Geheimes Wissen aus der Taiga
von Anna Rosga
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 189 - März / April 2021
#Anastasia
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand die sogenannte völkische Bewegung im deutschsprachigen Raum. Die »Blut und Boden«-Ideologie stellt ein Kernelement ihres Denkens dar, in dessen Rahmen das deutsche Volk und seine Umgebung als untrennbare Einheit betrachtet wurden. Seit den 1920er Jahren versuchte die völkische Bewegung mittels gezielter Ansiedlungen junger Menschen auf dem Land, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern – durch ein naturnahes Leben innerhalb ihrer eigenen Volksgemeinschaft mit dem Ziel, die »Arterhaltung der deutschen Rasse« zu sichern. Seitdem gehört Ökologie zum Agitationsfeld rechter Ideolog*innen, auch in der »Anastasia«-Bewegung.
Aus Russland in die Welt
Die Anastasia-Bewegung entstand in den 1990er Jahren im russischsprachigen Raum und basiert auf dem zehnbändigen Buch »Die klingenden Zedern Russlands« von Wladimir Megre. Zuerst in Russland und Osteuropa, später auch im deutschsprachigen Raum, entstand eine Bewegung, die Megres Ideen umzusetzen versucht. Laut Aussagen des Autors wurden weltweit bereits 11 Millionen Exemplare verkauft. Die Romane erschienen zwischen 1999 und 2011 in deutscher Übersetzung. Darin beschreibt Megre seine phantasierte Begegnung mit einer Figur namens Anastasia, die ihr geheimes Wissen mit ihm teilt. Anastasia wird als Botschafterin eines uralten Volkes, des Volksstamms der Wedrussen vorgestellt. Sie sei unbeeinflusst von der Zivilisation und im Besitz »paranormaler« Kräfte. Laut Megres eigener Geschichtsschreibung soll die Menschheit in einem angeblichen »Wedischen Zeitalter« 990.000 Jahre in direktem Kontakt zu Gott in einem Paradies auf Erden gelebt haben. Heute sei jedoch die Gesellschaftsordnung der Gegenwart völlig vom Bösen durchdrungen – es herrsche das »Zeitalter der Dunkelmächte«. Der einzige Ausweg: die Lehre Anastasias.
Im Kern der »Anastasia«-Bewegung stehen die sogenannten Familienlandsitze, auf denen Vater, Mutter und Kinder in Verbindung mit ihrer Scholle autark und unabhängig leben sollen. Das naturnahe ländliche Leben in ethnisch homogenen Gemeinschaften stellt das Ideal völkischer Siedlungsprojekte dar. In Deutschland soll es bisher siebzehn solcher Familienlandsitze geben.
Landwirtschaft von Rechts
Einer davon liegt im Dorf Grabow bei Blumenthal in Brandenburg, 100 Kilometer nordwestlich von Berlin. Seit 2014 wohnen Iris und Markus Krause hier mit weiteren Familien und bauen derzeit eine 84 Hektar große völkische Siedlung auf. Das Paar gehört zu den Ersten, welche die »Anastasia«-Ideologie in Deutschland verbreiteten. 2014 organisierten sie das erste bundesweite »Anastasia-Festival« auf der »Jugendburg Ludwigstein« bei Witzenhausen und im folgenden Jahr ein weiteres in Grabow. Ihr Grundstück stellten sie auch dem extrem rechten »Deutschen Jugendbund Sturmvogel« für ein Ferienlager zur Verfügung. Dabei wurden die Kinder von NPD-Funktionär*innen, Angehörigen der verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« und Mitgliedern der rassistischen »Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft« offensichtlich im völkischen Sinne indoktriniert.
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Markus Krause betreibt zudem einen Land- und Gartenbau. Auf seiner Webseite betont er, auf den »Dieselmaschineneinsatz« zu verzichten und nur per Hand und mit Pferden zu arbeiten. Außerdem würde nur Dünger verwendet, der »für den Ökolandbau« zugelassen sei. Das Ergebnis seien Kartoffeln »völlig rückstandsfrei von konventionellen Anbaumethoden«. Die Ernte verkauft er auf Märkten in der Region. Auch vor Ort sind die Krauses aktiv, laden die Bevölkerung des kleinen Dorfes in das örtliche Gasthaus zu Vorträgen ein, in denen sie gegen Geflüchtete hetzen und mit der Gründung einer Dorfwehr drohen, damit ihr Dorf »frei von illegalen Einwanderern« bleibe.
Rassenlehre und Permakultur
Im Oderbruch, am anderen Ende von Brandenburg, wohnt Frank Willy Ludwig auf seinem Familienlandsitz in Liepe. Er ist Begründer des »Urahnenerbe Germania«, einer rechts-esoterischen Organisation, deren Ziel er wie folgt beschreibt: »Die Förderung und der Aufbau natürlicher Stammeslandsitze in Siedlungen mit Wirtschaft (Mutterhof) und Schulen, durch das Erforschen und Praktizieren der Lebensweisen unserer Urahnen, der wedischen Hochkultur von Slawen und Ariern.« Der Name der Organisation bezieht sich auf die 1935 von dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, und dem niederländischen Nazi Herman Wirth gegründete »Deutsches Ahnenerbe – Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte e. V.«. Die Studiengesellschaft stand dem »Reichsbauernführer« Richard Walther Darré nah und sollte die »rassische Überlegenheit« des »arischen Menschen« wissenschaftlich nachweisen. Sie war auch für medizinische Versuche an Menschen in Konzentrationslagern verantwortlich. Ludwig hält deutschlandweit Vorträge, in denen er über die »Gesetze der Reinheit des Blutes« und die »arische Rasse« referiert. Er rät seinen Zuhörern: »Kümmert euch um eure Frau. Zeugt Kinder. Schafft euch einen Garten an, fertig. Das ist es doch, was der Führer auch gesagt hat. Blut und Boden. Kraft durch Freude.« Ein enger Vertrauter Ludwigs ist der Allgäuer Landwirt Robert Briechle, der als Betreiber des Bio-Mutterhofs in Unterthingau weitreichenden Einfluss auf die Ökoszene im Allgäu hat. Sein Wissen über Permakultur, Biodiversität und Nachhaltigkeit teilt er in seinem Kursangebot für Schulen und Universitäten. In einem Interview mit dem rechten Verschwörungsideologen und Permakultur-Aktivisten Markus Rüegg 2019 benennt Briechle die »Anastasia«-Buchreihe als Grundlage seines Aktivismus.
