Die evangelikale Rechte in den USA

von Carl Kinsky


Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018

Evangelikale ProtestantInnen stellen eine zentrale Basis an WählerInnen für die »Republikanische Partei« dar. Ihren Kampf für eine christliche Nation gemäß ihren reaktionären Vorstellungen führen sie seit der Wahl Donald Trumps wieder mit Unterstützung der Bundesregierung.

der rechte rand Ausgabe 170

Vize-Präsident Michael Richard „Mike“ Pence © White House / D. Myles Cullen

Trotz des laizistischen Staatswesens der USA hat der christliche Glaube seit der Staatsgründung eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung. Aufgrund der Kolonialherrschaft Großbritanniens, der Rolle als Zufluchtsort für verfolgte protestantische Gemeinden aus Europa sowie der Verbreitung antikatholischer Ressentiments ist der historische Einfluss des Protestantismus dabei dominant. Aus dieser Tradition speist sich die nach wie vor aktuelle religiös-nationalistische Vorstellung, wonach die USA ein von Gott gegebenes neues »gelobtes Land« seien und dazu auserwählt, als Speerspitze des christlichen Glaubens in der Welt zu wirken.
Innerhalb des Protestantismus nehmen Evangelikale eine zentrale Stellung als Teil der christlichen Rechten ein. Eine Untersuchung des »Pew Research Center« im Jahr 2014 ergab, dass rund 25 Prozent der erwachsenen US-AmerikanerInnen sich als evangelikale ProtestantInnen bezeichnen. Es sind mehrheitlich »weiße« WählerInnen der »Republikaner« im Alter zwischen 30 und 64 Jahren, die seit mindestens drei Generationen in den USA leben und vor allem in den Südstaaten einen hohen Anteil der erwachsenen Bevölkerung ausmachen. Die Mehrheit eint der Glaube an Himmel und Hölle, göttliche Schöpfung, die Ablehnung von Abtreibung und Homosexualität. Um die 81 Prozent der evangelikalen WählerInnen haben Donald Trump gewählt, nicht zuletzt da er mit dem evangelikalen Mike Pence einen prominenten politischen Vertreter der christlichen Rechten zu seinem Vize-Präsidenten ernannte.

Von der religiösen zur politischen Bewegung
Die Ursprünge der Evangelikalen in den USA lassen sich auf protestantische Erweckungsbewegungen des 18. Jahrhunderts zurückführen. Schon damals gehörten der Glaube an die Bibel als absolute Autorität, die Hinwendung zu Gott – welche als »Wiedergeburt« erfahren wird (»born-again«) – sowie die Missionierung anderer Menschen zu den Grundpfeilern dieser religiösen Bewegung. Historisch versuchten Evangelikale vor allem indirekt durch die Missionierung gesellschaftlichen Einfluss auszuüben, da Politik und Religion inkompatibel miteinander seien. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich das Vorgehen, es wurde explizit die politische Einflussnahme gesucht.
Eine wichtige Rolle nahm dabei der evangelikale Fernseh-Prediger »Televangelist« Billy Graham ein, dessen Werke sich heute vermutlich in fast jedem evangelikalen Haushalt finden lassen. In den 1960er Jahren agitierte er gegen einen angeblichen moralischen Verfall der Gesellschaft, folgerichtig unterstützte er als erster prominenter Vertreter der Evangelikalen den republikanischen Präsidenten Richard Nixon. Graham sprach 1968 bei dessen Vereidigung; im Zuge linker Proteste gegen Nixons Kriegspolitik in Vietnam hielt Graham aus antikommunisitischer Überzeugung zu ihm. Doch angesichts des Rücktritts von Nixon in Folge des »Watergate-Skandals« kam es noch nicht zum politischen Durchbruch.
Erst mit dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan (1981 – 1989) gelang die Etablierung des heutigen politischen Einflusses von rechten Evangelikalen. Als zentrale Figur trat hierbei der »Televangelist« Jerry Falwell mit seiner 1979 gegründeten Organisation »Moral Majority« (»Moralische Mehrheit«) auf. Falwell definierte drei Hauptziele: die Rettung von Seelen, die Taufe und die Registrierung von Evangelikalen zur Wahl. Reagan verhalf diese Mischung aus christlicher Inszenierung und Nationalismus zu zwei Amtsperioden. Bis in die Gegenwart dient er nahezu allen konservativen PolitikerInnen und Medien als Vorbild.

