Vier weitere Jahre

von Gerd Wiegel
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 191 - August 2021

#Bundestagswahl

In den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl liegt die AfD zwischen neun und zwölf Prozent, ein Wiedereinzug in den Bundestag auf dem Niveau von 2017 liegt im Bereich des Möglichen, eine deutliche Steigerung zeichnet sich jedoch nicht ab.

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Tino Chrupalla im Wahlkampf © Mark Mühlhaus / attenzione

Das sah schon einmal ganz anders aus, denn bis zum Beginn der Corona-Pandemie lag die »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den großen Umfrageinstituten relativ kontinuierlich über ihrem letzten Bundestagswahlergebnis von 12,6 Prozent. Bis zu 18 Prozent wurden zwischenzeitlich für die AfD gemessen, wohingegen sie seit dem letzten Jahr die Marke von 12 Prozent nicht mehr überschritten hat. Bei allen Unwägbarkeiten von Umfragen und der Unvorhersehbarkeit der nächsten Monate scheinen sich zwei Dinge abzuzeichnen: Von einer steten Aufwärtsbewegung der AfD kann nicht mehr die Rede sein. Gleichzeitig ist es ihr gelungen, eine Stammwähler*innenschaft herauszubilden, die die Partei aus inhaltlicher Überzeugung wählt. Den immer wieder selbst formulierten Anspruch einer »Volkspartei« kann sie in Ostdeutschland ausfüllen, im Westen bleibt sie dagegen eine kleine bis mittelgroße Partei, schwankend um die Marke von 10 Prozent.

Die Wahlergebnisse der AfD seit der Bundestagswahl 2017 spiegeln diese Entwicklung: Deutliche Ergebnisse über 20 Prozent in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, zuletzt auch in Sachsen-Anhalt. Wobei die herausragenden Ergebnisse in den ersten drei Ländern 2019, also noch vor dem Corona-Einschnitt, erzielt wurden. Bei allen vier Wahlen danach in Hamburg, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt musste die Partei Verluste hinnehmen.

Die Bundestagswahl 2017 fiel mitten in die Aufschwungphase der Partei, die mit einer Rechtsradikalisierung und der bundespolitischen Dominanz des zentralen AfD-Themas Flucht und Migration einherging, und bis 2019 anhielt. Danach zeigt sich eine stärkere Diversifizierung der AfD-Ergebnisse mit einem eindeutigen Schwergewicht in Ostdeutschland. Nach dem Bedeutungsverlust des Themas Flucht und Migration ist es der Partei mit keinem anderen Thema gelungen, ähnliche Mobilisierungserfolge zu erzielen. Klimaleugnung, Corona-Verschwörungsmythen, »Umvolkung« oder »Great Reset« – mit all diesen Themen und Kampagnenversuchen konnte die AfD zwar wichtige Teile ihres Publikums bedienen. Sie schaffte es aber nicht, neue Spektren zu erschließen.

Kontinuität und Professionalisierung

Beim Blick auf Personal und Inhalte für den Bundestagswahlkampf zeigt sich vor allem Kontinuität. Die bisherigen Listenaufstellungen der AfD in den Ländern beinhalten wenige Überraschungen und ein großes Maß an personeller Kontinuität. Wichtige Ideologen der völkischen Rechten wie Gottfried Curio, Karsten Hilse, Stephan Brandner oder Jens Maier werden wieder in den Bundestag einziehen. Hinzu kommen Strippenzieher des Höcke-Lagers wie Torben Braga aus Thüringen. Aber auch die Nationalkonservativen setzen auf personelle Kontinuität, sodass es ein Wiedersehen mit dem Chef der AfD in Nordrhein-Westfalen Rüdiger Lucassen, Beatrix von Storch oder dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses Peter Boehringer geben wird. Ohne Zweifel will die Partei die Professionalisierung, die sie in vier Jahren Bundestag erworben hat, für die nächste Wahlperiode nutzen. Anders als 2017 wird man jetzt auch mit einer eingespielten Mitarbeiter*innenschaft an den Start gehen.
Schon in der ablaufenden Wahlperiode hatte die Fraktion eine relativ schnelle Professionalisierung durchlaufen und die vorhandenen parlamentarischen Mittel für sich zu nutzen gewusst. Darauf wird sie zukünftig aufbauen und versuchen, über inhaltliche Kompetenz dort Anerkennung zu bekommen, wo ihr heute noch vor allem Ablehnung entgegenschlägt: in der konservativen bürgerlichen Presse. Mit dem Gewöhnungseffekt an eine extrem rechte Partei im Parlament und notwendigen konservativen Lücken, die ein mögliches schwarz-grünes Bündnis lassen würde, könnte ein Akzeptanzgewinn gelingen.

