»Antisemitismus der Vernunft«

von Igor Netz
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 167 - Juli 2017

Antisemitismus ist in der »Alternative für Deutschland« mehr als nur ein Randphänomen. Wie Rassismus gehört er zum Kern rechten Denkens, nicht nur in der offen völkischen Variante.

Ausreichende Belege dafür, dass Antisemitismus in der »Alternative für Deutschland« (AfD) nicht konsequent bekämpft wird, sondern im Gegenteil antisemitische Einstellungen und Äußerungen ohne nennenswerten Widerspruch geduldet werden, gibt es zur Genüge. Ein aktuelles Beispiel ist das, mittlerweile entfernte, veränderte Porträt des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz auf dem Facebook-Account der Partei. Im Stil antisemitischer NS-Propaganda wurde die Nase von Martin Schulz verlängert und ihm zusätzlich kleine Hasenzähne verpasst. Und als gälte es vor den Bundestagswahlen möglichst viele Beispiele dafür zu liefern, dass die Bekundungen des als »AfD-Manifest 2017« bekannt gewordenen Strategiepapiers, »als Partei Abstand zu Gruppierungen (zu) haben, die in den Augen des Mainstreams als rechtsextrem gelten« Makulatur sind, liefert der mittlerweile fraktionslose baden-württembergische ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete, Wolfgang Gedeon, ganz pünktlich. Er behauptet in seinem Pamphlet, betitelt als »Strategisches Papier zur Situation vor der Bundestagswahl« vom 2. April dieses Jahres: »Im ideologischen Frontalangriff gegen AfD und rechte Opposition (›Kampf gegen rechts‹) spielen drei Kampfbegriffe eine strategische Rolle: Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorie.« In diesem Zusammenhang heißt es bei ihm: »Von seiner Zielrichtung her ist das ideologische Konstrukt des sog. ›sekundären Antisemitismus‹ vor allem antideutsch.«

Sekundärer Antisemitismus
Nach der Befreiung der Konzentrationslager im Jahr 1945 hatte der alte, rassistisch fundierte Antisemitismus erst einmal ausgedient. Die weitgehende Vernichtung der europäischen Juden machte ihn als Bezugspunkt weithin unmöglich. Der Antisemitismus war nach der militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands allerdings nicht einfach aus den Köpfen der nun ehemaligen VolksgenossInnen verschwunden. Er suchte sich eine Umwegkommunikation und ging über in das, was in der Wissenschaft Kommunikationslatenz genannt wird. Wesentliche Motive des sekundären Antisemitismus sind die Opfer-Täter-Umkehr, die – schon 1945 auftauchende – Forderung nach einem Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit sowie die Leugnung und Relativierung des Holocaust. Fortan wurde nicht mehr von ›Juden‹ gesprochen, wollte man sich abschätzig über diese äußern, sondern von ›Zionisten‹. Begriffe wie »Zionist Occupied Government« oder »Ostküste« dürften nahezu allen AntifaschistInnen als Teil extrem rechter Verschleierungs- und Codierungsstrategien bekannt sein. Der sekundäre Antisemitismus ist allerdings kein Phänomen, das nur Neonazis betrifft. Er ist zum Beispiel in der Affäre von 2003 um das ehemalige CDU- und jetzige AfD-Mitglied Martin Hohmann in der bürgerlichen Mitte und selbst in Teilen der Linken verbreitet. Aus der Perspektive von Gedeon und anderen AfD-Mitgliedern ist es nahezu eine Pflichtaufgabe, das Konzept des sekundären Antisemitismus sowie WissenschaftlerInnen wie Wolfgang Benz, den ehemaligen Leiter des »Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung«, zu diskreditieren. Schließlich schöpft die AfD auch aus diesem Reservoir an Ressentiments, um das sich konsequenterweise verschwörungsideologisches Denken gruppiert.
In der Person Gedeon verdichtet sich vieles an antisemitischen Sichtweisen, was in der Gesamtpartei präsent ist. Seine Bücher »Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten« (2012) und die dreibändige »Christlich-europäische Leitkultur« (2009), erschienen unter dem Pseudonym W.G. Meister, sind voller Belege für Gedeons antisemitische Weltsicht. Er bezieht sich darin positiv auf die »Protokolle der Weisen von Zion« – das auf Fälschungen beruhende internationale Standardwerk der AntisemitInnen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Im erstgenannten Buch bezeichnet er dieses Pamphlet als intellektuell »hochwertig, ja genial« und deklariert es als »politisch-strategisches Herrschafts- und Eroberungskonzept«. Gedeon zufolge seien die Protokolle weder eine Fälschung noch antisemitisch, sondern antizionistisch, wie bereits aus dem Titel hervorgehen würde. Ein weiteres Thema Gedeons ist Holocaust-Leugnung, die er allerdings selbst nicht direkt und offensichtlich betreibt. Vielmehr wählt er am Beispiel des Holocaustleugners Horst Mahler einen Umweg, indem er dessen juristische Sanktionierung der Leugnung der Vernichtung der europäischen Juden als »Indikator für eine totalitäre, in heutiger Diktion autoritär-faschistische Justiz« bezeichnet, welche die Meinungsfreiheit untergraben würde. Die Beispiele stammen aus der Zeit vor Gedeons Aktivitäten in der AfD. Dieselben Inhalte sind weiterhin auf seiner Homepage einsehbar. Jede spätere Distanzierung seitens der Partei gegenüber der Person Gedeon dürfte eher taktisch motiviert sein als auf einem wirklichen Problembewusstsein beruhen.