Politisches Wirken der Bewegung heute
Die evangelikale Rechte ist zu einer fest verankerten Kraft in der politischen Landschaft der USA gewachsen, die von der kommunalen Ebene bis zur Bundesregierung wirkt. Ihre Organisationen reichen neben der jeweiligen – steuerlich befreiten – Kirchengemeinde über Denkfabriken und Lobbyorganisationen hin zu klassischen und neuen Medien. Verbindende Elemente sind die gemeinsamen Betätigungsfelder.

Kreationismus
Zentral für den Glauben der Evangelikalen ist die Erzählung, dass die Welt von Gott vor 6.000 Jahren in sechs Tagen erschaffen worden sei. Demnach gilt auch jede biblische Erzählung als historische Wahrheit. Entsprechend wehren sie sich gegen die Evolutionstheorie. Unter dem Begriff »intelligent design« verbreiten Denkfabriken wie das 1990 gegründete »Discovery Institute« die Schöpfungslehre als pseudowissenschaftliche Theorie, im Jahr 2015 mit einem Budget von über vier Millionen Dollar. Da Bildungspolitik Sache der jeweiligen Bundesstaaten und deren Kommunen ist, ist der politische Erfolg dabei unterschiedlich. Während der Oberste Gerichtshof 1968 zum ersten Mal die Verfassungswidrigkeit der Schöpfungslehre in öffentlichen Schulen feststellte, ignorierte beispielsweise Louisiana diese Entscheidung bis 1987. Andere umgehen diese Vorgabe einfach: Das Bildungsministerium von Alabama entschied 2016, weiterhin naturwissenschaftliche Schulbücher mit Hinweiszetteln zu versehen, auf denen die Evolution als »kontroverse Theorie« dargestellt wird. Insgesamt sehen sechs Bundesstaaten in ihren Bildungsvorgaben eine »kritische Analyse« der Evolutionstheorie vor. Zusätzlich gibt es zahlreiche christliche Privatschulen sowie die Möglichkeit der Beschulung zu Hause, um Kinder »bibeltreu« zu erziehen. Aber auch jenseits von Bildungsplänen arbeiten non-profit-Organisationen am kreationistischen Weltbild. Von »Answers in Genesis« (»Antworten im Buch Mose«) um Kenneth Alfred Ham, deren Einnahmen 2014 bei über 27 Millionen Dollar lagen, wurden 2007 in Kentucky das »Creation Museum« eröffnet, wo die Bibel als Wissenschaft vorgestellt wird, und 2016 das »Ark Encounter«, ein »originalgetreuer« Nachbau der »Arche Noah«, fertiggestellt .

Anti-Abtreibung
Ein zentrales Augenmerk liegt seit der Legalisierung der Abtreibung durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Jahr 1973 in der Verhinderung der Inanspruchnahme dieses Grundrechts. So bringen vor allem »Republikaner« immer wieder Gesetzesvorschläge ein, die das Betreiben von Abtreibungskliniken zu verhindern suchen – wohlwissend, dass die Arbeit dieser Kliniken oftmals der allgemeinen medizinischen Versorgung vor allem ärmerer Frauen dient. Allerdings waren Kliniken in den letzten Jahren mit mehreren Klagen gegen derlei Gesetze vor dem Obersten Gerichtshof erfolgreich, zuletzt im Bundesstaat Indiana. Ein im April 2016 vom damaligen Gouverneur und jetzigen Vize-Präsidenten Mike Pence unterzeichnetes Gesetz, das die Beerdigung oder Einäscherung jedes abgetriebenen Fötus vorsah, wurde im September 2017 verworfen. Ein Ende solcher Gesetzesvorhaben ist damit aber nicht abzusehen. Schließlich sind sie auch auf das Wirken vieler außerparlamentarischer Organisationen zurückzuführen, die den Kampf gegen Abtreibung finanzieren und auf die Straße tragen. Begleitet wurden diese Aktionen auch stets von massiver Gewalt und der Einschüchterung von AbtreibungsanbieterInnen und deren Patientinnen. So zählt die »National Abortion Federation« (NAF) seit 1977 mindestens 11 Morde, 42 Bombenanschläge, 186 Brandanschläge und 239 physische Übergriffe gegen AbtreibungsanbieterInnen. Zur beliebtesten Methode gehört das Protestieren und Bedrängen von Frauen vor Abtreibungskliniken; allein im Jahr 2016 zählte die NAF 61.562 solcher Aktionen. Dies wird legitimiert durch das Narrativ einer angeblichen »Abtreibungsindustrie«, die häufig mit Holocaust-Vergleichen (»babycaust«) angereichert wird – ein Vergleich, der von rechten Medienkonzernen wie »Fox News« oder dem »Christian Broadcasting Network« verbreitet wird.

