Politik als »Informationskrieg«

das Interview mit Johannes Hillje führte Felix M. Steiner
Magazin »der rechte rand« Ausgabe 174 - September / Oktober 2018

#Interview

Johannes Hillje ist Politikberater. Von ihm erschien 2017 das Buch »Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen«. Im Interview mit »der rechte rand« spricht er über die Strategien populistischer Parteien in Europa und die Rolle der sozialen Medien für diese Delegitimierung von Medien und Demokratie. Das Interview führte Felix M. Steiner.

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Einer der besten populistischen Tricks der AfD ist, mit dem Slogan »Mut zur Wahrheit« Lügen und Halbwahrheiten zu verbreiten. © Christian Ditsch

drr: Sie haben sich in ihrem Buch »Propaganda 4.0« die Medienstrategien rechtspopulistischer Parteien angeschaut. Welche Hauptmerkmale kennzeichnen deren mediale Strategien?
Hillje: Ich nenne die Kommunikationsstrategie von RechtspopulistInnen »Propaganda 4.0«. Die Strategie hat vier Schritte: Zunächst werden die unabhängigen Medien durch Lügenvorwürfe delegitimiert. Damit schaffen solche Parteien ein Bedürfnis nach wahrhaftigen Informationen, das dann im zweiten Schritt über die eigenen Parteikanäle befriedigt werden soll. Viele der Parteikanäle sind digital, dabei werden sich Effekte wie die »Echokammer« zu Nutze gemacht, wo ein einseitiges Meinungsbild vorherrscht und als drittes Element eine kollektive Identität nach dem Motto »wir gegen das System« entstehen kann. Viertens instrumentalisieren RechtspopulistInnen wie die AfD die unabhängigen Medien, indem sie sich in Talkshows inszenieren oder auch Tabubrüche in Bundestagsreden begehen, auch damit diese wiederum als »Leistungsnachweis« in Form kurzer Videoclips an die eigene Zielgruppe im Netz verbreitet werden kann. Diese Propaganda funktioniert sehr effektiv.

Wie genau funktioniert die Inszenierung von Parteien wie der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) oder der »Alternative für Deutschland« (AfD)? Ist überhaupt von einer einheitlichen Strategie der Parteien zu sprechen?
PopulistInnen verstehen Politik als »Informationskrieg«. Wenn von einer »Internationale der Nationalisten« die Rede sein kann, dann vor allem hinsichtlich des Austausches von Kommunikationsstrategien. Die AfD hat sehr viele Instrumente von der FPÖ übernommen. Insbesondere das Aufsetzen sogenannter »owned media« – eigene Medienkanäle zur Bildung einer Gegenöffentlichkeit. Die FPÖ hat das »FPÖ TV« erfunden, die AfD hat mit »AfD TV« nachgezogen. Übrigens: Seitdem die FPÖ an der Regierung ist, hat sich die Partei von dem wöchentlichen Nachrichtenmagazin verabschiedet und veröffentlicht nun täglich mehrere Kurzvideos, die ein tagesaktuelles Thema weiterhin in pseudo-journalistischer Aufmachung (und dem »Senderlogo« von FPÖ-TV rechts oben in der Ecke) behandeln. Als beispielsweise Anfang Mai die Medien berichteten, dass FPÖ-Innenminister Kickl alle Moscheen des Dachverbandes ATIB überprüfen lassen wolle, gab es dazu bei FPÖ-TV bereits das entsprechende Video: »Jetzt wird durchgegriffen: Innenminister Herbert Kickl lässt alle ATIB Vereine überprüfen!«. Offensichtliches Ziel: Die FPÖ will die Deutungshoheit über die eigene Regierungspolitik haben, sie muss dazu möglichst früh die Debatte prägen und konzipiert deshalb Maßnahmen von FPÖ-Ministern nicht nur als Gesetz oder Verordnung, sondern von Anfang an auch als PR-Produkt.

Hat sich die Strategie der AfD in den letzten fünf Jahren verändert beziehungsweise ist sie professioneller geworden?
Ja, sie wird professioneller. Denn durch den Einzug in den Bundestag hat sie heute deutlich mehr Ressourcen zur Verfügung. Man darf nicht vergessen, dass die AfD eine Partei von Medienprofis ist. Es gibt viele AfD-Abgeordnete, die früher JournalistInnen waren. Umso bemerkenswerter ist übrigens die Verachtung vieler AfD-PolitikerInnen für ihren eigenen früheren Berufsstand. Aber diese Medienprofis wissen eben, wie man Themen auf die Agenda setzt, Themen den richtigen »Spin« gibt und Emotionen mobilisiert.

