Rezensionen Ausgabe 163

von Sascha Schmidt, Paul Wellsow, Axel Hoffmann

Magazin "der rechte rand" - Ausgabe 163 - November 2016

»Handbuch Rechtsextremismus«

von Sascha Schmidt

Fast 15 Jahre nach Erscheinen des letzten umfangreichen Handbuchs zum Thema »Extreme Rechte« liegt nun ein neues Handbuch vor. Im Gegensatz zu früheren Handbüchern liegt der Schwerpunkt dieses Bandes jedoch auf einer »systematischen und breit angelegten Darstellung des Forschungsstandes« und nicht auf einer Darstellung zentraler Personen und Organisationen. In 17 Kapiteln werden »wesentliche Aspekte des Rechtsextremismus«, des wissenschaftlichen Forschungsstandes und damit verbundene Debatten dargestellt.
An einen einleitenden Überblick über Begriffe, Forschungsfelder und Kontroversen (F. Virchow) schließen sich Darstellungen an zur Geschichte der extremen Rechten (G. Botsch) und »rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen« (A. Zick, B. Küpper). Es folgen Auseinandersetzungen mit Strategien (H.G. Jaschke), Themen (A. Häusler), Aktions- und Handlungsformen (H. Klare, M. Sturm), Organisationsformen (B. Klose, S. Reichwein) sowie mit der extremen Rechten als »Wahlkampfakteur« (Chr. Kopke) und (Miss-)Erfolgen von »Rechtsaußenparteien in Deutschland« (T. Spier). Zudem beinhaltet das Handbuch Beiträge zur »extremen Rechten als soziale Bewegung« (J. Schedler), zu »Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnissen« (R. Bitzan), »Bedeutung und Wandel von Kultur« (V. Weiß) sowie zum Verhältnis der extremen Rechten zu Religion (F. Wiedmann). Kritisch reflektiert werden die Darstellung des »Rechtsextremismus« als vermeintliches Jugendphänomen (M. Langebach) sowie »Befunde und Kontroversen im Problembereich der Kriminalität und Gewalt von rechts«. Die Kapitel zu Rechtspopulismus (K. Priester) und zur »Neuen Rechten« (M. Langebach, J. Raabe), in denen unter anderem die häufig fragwürdige Verwendung der Begriffe analysiert wird, dürften Potential für hoffentlich anregende Debatten bieten.
Die AutorInnen, viele langjährig als KennerInnen der Materie in Erscheinung getreten, vermitteln durchweg eine gute bis sehr gute Übersicht über die genannten Themengebiete. Ergänzt werden die Kapitel durch umfangreiche Literaturangaben. Erstaunlicherweise fehlt allerdings eine Auseinandersetzung mit Rechtsterrorismus. Zudem wurde auf ein Namens- und Organisationsregister »aufgrund der raschen Veränderungen« innerhalb der extremen Rechten verzichtet, was freilich hilfreich gewesen wäre.

Fabian Virchow, Martin Langebach, Alexander Häusler (Hrsg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden 2016, Springer VS, 597 Seiten, 79,99 Euro, eBook 62,99 Euro.

