Strukturentwicklung auf dem Lande

von Lisa Krug

Magazin "der rechte rand" Ausgabe 170 - Januar 2018

Neonazis gründen in Mecklenburg-Vorpommern eine Immobilien-Genossenschaft

Nahezu unbemerkt gründeten Mitglieder der »Nationaldemokratischen Partei Deutschlands« (NPD) sowie deren Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) im Sommer 2016 die »Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG«. Mit dem Zweck der Förderung sozial- und strukturschwacher Regionen wird die extrem rechte Genossenschaft genügend Ansatzpunkte finden, um eigene private Lebensräume zu schaffen und rechte Ideologien gerade im ländlichen Raum weiter zu verbreiten.

Magazin der rechte rand Ausgabe 170

Neonazi-Treffpunkt »Thinghaus« in Grevesmühlen © Recherchegruppe AST

Mehr Graswurzelarbeit
Ein verpasster Wiedereinzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und ein gescheitertes NPD-Verbotsverfahren – die vergangenen zwei Jahre waren für die Partei im Bundesland turbulent und prägend. Gerade nach dem Verbotsverfahren im Januar 2017 hätte man ein Comeback der Partei auf den Straßen und in den Kommunalparlamenten erwartet, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Parteimitglieder scheinen sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen zu haben. Der NPD-Kreisverband Westmecklenburg ist verschwunden. Außerdem hat der NPD-Personenschützer David Böttcher seine Mandate im Kreistag Nordwestmecklenburg und in der Stadtvertretung Grevesmühlen niedergelegt. Außer den jährlichen festen Terminen zum 1. Mai und 8. Mai, bei denen die Aufmärsche auch schon mal kämpferischer waren, und dem Stralsunder NPD-Kinderfest im September, fanden nicht einmal zu den Bundestagswahlen 2017 öffentlich wahrnehmbare größere Veranstaltungen statt. Doch der Schein des Rückzugs aus der Öffentlichkeit trügt. Die Mitglieder sind nicht etwa in eine Massenlethargie verfallen, sondern haben ihre politische Arbeit neu fokussiert. Erste Anzeichen für eine Umorientierung gab es bereits kurz nach den verlorenen Landtagswahlen im September 2016. Der ehemalige Bundesvorsitzende der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN), Sebastian Richter, kündigte kurz nach dem verpassten Wiedereinzug an, die JN-Bundesführung werde der Thematik ‹Siedler auf dem Lande› und ‹Graswurzelarbeit› mehr Gewicht geben. Auf der Titelseite des JN-Blatts »Der Aktivist« posierte er vor einem Traktor und warf die Frage auf: »Treckersitz oder Parlamentssessel?« Zu diesem Zeitpunkt war bereits die »Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG« (MVSE) von Mitgliedern der NPD, JN und ehemaligen Angehörigen der 2009 verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) gegründet worden.

Vom Kader zum Genossen
Der in Jamel wohnende NPDler und Schweißfachingenieur Tino Streif lud am 15. Juli 2016 zur Gründungsversammlung der MVSE im Neonazi-Treffpunkt »Thinghaus« in Grevesmühlen ein. Zugleich übernahm Streif die Funktion als Versammlungsleiter. Das »Who’s Who« der NPD-Nachwuchskaderschmiede fand sich an diesem Tag in der Kleinstadt ein. Neben NPD-Funktionären wie David Petereit und Hannes Welchar waren auch ehemalige Kader der verbotenen HDJ, etwa Alf Börm und Ragnar Dam, oder von der »Dorfgemeinschaft Jamel«, darunter etwa Sven Krüger und Steffen Meinecke, anwesend. Insgesamt umfasst die Liste 23 Gründungsmitglieder, die alle aus Verbindungen zu einschlägig neonazistischen Strukturen bekannt sind. Gemeinsam mit Andreas Kolb (JN) erklärte der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit nach Eröffnung der Versammlung das Gründungsvorhaben der Genossenschaft mit Sitz im »Thinghaus«. In den Aufsichtsrat wurden die NPD-Funktionäre Klaus Streif, Torgai Klingebiel und David Petereit gewählt. Der ehemalige NPD-Kreistagsabgeordnete aus Lübtheen, Torgai Klingebiel, übernimmt die Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender. Als sein Stellvertreter fungiert der Maurermeister und NPD-Gemeindevertreter in Bobitz, Klaus Streif. Die Aufgabe als Schriftführer übernimmt David Petereit. Petereit, Inhaber des Neonazi-Versandes »Levensboom«, machte in jüngster Vergangenheit auf sich aufmerksam, als er mit der Terrororganisation »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) in Verbindung gebracht wurde. Das Bundeskriminalamt hatte im Mai 2012 einen 2002 erstellten Brief des NSU in seiner Wohnung gefunden. Im gleichen Zeitraum erschien im Szenemagazin »Der Weiße Wolf«, an dessen Herausgabe David Petereit beteiligt war, eine Grußbotschaft: »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter …« Zum ersten Mal wurde hier das Kürzel NSU publik gemacht.
Der Aufsichtsrat bestellte einstimmig den Vorstand der Genossenschaft. In den Vorstand wurden Tino Streif, der aus Süddeutschland stammende JN-Kader Andreas Kolb sowie der eher unauffällige Projektmanager Andreas G. gewählt.

