Rezensionen Ausgabe 165
von Sascha Schmidt, Joshua Lundberg, Lucius Teidelbaum
Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 165 - März/April 2017
»Bürgerliche Scharfmacher«
von Sascha Schmidt
In seinem neuen Buch »Bürgerliche Scharfmacher« setzt sich der Journalist Andreas Speit (u. a. »die tageszeitung«, »der rechte rand«) mit »Deutschlands neuer rechter Mitte« und mit den diversen ProtagonistInnen und Strömungen der »Neuen Rechten« auseinander. Speit beschreibt zunächst die Entstehung der »Alternative für Deutschland« (AfD) und den Rechtsruck der Partei. Dabei beleuchtet er führende Personen wie Björn Höcke, Frauke Petry und Jörg Meuthen, arbeitet ideologische Stränge und Themen heraus und stellt die Auftritte verschiedener AfD-Landtagsfraktionen wie auch parteiinterne Richtungs- und Führungsstreitigkeiten sowie Verbindungen zu extrem rechten Gruppierungen und Burschenschaften dar. In Bezug auf die PEGIDA-Bewegung zeichnet Speit die Entwicklung von einer Facebook-Gruppe zu einer rechten Bewegung nach, der es gelang, bis zu 25.000 Menschen zu mobilisieren. Neben dem »Orga-Team« der PEGIDA und dessen Spaltung im Januar 2015 nimmt Speit auch namhafte RednerInnen, wie Akif Pirinçci, in den Blick. Eine Besonderheit des Buches ist Speits Bericht über seinen Besuch in Schnellroda beim neu-rechten Verleger Götz Kubitschek und der Autorin und Redakteurin Ellen Kositza, führende Köpfe des »Instituts für Staatspolitik«. Neben der Darstellung dieser kleinen »Denkfabrik« und deren Netzwerk gelingt Speit ein verständlicher Überblick über die antidemokratische Ideologie der »Konservativen Revolution« und der »Neue Rechten«. Speit versteht es, Autoren und Vordenker dieser Szene, wie zum Beispiel Thilo Sarrrazin und Peter Sloterdijk, sowie die heutigen AkteurInnen der »Neuen Rechten« in einen gesellschaftlichen Kontext einzubetten. Zudem zeigt er die engen strukturellen und ideologischen Verknüpfungen zu anderen extrem rechten ProtagonistInnen, Projekten und Gruppen, wie beispielsweise Jürgen Elässer und dessen »Compact«-Magazin, der »Identitären Bewegung«, der Kampagne »Ein Prozent« oder der Wochenzeitung »Junge Freiheit«, auf.
Trotz umfangreicher Informationen, zahlloser Namen und vieler Originalzitate ist Speits Schreibstil kurzweilig. Das Buch sei vor allem jenen empfohlen, die – ohne wissenschaftlichen Anspruch – einen gehaltvollen Überblick über die relevanten VertreterInnen der neuen rechten Bewegungen und des dahinterstehenden Gedankengutes bekommen wollen.
Andreas Speit: Bürgerliche Scharfmacher. Deutschlands neue rechte Mitte – von AfD bis Pegida. Zürich 2016, Orell Füssli Verlag, 349 Seiten, 19,95 Euro.
Chronik des Hasses
von Joshua Lundberg
In den vergangenen Jahren explodierte das Ausmaß rechter Gewalt in Deutschland. Fast täglich kommen Geflüchtete, MigrantInnen und AktivistInnen zu Schaden, werden Asylunterkünfte und Parteibüros angegriffen. Das »2017 Jahrbuch rechte Gewalt« versammelt nun in einer umfassenden Chronik Hunderte dokumentierte Übergriffe und Anschläge von Rechts. Die Aufstellung mit Datum, Ort und Bundesland beschreibt jeden Fall von Oktober 2015 bis September 2016 in knappen Sätzen. Dabei verlässt sich die Chronik nicht auf staatliche Zahlen und Darstellungen, sondern nutzt die Aufzeichnungen zahlreicher Opferberatungsstellen.
Die von Sebastian Heidelberger zusammengestellte Chronik wird ergänzt durch Hintergrundartikel der Herausgeberin Andrea Röpke unter Mitarbeit verschiedener AutorInnen. Sie greifen konkrete Fälle rechter Gewalt auf und thematisieren rechte Strategien, aktuelle Entwicklungen und regionale Schwerpunkte.
