»Sozial ist da gar nichts«

Mit Annelie Buntenbach, Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB, sprachen Toni Brandes und Paul Wellsow.
Magazin "der rechte rand" Ausgabe 171 - März / April 2018

#Interview

Magazin der rechte rand Ausgabe 171

Annelie Buntenbach © Privat

Den 1. Mai 2017 hat der »Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland« (ALARM!) in Erfurt zum Angriff auf die »verrotteten Altgewerkschaften« genutzt. Auch andere AfD-nahe Organisationen, wie »Arbeitnehmer in der AfD« und »Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer«, oder die neu-rechte Initiative »Ein Prozent« haben das Ziel, Konkurrenzstrukturen rechts vom »Deutschen Gewerkschaftsbund« (DGB) und seinen Einzelgewerkschaften in den Betrieben aufzubauen. Mit Annelie Buntenbach, Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB, sprachen Toni Brandes und Paul Wellsow.

drr: Rechte aus der AfD und dem Spektrum der »Neuen Rechten« wollen auf dem Terrain der Gewerkschaften wildern. Wie ernst muss man das nehmen und wie nimmt der DGB die Situation wahr?
Annelie Buntenbach: In diesem Jahr finden bundesweit Betriebsratswahlen statt. Verschiedene extrem rechte Gruppen, vor allem die »Ein Prozent«-Bewegung, rufen dazu auf, mit eigenen KandidatInnen anzutreten. Das nehmen der DGB und die Einzelgewerkschaften natürlich ernst. In den Betrieben arbeiten Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur oder Religion zusammen. Unsere Betriebsräte, von denen viele selbst einen Migrationshintergrund haben, setzen sich solidarisch für alle Beschäftigten ein. Wir werden im Betrieb nicht denen das Feld überlassen, die mit rassistischen und nationalistischen Parolen nur auf eine Spaltung der Belegschaften aus sind. Die extreme Rechte ist ja auch per se gewerkschaftsfeindlich.
Allerdings sehe ich derzeit nicht, dass die recht kleinen ArbeitnehmerInnenvereinigungen der AfD oder die »Ein Prozent«-Bewegung über eine nennenswerte Verankerung in den Betrieben verfügen.

Es gab schon immer die Bestrebungen, die soziale Frage auch von Rechts zu besetzen. Warum scheint es nun – zum ersten Mal seit Jahrzehnten – erfolgversprechend zu sein?
Das würde ich infrage stellen. Sozial ist da gar nichts. Von der AfD sind massive Rentenkürzungen zu erwarten, wenn das Renteneintrittsalter abgeschafft werden soll. Da steht die praktische Abschaffung der Arbeitslosenversicherung im Programm. Und sozial ist es auch nicht, wenn es laut AfD weder eine Erbschafts- noch eine Vermögenssteuer geben soll.
Keine Frage, dass es unter ArbeitnehmerInnen und auch unter Gewerkschaftsmitgliedern rassistische und völkisch-autoritäre Haltungen gibt. Die Entzündungsherde für diese Entwicklung liegen aber nicht im Betrieb oder in den klassischen Anliegen der ArbeiterInnenbewegung – Durchsetzung besserer Löhne und Arbeitsbedingungen, Begrenzung der Arbeitszeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, soziale Absicherung oder ähnliches mehr. Das ist definitiv nicht der Kern, nicht der Antrieb der AfD, im Gegenteil. Wird das Anliegen, die Triebfeder der AfD falsch verortet, führt das zu falschen Schlussfolgerungen bei den Gegenstrategien.
Ich finde es wichtig, den Widerspruch herauszuarbeiten zwischen den sozialen Interessen AfD-affiner ArbeitnehmerInnen und ihren kulturellen Haltungen. In diesem Widerspruch kann eine Chance für Gewerkschaften liegen, auch diese Menschen noch über ihre sozialen Interessen zu erreichen.