Eigene Strukturen stärken
Die MVSE soll die Strukturen in den eigenen Reihen aufbauen und stärken: »Zweck der Genossenschaft ist die Förderung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Belange ihrer Mitglieder (…) durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb.« Weitere Aufgaben der Genossenschaft sind »die Schaffung, Verwaltung und Bewirtschaftung von Wohn- und Gewerberäumen« sowie »die Unterstützung bei Unternehmensgründungen und der Erhalt von bestehenden Unternehmen«. Hierfür kann die Genossenschaft Grundstücke und Gebäude erwerben, errichten oder bewirtschaften. »Sie kann alle im Bereich der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, des Städtebaus und der Infrastruktur anfallende Aufgaben übernehmen.« Einschränkungen auf eine bestimmte Art von Einrichtungen werden dabei nicht getroffen. Finanziert wird das Vorhaben mit den Geschäftsanteilen der Mitglieder. Jedes Mitglied muss sich mit einem Anteil von mindestens 500 Euro einbringen; dieser kann bei Bedarf auf bis zu 50.000 Euro erhöht werden. Auch das Einbringen von Sachmitteln wird nicht ausgeschlossen. Des Weiteren müssen die Mitglieder ein Eintrittsgeld zahlen, wobei die Höhe »vom Vorstand und Aufsichtsrat nach gemeinsamer Beratung beschlossen« wird. Finanziell ist die MVSE damit stabil aufgestellt. Gut ein Jahr nach dem offiziellen Eintrag ins Handelsregister ist die Genossenschaft öffentlich noch nicht in Erscheinung getreten. Auch der Webauftritt gibt nicht viel Aufschluss über ihren Zweck. Neben dem Slogan »Alle für eine Idee!« und dem Kreuzknoten als deren Logo erhält man lediglich Informationen zum Vorstand, dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Sitz im »Thinghaus«. Außerdem ist ein Online-Formular für MitgliedschaftsinteressentInnen zum Download bereit gestellt.

