Platz zwei für die AfD

von Marcel Hartwig
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 191 - Juli / August 2021

#Sachsen-Anhalt

Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im Juni ist die »Alternative für Deutschland« hinter ihren eigenen hoch gesteckten Erwartungen zurückgeblieben und hat sich dennoch stabilisiert.

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@ Mark Mühlhaus / attenzione

Die Erwartungen der prominenten Gäste auf der Wahlparty der »Alternative für Deutschland« (AfD) im Magdeburger Stadtteil Sudenburg, unter ihnen Christoph Bernd, Björn Höcke und Alexander Gauland, waren hoch. Rund zwei Wochen vor der Landtagswahl am 6. Juni 2021 hatte das Institut INSA prognostiziert, die AfD könne stärkste politische Kraft im Land zwischen Zeitz und Altmark werden. Doch statt der prognostizierten mehr als 25 Prozent landete die Partei am Ende bei 20,8 Prozent – sogar mit einem leichten Verlust gegenüber ihrem Wahlergebnis von 24,3 Prozent im März 2016. Grund dafür waren die massiven Stimmengewinne für die CDU, der es in den letzten zwei Wochen vor dem Urnengang gelungen war, sich als Retterin wider die AfD in Szene zu setzen. Und dies, obwohl es in der zu Ende gegangenen Legislaturperiode nicht an Signalen aus der Union gefehlt hatte, die auf eine Bereitschaft eines Teils der Partei zur Kooperation mit der AfD hindeuteten.

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Fünf Jahre völkisch-rassistische Propaganda
Der AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt gehörte gemeinsam mit denen in Thüringen und Sachsen seit Parteigründung frühzeitig zu denen in der AfD, welche die Rechtsverschiebung vorantrieben. Die sogenannte »Erfurter Resolution«, die sich 2015 gegen den Kurs der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry wandte, und heute als Initialzündung für die Herausbildung des völkisch-nationalistischen »Flügels« gilt, wurde hier umfänglich unterstützt. Auch die »Kyffhäuser-Treffen« des »Flügels«, an der Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen, sind so zu deuten. Die Arbeit des Landesverbandes Sachsen-Anhalt und seiner Landtagsfraktion galt in den Jahren 2016 bis 2019 neben Thüringen als prägend für den zunehmend extrem rechten Kurs der Partei.

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Seit 2016 hatte die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt ihre völkisch-nationalistische Agenda effektvoll in Szene gesetzt. Der damalige Fraktionschef André Poggenburg gefiel sich darin, mit NS-Vokabular zu provozieren, politische Gegner*innen zu diffamieren und offen rassistische Klischees zu verwenden. Die Strategie, Provokationen und Tabubrüche im Parlament zu zelebrieren, sicherte der AfD in der ersten Hälfte der Legislatur zuverlässig die skandalisierende Aufmerksamkeit der regionalen Medien und der Landespolitik. In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode setzte eine spürbare Professionalisierung der AfD ein. Über Kleine und Große Anfragen versuchte die Fraktion, die Arbeit von Migrationsverbänden, Institutionen der Jugendhilfe und Projekten gegen Rechts zu diskreditieren. Mit der Einsetzung der Enquete-Kommission »Linksextremismus in Sachsen-Anhalt« samt Unterstützung durch die CDU konnte die AfD einen politischen Erfolg verbuchen, den sie zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Linksextremismus ausbauen wollte. Dieser blieb ihr jedoch mangels Begründung verwehrt. So war die Fraktion nicht in der Lage, den Untersuchungsauftrag des von ihr beantragten Ausschusses in Bezug auf die vermeintliche Gefahr des »Linksextremismus« in Sachsen-Anhalt so zu konkretisieren, dass dieser einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhielt. Kurz danach stellte auch die Kommission ihre Arbeit ein.

Das Netzwerk im Hintergrund
Die Verbindungen der Landes-AfD in das extrem rechte Milieu an der Schnittstelle aus Burschenschaften, völkischen Jugendbünden, ehemaligen NPD- und JN-Aktivist*innen sind gut dokumentiert. Aus diesem Umfeld rekrutierte die Fraktion ihre Mitarbeiter*innenschaft. Ebenfalls eng ist der Draht der AfD-Landtagsfraktion zu »Ein Prozent«. Mehrfach griff das rechte Kampagnennetzwerk aus den Anfragen der AfD-Landtagsfraktion gewonnene Erkenntnisse auf, um sie propagandistisch auszuschlachten und gegen politische Gegner*innen zu verwenden. Zuletzt gab AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner bereitwillig Auskunft im Podcast von »Ein Prozent«. Kirchner, der sein Zimmer im Landtag mit Portraits des ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg dekoriert hat, gibt in der Öffentlichkeit gern den seriösen national-konservativen Politiker. Doch auch er ist ein Gewährsmann des »Flügels«. Im Jahr 2019 nahm er mit Kalbitz und Höcke als Redner am »Kyffhäuser-Treffen« teil, wie sein Facebook-Profil zeigt.