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Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, wie sich die neue Bundestagsfraktion im innerparteilichen Gefüge mehrheitlich einordnen wird. Die Auswahl des Spitzenpersonals für den Wahlkampf gibt erste Hinweise, denn mit Alice Weidel und Tino Chrupalla haben sich hier die Kandidat*innen der völkischen Rechten gegen das von Co-Parteichef Jörg Meuthen favorisierte Duo Jona Cotar und Joachim Wundrak durchgesetzt. Ob damit auch eine Vorentscheidung für die zukünftigen Fraktionsvorsitzenden gefallen ist, wird entscheidend vom Wahlergebnis abhängen. Sollte sich dieses im Bereich von 2017 bewegen, haben die beiden gute Chancen, die neue Fraktion zu führen und damit den Einfluss der völkischen Rechten, auf deren Ticket beide unterwegs sind, zu untermauern.

Wahlkampfthemen

Inhaltlich wird die Partei die Themen im Wahlkampf stark machen, mit denen sie öffentlich verbunden wird und für die ihr in Teilen Kompetenzen zugeschrieben werden. Strikte Begrenzung von Zuwanderung und Aufnahme von Geflüchteten, verbunden mit einer völkisch begründeten Ablehnung von Migrant*innen aus bestimmten Regionen; eine »Deutschland zuerst!«-Politik, verbunden mit der Forderung nach Einstellung deutscher Zahlungen für die EU; eine sozialpolitisch verkleidete Form der Demographie-Politik mit dem Ziel, die Anzahl »deutscher« Kinder zu vergrößern, verbunden mit einem tradierten Rollen- und Familienbild; die Inszenierung als »Autofahrerpartei«, verbunden mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels und schließlich einer Thematisierung der Corona-Folgen, mit der ein verschwörungsaffines Publikum bedient werden kann.
Das auf dem Bundesparteitag in Dresden verabschiedete Wahlprogramm bildet diese Punkte ab. Auch hier ist es der völkischen Rechten gelungen, symbolträchtige Verschärfungen durchzusetzen. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die Partei im Wahlkampf zum Beispiel eine offene Kampagne für einen EU-Austritt Deutschlands starten wird, würde sie so doch nur bürgerliche Wähler*innen abschrecken. »Standortnationalismus, völkischer Nationalismus, autoritärer Staat« überschreibt Helmut Kellershohn seine Analyse des AfD-Wahlprogramms in der Zeitschrift des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung DISS-Journal und trifft damit das Wahlangebot der AfD recht genau.

Für eine erfolgreiche Wahlkampagne wird es für die AfD darauf ankommen, die ganze Spannbreite ihrer heterogenen Wähler*innenschaft zu erreichen. Insofern ist das Duo Weidel/Chrupalla vielleicht doch geeignet, diesen Spagat zu repräsentieren. Denn neben allen heftigen Flügelstreitigkeiten gibt es nach wie vor eine indifferente Parteibasis, der es vor allem auf den weiteren Erfolg ankommt. So ist auch das recht klare Votum für das Spitzenduo nicht in jedem Fall eine inhaltliche Stellungnahme im internen Lagerkampf. Auch die AfD hat nur eine begrenzte Zahl an bundesweit bekannten Personen, die in der Mediendemokratie gebraucht werden, um erfolgreiche Wahlkampagnen zu organisieren.

Strategische Optionen im Wahlkampf und danach

Nach der Personalentscheidung in der Union und auch nach den Erfahrungen der letzten Wahlen in Sachsen-Anhalt ist jeder Gedanke an eine wie auch immer geartete Regierungsbeteiligung der AfD nach der Wahl obsolet. Er war es schon vorher, doch ist durch Sachsen-Anhalt der strikte Abgrenzungskurs der CDU zur AfD fürs Erste bestätigt worden. Die Partei wird also vor allem konservative CDU/CSU-Wähler*innen mit dem Schreckgespenst eines schwarz-grünen Bündnisses umwerben. Das könnte umso besser gelingen, je deutlicher sich die Union in den Umfragen vor die Grünen schiebt. Ein knappes Rennen um Platz 1 könnte diese Gruppe an die Union binden.

Trotzdem bleibt fraglich, ob für die AfD hier noch viel zu holen ist. Trotz verbesserter Umfragen liegt die Union bei 28 Prozent, gut vier Prozent weniger als bei den letzten Wahlen. Und dennoch kann die AfD gegenwärtig nicht weiter von dieser Schwäche der Union profitieren. Anders als 2017, als das stark mit der AfD verbundene Thema Flucht und Migration absolut dominant war, zeichnet sich im Moment kein unbedingtes Gewinnerthema für den Wahlkampf der AfD ab.

So wird die Partei vier weitere Jahre Zeit bekommen, ihre strategische Ausrichtung und damit auch eine Machtperspektive zu klären. Die Übernahme des völkischen Modells in Ostdeutschland für die Gesamtpartei oder die Annäherung an die Union unter Abspaltung der radikalen Teile der völkischen Rechten scheinen sich hier gegenüber zu stehen. Klügere Leute in der AfD werden versuchen, einen Weg zwischen diesen Extremen zu gehen. Unklar bleibt, wie dieser Weg konkret aussehen kann.