An welchen Einstellungen von ArbeiterInnen und Angestellten und an welchen Themen können diese rechten Initiativen anknüpfen?
Als Vertretung von ArbeitnehmerInnen sind sie gänzlich ungeeignet. Anknüpfen können sie allerdings an vorhandene extrem rechte Einstellungen, die leider auch dort verbreitet sind. Ich glaube nur bedingt daran, dass das etwas mit dem sozialen Status zu tun hat. Bei den Zweitstimmenanteilen der AfD gab es zwischen und innerhalb der Bundesländer große Unterschiede. Feststellbar ist ein Ost-West-Gefälle und vor allem in Westdeutschland ein Süd-Nord-Gefälle. Arbeitslosenquote, Einkommenshöhe oder die Quote der Hartz IV-Abhängigkeit können die großen Unterschiede in den Zustimmungswerten für die AfD nicht erklären. Man sollte sich sehr davor hüten hier Bilder von der Rache der Prekären zu konstruieren. Es gibt auch spürbaren Zuspruch aus besser gebildeten Kreisen einschließlich HochschulabsolventInnen. Die, die extrem rechts gewählt haben, sind keineswegs immer die Armen und Dummen.
Es gibt allerdings einige mentale Haltungen, die zu einer AfD-Affinität führen können. AfD-WählerInnen sehen sich oft Kontrollverlusten ausgesetzt – so Richard Hilmer in seiner Studie für die Hans-Böckler-Stiftung – außerdem würden sie sich »unabhängig von ihrem realen Einkommen in der derzeitigen Gesellschaft vergleichsweise niedrig einordnen« und »erlebten im Vergleich zu ihren Eltern einen sozialen Abstieg«. Es geht also weniger um die Realität der eigenen sozialen Lage als vielmehr um die Angst vor Abstieg und noch mehr um das Gefühl, zu kurz zu kommen, das im Osten der Republik besonders verbreitet ist.

Gibt es unter den Beschäftigten bestimmte Bereiche, die besonders anfällig für rechte Argumentation und Organisierung sind und Bereiche, die eher immun dagegen sind?
Mir fällt dazu ein Beispiel ein. Die Studie, die Richard Stöss vor einigen Jahren gemacht hat, stellte bei den Mitgliedern der IG BAU einen relativ niedrigeren Anteil extrem rechter Einstellungen fest. Die IG BAU muss sich seit langem mit Lohndumping durch Scheinselbstständige und Subunternehmerketten auf den Baustellen auseinandersetzen. Dieses Lohndumping hat eine andere Sprache und einen anderen Pass. In diesem Kampf darf man keine Ethnisierung dieser Schweinereien zulassen. Die Grundhaltung: »Schuld sind nicht die armen Schweine, wo immer sie auch herkommen, sondern die, die durch die Ausbeutung der armen Schweine reich werden« hatte sich in der Organisation tief verankert. Zurückgeführt hat Stöss das auf die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema, den sorgfältigen Umgang mit Sprache, mit einer Organisationskultur, die Rassismus ganz bewusst und in offener Auseinandersetzung, die nichts unter den Teppich gekehrt hat, nicht zugelassen hat. Ein ermutigendes Ergebnis, aber auch ein anstrengender Dauerauftrag.
Mittlerweile haben wir mit den Beratungsstellen von »Faire Mobilität« und den Landesberatungsstellen ein Netzwerk geschaffen, das jedes Jahr mehreren tausend ArbeitnehmerInnen aus Ost- und Mitteleuropa, denen droht, um ihren Lohn und ihre Rechte gebracht zu werden, Unterstützung bietet – gleich ob sie auf dem Bau arbeiten, in der Pflege, in der Fleischindustrie, in Transport und Logistik oder auf den Werften.

Warum ist – schon aus historischen Gründen – Antifaschismus für Gewerkschaften nicht Beiwerk, sondern Grundsatz?
Die Nationalsozialisten haben die Gewerkschaften verboten und GewerkschafterInnen verfolgt und ermordet. ArbeitnehmerInnen in den Betrieben waren in dieser Zeit weitgehend rechtlos. Sie hatten nicht einmal das Recht die Arbeitsstelle zu wechseln. Wir leben heute in einer anderen Zeit, aber Sozialdarwinismus, Vorstellungen von ‹natürlicher Ungleichheit› als Grundlage der Stellung in der Gesellschaft und die Unterordnung in einem Führer-Gefolgschaftskorsett lassen sich nicht mit Menschenrechten und Demokratie vereinbaren – und beides ist für Gewerkschaften so existenziell wie die Luft zum Atmen. Deshalb setzen wir auf klare, unmissverständliche Abgrenzung gegenüber denjenigen, die in der AfD oder an anderer Stelle solche Spaltung, Ethnisierung und Ausgrenzung organisieren. Gleichzeitig versuchen wir, diejenigen für die Demokratie zurück zu gewinnen, die sich politikverdrossen zurückgezogen haben oder die mit ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel oder in anderer Form der Anziehung der AfD erlegen sind.

