Familie Nimmersatt und ihre rechten Freunde

von Philipp Vergin
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 195 - März / April 2022

#Hohenzollern

Als die Öffentlichkeit im Sommer 2019 erfuhr, dass die Bundesregierung sowie die Länder Berlin und Brandenburg seit Februar 2014 Geheimverhandlungen mit der Erbengemeinschaft der Hohenzollern über die Rückgabe mehrerer tausend Kunstgegenstände und die Nutzung von Immobilien wie zum Beispiel Schloss Cecilienhof in Potsdam führen, war die Empörung und Verwunderung groß. Wieso sollten ausgerechnet die Nachfahren von Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser und König von Preußen, irgendwelche Entschädigungen, noch dazu in einem Gesamtwert im dreistelligen Millionenbereich, erhalten? Hatte doch die Novemberrevolution 1918 das Zeitalter der Monarchie, die für die zahllosen Kolonialverbrechen und die Millionen Toten des Ersten Weltkriegs verantwortlich war, in Deutschland beendet. Laut Bundesregierung hatten »die Gespräche der öffentlichen Hand mit dem Haus Hohenzollern (…) das Ziel, eine dauerhafte Gesamtlösung für verschiedene Kunst- und Sammlungsgegenstände herbeizuführen (…). In den Verhandlungen geht es um rechtliche Unklarheiten in den damaligen Regelungen, aber auch um Rechtspositionen, die sich durch die nachfolgenden historischen Ereignisse, insbesondere durch Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht und der Regierung der DDR verändert haben« (Bundestags-Drucksache 19/12369). Wie konnte es dazu kommen?

 

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Hitler und der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen am 21. März 1933, dem Tag von Potsdam, vor der Garnisonkirche.
© Bundesarchiv, Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

 

Während 1918 in Österreich nach dem Sturz der Donaumonarchie die Revolutionäre das Vermögen der Habsburger größtenteils zugunsten der Kriegsopfer enteigneten, wurde der Adel in Deutschland mit Samthandschuhen angefasst. Die fürstlichen Besitztümer waren in der Revolution 1918/19 zwar beschlagnahmt, jedoch nicht enteignet worden. Da die Weimarer Verfassung in Artikel 153 das Privateigentum garantierte, forderten die Fürsten bald hohe finanzielle Entschädigungen für entgangene Gewinne und die freie Verfügungsgewalt über ihren Besitz. In Preußen kam am 15. Oktober 1926 ein Ausgleich zwischen dem Land und dem Haus Hohenzollern zustande. Damit war die ökonomische Basis des Adels allgemein und der Hohenzollern im Besonderen bis auf weiteres gesichert.

Adel im Nationalsozialismus
Finanzielle Entschädigung allein reichte der Adelskaste nicht. Die Schmach der Niederlage musste getilgt und die verhasste Republik mit dem Ziel einer Restauration der Hohenzollern-Monarchie so schnell es geht beseitigt werden. Doch die Monarchie war bis weit ins konservative und nationalistische Lager diskreditiert. Um die nötige Massenbasis für die Konterrevolution zu bekommen, war der Adel zu Bündnissen mit faschistischen Organisationen gezwungen. Die völkisch bis rassistisch geprägte »Deutsche Adelsgenossenschaft«, die bereits 1918 den »Ariernachweis« eingeführt hatte, spielte dabei als größte Vereinigung Adeliger im Deutschen Reich eine wichtige Rolle. Allerdings repräsentierte sie nicht den gesamten Adel. Vor allem in den katholischen Regionen standen etliche Adelige aufgrund ihrer überwiegend religiösen und politisch konservativen Grundhaltung dem Nationalsozialismus skeptisch gegenüber.

