Einbahnstraße nach rechts

von Gerd Wiegel
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 200 - Januar / Februar 2023

#Rechtsradikalisierung

Antifa Magazin der rechte rand
Fans des Faschisten Höcke 2018 in Erfurt © Kai Budler

Ein Rückblick auf den Gründungsimpuls zur »Alternative für Deutschland« (AfD) im Jahr 2013, ihre damaligen Schwerpunkte und Akteur*innen verdeutlichen den Rechtsradikalisierungsprozess, den die Partei bis in die Gegenwart durchlaufen hat. Denn auch wenn vieles davon schon damals vorhanden war, so ist die thematische und personelle Veränderung doch unübersehbar.
Der Gründungsimpuls der AfD wurde 2013 von zahlreichen Beobachter*innen als »nationalliberal« beschrieben. Für marktradikale Ökonom*innen rund um den ersten Parteivorsitzenden Bernd Lucke war es die vermeintlich verfehlte Euro-Rettungspolitik der Regierung Merkel im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise, die den letzten Anstoß zur Gründung der AfD gab. Mit Lucke, Joachim Starbatty oder dem früheren BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel und den Themen Euro und EU-Kritik wurde ein bürgerliches Publikum angesprochen, das – enttäuscht von der FDP – für eine nationalistisch grundierte Form des Marktradikalismus offen war. Zwar reichte der kurze Vorlauf bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 nicht, um den Einzug zu schaffen. Mit 4,7 Prozent scheiterte die neue Partei aber nur knapp.

Von nationalliberal zu völkisch
Mit Alexander Gauland und Beatrix von Storch waren schon früh Personen in der Führungsriege der Partei, die für eine andere Ausrichtung standen. Gauland für eine ethno-nationale Politik und von Storch für eine Kulturkampfdebatte rund um Antifeminismus, Geschlechterrollen, Demografie und »68’er-Bashing«. Und auch die völkische Rechte war mit Personen wie Björn Höcke und André Poggenburg von Beginn an in der Parteiführung vertreten.

Nur maximal zwei Jahre waren die Schwerpunkte der Nationalliberalen um Lucke relativ dominant in der AfD, dann setzte eine erste Rechtsradikalisierung mit der Konzentration auf die Bereiche Flucht und Migration ein. »Zuwanderungskritisch« war die AfD von Anfang an. Während die Lucke-Leute jedoch einer funktionalen Zuwanderung im Interesse des Kapitals positiv gegenüberstanden, wurde die von der völkischen Rechten um Höcke vertretene ethnopluralistisch begründete Ablehnung jeglicher Zuwanderung in der Partei immer stärker. Ohne Zweifel trug die massive Migration nach Deutschland und Europa im Sommer 2015 entscheidend dazu bei. Der nationalistische Teil des Gründungsimpulses verband sich sehr schnell mit einer rassistisch begründeten Ablehnung von »kulturfremder« Zuwanderung – und damit faktisch jeder Form der Aufnahme von Geflüchteten.

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Organisatorisch zeigte sich diese Verschiebung nach rechts darin, dass Frauke Petry 2015 im Führungsgremium der AfD an die erste Stelle rückte und Bernd Lucke abgewählt wurde. Gleichzeitig gründete sich im März 2015 formal die innerparteiliche Strömung »Der Flügel«, in der sich die völkische Rechte innerhalb der Partei organisierte. Schon damals wurde mithilfe dieses straff organisierten Netzwerks in der AfD Einfluss generiert. Sowohl Petry als auch später Jörg Meuthen gründeten ihre Führung zumindest zeitweilig auf deren Wohlwollen. Damit ebneten sie den völkischen Rechten den Weg zur einflussreichsten und mächtigsten Strömung innerhalb der Partei. Abgesichert wurde diese Stellung durch die zentrale Figur der AfD in dieser Zeit: Alexander Gauland. Als Schutzpatron des »Flügels« hielt er zunächst von Brandenburg aus, dann ab 2017 auf Bundesebene seine schützende Hand über die extreme Rechte in den eigenen Reihen.

Durchbruch im Osten
Der entscheidende Schub für die endgültige Rechtsradikalisierung kam mit den Wahlerfolgen der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen 2014. Hier wurden mit Ergebnissen zwischen 9,7 und 12,2 Prozent die bis dahin besten Ergebnisse von Landesverbänden erzielt, die klar in den Händen der völkischen Rechten waren und mit einer Wahlkampfausrichtung aufwarteten, die schon damals die späteren Erfolgsthemen der Partei aufgriff: Hass und Hetze gegen Zugewanderte sowie populistisches Bashing vermeintlicher Eliten in Politik und Kultur.

Petry, Gauland und Höcke hießen die Vorsitzenden in diesen drei Bundesländern und gemeinsam sorgten sie dafür, dass dieser Kurs auch in der Bundespartei gestärkt wurde. Petry nutzte die Rechtsverschiebung, um sich ihres Konkurrenten Lucke zu entledigen, dessen bürgerlich-marktradikale Ausrichtung immer weniger den Erwartungen der sich rasant wandelnden Anhänger*innenschaft entsprach. Zwar führte die Zurückdrängung dieses Teils der Partei zu einem kurzzeitigen Einbruch der AfD in den Umfragen. Allerdings änderte sich das schnell mit der Ankunft großer Zahlen Geflüchteter im Sommer und Herbst 2015, mit denen Bund, Länder und Kommunen vor massive innen- und integrationspolitische Aufgaben gestellt wurden. Die wachsende und von Teilen der Politik und Medien befeuerte Überfremdungsdebatte war Wasser auf die Mühlen der AfD. Mit Ergebnissen von 15,1 Prozent in Baden-Württemberg und sensationellen 24,2 Prozent in Sachsen-Anhalt war es 2016 wiederum die extreme Rechte in der Partei, die zeigte, wie man rassistische Stimmungen in Wahlerfolge umsetzt.

