Gegen die Traurigkeit: Antifaschismus wirkt
von Felix Krebs und Janka Simon (AfD-Watch Hamburg)
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 182 - Januar / Februar 2020 - online only
#Hamburg
Wahlanalysen schauen meist nach denjenigen Ländern und Parlamenten, in denen die »Alternative für Deutschland« starke Ergebnisse erzielt, und fragen, was dort schief gelaufen sei. Hamburg aber kann ein Beispiel dafür sein, was gut läuft: Seit 2015 sitzt die extrem rechte Partei dort mit lediglich 6,1 Prozent der Stimmen in der Bürgerschaft und aktuelle Umfragen sehen nicht viel mehr Erfolg bei den kommenden Wahlen am 23. Februar. Was ist anders in der Hansestadt?
Der kurze, aber heftige Erfolg der »Partei Rechtsstaatliche Alternative« (PRO), auch »Schill-Partei« genannt, führte zu deren Repräsentation in der Bürgerschaft mit 19,4 Prozent der Stimmen und 25 Abgeordneten im Jahr 2001. Thematisch mit einem Fokus auf dem Thema innere Sicherheit, lebte die Partei vom rabaukenhaften Auftreten ihres Gründers Ronald Barnabas Schill, von dem sie sich nach einer Regierungskrise trennte. Schill hatte vor laufender Kamera den damaligen Oberbürgermeister Ole von Beust als schwul geoutet und versucht zu erpressen, später dann noch Einmischung in das Amt des Innensenators angekündigt – dieses Amt hatte Dirk Nockemann nach Schills Entlassung von ihm übernommen – derselbe Nockemann, der heute Fraktionsvorsitzender der »Alternative für Deutschland« (AfD) ist.
Die kurze, turbulente Zeit der PRO-Partei in Regierungsverantwortung hat vermutlich bei einem bestimmten Segment der Wähler*innen eher abschreckende Wirkung erzielt. Schill, der danach durch Drogenskandale, Auftritte im »Dschungelcamp« und bei »Adam sucht Eva« inklusive Penisschau immer wieder auf sich aufmerksam machte, steht nach wie vor für den Versuch, eine populistische Partei mit starkem Fokus auf rassistischer Law-and-Order-Politik in der Hansestadt fest zu etablieren – und für dessen Scheitern.
Damit tritt Dirk Nockemanns AfD ein schweres Erbe an. Zumal sich die SPD in der Hansestadt vieles der rechten Politik zur inneren Sicherheit zu eigen gemacht hat: Der 2017 brachial durchgeführte G20-Gipfel inklusive Blanko-Schein für die Polizei (»Polizeigewalt hat es nicht gegeben«, Olaf Scholz) und auch die aktuelle Verschärfung des Polizeigesetzes kurz vor der Bürgerschaftswahl zeigen, dass der rot-grüne Senat nach der Schill-Ära das »Sicherheitsthema« nun ebenfalls von rechts bespielt.
Rechtes Wähler*innenpotential in Hamburg
Bis auf den kurzen Ausreißer Anfang der 2000er Jahre konnten in Hamburg auf die gesamte Stadt gesehen rechte Parteien nie in der Bürgerschaft Fuß fassen. Zwar hatte kam die »Deutsche Volksunion« 1997 knapp an die Fünf-Prozent Hürde heran und die NPD hatte in einigen Stadtteilen immer wieder erstaunliche Ergebnisse, insgesamt aber war das extrem rechte Potential in der gesamten Nachkriegszeit begrenzt. Die Stadtteile Süderelbe, Harburg, Billstedt-Wilhelmsburg-Finkenwerder, in denen in der Wahl 2015 die AfD über 10 Prozent kam, sind traditionell auch die Hochburgen der NPD im Südosten der Stadt gewesen. Die Partei kam in einkommensstarken Gebieten auf 5,2 Prozent. In einkommensschwachen Gebieten erzielte sie ihre besten Ergebnisse.
Bei der letzten Bürgerschaftswahl 2015 bezog die AfD ihre Wähler*innen aus allen Parteien und mobilisierte frühere Nichtwähler*innen. Umfragen ergaben, dass der Partei in ihrer politischen Kernfrage, der Migration, kaum Problemlösungskompetenz zugetraut wurde und entsprechend die Wahl eher als »Denkzettelwahl« gemeint war. Nach fünf Jahren ohne weitere Problemlösung dürfte es schwierig sein, dieses Potential erneut zu mobilisieren.
Im Vergleich zu den Erkenntnissen, die es über AfD-Wähler*innen bundesweit und in denjenigen Bundesländern gibt, in denen die Partei sehr starke Ergebnisse erzielt, weist Hamburg einige markante Unterschiede auf: Nur 3 Prozent sind Wechselwähler*innen der Partei Die Linke, verglichen mit bundesweit bis zu 20 Prozent. Der ausgeprägte Gender Gap in der Zustimmung zur AfD ist in Hamburg weniger ausgeprägt – 60 Prozent der Stimmen kommen von Männern, ähnlich viele wie bei der SPD – und die Altersverteilung weist einen Knick auf: Die meisten Wähler*innen der AfD in Hamburg sind zwischen 45 und 59 Jahren alt.
