Spurensuche

von Sebastian Wehrhahn & Martina Renner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 193 - November | Dezember 2021

Rund 40 Jahre nach den Morden an Shlomo Lewin und Frida Poeschke bleiben viele Fragen unbeantwortet. Dies betrifft auch die Rolle des Mörders Uwe Behrendt und der »Wehrsportgruppe Hoffmann«.

Antifa Magazin der rechte rand
Franz Josef Strauß (CSU)

Im Dezember 1980 wurden der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Partnerin Frida Poeschke in ihrem Bungalow in der Erlanger Ebrardstraße erschossen. Die Morde gelten als aufgeklärt, obwohl niemand für die Tat verurteilt wurde. Als Einzeltäter wird der Neonazi Uwe Behrendt gehandelt. Er war hochrangiges Mitglied der nach dem Neonazi Karl-Heinz Hoffmann benannten »Wehrsportgruppe Hoffmann« (WSG) und floh nach der Tat in den Libanon, wo die Gruppe nach ihrem Verbot in Deutschland als »Wehrsportgruppe Ausland« (WSG Ausland) geführt wurde. Dort soll sich Behrendt später das Leben genommen haben. Die Umstände des Doppelmordes und vor allem die Frage möglicher Mittäter*innen sind bis heute ungeklärt und von Widersprüchen durchzogen. Je näher man den Erlanger Mordfall untersucht, desto deutlicher werden die Widersprüche und desto mehr Fragen stellen sich, die auch andere Komplexe berühren: Ist Uwe Behrendt für weitere Morde verantwortlich? Unter welchen Umständen starb er und was geschah in den letzten Monaten der Wehrsportgruppe im Libanon?

»Wehrsportgruppe Hoffmann«
Die »Wehrportgruppe Hoffmann« war zum Zeitpunkt ihres Verbots, durch Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) im Januar 1980, mit knapp 400 Mitgliedern eine der wichtigsten neonazistischen Organisationen in der Bundesrepublik. Zu ihren Aktivitäten gehörte neben paramilitärischen Übungen auch die Begleitung rechter Veranstaltungen, im Zuge derer es immer wieder zu Gewalt gegen Linke kam. In Bayern, wo die Gruppe ihr Zentrum hatte, brauchte sie Repression nicht zu fürchten. Sowohl der bayerische Innenminister Gerold Tandler als auch der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß – beide CSU – spielten die Bedeutung und vor allem die Gefährlichkeit der Gruppe öffentlich herunter. Für den Innenminister waren die Neonazis unter Waffen »halbverrückte Spinner, nicht eine gefährliche Organisation im eigentlichen Sinne«. Ähnlich schätzte Strauß die WSG ein: »Mein Gott, wenn ein Mann sich vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen Battle-Dress spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen.« Als dann im September 1980 eine Bombe auf dem Münchener Oktoberfest 13 Menschen tötete und nach kurzer Zeit bekannt wurde, dass der Attentäter Gundolf Köhler Verbindungen zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« hatte, bemühten sich die CSU-Politiker um Schadensbegrenzung und stellten die politische Bedeutung des Anschlags als möglichst gering dar. Mit Erfolg: Bis heute gilt das Attentat als das Werk eines Einzeltäters. Erst mit der Einstellung der wiederaufgenommenen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Jahr 2020 wurde offiziell anerkannt, dass es sich um einen rechten Anschlag handelt.

