»Ein rein instrumentelles Verhältnis zu Juden«
Das Interview mit Prof. Samuel Salzborn führte Sascha Schmidt
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 175 - November / Dezember 2018
#Interview
»Dieses »Andere« ist im völkischen Weltbild seit jeher assoziiert mit dem Judentum, der Dreh- und Angelpunkt der völkischen Projektionen ist der Antisemitismus.«
Am 7. Oktober 2018 gründete die »Alternative für Deutschland« in Wiesbaden-Erbenheim die Gruppierung »Juden in der AfD«. Jüdische Organisationen gingen mit deutlichen Worten auf Distanz zur AfD. Für das Magazin »der rechte rand« sprach Sascha Schmidt mit dem Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher Professor Samuel Salzborn (Technische Universität Berlin).
drr: Hat Dich die Gründung der Gruppierung »Juden in der AfD« (JAfD) überrascht? Und welche Motivation steckt deiner Meinung nach dahinter?
Samuel Salzborn: Die AfD hat ein rein instrumentelles Verhältnis zu Jüdinnen und Juden, man will den massiven Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus in der Partei mit der Gründung dieser Minigruppierung »Juden in der AfD« kaschieren. Abgesehen von den wenigen Einzelpersonen, die jetzt diese Gruppe gegründet haben, lehnen die meisten Jüdinnen und Juden in Deutschland die AfD auch aufgrund ihrer antisemitischen, rassistischen und antidemokratischen Vorstellungen entschieden ab. Dies hat die große Erklärung gegen die AfD, die kürzlich vom »Zentralrat der Juden« und von über 40 jüdischen Organisationen unterzeichnet wurde, sehr deutlich gezeigt.
In der Debatte um Antisemitismus werden in der Regel die Reden von Björn Höcke, Alexander Gaulands »Vogelschiss«-Rhetorik oder Wolfgang Gedeon, der mehrere antisemitische Schriften verfasst hat, angeführt. In der erwähnten Erklärung heißt es, die AfD sei »eine rassistische und antisemitische Partei«. Wie verbreitet ist Antisemitismus in der AfD und welche Formen von Antisemitismus sind deiner Meinung nach am weitesten in der AfD verbreitet?
Wenn die AfD behauptet, sie habe kein Antisemitismusproblem, dann ist das schlichtweg gelogen. Dies betrifft einerseits ihre AnhängerInnen und einfachen Mitglieder, aber auch ihre führenden RepräsentantInnen. Eine Studie des »Instituts für Demoskopie Allensbach« hat kürzlich gezeigt: 55 Prozent der AfD-AnhängerInnen stimmen dem völlig unmissverständlich antisemitischen Satz »Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss« zu. Übersetzt heißt das: Die antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Formulierungen der AfD-Parteiführung in Bund und Ländern stoßen auf eine gigantisch hohe antisemitische Zustimmung bei den ParteianhängerInnen. Während in den demokratischen Parteien immer wieder Kräfte auch gegen Antisemitismus agieren, wirkt Antisemitismus in der AfD längst wie ein weltanschaulicher Magnet, der Partei und AnhängerInnen verbindet.
Gerade unter den ideologischen StichwortgeberInnen der AfD wird auf die »Neue Rechte« beziehungsweise deren Vordenker, die sogenannte »Konservative Revolution«, rekurriert. Welche antisemitischen Einflüsse lassen sich in den historischen Vorbildern und in der Strömung innerhalb der extremen Rechten, der »Neuen Rechten«, nachweisen?
Im Zentrum der Weltanschauung der »Konservativen Revolution« wie der »Neuen Rechten« steht das völkische Denken. In diesem wird ein stärker kulturalistisch ausgerichtetes, bisweilen aber auch nach wie vor offen rassistisches Denken proklamiert, das auf einem identitätspolitischen Konzept basiert, das die Welt in homogene Ethnokollektive aufteilt, die man dann Völker oder Volksgruppen nennt. In diesem völkischen Weltbild gibt es das »Eigene« und das »Fremde«, wobei diese Unterscheidung die Grundlage auch und gerade für Rassismus darstellt. Die völkischen Ideologen sind aber angetreten im Kampf gegen die Aufklärung, gegen das Versprechen auf Freiheit und Gleichheit, gegen den Universalismus. Im neu-rechten Weltbild wird dabei die ethnopolitische Weltsicht, die aufgeteilt wird in das »Eigene« und das »Fremde«, noch durch ein drittes Element ergänzt – nämlich durch das, welches dieses Denken in völkischen Setzkästen grundsätzlich durchkreuzt: das »Andere«, das Prinzip, das universalistisch und kosmopolitisch ihre kollektiven Homogenitätsschwärmereien und das Denken in Ethnokollektiven als solches komplett in Frage stellt. Dieses »Andere« ist im völkischen Weltbild seit jeher assoziiert mit dem Judentum – der Dreh- und Angelpunkt der völkischen Projektionen ist der Antisemitismus. Das völkische Denken der »Neuen Rechten« ist insofern ohne Antisemitismus nicht vorstellbar. Auch wenn er pro forma oft geleugnet wird, findet er sich in zentralen Schriften von Anfang an und bis heute.
Von Seiten der gewählten VertreterInnen der »JAfD« wurde vor allem der »Zentralrat der Juden« verbal sehr stark angegangen. Der stellvertretende Vorsitzende der »JAfD«, Wolfgang Fuhl, ehemals im Direktorium des Zentralrats, sprach bei der Gründungsveranstaltung davon, »180 Grad konträr zur Position des Zentralrats« zu stehen. Wie bewerten Sie diese Aussage und welche politischen Hintergründe finden sich im Kreis der 19 Jüdinnen und Juden, die der »JAfD« beigetreten sind?
Wir können es ja mal im Klartext übersetzen: Der »Zentralrat der Juden« steht beispielsweise für einen konsequenten Kampf gegen Antisemitismus und für eine Stärkung des jüdischen Lebens in Deutschland, das sind seit Jahrzehnten zentrale Positionen. Wenn man sich gegen solche Positionen aufstellt, hat man objektiv schon sehr deutlich formuliert, wo man faktisch steht – und damit, sicher ohne dass es die VertreterInnen der JAfD auf einer intellektuellen Ebene überhaupt selbst begriffen haben – auch auf einer ganz anderen Ebene kenntlich gemacht, dass man sich gegen die Interessen der Jüdinnen und Juden in Deutschland wendet.
Meron Medel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, hat in Bezug auf die »JAfD« von einem »Randphänomen« gesprochen und Kritik an der medialen Beachtung geübt, welche die AfD dadurch bundesweit erfahren hat. Es häufen sich in jüngster Zeit Stimmen, die fordern, nicht auf jede Provokation der AfD zu reagieren, weil man der AfD dadurch einen Resonanzraum biete, auf den sie bewusst abzielt. Hätte man die doch sehr überschaubare Gruppierung vielleicht weniger stark medial begleiten sollen?
Ich glaube, man täte gut daran, die JAfD zu ignorieren, sie ist eine Splittergruppe ohne Rückhalt bei den Jüdinnen und Juden in Deutschland und ein Feigenblatt, mit dem die AfD ihre eigenen antisemitischen Positionen kaschieren will.
Vielen Dank für das Gespräch!
Von Samuel Salzborn erschien 2018 das Buch »Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne«. Mit einem Vorwort von Josef Schuster bei Beltz Juventa.