»Neue soziale Bewegung von rechts?«

von Paul Wellsow

Angesichts des rasanten Aufstiegs der »Alternative für Deutschland« (AfD), rechter Mobilisierungen wie »PEGIDA« in Dresden, rassistischer Proteste und zunehmender Gewalt gegen Geflüchtete, gibt es ein Bedürfnis nach Analyse und Diskussion über die Ursachen der jüngsten Erfolge am rechten Rand. Mit dem schmalen Sammelband »Neue soziale Bewegung von rechts? Zukunftsängste – Abstieg der Mitte – Ressentiments« haben Alexander Häusler und Fabian Virchow, beide vom ­»Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus / Neonazismus« an der Fachhochschule Düsseldorf, einen lesenswerten Einstieg vorgelegt.
Den Herausgebern gelang es, 13 Beiträge von kompetenten AutorInnen aus der kritischen Wissenschaft, Publizistik sowie antifaschistischer Projekte zu den aktuellen Entwicklungen der extremen Rechten zusammenzustellen. Das selbstgesteckte Ziel, einen »Anstoß zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Phänomen eines neuen Rechtsrucks in Deutschland« zu geben, erfüllt der Band.
Die Herausgeber beschreiben die Brisanz der Entwicklung: Hier »wachsen Milieus und Organisationen aktionsorientiert zusammen, die vormals abgeschottet voneinander agiert hatten«. Es werde zu einem »rechten Kulturkampf« geblasen, »dessen Ziel ein reaktionär-autoritärer Umbau der Gesellschaft« sei. Gegen einen solidarischen Block in der Gesellschaft, der beispielsweise Geflüchtete unterstütze, aber bisher »nicht als politischer Faktor in Erscheinung getreten« sei, »treten die RassistInnen auf breiter Front an – im parlamentarischen wie im außerparlamentarischen Raum, in der gesellschaftlichen Debatte, auf der Straße und mit den Mitteln der Gewalt«.
Die Themen der Beiträge im Band: Protest und soziale Bewegungen von rechts, Rechtspopulismus in der ‹Berliner Republik›, die internationalen rechten ‹Counter-Jihad›-Netzwerke, die AfD als rechtspopulistische Bewegungspartei, die PEGIDA-Bewegung, rechte Instrumentalisierungen der Silvesterereignisse in Köln, die neu-rechte Initiative »Ein Prozent für unser Land«, Bürgerwehren, Medien der Rechten, die Parteien des Neonazi-Spektrums sowie rechte und rassistische Gewalt im Alltag. Wer einen aktuellen, kompakten und kompetenten Überblick über den heutigen Zustand der extremen Rechten in der Bundesrepublik und Ansätze zur Erklärung ihrer Erfolge sucht, wird in diesem Sammelband fündig.

Alexander Häusler, Fabian Virchow (Hrsg.): Neue soziale Bewegung von rechts? Zukunftsängste, ­Abstieg der Mitte, Ressentiments. Hamburg 2016, VSA Verlag, ­ 132 Seiten, 11 Euro.


Spieglein, Spieglein

von Axel Hoffmann

Der vorliegende wissenschaftliche Sammelband zu PEGIDA, in dem sich aus soziologischer Sicht mit der Bewegung und deren Verarbeitung in Medien, Politik und Zivilgesellschaft befasst wird, bereichert die Diskussion über die sächsischen »Patrioten«. Erstmals erfolgt eine umfassende Auseinandersetzung mit den Reaktionen und Wechselwirkungen, die in Politik, Medien und Sozialwissenschaften durch das Phänomen PEGIDA ausgelöst wurden. Die Untersuchungen bleiben nicht auf Dresden und Sachsen beschränkt, allerdings erfahren die Besonderheiten der »sächsischen Demokratie« eine besonders eingehende Analyse.
Besonders erfreulich ist hierbei, dass in verschie­denen Beiträgen die Thesen des ‹PEGIDA-Verstehers› Werner Patzelt, selbst Soziologe, klar widerlegt und als politisch motivierte Verharmlosung entlarvt werden.
Gravierende gesellschaftliche Veränderungen und weitreichende Entscheidungen einer neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden über Jahre als ‹alternativlose› Notstandsmaßnahmen gerechtfertigt. Statt die Ursachen sozialer Problemlagen in den Dynamiken der globalen Wirtschaft und der nationalen und europäischen Politik zu suchen, zogen sich VertreterInnen aller Parteien und Regierungskoalitionen oft auf einen Diskurs zurück, der die vermeintliche Bedrohung des nationalen Leistungs- und Wohlstandskollektivs durch ‹Andere› in den Mittelpunkt stellte. ‹Sozialschmarotzer›, Geflüchtete, von der globalen Krise besonders betroffene Länder Südeuropas, Kriminelle und Minderheiten wurden dabei zu Feindbildern und »Sündenböcken« für soziale Verwerfungen. Insofern formuliert der Herausgeber Dr. Tino Heim: »Pegida hält der Gesellschaft den Spiegel vor.« Ähnlich problematische Wechselwirkungen finden die AutorInnen auch in vielen Reaktionen aus Medien, Politik und Wissenschaft: Entweder gilt PEGIDA als Bewegung der ‹normalen Mitte›, deren ‹Sorgen› und ‹Ängste› ernstgenommen werden müssten; rassistische und islamfeindliche Positionen werden dabei bagatellisiert, legitimiert und damit verdoppelt. Oder die Politik grenzt sich vom ‹rassistischen› und ‹extremistischen› ‹Pack› ab, auch um von problematischen Implikationen der eigenen Realpolitik abzulenken.

Tino Heim (Hg.): Pegida als Spiegel und Projektionsfläche. Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Pegida, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2016, SpringerVS, 450 Seiten, 44,99 Euro, eBook 34,99 Euro.