Dorfchef, Kümmerer, Netzwerker

von Lisa Krug
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 203 Juli | August 203

#NationaleZone

Sven Krüger aus Jamel ist ein Neonazi, der verstanden hat, wie Graswurzelarbeit betrieben wird. Obwohl die rechte Szene in Mecklenburg-Vorpommern im Umbruch ist, bleibt sein Projekt »Dorfgemeinschaft Jamel« stabil.

Antifa Magazin der rechte rand
Krüger (re.) bei der NPD Sommerfeier 2019 © Ronny Wolff

»Neonazis in der DDR? Ist das nicht so ’ne Westerfindung?« In Teilen der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns hält sich dieses Gerücht noch immer. Doch wenn man alteingesessene Einwohner*innen der Gegend rund um Grevesmühlen nach der Familie Krüger fragt, hört man nicht selten Sprüche wie: »Ach die Krügers, da war der Vadder von dem doch schon immer rechts – und das noch zu Honeckers Zeiten.« Die Familie Krüger wohnt »schon immer« in Jamel und hat das kleine Dorf bereits seit Anfang der 1990er Jahre geprägt. In dieser Zeit begann die systematische Vertreibung einiger Anwohner*innen und der damit vermehrte Zuzug von Neonazi-Familien. Anlässlich des Hitler-Geburtstags 1992 veranstaltete Familie Krüger eine große Party im Dorf. Im Rausch der Nacht drohten die Neonazis unliebsamen Nachbar*innen, man werde ihr Haus ausräuchern, spießten deren Hühner am Gartenzaun auf und griffen das Haus an. Mit einer Schrotflinte und zwei weiteren Personen beschützte der damalige Bürgermeister das Haus der Betroffenen – nur so konnte Schlimmeres verhindert werden. Vier Jahre später brannte das erste Haus im Dorf, ein weiteres sieben Jahre später. Viele verließen das Dorf wieder. Diejenigen, die blieben, arrangierten sich mit den Neonazis. Nach dem Ableben seines Vaters übernahm der 1974 geborene Sven Krüger den Hof und baute seine eigene Familie im »Nazidorf« auf.

Eine Front
Seine Zeit in den 1990er bis Anfang der 2000er Jahren verbrachte Krüger immer wieder mit Haftstrafen im Gefängnis, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, schwerer Körperverletzung, gewerbsmäßiger Hehlerei, räuberischer Erpressung und vielem mehr. Die etlichen Gefängnisaufenthalte haben ihm nie geschadet. Ganz im Gegenteil. Es schien so, dass er danach gestärkt mit neuen Bekanntschaften und neuen Netzwerken agierte. Krügers letzter längerer Gefängnisaufenthalt folgte, nachdem im Zuge eines SEK-Einsatzes 2011 in den Wohn- und Geschäftsräumen unter anderem eine funktionsfähige Maschinenpistole und 200 Schuss Munition gefunden wurden. Wegen gewerbsmäßiger Hehlerei und des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde er vor Gericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Auch wenn die Straftaten weniger politisch motiviert waren und vielmehr der persönlichen Bereicherung dienten, produzierten seine Kameraden für das RAC-Label »Gjallarhorn Klangschmiede« den Solidaritäts-Sampler »Jamel scheißt auf den Förster«, eine Anspielung auf das links politische Festival »Jamel rockt den Förster«, veranstaltet von dem Künstlerehepaar Lohmeyer. Die Lohmeyers zogen 2004 in das kleine Dorf und sind seither die einzigen dort Lebenden, die offen Flagge gegen das braune Treiben zeigen. Für den Solidaritäts-Sampler sollen namhafte RechtsRock-Bands wie »Lunikoff Verschwörung« oder »Hetzjagd« ihre Lieder »auf eigene Kosten eingespielt und beigesteuert haben«, hieß es auf dem rechten Infoportal »Mupinfo«. Neben dieser CD gab es auch T-Shirts mit der Aufschrift »Freiheit für Sven Krüger«, die bei rechten Szeneveranstaltungen verkauft wurden. Mit den Erlösen daraus und Spenden sollte seine Familie finanziell unterstützt werden und »ein Teil der Schuld abgetreten werden, die wir ihm für seine Verdienste schulden«, wie es in der Ankündigung für die CD hieß. Nach 1.000 Tagen Haft war Krüger zurück und meldete sich in den sozialen Medien bei seinen Kamerad*innen: »Drinnen wie draußen sind wir eine Front, ihr habt es bewiesen!«

