INTRO – »nicht zuzuordnen«
Eure Redaktion vom antifaschistischen Magazin
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 196 - Mai | Juni 2022
Liebe Leser*innen,
am 10. Mai gab das Bundesministerium des Innern die Zahlen der politisch motivierten Kriminalität (PMK) für das Jahr 2021 bekannt – mit 55.038 Delikten der höchste Wert seit 2001. Im Vergleich zu 2020 ist das ein Anstieg um 23,17 Prozent. Während 21.964 Taten als rechts eingestuft worden sind, wurden mit 21.339 fast genauso viele Taten erfasst, die laut der Behörde »nicht zuzuordnen« sind. Welchen Sinn hat eine Statistik zur Aufschlüsselung der PMK, wenn mehr als ein Drittel angeblich nicht zugeordnet werden kann? Hier finden sich vor allem Straftaten, die sich im Kontext der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen ereigneten. Und viele dieser Fälle müssten als PMK rechts gelistet werden, da ihnen klassisch rechte Ideologieelemente zugrunde liegen. Fehlt es den Behörden an Willen oder Kompetenz, rechte Bestrebungen als solche zu erkennen? Zumindest sind sie nicht in der Lage, die »Gefahr der radikalisierten Corona-Leugner*innen« richtig zu benennen. Während die Behörden nach über zwei Jahren Pandemie noch immer nicht so recht wissen (wollen), wie sie mit dem »Querdenken«-Spektrum umgehen sollen, führen Rechte mancherorts die Proteste an und sehnen sich nach einem Volksaufstand. Für große Verwunderung sorgte Xavier Naidoo Ende April mit einem kurzen Videostatement, in dem er sich von verschwörungsideologischen und antisemitischen Deutungen und Gruppierungen distanzierte. Ein Ausstieg? Weshalb das zu kurz greift, wird in dem Kommentar von David Begrich »Ausstieg oder Selbstvermarktung?« begründet.
auf unsere Seite Zwei
Vor 30 Jahren. Neonazis einer FAP-Veranstaltung flüchten vor antifaschistischem Widerstand im Mai 1992 in die S-Bahn in Berlin.
Fast fließend gehen die Proteste gegen Pandemie-Schutzmaßnahmen in eine Unterstützung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin über. Auch hier spielen verschwörungsideologische Argumentationsmuster eine Rolle und auch hier versuchen sich rechte Netzwerke als Stichwortgeber*innen, wie ein Blick in das »Compact«-Magazin verdeutlicht. Um seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu legitimieren, spricht Putin von einer notwendigen »Entnazifizierung« der Ukraine und von einem drohenden »Genozid« an der russischen Bevölkerung, der abzuwenden sei. Putin, ein aufrechter Antifaschist? Mitnichten, wie Volkmar Wölk in seinem Artikel »Putins ideologisches Inventar« feststellt.
Doch deutsche Neonazis kämpfen seit 2014 nicht nur an der Seite Russlands in den besetzten Gebieten Donbas und Luhansk, sondern auch auf Seiten der Ukraine. Einblicke in die politische Motivation und Rekrutierung deutscher Neonazis geben Martina Renner und Matthias Jakubowski. Den Krieg Russlands gegen die Ukraine abzulehnen suggeriert die »Alternative für Deutschland« (AfD) wenig glaubwürdig. Hatte die Partei in den letzten Jahren mit ihren »wohlwollenden Besuchen« in Moskau dort einen Partner für ihre politischen Ansichten gefunden. Welche Positionen extrem rechte Parteien in Europa zum Krieg vertreten, beleuchtet Ulrich Schneider.
ABO
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Ein Blick in die rechte Szene in Deutschland zeigt, wie sich diese immer wieder versucht, auch regional neu zu konstituieren. Das wird an den »Freien Sachsen« deutlich. Die neonazistischen Aufmärsche am 1. Mai in Zwickau, Erfurt und Dortmund offenbaren, wie zersplittert die Szene ist. Doch dies darf nicht über die von Neonazis ausgehende Gefahr hinwegtäuschen: Anfang April fanden Razzien in elf Bundesländern gegen 46 Beschuldigte aus vier neonazistischen Gruppierungen statt. Doch Rechte tummeln sich nicht nur auf Aufmärschen, sind Teil von rechtsterroristischen Netzwerken, gehen auf Konzerte und betreiben Kampfsport. Zu ihrer Lebenswelt gehört auch das Wandern, um den Körper und den Geist zu stählen, wie Timo Büchner herausstellt.