Machtverlust für die etablierte Rechte

von Jos Stübner
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 204 September | Oktober 2023

#Polen

Nach acht Jahren Alleinregierung wird die nationalistisch-autoritäre Partei »Prawo i Sprawiedliwosc« (»Recht und Gerechtigkeit«, PiS) bei den polnischen Parlamentswahlen im Oktober 2023 aller Wahrscheinlichkeit nach ihre absolute Mehrheit verlieren. In Umfragen liegt das konservativ-liberale Oppositionsbündnis »Koalicja Obywatelska« (»Bürgerkoalition«, KO) mit knapp 30 Prozent etwas hinter der Regierungspartei mit 33 bis 34 Prozent. Ob allerdings eine Koalition aus Konservativ-Liberalen und Linken ausreichend Stimmen für eine eigene Regierungsmehrheit erhält, ist fraglich. Rechnerisch bessere Aussichten hat eine Koalition der PiS mit dem extrem rechten Parteienbündnis »Konfederacja«. Dabei ist die Bildung einer derartigen Rechtsregierung keineswegs selbstverständlich. Die Differenzen sind erheblich.

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Kundgebung von Anhänger*innen der »Konfederacja« gegen die EU-Politik am 1. Mai 2023 © Tomasz Molina / Wikipedia CC-BY-SA-4.0

Bewährte Parolen
»Sicheres Polen« lautet eine zentrale Losung der PiS vor den Wahlen 2023. In der simplen Formulierung verbirgt sich eine rhetorische Akzentverschiebung. Lange Zeit propagierte die Partei von Jaroslaw Kaczynski pathetisch den Kampf für ein neues, wiedererstarktes Polen und die Souveränität der Nation. Gemäß der rechten Erzählung galt es, in einem quasi-revolutionären Akt das unterdrückte Volk von äußeren Einflussnahmen insbesondere durch die Europäische Union und der damit verbundenen deutschen Dominanz sowie im Innern von einer liberalen Elite zu befreien. Unter diesem Vorzeichen übernahm die PiS die Kontrolle über die staatlichen Medien und das Verfassungsgericht. Zur Beschneidung der Macht einer vermeintlich volksfeindlichen Richter*innenkaste erfolgten weitreichende Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz.

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Nach acht Jahren an der Macht geht es nun aber auch darum, den erreichten Rollback zu bewahren und gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen. Das ist beispielsweise – anknüpfend an den weltweiten kulturkämpferischen Diskurs von rechts – die vermeintliche Zwangsernährung. Eine EU-Vorschrift zu Vorgaben für Insekten, die für den menschlichen Verzehr geeignet sind, wird zum Angriff auf die polnische Lebensweise und Esskultur stilisiert. Das gilt aber auch für die klassische Rolle der PiS als Hüterin des katholischen Polens. Die im Frühjahr 2023 gegen den »polnischen Papst« Johannes Paul II. erhobenen Vorwürfe der Vertuschung von innerkirchlichen Missbrauchsfällen wurden vom PiS-Premierminister Mateusz Morawiecki als »Angriff auf das Fundament unserer Zivilisation« bezeichnet.
Besonders dominierend ist in diesem Jahr allerdings, wie bereits 2015, das Thema Migration. Seit Monaten wird an der polnisch-belarussischen EU-Außengrenze – durchaus im Einklang mit der generellen EU-Grenzpolitik – eine brutale und tödliche Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge aus nicht-europäischen Ländern praktiziert. Im Wahlkampfjahr häufen sich nun die Fototermine von Regierungsmitgliedern vor dem 2022 fertiggestellten Grenzzaun. Bilder von Ministern in Funktionskleidung suggerieren tatkräftiges Handeln gegen die angebliche Bedrohung an der Ostgrenze. Zugleich befeuern die von PiS kontrollierten staatlichen Medien das rassistische Bild eines von Migration zerrütteten Westeuropas – ein Schreckensszenario, vor dem die Partei Polen bewahrt habe und bewahren werde. Gegen den jüngsten EU-Beschluss zur Verteilung von Geflüchteten auf die Mitgliedsländer kündigte Kaczynski ein Referendum an, zeitgleich zum Wahltermin im Oktober.

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Gegenseitige Abhängigkeit
Sichern und Bewahren heißt es aber auch auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Ein wichtiger Aspekt der Regierungszeit unter der PiS ist der offensive Bruch mit dem neoliberalen Paradigma der postsozialistischen Transformationszeit und die Einführung von spürbaren staatlichen Leistungen. Ohne PiS, so die alarmierende Rhetorik, drohe deren Abbau und etwa eine Rückkehr zum Renteneintritt mit 67 Jahren. Schutz und Fürsorge ergänzen sich zum Gesamtbild der Partei als Kümmerin der Nation. Der liberale Oppositionsführer Donald Tusk, persönlicher Erzfeind und langjähriger Gegenspieler von Kaczynski, versucht die aktuellen Vorstöße von PiS durch Überbietung zu kontern. Das betrifft die sozialpolitischen Maßnahmen, aber auch die rassistische Migrationspolitik. So lastet Tusk der PiS-Regierung etwa die verstärkte Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern nach Polen in den letzten Jahren an. »Tusk ist die größte Gefahr für die Sicherheit Polens«, kontert die PiS in einem Wahlspot. Über die Feindfigur Tusk wird nicht zuletzt auch das antideutsche Ressentiment bedient. Im Staatsfernsehen erscheint er in Dauerschleife als Agent für deutsche Interessen in Polen. Ein weiteres Referendum soll den Verkauf polnischer Staatsunternehmen an deutsche Interessenten verhindern, wie es laut PiS von Donald Tusk geplant ist.