Was tun der DGB, die Einzelgewerkschaften, Betriebsräte und Aktive im Jahr der Betriebsratwahlen gegen diese neue Offensive von rechts außen?
Das ist eine Daueraufgabe und es gibt unzählige Initiativen. GewerkschafterInnen mischen sich in den Betrieben, aber auch in der Öffentlichkeit immer wieder engagiert ein. Entscheidend sind, um in der Auseinandersetzung mit extrem Rechten und Rassismus zu bestehen, nicht nur die »richtige« demokratische Haltung, sondern auch die Kenntnis von »Argumentationslinien« von AfD und anderen sowie gesicherte Informationen und Recherchen über ihre AkteurInnen und Vorgehensweisen.
Mit Materialien, Workshops und Beratung gibt es hier inzwischen eigene Angebote von DGB und Gewerkschaften, DGB-Bildungswerk und entsprechenden Projekten und last but not least vom Kumpelverein »Die gelbe Hand«. Dabei geht es auch darum, Betriebsversammlungen und andere Veranstaltungen so durchzuführen, dass sie nicht von RechtspopulistInnen an sich gerissen werden können. Wo es sinnvoll ist, wird auch direkt vor Ort unterstützt.
Wir müssen das, was für uns und die ArbeitnehmerInnen soziale Gerechtigkeit jeweils konkret heißt, herauskristallisieren und dafür mobilisieren. Um hier die richtigen Themen zu fassen zu bekommen und die KollegInnen mitzunehmen, müssen wir ganz bewusst mehr Demokratie organisieren, die Kraft der aktiven Einmischung nutzen – in den Gewerkschaften, in den Betrieben, vor Ort. Das ist umso wichtiger, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die Stöss-Studie als eines der Einfallstore für extrem rechte Einstellungen gerade in der Industriearbeiterschaft eine Haltung identifiziert hat: alles Gute kommt von oben, die da oben sollen das für mich regeln, und wenn ich das Gefühl habe, ich bekomme nicht, was mir zusteht, ist das »deren« Schuld.
Je stärker wir im Betrieb und in der Gesellschaft selbst Themen und Initiativen setzen können, desto weniger Raum bleibt der AfD, um Sogkraft zu entwickeln. Wenn sich zum Beispiel bei einer Standortschließung wie jetzt bei Siemens die IG Metall so schnell und klar an die Spitze stellt, hat das die größten Erfolgschancen für ArbeitnehmerInnen. Gleichzeitig bleibt dann kein Platz für angebliche »Interessenvertreter« von rechts außen.
Zu den Aufgaben von Gewerkschaften gehört, Spaltungslinien in der Gesellschaft und im Betrieb aktiv zu bekämpfen, um Entsolidarisierungsprozessen entgegenzuwirken. Der Ethnisierung von Konflikten gilt es klar entgegenzutreten. Auch in dem Zusammenhang ist es eine große gewerkschaftliche Stärke, so viele Mitglieder mit Migrationshintergrund zu haben. Besonders spannend ist dabei, dass der Anteil der Betriebsratsmitglieder und der Vertrauensleute mit Migrationsgeschichte über dem Anteil in der Mitgliedschaft liegt. Damit ist klar: MigrantInnen setzen sich in den Betrieben für die Interessen aller Beschäftigten ein, unabhängig von ihrer Herkunft. Eine ganze Reihe von Betriebsvereinbarungen gegen Rassismus und für Gleichstellung zeigt die Bandbreite von betrieblichen Diskussionen und praktischen Handlungsmöglichkeiten.

Vielen Dank für das Interview!