Die Morde von Erlangen
Auch im Mordfall Shlomo Lewin und Frida Poeschke ging wertvolle Zeit verloren, weil die Ermittlungen sich zunächst auf das Umfeld der Opfer konzentrierten und die Neonazis der »Wehrsportgruppe Hoffmann« erst spät in den Blick gerieten. Medienberichte spekulierten gleichzeitig ebenso ehrabschneidend wie haltlos über Vergangenheit und Lebensführung der Toten. Während der öffentliche Aufschrei ausblieb, gab es nur innerhalb der Jüdischen Gemeinde Entsetzen über die rechten Morde, erinnerte sich der spätere Zentralrats-Vorsitzende Paul Spiegel. Erst spät richteten sich die Mordermittlungen gegen die WSG. Dabei wäre das im Wortsinne naheliegend gewesen. Tatort und Wohnsitz von Hoffmann, seiner Partnerin Franziska Birkmann und Behrendt trennten nur wenige Kilometer. Außerdem blieben am Tatort Reste eines selbstgebauten Schalldämpfers zurück, der in Bauart und Material einem Modell gleicht, das Hoffmann und Behrendt vor der Tat gemeinsam gebaut hatten. Auch eine Brille mit Herstellergravur wurde gefunden; wie sich später herausstellte, ein Geschenk der Firma Schubert an Birkmann. Bezeichnend auch: Der Sitz der Firma in Heroldsberg befand sich in direkter Nachbarschaft zum vorherigen Wohnsitz von Hoffmann, Behrendt und Birkmann und damit auch zum Sitz der WSG. Bis die Morde schließlich vor Gericht verhandelt wurden, vergingen Jahre. Erst 1984 begann der Prozess gegen Hoffmann und Birkmann. Doch nach 186 Verhandlungstagen wurden beide in allen die Morde betreffenden Punkten freigesprochen – trotz der Hinterlassenschaften am Tatort und trotz der Aussagen anderer WSG-Mitglieder, die angaben, Hoffmann hätte versucht, auch sie für einen Mordauftrag an einem Juden zu rekrutieren. Hoffmann war es gelungen, Behrendt als Einzeltäter darzustellen, der allein für Entschluss, Vorbereitung und Durchführung der Morde verantwortlich gewesen sein soll. Dabei bot der WSG-Chef auch ein Motiv für Behrendts Entschluss an: In dessen Augen war Hoffmann das Opfer einer Kampagne des israelischen Geheimdienstes, der das Oktoberfestattentat geplant hätte, um Hoffmann als Schuldigen darzustellen und ihn damit unschädlich zu machen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese antisemitische Verschwörungstheorie Hoffmanns Fantasie entsprang. Das ehemalige WSG-Mitglied Arnd-Heinz Marx erinnert sich, dass ihm diese Theorie von Hoffmann im Libanon diktiert worden sei.