So werden anhand rechter Proteste und Ausschreitungen in Heidenau und Schneeberg die Erfolge von ‹Nein-zum-Heim-Kampagnen› beschrieben, oder es wird am Beispiel des Brandanschlages im brandenburgischen Nauen der fließende Übergang von rechter Militanz zum Rechtsterrorismus deutlich gemacht. Weitere Artikel beschäftigen sich mit der Beteiligung rechter Mischszenen bei PEGIDA, der bedeutenden Rolle von Facebook bei rechten Bürgerinitiativen in Schleswig-Holstein und mit dem organisierten Angriff von 250 Neonazis auf den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz. Andere Fälle rechter Gewalt werden aus der Perspektive von Betroffenen beschrieben, auch wird der Umgang von Behörden und Gemeinden mit rechter Hegemonie thematisiert.
Über das Zusammenspiel von Chronik und Hintergrundartikeln gelingt es, sowohl das Ausmaß als auch die politischen Zusammenhänge rechter Gewalt darzustellen.
Mit dem Jahrbuch soll ein »reales Bild davon entstehen, wie es in Deutschland wirklich aussieht«. Die Herausgeberin adressiert mit ihrem Buch die »ambivalente Mitte« der deutschen Gesellschaft, die sich im voranschreitenden Rechtsruck klar positionieren muss. In diesem Sinne bieten die journalistischen Hintergrundartikel einen guten Einstieg in die aktuelle Thematik. Darüber hinaus überzeugt das Buch mit detaillierten Recherchen zu aktuellen Fällen rechter Gewalt und einer Chronik mit Ortsregister, das eine verlässliche Grundlage für eigene Arbeiten und Nachforschungen bietet.
Andrea Röpke (Hrsg.): 2017 Jahrbuch rechte Gewalt. Hintergründe, Analysen und die Ereignisse 2016. Chronik des Hasses. München 2017, Knaur Verlag, 298 Seiten, 12,99 Euro.
Realistische Fiktion als Warnung
von Lucius Teidelbaum
Das Genre ‹Comic› wurde ungerechterweise viele Jahre als Spaß oder Klamauk wahrgenommen. Dass der Graphic Novel seit geraumer Zeit mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, ist überfällig. Der Autor François Durpaire und der Zeichner Farid Boudjellal haben mit »Die Präsidentin« eine Arbeit vorgelegt, die als Warnung dienen soll. In ihrer Fiktion gewinnt Marine Le Pen vom extrem rechten »Front National« (FN) im Mai 2017 knapp den zweiten Wahlgang gegen den amtierenden Präsidenten François Hollande (Hollande hat im Dezember 2016 angekündigt, nicht zur Wahl anzutreten, an seiner Stelle wird Benoît Hamon für die »Sozialistische Partei« antreten) und wird Präsidentin der Französischen Republik. Die Story wird aus Perspektive der Résistance-Veteranin Antoinette Giraud und ihrer Enkel Tariq und Stéphane sowie dessen von der Abschiebung bedrohten Freundin Fati erzählt. Gegen die autoritäre Aushöhlung der Demokratie gehen sie auf die Barrikaden. Allerdings schießen sie nicht, sondern sie bloggen gegen den FN. Doch die Schlinge um die digitalen WiderstandskämpferInnen zieht sich immer mehr zu. In der folgenden Zeit baut Präsidentin Le Pen den Staat um. Übergelaufene »Republikaner« helfen ihr dabei. Frankreich tritt aus der NATO aus und ebenso aus dem Euro. Es schließt die Grenzen und lässt Personen ohne gültigen Aufenthaltsstatus massenhaft abschieben. In den französischen Übersee-Departements kommt es zu Unruhen. Oppositionelle werden zu ‹Terroristen› deklariert. Die »Digitale Diktatur«, eine Totalüberwachung der Kommunikation, wird eingeführt. Aber auch die außenpolitischen und wirtschaftlichen Folgen sparen Durpaire und Boudjellal nicht aus.
Das Szenario des Comics basiert auf der Lektüre des FN-Parteiprogramms, das an verschiedenen Stellen zitiert wird. Zudem werden parallel kurze Erzählstränge wie zur Geschichte des FN oder der Inselgruppe Neukaledonien eingefügt. Der Schwarz-Weiß-Comic ist eine durchaus realistische Fiktion – auch wenn Durpaire und Boudjellal mit einer US-Präsidentin Hillary Clinton daneben liegen. Etliche der ProtagonistInnen im Comic sind für LeserInnen aus Deutschland unbekannt, was den Lesefluss nur unwesentlich stört. »Die Präsidentin« enthält viele Informationen und Hinweise, die ein erster Schritt für eine intensive Auseinandersetzung mit der politischen Situation im Nachbarland sein können. Es bleibt zu hoffen, dass es bei der Fiktion bleibt.
François Durpaire und Farid Boudjellal: Die Präsidentin. Berlin 2016, Verlag Jacoby & Stuart, 160 Seiten, 19,95 Euro.