Der bedeutet, dass die AfD sich auch in Hamburg auf ein bestehendes extrem rechtes Wähler*innenpotential stützt, das sie von der NPD übernommen hat. Sie bespielt es etwa mit einer platt rassistischen Kampagne gegen eine Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Billstedt, die sie als »Designer-Neubauten vom Feinsten« darstellt. Dagegen fällt es der Partei schwer, darüber hinaus ein etwas bürgerlicheres Spektrum zu erreichen.
Die AfD in der Bürgerschaft
Die bisherige parlamentarische Arbeit der AfD lässt Zweifel aufkommen, ob sie ihr Image als Protestpartei weiter aufrecht erhalten kann. Zwar ist die propagandistische Ausgestaltung und Nutzung der Reden in der Bürgerschaft ebenso wie die Social-Media-Arbeit strategisch ähnlich wie in anderen Bundesländern – in Hamburg aber laufen viele Provokationen der AfD ins Leere. Einzig das Schulportal war aus Sicht der Rechten ein Erfolg (s. derrechterand Nr. 179), und das vor allem, weil die Schulbehörde in vorauseilendem Gehorsam der AfD-Einschätzung von linksradikaler Propaganda folgte. Ansonsten schaffen es Alexander Wolf, Nockemann und Co. nicht, Medien und Gefolgschaft in den sozialen Medien bei ihrer Empörung über links-versifft dominierte öffentliche Räume mitzunehmen.
Einzig das Hamburger Abendblatt veröffentlicht immer wieder völlig unkritische Wiedergaben des immer gleichen »alle sind gemein zu uns«. Die anderen großen Medien in der Stadt verhalten sich gegenüber der AfD meist kritisch oder neutral – wenn es auch außer bei der Tageszeitung an investigativen Versuchen fehlt, Skandale bei der AfD aufzudecken. Dies bleibt meist engagierten Antifa-Rechercheprojekten vorbehalten, die zeigen, wessen Geistes und Personals die AfD auch in Hamburg ist. Positiv interpretiert kann das relative öffentliche Desinteresse an der AfD aber auch bedeuten, dass die Partei einfach nicht interessant genug ist. In der Tat sind die parlamentarischen Anfragen zwar skandalös in ihrem offenen Rassismus und Sexismus, aber nicht sonderlich geschickt platziert und lösen so wenig Empörung aus – geschweige denn, dass damit Missstände aufgedeckt werden würden. Parlamentarisch blieb die Partei also in den vergangenen Jahren blass in der öffentlichen Wahrnehmung – was nicht heißt, dass nicht viele Organisationen und Gruppierungen unter ihren dreisten Anfragen zu leiden hatten.
Trotz allem: Antifa wirkt
Auch in Hamburg ist nicht alles rosig. Es gibt Stadtteile, in denen der öffentliche Raum nur für weiße Männer relativ sicher ist, es gibt Übergriffe und Nazi-Schmierereien. Immer mal wieder versucht die AfD oder das ihr vielfältig verbundene »Merkel muss weg«-Spektrum, auf der Straße präsent zu sein. Ersteres ist gefährlich, letzteres meistens nur nervig, denn Hamburg zeigt eine beispiellose Kontinuität, wenn es darum geht, solchen rechten Versuchen, die Straße zu erobern, entgegenzutreten. Eine stadtübergreifende, jahrelang erprobte Bündnisarbeit des Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR), gepaart mit einer starken und kreativen Protestkultur insgesamt machen es aufmarschwilligen Neonazis in der Hansestadt schwer.
Die Zahlenverhältnisse machen immer wieder Mut, auch wenn sie nicht jedes Mal so begeisternd sind wie am 5. September 2018, als auf 178 Rechte 10.000 Antifaschist*innen kamen. Die Wahlkampfstände der AfD wurden und werden nahezu flächendeckend von Aufstehen gegen Rassismus und Kiez-Antifagruppen kritisch begleitet. Immer wieder werden der AfD Räume nach öffentlichem Protest gekündigt, ihre größeren Parteitage und -veranstaltungen kann sie nur noch in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden durchführen. Dafür nutzt die AfD Hamburg auch einen politischen Graubereich, indem sie klassische Partei- und Wahlkampfveranstaltungen getarnt als Fraktionsveranstaltungen ins Rathaus verlegt.
Alles in allem zeigt jedoch das Hamburger Beispiel, welche Faktoren dazu beitragen können, dass die AfD klein bleibt: mäßiges, zum Teil kritisches Medieninteresse für das nicht sonderlich interessante Personal der Partei, deren Unfähigkeit, ein rechtskonservativ-bürgerliches Spektrum anzusprechen, und vor allem eine antifaschistische Grundstimmung in der Stadt, die die AfD daran hindert, öffentliche Räume zu besetzen und ihren Anhänger*innen gute Erlebnisse zu bescheren.
Das nachzumachen, dürfte allerdings anderswo schwierig sein. Da, wo Antifaschist*innen eher in der Defensive sind (also fast überall), wird es schwierig, aus dieser Position zu einer antifaschistischen Grundstimmung zu kommen. In vielen Regionen im Osten sind linke Strukturen und Projekte so unter Druck, dass Abwehrkämpfe die gesamte Kraft auffressen. Die Unterstützung von breiten Bündnissen, Parteien und Zivilgesellschaft fehlt. Das soll nicht die Arbeit der Hamburger Antifaschist*innen schmälern, sondern es zeigt, wie wichtig lang gewachsene, linke Strukturen und Traditionen sind. Nur wenn viele Menschen sich aktiv und vehement der AfD entgegenstellen, kriegt diese keinen Fuß in die Tür.