Die WSG Ausland
Behrendt selbst stand nie vor Gericht. Unmittelbar nach der Tat floh er mit Hoffmanns Hilfe in den Libanon. Dieser führte dort zwischen Frühjahr 1980 und Herbst 1981 mit Unterstützung der Palestine Liberation Organisation (Palästinensische Befreiungsorganisa­tion, PLO) bis zu 15 Leute als »Wehrsportgruppe Ausland« im Lager Bir Hassan, damals ein Vorort von Beirut. Den Kontakt zu den Palästinensern vermittelte ihm der Rechtsterrorist Udo Albrecht, der damals möglicherweise auch für den Bundesnachrichtendienst arbeitete. Die WSG Ausland bestand teils aus Angehörigen der alten Gruppe, teils aus neuen Mitgliedern, die Hoffmann mit der Aussicht rekrutiert hatte, bewaffnet gegen Israel und die USA zu kämpfen. Tatsächlich bestand der Alltag im Lager allerdings weniger in der Ausbildung im Umgang mit Waffen und Sprengstoff, sondern mehr im Ausbau des Lagers. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr sadistische Gängelungen hinzu, die Hoffmann entweder selbst durchführte oder von seinen Vertrauten Uwe Behrendt, Leroy Paul, Alfred Keeß, Walter Ulrich Behle, Uwe Mainka und Franz Joachim Bojarsky durchführen ließ. Besonders der Hamburger Neonazi Kai-Uwe Bergmann zog den Zorn Hoffmanns auf sich, weil er sich dem angeordneten Rauchverbot widersetzte und immer wieder beim Rauchen erwischt wurde. Zur Strafe musste Bergmann zunächst unter anderem einen Hindernisparcours, zum Teil mit Steinen im Rucksack, absolvieren. Doch die Misshandlungen wurden schlimmer. Anfang 1981 wurde Bergmann mit einem ausgekugelten Arm ins Krankenhaus eingeliefert. Die Verletzung war das Ergebnis der im Lager verharmlosend als »Wasserkur« bezeichneten Methode, heute als Waterboarding bekannt, der Bergmann ans Bett gefesselt ausgesetzt wurde. Nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus vermutete Hoffmann, dass Bergmann versucht habe, sich in Fluchtabsicht an die Vereinten Nationen zu wenden. Schon im September des Vorjahres hatte Bergmann mit drei anderen WSG-Mitgliedern einen Fluchtversuch unternommen. Unter diesem Eindruck nahmen die Folterungen weiter zu. Bergmann wurde geschlagen und getreten, sein Kopf wurde rasiert, er verbrachte einen großen Teil der Zeit angekettet und wurde von verschiedenen WSG-Mitgliedern gedemütigt und misshandelt. Unter anderem wurde ihm ein brennender Trockenspiritus-Würfel auf den Bauch gelegt. Am letzten Abend Bergmanns, der durch die Zeugenaussagen im Prozess dokumentiert ist, wurde er unter anderem von Hoffmann gefoltert. Dieser soll dann nach einer kurzen Besprechung mit Behrendt zusammen mit anderen WSG-Leuten das Lager verlassen haben. Zurück blieben Behrendt und Bergmann, der nach diesem Abend nicht mehr gesehen wurde. Innerhalb der WSG war klar, dass er getötet worden war, mutmaßlich von Uwe Behrendt. WSG-Mitglied Mainka erinnerte sich später daran, dass Behrendt ihm gegenüber bezüglich Bergmann geäußert habe: »Der Chef hat gesagt, der mußte weg.« Bergmanns Leiche gilt bis heute als unentdeckt. Und noch ein weiterer Todesfall, der in unmittelbarem Zusammenhang zur WSG Ausland steht, gibt nach wie vor Rätsel auf: In Akten, die der Bundesnachrichtendienst auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes der Autorin und dem Autor zugänglich machen musste, findet sich eine Meldung zum Mord an der deutschen Staatsbürgerin Liliane Kolditz. Nach BND-Informationen wurde Kolditz von einem »Fatah«-Angehörigen ermordet, nachdem eines der im September 1980 nach einem Fluchtversuch gefassten WSG-Mitglieder in einer Vernehmung durch palästinensische Organe Kolditz schwer belastet haben soll. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion gab die Bundesregierung an, über keine diesbezüglichen Erkenntnisse zu verfügen.

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Herr und Hund
Dass Behrendt nicht nur für die Morde an Lewin und Poeschke mitverantwortlich war, sondern ebenfalls Bergmann tötete, liegt auch deshalb nahe, weil es unterschiedliche Aussagen gibt, die Behrendt erstens Hoffmann gegenüber als absolut ergeben darstellen und ihn zweitens mit weiteren Mord(versuch)en in Verbindung bringen. Das Wochenmagazin Der Spiegel berichtete anlässlich der Eröffnung des Verfahrens gegen Hoffmann und Birkmann 1984, dass Behrendt auch versucht haben soll, das abtrünnige WSG-Mitglied Ralf Rößner und dessen Freundin mit einer Granate zu töten. Demzufolge scheiterte der Plan nur daran, dass beide nicht zu Hause waren, als Behrendt ihre Wohnung aufsuchte. Möglicherweise erhielt Behrendt bereits 1979 während eines Aufenthaltes in Südafrika militärisches Training. Einige Jahre vorher machte er die Bekanntschaft mit dem Neonazi Axel Heinzmann, über den er auch Hoffmann kennenlernte. Beide bemühten sich, Söldner zur Unterstützung der Diktaturen in Südafrika, Rhodesien und Angola zu vermitteln. Aus Südafrika schrieb Behrendt an seinen Onkel, er sei bei der südafrikanischen Armee und rechne mit einer baldigen Beförderung.