Fälle von Adeligen, die schon früh in der NS-Bewegung Karriere machten, gibt es ebenfalls in Hülle und Fülle. Als Beispiel sei Franz Pfeffer von Salomon genannt, der von 1926 bis 1930 »Oberster SA-Führer« war und von 1932 bis 1941 als NSDAP-Reichstagsabgeordneter und Mitglied im »Verbindungsstab des Führers« in der Reichskanzlei fungierte. Obwohl die SA vielen Adeligen zu proletarisch und ob ihrer pseudo-sozialistischen Rhetorik suspekt war, besetzten sie doch zahlreiche Führungspositionen: Von den 178 höchsten SA-Führern waren 21 Adelige – 12 Prozent. Damit lag der Adelsanteil zwar unter den 21 Prozent im Offizierskorps der Reichswehr, aber dennoch deutlich über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwa 0,15 Prozent. Schon eher den Elitevorstellungen des Adels entsprach hingegen die SS, die denn auch den »Neuen Adel« des NS-Staates begründen sollte. 1938 waren fast 19 Prozent aller SS-Obergruppenführer adelig.

Die Entschädigungsdebatte
Nach der Niederlage Nazideutschlands am 8. Mai 1945 wurden die Karten neu gemischt. Eine Vielzahl von Objekten, die mit dem Vertrag von 1926 Wilhelm II. und seiner Familie vom Staat überlassen worden waren, befand sich nun auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise späteren DDR. Im Rahmen der Bodenreform wurde ein Teil der Vermögensgegenstände von der sowjetischen Militäradministration enteignet. Nach der Wiedervereinigung wurde dann entschieden, die Bodenreform der sowjetischen Besatzungsmacht – anders als die späteren Enteignungen in der DDR – nicht rückgängig zu machen. Allerdings wurde im Jahr 1994 für die seinerzeit Enteigneten beziehungsweise deren Erben ein Anspruch auf finanzielle Entschädigung beschlossen, es sei denn, diese haben »dem nationalsozialistischen (…) System (…) erheblichen Vorschub geleistet«. Louis Ferdinand Prinz von Preußen, zweitältester Sohn und Erbe des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm Prinz von Preußen, machte in den 1990er Jahren seine Ansprüche geltend und nach seinem Tod verfolgt nun Georg Friedrich Prinz von Preußen als Erbe diese im Namen der Familie bis heute weiter. Im Rahmen der Verhandlungen beauftragten die Hohenzollern und das Land Brandenburg nach und nach jeweils zwei Gutachter damit, die Frage zu klären, ob der preußische Kronprinz Wilhelm von Preußen in den 1930er Jahren dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet hat. Der von den Hohenzollern beauftragte Historiker Christopher Clark von der Universität Cambridge führte zwar etliche Argumente dafür an, dass Wilhelm den Nationalsozialisten nicht nur nahestand, sondern auch bei zahlreichen Gelegenheiten seine Sympathie und Unterstützung für Hitler und die Nationalsozialisten zum Ausdruck gebracht hat. Allerdings sei Wilhelm als Person wie als Politiker zu unbedeutend gewesen, als dass er den Nationalsozialisten »erheblichen Vorschub« hätte leisten können. Nachdem der Preußen-Spezialist Peter Brandt und insbesondere der in Edinburgh lehrende Stephan Malinowski in ihren Gutachten eine Vielzahl von weiteren belastenden Fakten herausgearbeitet hatten, ruderte Clark zurück und schloss sich dieser Einschätzung an. Entscheidend für die Frage, ob Wilhelm dem NS-Regime Vorschub geleistet habe, sei, dass der »Kronprinz« angesichts der nach wie vor starken Anhänger*innenschaft der Monarchie in Deutschland mit seiner positiven Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eine erhebliche Breitenwirkung besessen habe. Er habe auf diese Weise »stetig und in erheblichem Maß zum Übergang der Macht an die NSDAP und zu deren Festigung beigetragen«. Der daraufhin von den Hohenzollern mit einem weiteren Gutachten beauftragte Hindenburg-Biograf Wolfgang Pyta erklärte, dass all die Handlungen und Haltungen des Kronprinzen in Wirklichkeit aber auf fantasievolle und raffinierte Weise dazu gedient hätten, die Machtübernahme oder zumindest eine Alleinherrschaft Hitlers zu verhindern.

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Screenshot einer 3sat-Sendung mit dem Historiker und Theologen Benjamin Hasselhorn.

