegen auf ihrer Organisationshoheit. Dabei half ihnen das von PiS selbst, ursprünglich zu eigenen Zwecken, neukonstruierte Versammlungsrecht. Dieses räumt regelmäßig wiederholten Veranstaltung ein Anmeldevorrecht ein. Ausgehend von dieser Position wies das faschistische Bündnis die Annäherungen der Regierung als Versuche einer feindlichen Übernahme zurück und stilisierte den Marsch als wahren Ausdruck des Volkes und einer gesellschaftlichen Bewegung »von unten« – im Gegensatz zu Staatsdiktat und politischer Inszenierung.
So kam es lange Zeit zu keiner Einigung. Noch zwei Tage vor dem Jubiläumsereignis herrschte Unklarheit über den Ablauf der Feiern. Der Versuch der Warschauer Bürgermeisterin – Hanna Gronkiewicz-Waltz von der »Platforma Obywatelska« (»Bürger Plattform«, PO) – den Marsch zu verbieten, scheiterte vor Gericht. Die PiS, die einen ähnlichen Plan hatte, sah sich schließlich gezwungen mit der extremen Rechten erneut in Verhandlungen zu treten, um diesen nicht die Ausrichtung des größten Massenereignisses am Jubiläumstag vollständig zu überlassen. Man einigte sich am Ende auf zwei getrennte, faktisch gemeinsam abgehaltene Demonstrationszüge. Das faschistische Bündnis konnte dabei seine Bedingungen diktieren, den Marsch ohne jegliche Auflagen in eigenen Händen behalten und sich zugleich großzügig, ja staatstragend zum Wohle der Nation kooperationsbereit präsentieren.

Verkalkuliert
Es dürfte außer Frage stehen, dass es auf verheerende Weise zu einer weiteren Legitimierung von FaschistInnen beiträgt, wenn eine Regierung mit diesen in einen derartigen Austausch tritt. Mit dem Marsch selbst manifestierte sich diese Tendenz einer Entgrenzung nach rechtsaußen endgültig. Im Ergebnis ließ sich ein gigantisches Verschmelzen von extremen Rechten verschiedenster Couleur sowie der breiten Masse nicht-organisierter, »normaler« PatriotInnen beobachten. Über den ganzen Marsch verteilt erklangen etwa die notorischen antikommunistischen Hetzparolen oder die Schmähgesänge gegen liberale Medien. Überall sichtbar mischten sich das Keltenkreuz als »White Power«-Symbol sowie die Symbole der rechtsextremen Untergrundeinheiten »Nationale Streitkräfte« (NSZ) – während des Zweiten Weltkrieges verantwortlich für die Ermordung von KommunistInnen sowie Jüdinnen und Juden – mit den Symbolen des Warschauer Aufstandes. Daneben sichtbar auch die Flaggen der Gewerkschaft »Solidarnosc«, die sich bereits zuvor klar für den Marsch unter faschistischer Organisationshoheit ausgesprochen und mit ihrer Mobilisierung für zusätzliche TeilnehmerInnen gesorgt hatte.
Zugleich ließ das faschistische Bündnis keinen Zweifel an seiner Vormachtstellung und dem eigenen Anspruch auf den Marsch aufkommen. Der Staatspräsident Andrzej Duda hielt zwar eine Eingangsrede, die bei der Menge eher mäßigen Anklang fand. Die Parteielite der PiS, einschließlich des Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, marschierten dann aber mit deutlichem Abstand und massiv abgeschirmt als separater Block an der Spitze voran. Dahinter aber fand erst der eigentliche Umzug statt, in dem ONR & Co. den Ton angaben und bisweilen auch die Regierung verhöhnten.
»Das ist unser Marsch« wurde dort genauso skandiert wie das gängige »PiS und PO – ein und dasselbe Übel«. Der Konflikt darüber, wem der Marsch nun gehörte, setzte sich auch unmittelbar danach fort. Die Äußerung des Innenministers, Joachim Brudzinski, dass die große TeilnehmerInnenzahl dem Regierungsappell zu verdanken sei, wurde von Seiten der extremen Rechten empört als unverschämte Aneignung der Veranstaltung zurückgewiesen. Deren Akzeptanz wurde von der Regierung zwar auf eine neues Niveau gehoben. Allzu große Dankbarkeit sollte sie dafür jedoch nicht erwarten.