Die göttliche Ordnung der Geschlechter
Entsprechend ihren kreationistischen Überzeugungen glauben rechte Evangelikale, eine heteronormative, patriarchale Familienordnung entspreche dem Willen Gottes. Beispielhaft hierfür ist das im August 2017 verbreitete Manifest »Nashville Statement«, das eine Zusammenarbeit des »Council for Biblical Manhood and Womanhood« (»Rat für biblische Männlich- und Weiblichkeit«) und der mehr als 15 Millionen Mitglieder zählenden »Southern Baptist Convention« darstellt. In 14 Artikeln werden die »gottgewollten Unterschiede zwischen Mann und Frau«, das Verbot von Sexualität außerhalb der Ehe sowie die »Sünde der Akzeptanz von homosexueller Immoralität und Transgenderismus« und deren »Heilbarkeit« festgehalten. Eben jene »Heilung« von nicht-heterosexuellen Menschen findet unter dem Stichwort »conversion therapy« (»Konvertierungstherapie«, CT) großen Widerhall als pseudowissenschaftliche Theorie. Hierbei werden die Gründe einer nicht heterosexuellen Identität zum Beispiel auf »Verweichlichung«, »mangelnden Glauben« oder Kindesmissbrauch zurückgeführt. Die Leugnung der eigenen sexuellen Identität aber führt zu schweren seelischen Schäden, häufig werden Depressionen und gar Selbstmorde im Nachgang solcher »Therapien« festgestellt. In den letzten Jahren haben sechs Bundesstaaten und einige Großstädte die Anwendung der CT bei Minderjährigen verboten. International tätige Organisationen wie das 1990 vom »Televangelisten« Pat Robertson gegründete »American Center for Law & Justice« um Jay Alan Sekulow agitieren andererseits erfolgreich in Ländern wie Simbabwe, Kenia und Uganda für homosexualitätsfeindliche Gesetzgebungen: In Uganda sollte 2014 Homosexualität unter Strafe gestellt werden, aufgrund internationalen Drucks verzichtet die Regierung jedoch momentan auf deren Umsetzung. In den USA entschied 2015 der Oberste Gerichtshof die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen – ein herber Schlag für die christliche Rechte.

Rechte Evangelikale und Trumps Regierung
Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten zog auch die christliche Rechte wieder ins Weiße Haus. Mike Pence sprach im Januar 2017 als erster Vize-Präsident bei dem seit 1974 stattfindenden »March for Life« (»Marsch für das Leben«) vor zehntausenden AbtreibungsgegnerInnen – Trump dankte den Demonstrierenden auf Twitter. Auch Trumps Beraterin Kellyanne Conway sprach bei dem Aufmarsch. Der Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung Ben Carson wiederum betrachtet Homosexualität als »Lifestyle-Entscheidung« und der Justizminister Jefferson Beauregard Sessions zeichnet sich als besonders fleißig in der Umsetzung politischer Forderungen der christlichen Rechten aus: Neben der erleichterten Befreiung für Arbeitgeber von der Pflicht, Abtreibungen als Teil der Krankenversicherung ihrer Angestellten abzudecken, hob Sessions im Oktober den Schutz von Transgender vor Diskriminierung unter dem »Civil Rights Act« auf. Trump selbst trat darüber hinaus im Oktober bei der jährlichen Konferenz des »Family Research Council« um Tony Perkins, Erstunterzeichner des »Nashville Statement«, als Hauptredner auf – neben seinem ehemaligen Berater und dem ehemaligen Medienmacher von »Breitbart News«, Stephen Bannon. Zuletzt unterstützten Trump und Bannon in Alabama die Kandidatur des Republikaners Roy Moore als Nachfolger von Sessions zum Senat. Moore war berühmt geworden in der christlichen Rechten, da er als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs in Alabama eine Steintafel mit den Zehn Geboten im Gebäude aufstellte und sich weigerte, sie zu entfernen. Berüchtigt ist er nicht nur aufgrund rassistischer Aussagen und seiner Nähe zur extremen Rechten sowie einer Aussage von 2005, wonach Homosexualität illegal sei, sondern vor allem aufgrund zahlreicher Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe und Kontakte mit Minderjährigen, als er bereits über 30 Jahre alt war. Zwar verlor Moore als erster Republikaner seit Jahrzehnten knapp die Wahl; die menschenverachtenden politischen Kampagnen und Gesetzgebungen der christlichen Rechten in den USA werden aber immer weitergehen.