Konkurrenz von rechts
Der andere politische Gegner der PiS kommt von rechts. Die »Konfederacja« sieht sich seit Monaten mit knapp zweistelligen Umfrageergebnissen auf einem Höhenflug und zelebriert die Rolle als aggressive Newcomerin und Antisystemkraft, ohne die keine Mehrheiten möglich sind.
Als Sammelbündnis verschiedener Strömungen der außerparlamentarischen extremen Rechten war die Ende 2018 gegründete Formation angetreten, um eine wahre rechte Alternative zu der vermeintlich gemäßigten, systemkonformen PiS-Regierung zu schaffen (Ausgabe: derrechterand Nr. 182). »Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibungen, Steuern und keine Europäische Union.« Der berüchtigte Ausspruch des heutigen Ko-Vorsitzenden der »Konfederacja«, Slawomir Mentzen, von 2019 gibt nach wie vor den ideologischen Kern des Bündnisses wieder.


Gleichzeitig durchlief die Partei in den vergangenen Jahren aber auch einen Wandel in ihrer äußeren Erscheinung, verbunden mit einer programmatischen Schwerpunktverschiebung. Besonders skandalträchtige und unberechenbare Protagonisten wie der rechtslibertäre Monarchist Janusz Korwin-Mikke oder der offen antisemitische Verschwörungsideologe Grzegorz Braun sind deutlich weniger präsent. Das neue Gesicht ist der 36-jährige Slawomir Mentzen. Mentzen gilt als Shootingstar der polnischen politischen Szene, der sein junges, überwiegend männliches Zielpublikum vor allem über TikTok und seine gutbesuchten Abendshows unter dem Titel »Ein Bier mit Mentzen« erreicht.
Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Craft-Beer-Brauer Mentzen – in seinem Sortiment findet sich eine Spezialität namens »White IPA Matters« – verkörpert zugleich auch die inzwischen dominierende rechtslibertäre Ausrichtung der »Konfederacja«. Dabei wirkte nicht zuletzt die Corona-Pandemie wie ein Katalysator. Während dieser gerierten sich die Rechtsradikalen als einzige politische Kraft im Widerstand gegen die staatlichen Maßnahmen. Neben der Verbreitung von Verschwörungserzählungen über eine angeblich inszenierte »Pandemie« gab man sich als Vorkämpfer für individuelle und unternehmerische Freiheit gegen Einschränkungen des Wirtschaftslebens, Maskenpflicht und Impfstoffe. Generell will die »Konfederacja« Steuern und Sozialleistungen, letztlich alle staatlichen Interventionen, weitgehend liquidieren und präsentiert sich als letzte wirklich ernstzunehmende wirtschaftsliberale Partei in Polen.

https://www.der-rechte-rand.de/archive/4192/das-ist-unser-marsch/

Kein Generationenvertrag
Für eine realistische Regierungsoption stellt sich in erster Linie die Frage nach dem Verhältnis von PiS und »Konfederacja«. Während die Angriffe auf PiS für letztere ständige Übung ist, versuchte die Regierungspartei den rechten Konkurrenten lange Zeit zu ignorieren. In den staatlichen Medien fand die »Konfederacja« bis vor kurzem schlichtweg nicht statt. Angesichts der stabilen Umfrageerfolge der Rechtsradikalen ist PiS mittlerweile jedoch zur Attacke übergegangen. Dabei wird die rechte Konkurrenz vor allem als weitere Bedrohung für die soziale Sicherheit gebrandmarkt, mit Blick auf das jeweilige Stammklientel eine durchaus sinnvolle Strategie. Sowohl PiS als auch »Konfederacja« sind Produkte des postsozialistischen Kapitalismus. Während die Regierungspartei jedoch die ältere Generation, darunter viele ökonomische Verlierer*innen der neoliberalen Transformationszeit, anspricht, findet die »Konfederacja« laut Umfragen ihre Anhänger*innen bei jungen Menschen. Zum Großteil sind es Männer, die seit ihrer Kindheit von der wirtschaftsliberalen Erzählung geprägt sind, sich in einer vielversprechenden Karrieresituation befinden oder zumindest der Ansicht sind, durch eigene Leistung im kapitalistischen Wettbewerb Erfolg haben zu können.

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Ein weiterer Konfliktpunkt ist die Haltung zum Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Die »Konfederacja« ist die einzige Partei, die sich dem ansonsten auf parlamentarischer Ebene lagerübergreifenden ukrainesolidarischen und russlandfeindlichen Konsens entzieht, gegen ukrainische Flüchtlinge in Polen Stimmung macht und vor einer Ukrainisierung Polens warnt.
»Wir kommen, um ihnen den Tisch umzuschmeißen!« Mit dieser rebellischen Wahlkampfparole unterstreichen die Rechtsradikalen ihre Ablehnung des bestehenden Parteiensystems. Ob sie am Ende doch am Koalitionstisch Platz nehmen oder etwa eine PiS-Minderheitsregierung tolerieren werden, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist die Zukunft des nationalistisch-autoritären Projektes der PiS ungewiss. Bereits ihre erste Regierung zerbrach 2007 an den inneren Zerwürfnissen einer breiten Rechtsaußen-Koalition.

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