Welche Rolle spielen dabei die sozialen Medien?
Eine große Rolle. Anfang des Jahres kündigte Alice Weidel an, dass die Bundestagsfraktion der AfD ihre PR-Arbeit bald mit 20 MitarbeiterInnen im 24-Stunden-Schichtbetrieb betreiben wolle. Personell ist das doppelt so viel wie die Pressestellen der SPD- oder Unionsfraktion derzeit aufbieten. Diese PR-Arbeit wird vor allem über soziale Medien gemacht. Man sieht die ersten Ergebnisse bereits: Die AfD postet mittlerweile fast drei mal täglich ein professionell produziertes Video auf Facebook, teilweise von ModeratorInnen moderiert.

….also kann man sagen, die AfD/FPÖ will mit ihrem Angebot die klassischen Medien ersetzen und selbst »Presse« sein?
Die AfD meint, dass sie ihre Medienarbeit als »Korrektiv« der vermeintlich verfälschten und verzerrten Berichterstattung der Mainstream-Medien, vor allem der öffentlich-rechtlichen Kanäle, fungieren müsse. Der Parteivorstand spricht von »Instrumenten der Gegenmacht«.

Kann man diese Strategien als anti-demokratisch bezeichnen?
Tatsächlich hat keine andere Partei in Deutschland ein solches Verständnis über die eigenen Öffentlichkeitsarbeit wie die AfD. Andere Parteien machen PR-Arbeit, um die Öffentlichkeit und die JournalistInnen zu informieren, die AfD hat den Anspruch, die JournalistInnen zu korrigieren. Sie erhebt sich damit über die Unabhängigkeit der Medien, das widerspricht dem demokratischen Medienverständnis, nach dem die Medien die PolitikerInnen kontrollieren, nicht andersherum. Gleichzeitig gibt die AfD ihren Parteikanälen journalistische Etiketten wie »AfD-TV« oder »Newsroom«. Nach dem Kaiserreich, der Nazi-Zeit und der DDR erprobt die AfD eine neue Version von Propaganda in Deutschland.

Welche Rolle hat dabei die Sprache beziehungsweise das sogenannte Framing?
Wenn PolitikerInnen framen, packen sie einen Sachverhalt in einen ganz bestimmten Deutungsrahmen, der ihre eigene politische Agenda unterstützt. Besonders wirkungsvoll sind die Frames dann, wenn sie an persönliche Erfahrungen andocken – oder an Werte. Nehmen wir den Begriff des »Asylgehalts«. Es geht also um das Geld, das zur Deckung von Grundbedürfnissen an AsylbewerberInnen ausgezahlt wird. Den Begriff des Gehalts kennen wir aus unserem persönlichen Leben. In unserem Weltbild bekommen wir Gehalt für Arbeit. Das erweckt im Zusammenhang der Flucht vollkommen falsche Assozia­tionen. Tatsächlich ist dieses Geld ja eine Sozialleistung, keine Entlohnung, und zwar auch nur für den Zeitraum, in dem der Asylanspruch geprüft wird. Es geht um Überlebenshilfe, eine Solidarleistung der Stärkeren gegenüber den Schwächeren in der Gesellschaft. Und ja: Das Framing wird heute besonders erfolgreiche von rechten, ja sogar rechtsradikalen AkteurInnen angewendet. Das hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass wir über viele Phänomene sprechen, die abstrakt und weit weg sind. Rechte schaffen es aber dabei, den eigenen Erfahrungshorizont der Menschen anzusprechen. Für mich ist die Sprachmacht der Rechten aber auch ein Resultat der Sprachlosigkeit der Mitte.

Was würden Sie empfehlen, um dem entgegenzutreten?
Gerade bei der SPD erkenne ich oft eine mangelnde Sensibilität gegenüber politischer Sprache. Die Partei sollte ihre Sprache viel stärker von ihren Grundwerten ableiten. Oftmals nutzt sie Frames, die ihrer eigenen Agenda nicht entsprechen. Ein Beispiel: Im Fünf-Punkte-Plan zur Migration kam der Begriff »Schutzsuchender« nicht ein einziges Mal vor. Typische sozialdemokratische Werte sind aber Fürsorge und Solidarität. In den Begriffen »Flüchtling« und »Migrant« wird die Fürsorge wenn überhaupt nur indirekt angesprochen; bei dem Begriff »Schutzsuchender« dagegen direkt. Das würde bei LeserInnen und ZuhörerInnen also an ein ganz anderes Assoziationsfeld andocken. Ein progressiver Mensch würde so viel schneller Mitgefühl und Empathie entwickeln. Hier gibt es also eine Wortwahl, die nicht die eigene Agenda unterstützt.

Vielen Dank für das Interview!

 

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