WSG-Mitglied Fraas bezeichnete Behrendt in einer Vernehmung »als bezahlten Killer Hoffmanns«, für den WSG-Mann Robert Funk sei das Verhältnis von Hoffmann zu Behrendt eines zwischen »Herr und Hund« gewesen. Ähnlich äußerten sich die WSG-Leute Gilbert Heindl und Uwe Mainka. Arnd-Heinz Marx wiederum gab an, Behrendt sei im Mai 1981, ausgestattet mit falschen Papieren und verändertem Aussehen, noch einmal nach Europa gereist, um dort einen Auftragsmord für die PLO zu begehen. Kurz danach wurde er gemeinsam mit Leroy Paul von Hoffmann zum Leutnant befördert. Möglich ist, dass er sich während seiner Reise mit den beiden traf. Paul zumindest verweigerte während des Prozesses gegen Hoffmann und Birkmann die Aussage mit Verweis auf § 55 der Strafprozessordnung, als er gefragt wurde, ob er zwischen Januar und Mai 1981 mit Hoffmann ins Ausland gereist sei. Besagter Paragraph erlaubt es Zeug*innen, die Aussage zu verweigern, wenn sie sich dadurch selbst belasten würden.

In Deutschland entwickelten sich die Mordermittlungen 1981 für Hoffmann bedrohlich. Sein Wohnsitz wurde durchsucht, die am Tatort gefundene Brille wurde Birkmann zugeordnet und diese belastete ihn in einer Vernehmung. Erst dann begann Hoffmann, Behrendt als Einzeltäter darzustellen. Widersprechen konnte Behrendt nicht mehr. Im September 1981 soll er sich im Libanon das Leben genommen haben. Doch auch das ist nicht zweifelsfrei bewiesen. Erst 1984 reisten bayerische Beamte in den Libanon und exhumierten dort nach Hinweisen von WSG-Leuten die Leiche. Allerdings unternahmen sie keinerlei Anstrengungen, die Leiche von Bergmann zu finden.

Zweifelsfrei konnte durch die Obduktion der exhumierten Leiche festgestellt werden, dass ein Schuss zum Tod geführt hatte. Ob dieser jedoch selbst beigebracht wurde, wie es Hoffmann und seine Anhänger behaupten oder ob Behrendt erschossen wurde, konnte nicht geklärt werden. Diese Frage wird auch durch einen Vermerk aus den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR brisant. Dort heißt es, Behrendt habe vor seinem Tod unter Hausarrest gestanden. Die Befehlsgewalt für so einen Arrest konnte nur Hoffmann gehabt haben.

Offene Fragen
Je näher die Ereignisse, die nun rund 40 Jahre zurückliegen, heute betrachtet werden, umso deutlicher werden die Versäumnisse von Ermittlungen und Prozess und umso unabgeschlossener erscheinen die Morde. Genauer betrachtet ist wenig an dem offiziell aufgeklärten Mord klar: Weder die konkreten Umstände der Tatbegehung noch die daran insgesamt beteiligten Personen. Ebenso unklar sind die Todesumstände Behrendts, der Tod von Kai-Uwe Bergmann, das Schicksal von Liliane Kolditz sowie Zweck und Umstände von Behrendts letzter Reise nach Europa 1981. Mord verjährt nicht. Das allein sollte Grund genug sein, die Offenheit vieler Fragen zu betonen und auf Antworten zu drängen. Dazu kommt, dass die Auseinandersetzung mit dem vergangenen Terror in direktem Verhältnis zur Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Terror steht. Beide können nur zusammen begriffen werden.