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Abschlusskundgebung auf dem Magdeburger Domplatz am 4. Juni 2021. Corona-­Einschränkungen waren ein Thema in Sachsen-Anhalt bei der AfD. Nicht nur auf der Bühne provozierte Hans-Thomas Tillschneider. @ Mark Mühlhaus / attenzione

Als ideologischer Kopf der Fraktion kann Hans Thomas Tillschneider gelten. Der habilitierte Islamwissenschaftler ist Bildungs- und Kulturpolitiker seiner Fraktion. Im Landtag fiel er durch ideologisch scharfe Attacken auf die Landesregierung auf, in denen er die angebliche »nationale Daseinsvergessenheit« der gegenwärtigen Politik geißelte. Aus seiner Sympathie mit dem deutschen Kaiserreich macht Tillschneider kein Geheimnis. Anlässlich des diesjährigen Jahrestages der Gründung des deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 und einer diesbezüglichen Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, ließ er sich auf seiner Internetseite zitieren: »Das Deutsche Kaiserreich, das in jeder Beziehung als ein Gipfelpunkt der deutschen Geschichte angesehen werden kann, wurde von Steinmeier in schulmäßiger nationalmasochistischer Pose zum Problemfall erklärt.«
Neben Poggenburg verließ unter anderem der 2016 direkt gewählte Abgeordnete Gottfried Backhaus die Partei. Er, nach eigener Auskunft konservativ evangelikal, mochte den völkisch-nationalistischen Kurs von Partei und Fraktion nicht mehr mittragen. Nicht wieder zur Wahl angetreten waren in diesem Jahr der vormalige Fraktionsgeschäftsführer Robert Farle und der Ex-Polizist Mario Lehmann aus Quedlinburg.

Klientel der AfD
In den Wahlanalysen wird erkennbar, dass die AfD im Kern von Männern mittlerer beruflicher Qualifikation gewählt wird. Stark ist die Gruppe der unter 30-Jährigen vertreten mit 20 Prozent Stimmenanteil. Ein Wert, der sich relativiert, wenn man jene Gruppe in den Blick nimmt, die der Partei wesentlich zur Stabilität ihrer Stimmanteile verholfen hat: erwerbstätige Männer im Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Allerdings hat die AfD die 2016 gewonnenen Wahlkreise bei der Landtagswahl 2021 wieder an die CDU verloren. Nur in Zeitz gelang es der Partei, ein Direktmandat zu erringen. Wie schon 2016 ist das Wahlergebnis für die AfD von starken regionalen Unterschieden geprägt. Ihre Hochburgen hat die Partei im Süden und im Osten des Landes, vor allem in den Klein- und Mittelstädten. So überschritt sie in fünf Wahlkreisen die 25 Prozent: in Staßfurt (28,0 %), Eisleben und Zeitz (jeweils 26,5 %), Querfurt (25,8 %) sowie in Weißenfels (25,2 %). In den Großstädten Magdeburg und Halle konnte die AfD im Vergleich weniger punkten. Ihre schwächsten Ergebnisse erzielte sie in Magdeburg IV (16, %) und III (15,6 %), Halle II (12,5 %), Magdeburg II (11,0 %) und im Wahlkreis Halle III (9,1 %).

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@ Mark Mühlhaus / attenzione

Verluste mit und ohne Folgen
Die AfD hat sich in Sachsen-Anhalt auf hohem Niveau stabilisiert, jedoch ihr eigentliches Wahlziel, stärkste Kraft zu werden, verfehlt. Mit ihrem gegenüber 2016 gesunkenem Wahlergebnis ist der Fraktion die Möglichkeit genommen, weitreichende parlamentarische Initiativen, wie beispielsweise Untersuchungsausschüsse durchzusetzen. Ihr heterogen zusammengesetztes Wähler*innenmilieu ist jedoch im Wesentlichen stabil, die AfD hat sich in der Landespolitik als Faktor etabliert.
In der neuen, für die AfD nunmehr zweiten Legislatur im Landtag von Sachsen-Anhalt wird die Partei ihren harten rechten Kurs nicht ändern. Mit Landtagsabgeordneten wie Ulrich Siegmund aus Tangermünde ist die Fraktion aber in der Lage, je nach Anlass, in der politischen Kommunikation scheinbar kompetenter und etablierter aufzutreten. Siegmund, in der zu Ende gegangenen Legislatur Fraktionsvize der AfD, beherrscht die Klaviatur des rechten Politikmarketings, wie seine Reden im Landtag und bei AfD-Kundgebungen beweisen. Zuletzt trat er im Mai in Seehausen bei einer AfD-Kundgebung gegen junge Umweltschützer*innen und für den Weiterbau der Autobahn 14 in der Region auf. Mit dabei: Neonazis aus der Altmark.