Als am 29. Januar 2020 im Kulturausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Thema stattfand, fiel das Urteil der Historiker übereinstimmend deutlich aus: Kronprinz Wilhelm von Preußen hat vor und nach 1933 dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet. Direkt nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahr 1933 hatte Wilhelm denn auch gejubelt, nun habe sich erfüllt, wofür er ein Jahr gekämpft habe. Nur der von der Union benannte Sachverständige Benjamin Hasselhorn (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) verstieg sich zu der Ansicht, ein abschließendes Urteil sei kaum zu fällen. Alle bislang vertretenen Positionen seien »wissenschaftlich begründbar«, allein es fehle noch an »Quellenforschung«. Außerdem stünde die Frage im Raum, ob nicht die SPD im Vergleich sogar dem Nationalsozialismus mehr Vorschub als die Konservativen und Monarchisten geleistet habe, »weil sie seit 1930 keine Reichsregierung mehr unterstützte und in Schleicher einen gefährlicheren Gegner sah als in Hitler«. Er forderte deshalb ein Ende vom Hohenzollern-Bashing – insbesondere in Bezug auf Wilhelm II. – und beklagte eine allgemeine Anti-Preußen-Stimmung in der Bundesrepublik.

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Verschiebung des Geschichtsbilds
Das Ganze erinnerte frappierend an die Klimaleugner*innendebatte. Trotz klaren wissenschaftlichen Befunds wollten CDU und CSU weiter nach entlastenden Dokumenten für die Hohenzollern suchen lassen. Elisabeth Motschmann (CDU) behauptete gar, dass sich bisher niemand die Mühe gemacht habe, im Hohenzollernarchiv zu forschen und dort ganz sicher entlastendes Material zu finden sei. Offensichtlich hofft die ehemalige Baroness auf geheime Unterlagen über eine Widerstandsgruppe im preußischen Adelshaus. Ebenfalls bemerkenswert war der Auftritt der »Alternative für Deutschland« (AfD): Deren Ausschussmitglied Marc Jongen legte sich mächtig ins Zeug für die Interessen der »Kleinen Leute« aus der Erbengemeinschaft der Hohenzollern.
Ein paar Monate später, im März 2020, brachte eine Recherche des Historikers Niklas Weber in der Süddeutschen Zeitung zutage, dass Hasselhorn einem neurechten Netzwerk in den Geisteswissenschaften angehört. Demnach hat er nicht nur in »Cato«, »Cicero« und der neurechten »Blauen Narzisse« publiziert und mehrfach für die evangelikale Nachrichtenseite »idea« geschrieben, sondern ist durch zahlreiche persönliche Kontakte, unter anderem zum »Institut für Staatspolitik« (IfS) von Götz Kubitschek, tief ins neurechte Milieu eingebunden. »Der alte Revisionismus kehrt durch die Hintertür zurück«, resümierte Weber, »im Gewand der unschuldigen Frage. Das neurechte Interesse am Hohenzollernstreit besteht dabei nicht in der unrealistischen Hoffnung auf eine Restauration der Monarchie, sondern in einer behutsamen Verschiebung des Geschichtsbilds.«


Während es den Hohenzollern in der Auseinandersetzung vor allem um ihr Vermögen und Ansehen geht und sie den Raum für eine öffentliche und kritische Diskussion über die Rolle ihrer Familie im Nationalsozialismus durch massenhafte Klagen und Abmahnungen zu minimieren suchen, will die »Neue Rechte« einen Geländegewinn in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung erlangen. Die Zerstörung der Weimarer Republik durch die konservativen Eliten, schrieb Niklas Weber im November 2021 in der taz, soll in Verkehrung der historischen Tatsachen als edelmütiger Versuch erscheinen, den Nationalsozialismus zu verhindern. Die Rechte möchte ihren Weg zu einem neuen, schuldbefreiten Nationalmythos weiter beschreiten, der im “NS nur noch ein tragisches Zwischenspiel in tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte und in der Konservativen Revolution eine leider verpasste Chance erblickt”, wie Weber schreibt. Dafür müssen nicht nur die “historischen Anhänger*innen einer »Konservativen Revolution«, sondern auch ihre selbsternannten Erb*innen – die »Neue Rechte« – vom üblen Nazi-Ruch befreit werden.