Radikalisierungsspirale
Der Aufstieg der AfD war eingebettet in die Entwicklung eines internationalen Aufschwungs der politischen Rechten, symbolisiert durch die erste nationalistische Alleinregierung in Polen 2015 sowie den Brexit und den Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahr darauf. Innerhalb der AfD beförderte das jene Kräfte, die auf eine maximale Rechtsradikalisierung setzten und sich selbst als die »letzte evolutionäre Chance« Deutschlands (Höcke) vor einem Bürgerkrieg von rechts ansahen.

Dieser verklausuliert national-revolutionäre Habitus brachte den erwartbaren und dann doch fulminanten Einzug in den Bundestag 2017. Die 12,6 Prozent der Stimmen führten gerade nicht dazu, dass sich Partei und Fraktion mäßigten und sich im Parlamentarismus einrichteten. Ganz im Gegenteil sorgte die AfD im Bundestag dafür, dass völkische Hetze, Verschwörungsmythen und Geschichtsrevisionismus jetzt auch im höchsten deutschen Parlament Einzug hielten. Ein militanter Antifeminismus, Klimawandelleugnung und ab 2020 die Annäherung an die »Querdenken«- und Corona-Leugner*innen-Szene waren Etappen im Rahmen dieser Radikalisierungsspirale.

Allerdings blieb in dieser Zeit unklar, wie die AfD ihre Positionen in reale Politik umsetzen will. Hier liegt ein Kern der folgenden innerparteilichen Auseinandersetzung zwischen dem völkischen und dem bürgerlichen Lager. Letzteres scharte sich zwischenzeitlich um den zusammen mit Gauland amtierenden Co-Vorsitzenden Meuthen.

Während die extreme Rechte in der Partei, bestärkt durch die Vielfachkrisen seit 2015, im Prinzip auf die Implosion der liberalen Demokratie setzt und sich auf ein solches Tag X-Szenario vorbereitet, schwebt den Bürgerlichen in der und um die AfD herum eine politische Achsenverschiebung der Bundesrepublik vor – in Zusammenarbeit mit einer rechtsgewendeten Union.
Das war der Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Meuthen und der immer größer werdenden Anhänger*innenschaft des 2020 formal aufgelösten »Flügels«, die ihren Höhepunkt im Rauswurf von Andreas Kalbitz hatte, aber schließlich 2022 mit der finalen Niederlage des Co-Vorsitzenden und der faktischen Durchsetzung der extremen Rechten endete.

Faschistische Option?
Die extreme Rechte hat sich in der AfD durchgesetzt und eine solche Stärke gewonnen, dass sie sich mit Alice Weidel auch eine Partei- und Fraktionsvorsitzende neben Tino Chrupalla leisten kann, die nicht aus ihrem eigenen Lager kommt, jedoch vollkommen von diesem abhängig ist. Gleichzeitig hat die AfD in den zehn Jahren des eigenen Bestehens dafür gesorgt, dass sich die ohnehin vorhandene rechte Infrastruktur in Form von Zeitschriften, Internetportalen und Think Tanks weiter professionalisieren und ihr ein deutlich erweiterter Adressat*innenkreis erschlossen werden konnte. Über PEGIDA, »Querdenken« bis hin zu den »Reichsbürgern« ist die AfD an der Entstehung einer potenziell faschistischen Massenbasis beteiligt, die jederzeit und zu ganz unterschiedlichen Themen mobilisierbar ist und einzig von der AfD parteipolitisch angesprochen werden kann.

Gleichzeitig weckt die Partei eine hohe Erwartungshaltung ihrer Anhänger*innen, denen sie suggeriert, man stehe am Beginn einschneidender und grundsätzlicher politischer Veränderungen. Die einzig andere Option sei der Untergang Deutschlands, des »Abendlandes« und der weißen »Rasse«. Dass hier gezielt Dogmen geschürt werden, die einen kompromisslosen Einsatz verlangen, wird immer wieder aus Äußerungen von AfD-Funktionär*innen deutlich. So etwa, wenn Höcke in seiner »Geraer Rede« vom 3. Oktober 2022 davon spricht, das deutsche Volk stehe »an einer historischen Wegmarke« und müsse sich »zwischen dem Regenbogen-Imperium, dem globalistischen Westen, (…) oder dem traditionellen Osten« entscheiden: »Dieses Regenbogenimperium mit den USA als Kernland und der BRD als wichtigstem Brückenkopf in Europa ist es, das die Zerstörung der Nation durch Masseneinwanderung forciert, das Mann und Frau den Kampf angesagt hat, dem nichts mehr heilig ist: nicht der gute Geschmack, nicht der Fleiß, nicht unser grandioses historisches Erbe, ja noch nicht einmal unsere Kinder.«

Die Beteiligung der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann an Putschplänen einer »Reichsbürger«-Gruppe, wie sie im Dezember 2022 aufgedeckt wurden, ist dann nur die letzte Konsequenz labiler Charaktere, die das Heft des Handelns in die eigene Hand nehmen wollen und dabei in Teilen die Realitätshaftung verlieren. Die AfD ist seit nunmehr zehn Jahren an der Schaffung solcher Milieus aktiv beteiligt. Ein Ende ihres Rechtsradikalisierungskurses ist nicht absehbar. Er wird wahrscheinlich so lange fortgesetzt werden, bis ihr ein massives und nicht zu übersehendes Stoppsignal gesetzt wird.