Streit-Pipeline Nord Stream 2
von Oliver Kreuzfeld
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 199 - November | Dezember 2022
#Lubmin
Selten stand eine 2.000-Einwohner*innen-Gemeinde Mecklenburg-Vorpommerns monatelang dermaßen im Fokus der bundesdeutschen Aufmerksamkeit wie zuletzt Lubmin. Es sind die direkt aus Russland kommenden und in Lubmin anlandenden Gas-Pipelines, die seit Wochen die Gemüter erhitzen und zu heftigen Diskussionen geführt haben.
Die Invasion der Ukraine durch Russland und die sich in der Folge abzeichnende Energiekrise wurde durch das vor allem in rechten Zirkeln kursierende Narrativ vom »Heißen Herbst« immer mehr in der bundesdeutschen Öffentlichkeit debattiert und verdeutlichte die Anschlussfähigkeit bei breiten Bevölkerungsschichten.
»Zusätzlich müssen die Gaslieferungen aus Russland (…) wieder hochgefahren werden«, hieß es in einer am 27. August vom Landesverband der AfD Mecklenburg-Vorpommern veröffentlichten Resolution. Und weiter: »Deshalb darf auch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 kein Tabu sein.«
Mit dem Schraubenschlüssel nach Lubmin
Keine 48 Stunden später kam es bereits zu einer ersten Protestaktion durch die »Identitäre Bewegung« (IB). Martin Sellner, der aus Österreich stammende Kopf der neu-rechten Gruppierung, befand sich mit rund einem Dutzend weiterer Aktivist*innen vor dem Eingang des Geländes und erklärte: »Wir sind heute hier, um Nord Stream 2 aufzudrehen.« In typischer Inszenierungsmanier betrat daraufhin ein aus Bayern angereister IB-Anhänger, bewaffnet mit einem überdimensionalen Schraubenschlüssel, das Gelände und ließ sich dabei filmen.
Die symbolische Aktion der IB endete an dieser Stelle bereits, das Sicherheitspersonal des Areals hielt einen Teil der Gruppe fest, bis die Polizei eintraf. Nun wird wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht gegen sie ermittelt.
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Auffällig: Die Gruppe, die in den letzten Jahren massiv an Bedeutung verloren hatte, versuchte auch in dem Fall eine Verbindung zu ihrer rassistischen Agenda herzustellen. »Nord Stream 2 aufdrehen und die Grenzen dichtmachen«, forderte Martin Sellner, ohne dass eine inhaltliche Verknüpfung zu deren Kampagne namens »Aktion Solidarität« hergestellt werden konnte.
Während die kurze Inszenierung der »Identitären« in den Leitmedien kaum Widerhall fand, wurde sie in rechten und verschwörungsideologischen Kreisen mit großem Wohlwollen wahrgenommen und verbreitete sich rasant in den einschlägigen Telegram-Kanälen. Auch Thomas Kerl, kurz zuvor aus der AfD ausgetretener Flügel-Sympathisant und Demo-Organisator, verbreitete die Inhalte der IB auf seiner Facebook-Seite. Wohl nicht ohne Grund.
Vor allem Strukturen aus den nahegelegenen Städten Greifswald und Wolgast, die bereits seit Pandemiebeginn auf die Straße gehen und im Sommer mit rückläufigen Teilnehmendenzahlen und teilweise internen Querelen zu kämpfen hatten, suchten händeringend nach einer Möglichkeit, ihren Aktionsradius auszuweiten und neue Bevölkerungsschichten zu erschließen.
Lubmin ist idealer Kristallisationspunkt für die Ziele jener Gruppierungen und würde als neuer Ort mit hohem Symbolcharakter als optimaler Anlaufpunkt dienen, nicht nur für die eigene Klientel, sondern mit großem Potenzial weit darüber hinaus. Denn das Thema Corona ist auch im Nordosten kaum noch mobilisierungsfähig.
Von rechts bis ganz rechts
Für den 4. September – und somit nur wenige Tage nach der IB-Inszenierung – wurde schließlich breit nach Lubmin mobilisiert. »Nord Stream 2 in Betrieb nehmen«l hieß es in dem Aufruf, der in den regionalen Telegram-Kanälen und -Gruppen gestreut wurde. Auch wenn als Verantwortliche dort die Kreisverbände der AfD und der Partei »dieBasis« auftauchen, wurde auf der Demo betont, es seien lediglich einige Organisatoren in den Parteien aktiv, um so auf eine vermeintliche Überparteilichkeit hinzuweisen.
Mit laut Polizeiangaben rund 1.800 angereisten Personen – und damit ein Vielfaches mehr als bei ähnlichen Versammlungen vorher – konnte die Demonstration als Erfolg verbucht werden. Über Netzwerke und Strukturen – vorwiegend bestehend aus extra angelegten Telegram-Kanälen und welchen, die bereits 2020 im Zusammenhang mit den Montagsdemos entstanden sind – dürfte so ein Großteil der Teilnehmenden erreicht worden sein. Aber auch die medial omnipräsente Energiekrise dürfte sich positiv auf die Mobilisierung ausgewirkt haben.