Netzwerker
Krügers jahrelang gesponnene Netzwerke halten auch in schweren Zeiten zu ihm. Die Kontakte gehen dabei weit über die Bewohner*innen aus seiner »Dorfgemeinschaft Jamel« hinaus. In der NPD, die sich im Juni dieses Jahres in »Die Heimat« umbenannt hat, hatte er sich 2009 den ersten größeren Funktionärsposten mit einem Kreistagsmandat für Nordwestmecklenburg ergattert. Zu der Zeit war er ebenfalls im Landesvorstand der Partei aktiv. Nachdem die Staatsanwaltschaft 2011 Anklage gegen ihn wegen Hehlerei und Waffendelikten erhoben hatte, legte Krüger sein Mandat im Kreistag nieder und zog sich aus dem Landesvorstand zurück – angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen wohl eher eine taktische Entscheidung als ein Bruch mit der Partei. Sein nationales Zentrum »Thinghaus« in Grevesmühlen stand für die NPD und deren Mitglieder immer offen. Einige der Kader und ein paar Parteiunterorganisationen hatten dort ihre Postanschrift. Auch der rechte Online-Versand »Levensboom« des NPDlers David Petereit hat hier noch heute seine »ladungsfähige Anschrift«. Im Sommer 2019 veranstaltete die NPD dort ihre »Sommerfeier« und lud zu Bier, Bratwurst, Reden und RechtsRock ein. Highlights des Tages für die rund 110 Gäste waren wohl weniger die Reden der NPD-Prominenz wie Stefan Köster, Udo Pastörs oder Frank Franz, sondern vielmehr die musikalischen Acts wie der dem »Hammerskins« nahestehende Liedermacher »Flatlander« oder die Combo »Oidoxie Solo« mit den zwei Bandmitgliedern Marko Gottschalk und Martin Krause. »Oidoxie Solo« wird immer wieder mit »Combat 18« in Verbindung gebracht.


Dass Bands aus dem Umfeld von »Hammerskins« und »Combat 18« Auftritte im »Thinghaus« hatten, ist nicht überraschend, denn Krüger selbst bewegt sich im Kreis der »Hammerskins«. Wohl nicht für jeden organisiert die militante Bruderschaft ein Solidaritätskonzert wie das unter dem Motto »Freiheit für Sven«, um weiteres Geld als finanzielle Unterstützung für den inhaftierten Kameraden zu sammeln. Auch besuchen immer wieder »Hammerskins« die Events im »Thinghaus« oder in Jamel.

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All inclusive
Bereits mehrfach erwähnt und Dreh- und Angelpunkt von Krügers politischer Arbeit sind das »Thinghaus« und die »Dorfgemeinschaft Jamel«, die eng miteinander verbunden sind. In den vergangenen Jahren hat sich vor Ort die kameradschaftsähnliche Struktur »Dorfgemeinschaft Jamel« festgesetzt, die alle rechten Bewohner*innen umfasst – natürlich mit eigenem Logo und eigenem Merchandise. Die in sich geschlossene Struktur um das selbst ernannte Dorfoberhaupt Krüger gestaltet das Dorfleben sowie die mehrfach im Jahr stattfindenden Events und unterstützt bei diversen Veranstaltungen im »Thinghaus«. Im Gegensatz zu eher traditionellen Brauchtumsfeiern wie sie bei den Siedlerfamilien gepflegt werden, bietet Krüger seinen Gästen traditionelle Brauchtumspflege als Eventveranstaltung. Für die Kinder gibt es Hüpfburg, Kinderspiele oder Fahren mit dem Traktor, für die Erwachsenen Bier und Gegrilltes. Und zwischendurch wird ein Feuer zur Sommersonnenwende entzündet – selbstverständlich mit Fackelumzug – oder ein Maibaum nach traditioneller Art aufgestellt. Primär für Indoor-Veranstaltungen stand das »Thinghaus« zur Verfügung, das Krüger 2009 eröffnete. Dort gab es RechtsRock-Konzerte, Kneipenabende, aber auch Kampfsporttrainings oder rechte Bildungsveranstaltungen.