Weniger subtil
Doch es geht beim Thema Antisemitismus in der AfD nicht allein um das manifeste Ressentiment, das »Gerücht über die Juden«, wie es Theodor W. Adorno nannte. Wo Gedeon die Grenzen des Sagbaren für Holocaustleugnung verschiebt, ging Björn Höcke in seiner inzwischen berühmt-berüchtigten Dresdner Rede im Januar dieses Jahres bei der »Jungen Alternative« aufs Ganze. Wenn Höcke von der AfD als »einer fundamentaloppositionellen Bewegungspartei« spricht, knüpft er direkt an Adolf Hitler an, der die NSDAP die »Partei der Bewegung« nannte. Der brisante geschichtspolitische Kern von Höckes Rede ballt sich allerdings in ihrem letzten Drittel. Dort spricht der völkische Politiker davon, dass die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 ein Kriegsverbrechen gewesen sei, das dazu diene »uns unsere kollektive Identität« zu rauben. Weiter heißt es bei Höcke, man »wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten« und hätte dies »mit der dann nach 1945 begonnenen Umerziehung (…) auch fast geschafft«. Die Täter-Opfer-Umkehr in diesen Passagen ist offensichtlich. Gerade weil sich kein ausdrücklicher Bezug auf die nationalsozialistische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden findet – offensichtlich gibt es beim Geschichtslehrer Höcke nicht einmal den Ansatz eines entwickelten historischen Verantwortungsgefühls – bricht sich kaum verbrämter Antisemitismus Bahn. Er braucht die Aufrechnung zur Stilisierung der deutschen Bevölkerung als Opfer. Entsprechend fordert der Thüringer Fraktionsvorsitzende eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad«. Die aufgeführten Zitate gingen durch die Presselandschaft und wurden zu Recht skandalisiert. Sie führten zu einer Entrüstung, die quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Spektren ging. Auch innerparteilich wurde Höcke durch die Bundesführung angegangen. Der Bundesvorstand strengte ein in diesem Gremium umstrittenes Parteiausschlussverfahren an, über das bis heute noch nicht entschieden ist – vor den Bundestagswahlen wird wohl kaum mit einer Entscheidung zu rechnen sein.
Die gesellschaftliche Empörung über die Dresdner Rede übertraf in ihrer Vehemenz andere Reaktionen auf Äußerungen des AfD-Rechtsaußen. Sie wirkte auch tiefer als die Skandalisierung von Frauke Petrys Versuch zur Rehabilitierung des rassistisch geprägten Begriffs »völkisch«. Der beispiellose Ausschluss eines Politikers, nämlich der Person Björn Höcke, von den Gedenkveranstaltungen in Buchenwald und im Thüringer Landtag zeugt von der tiefgreifenden Verstörung, die seine Äußerungen hervorgerufen haben. Der Grund hierfür dürfte nicht allein in einer besonderen Sensibilität gegenüber Antisemitismus zu suchen sein. Vielmehr zielt die Rede von Höcke durch die Verächtlichmachung des Berliner Denkmals als »Denkmal der Schande« auf den Kern der nationalen Identität der Republik nach 1990. In der ideologischen Instrumentalisierung der Geschichte für die Absicherung der liberalen Demokratie nach 1990 liegt denn auch ein Grundproblem des bundesdeutschen Erinnerungsdiskurses. Höcke, der Frontmann der völkisch ausgerichteten AfD-Plattform »Der Flügel«, greift zur Delegitimierung der bürgerlichen Demokratie diesen Diskurs immer wieder vehement an. Insofern ist es berechtigt, seine Strategie mit dem von Adolf Hitler stammenden Begriff eines »Antisemitismus der Vernunft« in modernisierter, sekundär antisemitischer ausgerichteter, Form zu belegen. Ganz auf dieser Linie liegt auch Jens Maier, AfD-Bundestagskandidat und Richter am Landgericht Dresden. Seine auf Höcke bezogene Äußerung, dass »diese ganze gegen uns gerichtete Propaganda und Umerziehung, die uns einreden wollte, dass Auschwitz praktisch die Folge der deutschen Geschichte wäre«, mündet in der Forderung nach einem Schlussstrich: »Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet.« Auch aus dem sachsen-anhaltischen Landesverband der AfD war bereits Einschlägiges zu vernehmen. So forderte Landeschef André Poggenburg im April 2014, wie die »Volksstimme« berichtete, die Ausweisung von Michel Friedmann. Von Dirk Hoffmann, Vorstandsmitglied im selben Landesverband, konnte man hören, dass der Gaza-Krieg »mindestens genauso schlimm« gewesen sei wie der Holocaust.