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© Jos Stübner

Abgrenzung zum Vorteil aller
Im Kontext des Unabhängigkeitsmarschs gibt es darüber hinaus noch einen weiteren Faktor, der zur Normalisierung von extrem rechten Strömungen und Inhalten beiträgt. Teile der Szene beklagen schon seit geraumer Zeit eine mit der Popularisierung des Unabhängigkeitsmarschs einhergehende Deradikalisierung. Aus diesem Grund kam auf dem Marsch 2017 ein »Schwarzer Block« aus dem Spektrum »Autonomer Nationalisten« zustande, der sich von den »DurchschnittspatriotInnen« offensiv und aggressiv absetzen sollte. Federführend war hier die noch junge Gruppierung »Szturmowcy«. Von diesem Block stammen auch jene offen rassistischen Banner, auf denen etwa ein »weißes Europa« propagiert wurde und die auch international für größere Aufmerksamkeit sorgten. Wichtig sind auch die internationalen Verbindungen dieser Szene, vom ukrainischen »Azov-Bataillon« bis zur deutschen NPD.
Bereits im vergangenen Jahr wurden von Regierungsseite, Medien und den OrganisatorInnen des Marsches selbst Vorwürfe von Rassismus und extremistischer Ideologie auf den »Schwarzen Block« als marginales Phänomen abgewälzt. Dem aus diesem Umfeld eingeladenen »Alt-Right«-Aktivisten Richard Spencer wurde die Einreise versagt. Im Kontrast dazu konnten die mehrheitlichen TeilnehmerInnen des Marsches als friedliche PatriotInnen erscheinen.
Ein ähnliches Spiel ließ sich auch in diesem Jahr beobachten. Die Organisationsleitung des Marschs lieferte sich im Vorfeld einen für die Öffentlichkeit gut nachvollziehbaren, regelrechten Schlagabtausch mit den Gruppierungen des »Schwarzen Blocks« und profilierte sich als ordnende Kraft. Die PiS-Regierung wiederum unterband ein Rechts-Rock-Konzert sowie mehrere internationale Konferenzen, die aus dem Umfeld des »Schwarzen Blocks« initiiert worden waren und in Warschau am Vortag des Marsches stattfinden sollten. Über 100 Personen wurden in diesem Zusammenhang festgenommen und etwa 400 Einreiseverbote erteilt. Der »Schwarze Block« trat so im Vergleich zum Vorjahr deutlich dezimiert und ohne explizit rassistische Banner auf. Damit verschaffte sich die Regierung nicht nur den feigenblattartigen Ausweis eines vermeintlich kompromissloses Durchgreifens gegen die extreme Rechte, es lässt einmal mehr jene Strömungen und Inhalte, die durch dieses Raster fallen, in einem sauberen patriotischen Licht erscheinen.
Insgesamt geht somit von den Warschauer Hundertjahrfeiern das fatale Signal einer weiteren Entgrenzung nach rechts aus. Faschistische Organisationen können sich mit vermeintlich weißer Weste als offiziell akzeptierte Trägerinnen staatlicher Feierlichkeiten und zugleich als Repräsentantinnen einer patriotischen Bewegung »von unten« präsentieren.
Sicher wird die polnische extreme Rechte im Hinblick auf die Europawahlen noch deutlicher auf Konfrontationskurs zur Regierung gehen – und dies zweifellos aus einer noch stärker legitimierten Position heraus.

 

»»»Die extreme Rechte gegen die PiS

von Jos Stübner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 173 – Juli / August 2018