Völkischer Sozialpopulismus

von Kai Budler
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März 2018

#ALARM!

»Sozial ohne rot zu werden«, mit diesem Motto macht der »Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland« von sich reden. Die Vereinigung und ihr Vorsitzender stehen für den völkisch-nationalistischen Flügel der AfD.

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

Kundgebung von ALARM! in Erfurt © Kai Budler

»Wir werden den 1. Mai aus den Händen der Arbeiterverräter entreißen«, schallte es am 1. Mai 2017 aus den Lautsprechern auf der Bühne der »Alternative für Deutschland« (AfD) vor dem Thüringer Landtag in Erfurt. Während die Gewerkschaften ihre Demonstration durch die Innenstadt beendet hatten und auf einem zentralen Platz in der Innenstadt ihre 1. Mai-Feier veranstalteten, waren etwa 1.200 Personen dem Aufruf der AfD zu ihrem gut einen Kilometer langen Aufmarsch unter dem Motto »Sozial ohne rot zu werden« gefolgt. Der Thüringer AfD-Landesverband und die Landtagsfraktion hatten für die Veranstaltung im Vorfeld in den sozialen Medien geworben und dabei unter anderem eine Grafik genutzt, auf der ein Mann mit dem Blau der AfD das Rot der ArbeiterInnenbewegung übermalt. Auffällig ist die Mütze des Anstreichers in der Grafik, die durch ihre spezielle Form an die Kopfbedeckungen der SA erinnert. Groß angekündigt wurde im Vorfeld außerdem die Gründung des »Alternativen Arbeitnehmerverbands Mitteldeutschland« (ALARM!) mit seinem Vorsitzenden und Höcke-Vertrauten Jürgen Pohl, der mittlerweile Bundestagsabgeordneter der AfD ist.

»Fett gefressene Gewerkschaftsbonzen«
Ursprünglich hatten auch die beiden anderen AfD-»Arbeitnehmerorganisationen« in Düsseldorf und Hamburg Aufmärsche zum 1. Mai 2017 angekündigt, doch nach ihrer Absage blieb die Erfurter Versammlung die einzige Veranstaltung der AfD zum ArbeiterInnenkampftag im vergangenen Jahr. Eröffnet wurde sie von dem damaligen Spitzenkandidaten der AfD zur Bundestagswahl in Thüringen, Stephan Brandner. Weil der 1. Mai seit 1933 gesetzlicher Feiertag in Deutschland sei, erklärte er, könne man folgern, »dass die Gewerkschaften auch nicht alles schlecht finden, was in der Geschichte so passiert ist«. Auch Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg, sparte auf der Bühne nicht mit markigen Worten und bezeichnete GewerkschaftsvertreterInnen als »fett gefressene Gewerkschaftsbonzen«. Die AfD hingegen sei »die soziale Alternative«. Neben Kalbitz und Pohl gehören auch Birgit Bessin vom AfD-Landesverband Brandenburg und Oliver Kirchner aus der AfD in Sachsen-Anhalt zu den Gründungsmitgliedern von ALARM!. Pohl nannte den Gründungstag gleichzeitig den »Aufbruch in den Kampf für einen solidarischen Patriotismus«. Einen Tag später resümierte der ver.di-Bezirksvorsitzende Thüringen, Denny Möller, mit Blick auf den Aufmarsch: »Das hatte nichts mit einer Arbeitnehmervereinigung zu tun, sondern war ein klassischer AfD-Aufmarsch, wie wir ihn in Erfurt kennen. Da ging es nur um Höcke.«

