Ungarn: Schützenhilfe für deutsche Rechtskonservative

von Lucius Teidelbaum
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 204 September | Oktober 2023

#Kaderschmieden

Mit dem »Mathias Corvinus Collegium« und dem zugehörigen »Deutsch-Ungarischen Institut« verfolgt die ungarische Regierung auch außenpolitische Ziele, welche die politische Rechte in Europa adressieren.

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Der Traum von Großungarn auf einem Auto als Aufkleber. © Lucius Teidelbaum

Ungarn mutiert immer mehr zum autoritären Ein-Parteien-Staat. Wahlen finden noch statt, aber viel ändern sollen sie möglichst nicht. Eine Mehrheit der Bevölkerung wählt weiter Viktor Orbán, obwohl dieser Opposition und kritische Medien einschränkt. Deswegen sprach das Europäische Parlament im September 2022 Ungarn den Status einer Demokratie ab. Das Land sei »zu einem hybriden System einer Wahlautokratie geworden«, heißt es in einer Erklärung des Europaparlaments. Der ungarische Staat gilt trotzdem unter vielen konservativen, christlichen und extremen Rechten als Vorbild.

Netzwerke stricken
Der ungarische Staatschef Orbán hat sich mit dem »Mathias Corvinus Collegium« (MCC) eine Kaderschmiede geschaffen, die seine Regierung ideologisch stützen und eine rechte Eliten-Bildung gewährleisten soll. Nach Eigenangabe hatte das MCC Ende 2022 »fast 6.000 Studenten an 24 Ausbildungsstandorten im ganzen Karpatenbecken«. Neben Standorten in Ungarn und in den Nachbarländern bei den ungarischsprachigen Minderheiten verfügt die Denkfabrik auch über ein Zentrum in Brüssel. Träger des MCC ist eine »Tihany-Stiftung«, die im April 2020 zwei ehemals staatliche Immobilien, 14 Hektar am Balaton-See sowie zehn Prozent vom staatlichen Aktienpaket des größten Mineralölkonzerns Ungarns und des führenden ungarischen Pharmaunternehmens Gedeon Richter erhielt. Insgesamt soll die Träger-Stiftung das MCC im Jahr 2020 mit umgerechnet 1,5 Milliarden Euro ausgestattet haben. Damit ist einiges möglich: Zum Beispiel die internationale »National Conservatism Conference« mitzu­finanzieren oder im MCC-Hausverlag »MCC Press« ungarische Übersetzungen von Büchern rechter und erzkonservativer Autor*innen aus dem Ausland zu veröffentlichen. So erschienen in dem Verlag die Übersetzung eines Buchs des neu-rechten Althistorikers David Engels, aber auch die ungarische Ausgabe von »Finis Germania«, geschrieben von Rolf Peter Sieferle, das im Original posthum 2017 beim neu-rechten »Verlag Antaios« erschienen ist. Von dem renommierten Journalisten Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, erschien die Übersetzung eines Buchs über Olaf Scholz. Inhaltlich ist an dem Buch sicherlich nichts zu beanstanden, aber die Funktion der ungarischen Ausgabe dürfte auch sein, die Erzählung von korrupten linken Politiker*innen zu untermauern. Die Übersetzung des Buchs »Neue Zeit. Neue Verantwortung« des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, die ebenfalls bei »MCC Press« erschien, wirkt zwar eher harmlos, passt aber dennoch ins Konzept.


Das MCC kooperiert in Form von Übersetzungen, einzelnen Veranstaltungen oder sogenannten Fellowships mit konservativen Rechten in Deutschland. Man ist flexibel, was die Partnerwahl angeht. Zum Umfeld des MCC gehört auch das englischsprachige Magazin »The European Conservative« mit Sitz in Budapest. Es versucht in die Reihen der konservativen und extremen Rechten in Europa hinein zu wirken. Verbunden war es ursprünglich mit dem rechtskonservativen »Center for European Renewal« (CER), aber seit 2019 ist es unabhängig. Ebenfalls zu den Partnern gehört das »Nazione Futura« in Rom und die »Bibliothek des Konservatismus« in Berlin, ein neurechter Thinktank.

 

Deutschnational meets ungarischnational
Ziel im Hinblick auf eine deutsch-ungarische Partnerschaft ist es offenbar, Personen vom rechten Rand der CDU und aus dem Raum zwischen Union und AfD zu unterstützen. Dafür existiert seit Dezember 2020 mit dem »Deutsch-Ungarischen Institut für Europäische Zusammenarbeit« (DUI) ein eigenes Institut. Kooperationspartner ist anlassbezogen die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). In der Selbstbeschreibung auf der Homepage heißt es: »Es soll ein Forum für den akademischen, wissenschaftlichen und politischen Dialog zwischen Deutschland und Ungarn bieten und Entscheidungsträger wie auch interessiertes Fachpublikum beider Länder mit Themen, Debatten, Prozessen, Denkmustern und Ideen des jeweils anderen Landes bekanntmachen.« Direktor ist Bence Bauer, der ehemalige Projektkoordinator und Stellvertreter des Leiters des Auslandsbüros der KAS in Ungarn. Als Leiter der »European Democrat Students« war er sogar Mitglied des erweiterten Vorstands der »Europäischen Volkspartei« (EVP).