Krüger hält seine Kamerad*innen nicht nur mit derartigen Veranstaltungen bei Laune. Er bietet mit seiner Dorfgemeinschaft eine Art All-Inclusive-Neonazi-Life-Paket mit Wohnraum, Freizeitgestaltung, Jobs und Kinderbetreuung. In seinem Abrissunternehmen »Abriss Krüger«, das vor allem wegen des kritikwürdigen Logos eines zerschmetterten Davidsterns in die Öffentlichkeit geriet, schafft er Arbeitsmöglichkeiten. Seine »Jungs fürs Grobe« können bei ihm malochen und verdienen gutes Geld, das sie dann in ein Haus in unmittelbarer Umgebung investieren können – denn in Jamel ist schon lange kein Platz mehr für neue Häuser.

Zurück zur Scholle
Seit der Corona-Pandemie ist es allerdings ruhiger geworden um Krüger mit seiner »Dorfgemeinschaft Jamel«. In der NPD ist er seit ein paar Jahren nicht mehr aktiv. Sein »Thinghaus« steht seit vergangenem Jahr zum Verkauf. Als Begründung wird anhaltender behördlicher Druck auf die Veranstaltungen angeführt. Es ist für viele Neonazis nicht mehr attraktiv, bei derartigen Veranstaltungen ihre Personalien und Fahrzeuge kontrollieren zu lassen. Aber ist es dann jetzt vorbei? Wohl kaum. Krüger macht aktiver denn je Kommunalpolitik: Er ist jetzt derjenige – und wie er sich gerne selbst darstellt, einzige – vor Ort, der sich um die Belange des kleinen (deutschen) Mannes kümmert. Gemeinsam mit Tino Streif und Steffen Meinecke, ebenfalls beide aus der »Dorfgemeinschaft Jamel«, hat er die rechte »Wählergemeinschaft Heimat« gegründet und ist mit ihnen 2019 erfolgreich zu den Kommunalwahlen angetreten. Seither sitzt Krüger in der Gemeindevertretung Gägelow und entscheidet mit über Themen wie Geld für die Feuerwehr sowie über Änderungen der Bebauungspläne in den einzelnen Dörfern, aber auch Verpachtung von Gemeindeland, auch in Jamel. In kleinen Gemeinden sind es vor allem diese belanglos wirkenden Themen, die Eindruck bei den dort lebenden Menschen hinterlassen, denn die bestimmen ihren Alltag. Aber auch politisch tiefere Themen wie der Bau der Unterkunft für Geflüchtete in Upahl stehen auf der Agenda der Wähler*innengemeinschaft (siehe drr Nr. 202). 2024 finden die nächsten Kommunalwahlen statt. Es wird gemunkelt, Sven Krüger liebäugele mit dem Posten des Bürgermeisters. Das erscheint nicht abwegig, war doch Krügers Anteil an den abgegebenen Stimmen bei den vergangenen Kommunalwahlen am zweithöchsten. Mit seiner bürger*innennahen, rassistisch motivierten Kümmererpolitik vor Ort kommt er vor allem bei den Menschen gut an, die sich von der Bundesregierung nicht gehört und alleingelassen fühlen.