Flüchtlinge vs. ArbeitnehmerInnen
Tatsächlich war der 1. Mai 2017 auch der Startschuss für den Bundestagswahlkampf der AfD in Thüringen. Während des Aufmarschs waren immer wieder Wahlparolen der AfD zu hören. Infolgedessen war von einem eigenständigen Profil des ostdeutschen »Arbeitnehmerverbandes« in der Öffentlichkeit nicht viel zu bemerken, lediglich bei Facebook und auf Pohls Internetseite waren demagogische Stellungnahmen zu lesen. Dort bezeichnet er beispielsweise die erhöhte Zahl an Flüchtlingen als »Instrument zum Drücken der Löhne«. MigrantInnen seien nur in »seltenen Fällen tatsächlich Fachkräfte. Daher drücken sie in den meisten Fällen die Löhne für einfache Tätigkeiten oder landen gleich in der staatlichen Fürsorge«, heißt es dort. Wegen der niedrigeren Löhne könne »die Großindustrie (…) ihre Waren günstiger auf den Weltmärkten anbieten und Extraprofite an ihre Aktionäre und Manager zahlen«, was »die Verhandlungsposition der deutschen Arbeitnehmer weiter« verschlechtere. Pohl zieht daraus die Konsequenz: »Die Masseneinwanderung ist ein Fehler und bedroht den Wohlstand vom deutschen Arbeitnehmer!«. Seine Eignung als ALARM!-Vorsitzender leitet der Anwalt und ehemalige Leiter des Wahlkreisbüros von Björn Höcke aus seinem Berufsfeld ab: Er sei »Rechtsanwalt für die kleinen Leute« und beklagt eine dramatische Arbeitsbelastung im Arbeitsrecht, den Umgang mit LeiharbeiterInnen und die Situation der RentnerInnen. Schon immer habe er ArbeitnehmerInnen und Unternehmen vertreten und kenne deren Probleme. Seit der Wahl im September 2017 sitzt Pohl für die AfD im Bundestag und ist »Sprecher für Arbeitnehmerfragen« in der Fraktion. Zudem ist er ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Widersprüchliches Engagement für Siemens
Kurz vor der Wahl war »Alarm!« wieder größer in der Öffentlichkeit aufgetaucht, als dessen Brandenburger Landesverband auf einer Kundgebung zum »sozialpolitischen Profil« der AfD in Potsdam gegründet wurde, bei der Bessin, Höcke, Kalbitz und Pohl redeten.
Auch die beabsichtigte Schließung des Siemens-Generatorenwerks in Erfurt nutzten VertreterInnen von AfD und ALARM!, um sich in Szene zu setzen. Bei einem Schweigemarsch durch Erfurt im November 2017 stellten sie sich bei der Aufstellung in die zweite Reihe und spannten blaue AfD-Schirme auf. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Landtag, Stefan Möller, reckte ein Schild von ALARM! in die Höhe. In einer Mitteilung der IG Metall heißt es anschließend, die AfD habe sich gegen den Willen der AnmelderInnen und gegen die Interessenlage der Siemens-Beschäftigten medienwirksam mit Symbolen ihrer Partei unter die DemonstrantInnen gemischt. »Unsere Versuche, die AfD-Politiker vom Schweigemarsch auszuschließen, sind leider gescheitert«, schrieb die Gewerkschaft.
Auch knapp einen Monat später verteilten AfD-Fraktionsmitglieder, MitarbeiterInnen und Jürgen Pohl vor dem Siemens-Werk in Erfurt ALARM!-Flugblätter und veröffentlichten die Fotos der Aktion bei Face­book. Dabei ist das Engagement des AfD-»Arbeitnehmerverbandes« gegen die Schließung des Erfurter Werks höchst widersprüchlich zur Haltung der Thüringer Landtagsfraktion. Denn noch drei Wochen vor dem Schweigemarsch hatte sich Thomas Rudy in einer Landtagsdebatte gegen eine Einmischung der Politik in die Entscheidung des Konzerns gewandt und »symbolpolitische Aktionen« kritisiert. In seiner Rede sagte der AfD-Abgeordnete: »Natürlich kann der Wirtschaftsminister fordern, dass das Werk erhalten bleibt. Natürlich kann er fordern, dass die Umstrukturierung nicht zulasten der Mitarbeiter geht, aber letztlich handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung«. Nur neun Tage später forderte er in einer Pressemitteilung den Erhalt der Arbeitsplätze bei Siemens und den Zulieferbetrieben: »Die Arbeitsplätze bei Siemens und damit bei den Zulieferbetrieben müssen erhalten werden, auch wenn das die Rendite der Aktionäre ein wenig schmälert. Nur so kann eine sozialpartnerschaftliche Wirtschaft zu Gunsten aller funktionieren«.

Betriebsratswahlen
Die Gründung von ALARM! war bei den zuvor gegründeten »Arbeitnehmervereinigungen« der AfD auf Missfallen gestoßen, der Bundeschef der konkurrierenden »Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer« (AVA), Uwe Witt, hatte gar erklärt, die neue Vereinigung ALARM! sei »so sinnvoll wie besagter Pickel am Popo«. Kein Jahr später hindert ihn das offenbar nicht daran, »Sondierungsgespräche über eine mögliche Zusammenarbeit beider Verbände« zu führen, wie Witt mitteilte. Der AVA-Bundeschef sitzt mittlerweile ebenfalls im Bundestag, ist Fraktionssprecher für Arbeit und Soziales und Sprecher der, beim Höcke-Flügel verhassten, »Alternativen Mitte«. Hintergrund der Gespräche sind nach Witts Angaben die im Frühjahr stattfindenden Betriebsratswahlen. Für ALARM! wird Jürgen Pohl mit dem Satz zitiert: »Immer mehr Arbeitnehmer wenden sich an unsere Verbände und bitten um Informationen. Sie fühlen sich von den klassischen Gewerkschaften, die zwar linksextreme Vereinigungen und Gruppierungen mit Gewerkschaftsbeiträgen finanzieren, in Tarifverhandlungen nicht mehr vertreten.« Wenig später kündigte Pohl an: »Wir werden uns an den Betriebsratswahlen beteiligen.« Dies aber solle nicht als AfD geschehen, sondern über ihre parteinahen »Arbeitnehmerverbände«.

Sozialpolitik als Zerreißprobe?
Zu diesem Zeitpunkt hat Björn Höcke bei einem AfD-Aufmarsch in Erfurt bereits Pohls Wort vom »solidarischen Patriotismus« aufgegriffen und die Sozialpolitik als »das große Zukunftsthema« bezeichnet, die »wahlentscheidend bei uns im Osten« sei. Der Thüringer Fraktions- und Landesvorsitzende setzt auf völkischen Sozialpopulismus, um der Partei bei der Landtagswahl 2019 im Freistaat ein besseres Ergebnis als 2014 zu bescheren. Damit könnte die Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu einer neuen parteiinternen Zerreißprobe führen, denn bislang wurde das umstrittene Thema meist umgangen. Auch in einem AfD-Strategiepapier zur Bundestagswahl 2017 hieß es: »Bei für die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft nicht auseinanderdividiert«. Die AfD in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen wollte auf dem Bundesparteitag in Hannover 2017 die Parteispitze dazu bewegen, im Laufe des aktuellen Jahres eine »klare sozialpolitische Programmatik« zu erarbeiten, doch der Parteitag befasste sich gar nicht erst mit dem Antrag. Nun soll es der AfD-Bundesfachausschuss »Soziale Sicherungssysteme und Rente, Arbeits- und Sozialpolitik« mit seinem Vorsitzenden Uwe Witt richten. ALARM! mit Pohl ist dort zwar nicht vertreten, es dürfte aber schwierig sein, Beschlüsse gegen den Höcke-Flügel und gegen ALARM! mit ihrer Hausmacht durchzudrücken, wie es zuletzt der Bundesparteitag bewiesen hatte.