Herren mit Werten von vorgestern

von Lucius Teidelbaum
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Verbindungen

Auch jenseits der »Deutschen Burschenschaft« existieren unter Studentenverbindungen problematische Tendenzen. Im korporierten Milieu konserviert sich bis heute ein reaktionärer und in Teilen vordemokratischer Geist.

 

© Mark Mühlhaus / attenzione

 

Eine Kritik an Studentenverbindungen verengt sich häufig auf Burschenschaften, beziehungsweise hat die »Deutsche Burschenschaft« (DB) im Fokus. Die übrigen Verbindungen ducken sich gern hinter dem Schild ‹unpolitisch› oder nur ‹wertkonservativ› zu sein weg und verweisen darauf, eben keine Burschenschaft oder wenigstens keine DB-Burschenschaft zu sein. Obwohl es verschiedene Verbindungs-Typen, unter anderem Burschenschaften, Corps, Jagdverbindungen, konfessionelle Verbindungen, Landsmannschaften, Sängerschaften, Turnerschaften und etwa 25 verschiedene Dachverbände gibt, sollten Studentenverbindungen bei aller Differenzierung insgesamt vor allem als konservatives akademisches Milieu analysiert werden. Zum einen teilt man grundlegende Werte, Rituale, Prinzipien und ein eigenes Vokabular. Zum anderen ist man über Kontakte, Freundschaften und Zusammenschlüsse miteinander dauerhaft verbunden.

Zwar gibt es Ausnahmen, aber die Gemeinsamkeiten betreffen oft die Mehrheit. So sind etwa geschätzte 80 bis 90 Prozent aller Studentenverbindungen als Männerbünde organisiert. Gemischte Bünde und so genannte Damenverbindungen werden nach Außen zwar gerne gegen feministische Kritik angeführt, aber intern häufig abgewertet.

Erziehung zum autoritären Charakter

Die meisten Verbindungen schotten sich nach außen stark ab, viele verfügen über ein internes Regelwerk, den »Comment«. In Studentenverbindungen findet laut Stephan Peters eine sekundäre Sozialisation statt. Dabei geht es häufig um die Brechung und Unterwerfung des Individuums zugunsten der Verbindung. Die damit verbundenen Rituale führten immer wieder sogar zu Todesopfern, etwa bei Studentenverbindungen in den USA oder in Belgien.

Sogenannte schlagende Verbindungen nutzen das Initiationsritual des Mensur-Fechtens als Erziehungsmittel – des Mann-Werdens. Fast alle Verbindungen haben zudem eine hierarchisch abgestufte Mitgliedschaft, bei der ein Vollmitglied einem Probe-Mitglied, einem »Fux«, Befehle erteilen kann. Manche Regeln zur Unterwerfung des Individuums werden geheim gehalten oder verschwiegen, andere wie zum Beispiel das Toiletten-Verbot bei Versammlungen nicht.

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Reaktionärer Bismarckismus

Neben den Meldungen über extrem rechte Veranstaltungen und Verstrickungen finden sich auch immer wieder Berichte über eine starke korporierte Kaiserreichs- und Bismarck-Nostalgie. Mitte Januar finden sich in Semesterprogrammen häufig die Ankündigungen für eine »Reichsgründungskneipe« oder einen »Reichsgründungskommers«. Damit soll der Ausrufung des Deutschen Kaiserreichs durch die adeligen Eliten 1871 im Spiegelsaal von Versailles gedacht werden.

Diese Veranstaltungen finden nicht nur bei Burschenschaften statt, sondern auch bei Bünden des »Verbands der Vereine Deutscher Studenten« (VVDSt) oder bei den Corps. So feierte beispielsweise laut Ankündigung das »Corps Irminsul« in Hamburg am 15. Januar 2022 eine »Champagnerkneipe anlässlich der Reichsgründung 1871«. Dasselbe Corps enthüllte am 18. Januar 2019 auf seinem Grundstück ein Bismarck-Denkmal.

Alljährlich finden im April zum Geburtstag des »Eisernen Kanzlers« inter-korporierte »Bismarck-Kommerse« statt, etwa in Bielefeld, Bremen oder Lübeck. Hinzu gesellt sich das Andenken an Antidemokraten wie den »Turnervater« Friedrich-Ludwig Jahn oder Ernst-Moritz Arndt.

Es geht aber nicht nur um eine Geschichtsverklärung. Es ist zu fragen wie demokratiefest Verbindungen mit solchen Geschichts- und Gesellschaftsbildern sind. In einem Interview mit dem Regisseur eines Dokumentarfilms über das »Corps Germania München« heißt es: »Bei einer Kneipe ist ein ‹Alter Herr› – ein Verbindungsmitglied im Berufsleben – aufgestanden und hat eine Art Plädoyer gehalten für moderne Formen der Diktatur und ‹gegen den schwachen Politikertypus Merkel›. Niemand hat ihm widersprochen.«

Die Elite von gestern und heute

Schon dem elitär-akademischen Anspruch vieler Korporationen wohnen antidemokratische Elemente inne. Denn wo es Eliten gibt, gibt es auch Massen, die angeleitet und beherrscht werden müssen. Konservative Akademiker, die autoritär sozialisiert wurden und denen vordemokratische Ansichten beigebracht wurden, beziehen über Netzwerke und Seilschaften tatsächlich teilweise wichtige Positionen in der Gesellschaft. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich im Milieu der Studentenverbindungen sozialisierte Konservative radikalisieren und verstärkt der extremen Rechten zuwenden. Beispielhaft dafür stehen mehrere (Ex-)Funktionäre der »WerteUnion« in der CDU, sogenannte Alte Herren.

Die sekundäre Sozialisation vieler extremer Rechter in einem reaktionären Männerbund wird allgemein wenig beachtet, dabei sind nach Schätzung des Autors mindestens ein Viertel aller wichtigen Funktionäre und Stichwortgeber der extremen Rechten korporiert und sicher mehr als die Hälfte der Strömung in der »Neuen Rechten«.