Erste Ansatzpunkte
Die MVSE soll bereits erste Ansatzpunkte zum Erfüllen der auferlegten Aufgaben gefunden haben. Unter den Mitgliedern befinden sich etliche Unternehmer und Selbstständige, die die in der Satzung formulierte Unterstützung für ihre Unternehmen nutzen können. Dies erscheint notwendiger denn je: Nachdem Gelder durch das Ausscheiden der NPD aus dem Landtag weggefallen sind, sehen sich einige NPDlerInnen wieder gezwungen, ihren eigentlichen Berufen nachzugehen. Eines der Gründungsmitglieder ist der NPDler Steffen Meinecke. Der Jameler ist Inhaber des Unternehmens »Ostsee Hüpfburgen« und hat mittlerweile Referenzen vorzuweisen, die von den völkisch-nationalen Brauchtumsfeiern in Jamel bis hin zum Osterfeuer der Freiwilligen Feuerwehr Wismar-Altstadt reichen. Auch der einschlägig bekannte Neonazi Sven Krüger ist Unternehmer. Seine Firma »Abriss Krüger – die Jungs fürs Grobe« wurde aufgrund eines zerschlagenen Davidsterns in ihrem Logo bekannt. Der Aufsichtsratsvorsitzende und ehemaliges NPD-Kreistagsmitglied Torgai Klingebiel besitzt in Lübtheen einen Malerbetrieb. Auch der Vorstandsvorsitzende Tino Streif ist erst seit kurzem als freiberuflicher Schweißfachingenieur tätig. Die Genossenschaft kann für sie und auch für andere InhaberInnen von Unternehmen den Kauf von Immobilien oder anderweitige Förderungen übernehmen.
Welche Bedeutung solchen Vorhaben zukommt, zeigt auch die Existenz von Immobilien, die seit Jahren in Besitz extrem rechter Strukturen sind – fernab des bundesweit bekannten »Thinghauses« in Grevesmühlen. Der ehemalige Dorfkonsum in Klein-Belitz wurde wiederholt im Verfassungsschutzbericht für 2016 erwähnt. Die Immobilie dient laut Verfassungsschutz dem NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte als Treffpunkt, bei dem der MVSE-Schriftführer David Petereit der Vorsitzende ist. 2016 veranstaltete die NPD-Jugendorganisation dort ihr Wahlkampflager. Bereits ein Jahr zuvor kam das Objekt aufgrund eines verbotenen RechtsRockkonzertes in die Lokalpresse. Auch in Jamel, das seit Jahrzehnten von Neonazi-BewohnerInnen dominiert wird, ist noch nicht alles ausgebaut. Es gibt Bauplanungen für die Sanierung und den Ausbau eines baufälligen Gebäudes auf dem Privatgrundstück von Sven Krüger.
Gerade in den strukturschwachen Regionen und den vergessenen Orten, von denen es im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern etliche gibt, werden InvestorInnen, die Höfe und Immobilien erwerben, mit offenen Armen empfangen. Es sollte der MVSE also nicht schwer fallen, geeignete Gebäude und Höfe für ihre Vorhaben zu finden. Vor allem auch baufällige Objekte, die in den Speckgürteln größerer Städte liegen, könnten zukünftig in das Blickfeld der rechten Genossenschaft geraten.

Landflucht-Revival
Die Idee, eine eigene Gesellschaft auf dem Lande aufzubauen, um sich dort ideologisch zu verankern, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten versuchen völkisch-nationale Siedlerbewegungen mit ihrer eigenen Gegenkultur und Volksgemeinschaft im ländlichen Raum Fuß zu fassen. Vor allem in der Region Mecklenburgische Schweiz ist ihnen dies zum Teil auch gelungen. Nicht nur, dass die Wohndichte an Siedlerfamilien, die zum Beispiel dem »Sturmvogel – Deutscher Jugendbund« oder den »Ludendorffern« angehören, relativ hoch ist, es existiert auch ein Siedlungsprojekt in Koppelow. In den 1930er Jahren kauften Anhänger des »Bund Artam e. V.« das bankrottgegangene Gut in Koppelow. Noch heute wird der Hof von Neo-Artamanen bewohnt und bewirtschaftet, die dort nahezu ungestört ihre völkisch-nationalen Brauchtumsfeiern abhalten und ihre Gesinnung pflegen können. In anderen extrem rechten Strukturen zeichnet sich ebenfalls der Trend ab, das Vorantreiben ländlicher Strukturentwicklung in den Fokus ihrer politischen Arbeit zu rücken. Das identitäre Projekt »Ein Prozent« stellte Ende November 2017 ihre AG »Netzwerk Landraum« vor. Ziel der AG ist »die Stärkung des ländlichen Raumes«, der »maßgeblich für den Identitätsgehalt des Ganzen« sei. Ausgewählt wurden fünf Modellregionen, in denen die sogenannten »Pioniere« Strukturen aufbauen, nachhaltig festigen und sich mit den LandbewohnerInnen vernetzen sollen. Diese Idee weist starke Parallelen zu den Intentionen der MVSE auf. Die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft ermöglicht den Neonazis eine systematische und langfristige Besiedelung sowie Prägung des ländlichen Raumes. Jamel, wo einige der Gründungsmitglieder wohnen, ist ein erstes Beispiel für eine derartige Modellregion. Seit Jahren prägt die rechten Einstellung der BewohnerInnen das Dorf. Die Neonazis haben sich dort ihren privaten Lebensraum, Arbeitsplätze für die eigenen KameradInnen und eine Erlebniswelt geschaffen – fernab von Öffentlichkeit und demokratischem Engagement. Bereits jetzt schon sind Bestrebungen sichtbar, dieses Konzept auch auf außerhalb von Jamel zu erweitern. Schon längst ist das Dorf kein Einzelfall mehr. Die Gründung der »Mecklenburg-Vorpommerschen Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG« ist der erste Schritt, derartige Enklaven überall in Mecklenburg-Vorpommern entstehen zu lassen, in denen extrem rechtes Gedankengut dominiert.