Bauer wurde 2021 mit dem ungarischen Verdienstkreuz in Gold ausgezeichnet, vermutlich nicht für eine kritische Haltung zur ungarischen Regierung. Als Berater des DUI ist auf der Homepage Frank Spengler angegeben, der frühere Leiter des Auslandsbüros der KAS in Ungarn.
Das DUI scheint gezielt rechte Stimmen in Diskurs und Wissenschaft zu fördern. Unterstützt werden als Fellows oder Referent*innen konservative Rechte wie Klaus-Rüdiger Mai und Alexander Grau oder Birgit Kelle (CDU). Vor allem aber sind es einschlägig bekannte Professor*innen, die vom DUI gefördert werden, wie Peter Hoeres (Universität Würzburg) oder Frank-Lothar Kroll (Universität Chemnitz), die Kontakte zur Neuen Rechten aufweisen, sowie Werner J. Patzelt und Andreas Rödder (Universität Mainz), die dem rechten Lager der CDU zuzuordnen sind. Der aus Dresden stammende Patzelt beispielsweise war von 2021 bis Februar 2022 Gastdozent am MCC in Budapest und ist derzeit Forschungsdirektor am MCC-Ableger in Brüssel. In diesem Jahr erschien sein Buch »Ungarn verstehen: Geschichte – Staat – Politik«, was den Eindruck einer Apologie der Orbán-Regierung erweckt. Sein Sohn Willi Patzelt wurde zeitweise als Mitarbeiter des DUI angegeben. Die meisten »Fellows« scheinen eine Mitgliedschaft im »Netzwerk Wissenschaftsfreiheit« gemeinsam zu haben, das sich vor allem gegen die vermeintliche Bedrohung einer linken »Cancel Culture« wendet. Auch Sandra Kostner, Gründerin des »Netzwerks Wissenschaftsfreiheit«, war mit dabei. Es mutet wie eine Realsatire an, sich für »Wissenschaftsfreiheit« auszusprechen und gleichzeitig in Ungarn bei der Kaderschmiede einer Regierung aufzutreten, die ganze Studienfächer wie Gender-Studies aus ideologischen Motiven abschafft.


Sogar der wegen seiner jugendlichen neu-rechten Phase und Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung geschasste ehemalige evangelische sächsische Landesbischof Dr. Carsten Rentzing taucht hier wieder auf. Inzwischen ist er »Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) zur Stärkung der Kontakte zu den lutherischen Kirchen in Mittel- und Osteuropa«, wie es auf der DUI-Website heißt. Auftritte beim MCC beziehungsweise DUI hatten aus dem publizistischen Bereich unter anderem Ralf Schuler, damals noch Leiter der Parlamentsredaktion von BILD, Roland Tichy, Herausgeber von »Tichys Einblick«, Roger Köppel, Chefredakteur der »Weltwoche«, aber auch Hermann Binkert, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Meinungsforschungsinstituts INSA sowie AfD-Spender.

AfD-nah und doch fern
Das DUI unterstützt nicht nur Personen, sondern auch Veranstaltungen in der Bundesrepublik. So fand laut Ankündigung am 30. Mai 2023 die Veranstaltung »Wie wichtig ist den Europäern die Familie« in der Gemeinde Sankt Josef in Düsseldorf statt. Zu Gast waren Tobias Teuscher, Fraktionssprecher von »Identität und Demokratie«, und Zsofia Nagy-Vargha, Staatssekretärin für Jugend im Ministerium für Kultur und Innovation von Ungarn. Veranstalter*innen waren die »Stiftung für Familienwerte« der Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten Sylvia Pantel und das »Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit«. Einen öffentlichen Aufschrei gab es dazu nicht.

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Auch dass mit Birgit Kelle – eine deutsche Antifeministin mit CDU-Parteibuch – durch eine Übersetzung von »Gendergaga: wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will« bei »MCC Press« die Regierungsideologie des ungarischen Autokraten unterstützt wird, ist bisher kaum bekannt. Überhaupt erfährt besonders der deutsche Institutsableger des MCC wenig kritische Aufmerksamkeit. Dabei ist es durchaus möglich, dass bei der Finanzierung auch EU-Gelder an Ungarn Verwendung gefunden haben. Bei all diesen Fakten und Aufzählungen ist auffällig, dass die Deutschen in diesem Pro-Orbán-Netzwerk der AfD vielleicht inhaltlich nahe, aber organisatorisch zumeist fern stehen. Offenbar erfahren Personen Unterstützung, die eher mit den Positionen der »WerteUnion« sympathisieren. Gleichzeitig sind aber auch genau sie die Antreiber*innen eines rechten Kulturkampfs, der voraussichtlich vor allem der AfD helfen wird.

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