Ehre, Heimat, Selbstversorgung
Ein weiteres Siedlungsprojekt befindet sich in Wienrode im Ostharz. Unter dem Namen »Weda Elysia« (Wissen um das Paradies) bauen Maik und Aruna Schulz die ehemalige Dorfschänke zum Kulturzentrum »Haus Lindenquell« um, teils mit handgefertigten Lehmziegeln. Weitere Gelände sollen nach eigenen Angaben folgen, um hier mit 50 Menschen zu leben. Als sich 2018 die völkische und rechte Szene zu einer Aufführung von Schillers Drama »Wilhelm Tell« im sächsischen Bischofswerda traf, sollen auch die Schulzes vor Ort gewesen sein. Ihr Projekt richte sich an jene »Menschen, für die Werte wie Familie, naturnahe Lebensweise, Ahnen, Selbstversorgung, Gewissen, Ehre, Heimat, deutsche Kultur und Gemeinschaft noch eine Bedeutung haben«. Ziel sei es, »die Kräfte und den Willen jener zu bündeln, die erkannt haben, dass die derzeitige Konsumgesellschaft die Deutschen betäubt und entfremdet«. In einem Gruppenchat verweist Maik Schulz auch auf die »Identitäre Bewegung« oder die »Gedächtnisstätte Guthmannshausen« in Thüringen.
Im Zeitalter der Dunkelmächte
Das sind keine Zufälle. Megres Bücher strotzen vor nationalistischen, emanzipationsfeindlichen, antisemitischen und verschwörungsmythischen Inhalten. Sie bilden die Grundlage für die Verbindungen zwischen »Anastasia«-Bewegung und völkischen Rechten. »Anastasia«-Anhänger*innen lehnen alles ab, was ihrer Meinung nach »von dunklen Mächten durchdrungen« sei und die Menschen daran hindere, wieder »souverän« zu sein: Für sie zählen hierzu die westliche Demokratie und Medizin, das Schulsystem und die Wissenschaft. Im deutschsprachigen Raum ziehen diese Theorien neben Öko-Romantiker*innen und Menschen aus dem Alternativmilieu vor allem rechte Verschwörungsideolog*innen und »Reichsbürger« an. Sie glauben, Deutschland sei ein besetztes Land, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs eine Lüge, und die Flüchtlinge würden von finsteren Mächten nach Deutschland getrieben, um das deutsche Volk zu zerstören. Hierbei fällt eine Affinität für die russische Regierung auf, bei der Wladimir Putin als starker Herrscher gefeiert und die Kultur und Demokratie des Westens als dekadent und korrupt betrachtet werden.
Reinheitswahn
Das »Anastasia«-Weltbild ist stark von einer ethnopluralistischen Vorstellung geprägt, die sich in der Idee der »Telegonie« wiederfindet. Laut dieser These wird eine Frau durch den ersten sexuellen Kontakt geprägt, sodass ein späteres Kind von einem anderen Mann sowohl den Genotyp als auch den Phänotyp des ersten Mannes in sich trage. Die Erbinformationen sollen demnach über Generationen übertragen werden. Die Idee der »Telegonie« findet sich in den nationalsozialistischen »Blutschutz-Gesetzen« (»Rassenschande«) von 1935 wieder. Damals wurde argumentiert, eine Frau, die eine sexuelle Beziehung zu einem »Nichtarier« unterhielt, würde in ihrem Leben nie einen »Arier« gebären können. Um die Prägung früherer Partner zu neutralisieren, empfiehlt Megre ein Ritual, das junge Paare durchführen sollten.
Anschlussfähigkeit ins Alternativmilieu
Die »Anastasia«-Bewegung lässt sich in die Tradition völkischer Siedler*innen in Deutschland einordnen und ist eine Schnittstelle für Ökologie, Esoterik und die extreme Rechte. Innerhalb dieser Lehre hat das Leben auf dem Land, die Verbundenheit zum Boden und der Natur einen zentralen Stellenwert und fungiert als Chiffre für eine verloren geglaubte Reinheit oder Ursprünglichkeit, die zum gesellschaftlichen Imperativ erklärt wird. Die Bücher von Megre vermitteln konkrete Handlungsempfehlungen, um dem politischen System zu entfliehen. Dabei werden vereinfachte Weltbilder entworfen – abseits von einer realen, politischen Auseinandersetzung mit den komplexen Krisen und Konflikten in der Gesellschaft.
Durch das Aufgreifen ökologischer Themen versuchen völkische Akteur*innen an das auch in alternativen Milieus vorhandene Bedürfnis nach einem Ausstieg aus dem gegenwärtigen System und naturnahen Leben anzuknüpfen und ihre Propaganda verklausuliert zu verbreiten. Daher ist es einmal mehr notwendig, über deren Bestrebungen aufzuklären und gemeinsam Gegenstrategien zu entwickeln.