Eingefunden hatten sich auch der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Enrico Hamisch in Gefolgschaft einiger Kameradschaftsmitglieder. Anhänger*innen der »Identitären« mit dem wenige Tage zuvor genutzten Banner sowie etliche AfD-Funktionär*innen wie der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Nikolaus Kramer, der Bundestagsabgeordnete Enrico Komning sowie weitere Landtagsabgeordnete und Mitglieder regionaler Parteistrukturen. Optisch war die Veranstaltung geprägt von Russland- und »Wir sind das Volk«-Fahnen, flankiert von Schildern, auf denen die Öffnung der Pipeline gefordert wurde. Das extrem rechte »Compact«-Magazin filmte und interviewte ausgiebig, während zeitgleich Autor*innen der Ostsee-Zeitung namentlich genannt wurden, genauso wie ein Kamerateam des Wochenmagazins Der Spiegel: Die »Lügenpresse«-Rufe ließen daher nicht lange auf sich warten.
Für »Stimmung« sorgte immer wieder das frühere AfD-Mitglied Thomas Kerl, der zusammen mit dem »dieBasis«-Politiker und Landtagskandidaten Martin Klein hauptsächlich in die Organisation der Versammlung eingebunden war – beide Männer traten zeitgleich auch als Redner auf. Kerl verstieg sich dort zu der Aussage: »Wir werden Nord Stream 2 spätestens in 20 Tagen in Betrieb nehmen«, die zwar für frenetische Jubelstürme im Publikum sorgte, sich im Nachgang – wenig überraschend – aber als leere Phrase entpuppte.
Endstation Lubmin
Noch auf der Kundgebung wurde schließlich für eine Folgeveranstaltung für den 25. September geworben, erneut in Lubmin. Die anhaltende bundesweite Debatte um steigende Energiepreise beflügelte aufs Neue die Mobilisierung und führte zu einer annähernden Verdoppelung der Teilnehmendenzahlen auf bis zu 3.500 Personen. Eine fünfstellige Zahl, auf welche die Organisatoren gehofft hatten, wurde jedoch deutlich verfehlt.
Organisatorisch, inhaltlich und auch mit Blick auf die Zusammensetzung der Teilnehmenden gab es wenig Veränderung gegenüber der ersten Versammlung. Zwar wurde mit einem Zug durch den Ort geworben, doch weit über zwei Stunden nach Beginn war das Programm der knapp ein Dutzend Redner*innen immer noch nicht abgearbeitet, was unter den Anwesenden für deutlichen Missmut sorgte, sodass etliche Personen vorzeitig die Veranstaltung verließen.
Zuvor war die Redner*innenliste um eine prominente Person ergänzt worden: Thomas Kerl hieß den früheren AfD-Politiker Andreas Kalbitz auf der Bühne willkommen, der mit deutlichem Applaus empfangen wurde. Es seien vor allem die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten, zudem müsse der Druck auf Regierungsvertreter in ihren »Kristallpalästen« erhöht werden, so der extrem rechte Landtagsabgeordnete. Die Greifswalder Zahnärztin Manuela Brück, die anschließend die Bühne betrat, bezog sich auf Sahra Wagenknecht, die wie derzeit kaum eine andere Person in einschlägigen Kreisen zitiert wird. Die Linken-Politikerin würde die Wahrheit sagen, doch ihr würde unterstellt, dass sie der russischen Propaganda zum Opfer gefallen sei – »wir alle«, ergänzte Brück ihren Satz und erntete dafür tosenden Beifall.
Medial überschattet wurde die zweite Demonstration in Lubmin allerdings vom Abdrängen von drei ukrainischen Aktivistinnen, die sich kurzzeitig protestierend vor die Bühne stellen konnten. Die drei jungen Frauen wurden nach wenigen Sekunden stark bedrängt und von mehreren Männern zur Seite geschoben, ein wutentbrannter Mann mit einem »Old German Hooligan«-T-Shirt entriss den Ukrainerinnen ihre Schilder. Diese Bilder erreichten überregionale Aufmerksamkeit, sehr zum Unmut der Organisator*innen der Demonstration.
Die Sprengung von drei der insgesamt vier Nord-Stream-Pipelines sorgte in diesen Kreisen für eine Menge Frustration. Und machte einmal mehr deutlich, dass das Hauptziel der Akteur*innen rund um die Lubmin-Demos kaum noch erreicht werden könnte. Dennoch wird für den 12. November erneut auf die Straße mobilisiert, Motto diesmal: »Nord Stream 2 öffnen – Nord Stream reparieren.«