 

Die Anderen
Nun ließe sich einwenden, Positionen wie die von Gedeon, Höcke und Maier wären in der AfD umstritten. Doch wie sieht es beispielsweise bei der symbolischen Gegenspielerin Frauke Petry aus? Schließlich behauptete sie gegenüber der Tageszeitung »Die Welt«, die AfD sei »einer der wenigen politischen Garanten jüdischen Lebens auch in Zeiten illegaler antisemitischer Migration nach Deutschland« und, es gehöre »für die AfD zum politischen Selbstverständnis, an die Grauen des Holocaust zu erinnern.« Angesichts der offensichtlichen Externalisierung von Antisemitismus sind solche Äußerungen als Ablenkung vom innerparteilichen (antimuslimischen) Rassismus leicht durchschaubar. Dementsprechend hat nicht allein der Zentralrat der Juden in Deutschland solche Avancen vehement zurückgewiesen. Derweil kann Petry ihre »Garantien« noch nicht einmal in ihrer eigenen Partei durchsetzen – der Bundesparteitag in Köln am 22./23. April lehnte es ab, sich mit ihrem Antrag, dass »in der AfD für rassistische, antisemitische, völkische und nationalistische Ideologien kein Platz« sei, zu befassen.
Auf Widerspruch stieß auch Markus Pretzell, als er während eines Treffens der extrem rechten Fraktion des EU-Parlaments »Europa der Nationen und der Freiheit« im Januar dieses Jahres postulierte, »Israel ist unsere Zukunft« und damit Bezug auf die israelische Anti-Terror-Politik nahm.
Pretzells Ausspruch kann als ebenso instrumentell eingestuft werden wie Petrys Philosemitismus. Während die radikal völkischen NationalistInnen in der AfD für einen grundlegenden Bruch mit der deutschen Vergangenheitspolitik zwecks Restauration des Nationalismus stehen, wirken Positionen à la Petry und Pretzell moderner und somit anknüpfungsfähig für breitere Teile der Gesellschaft. Beiden gemein ist, dass sie auf Bildern von Jüdinnen und Juden, beziehungsweise des israelischen Staates, beruhen, die ein Ausdruck eigener Projektionen und Wünsche sind. Auf der breiten Klaviatur des Antisemitismus sind letztlich freilich beide zu verorten.