Politisches Motiv nicht erkennbar?

von Sascha Schmidt
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 187 - Januar 2021

#Feurio

Am 8. Januar 2021 verurteilte das Frankfurter Landgericht einen 47-jährigen wegen zehn Brandstiftungen zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Sie waren Teil einer Brandserie im Rhein-Main-Gebiet, wobei der Großteil der Taten  sich gegen linke Projekte richtete. Ein politisches Motiv aber wollten Staatsanwaltschaft und Gericht beim Täter nicht erkennen.

Antifa Magazin der rechte rand
»Feurio« Bündnis vor dem Landgericht Frankfurt nach der Urteilsverkündung
© #AntifaMagazin

Zwischen September 2018 und Juli 2019 versetzte eine Serie von zwölf Brandanschlägen die linke Szene im Rhein-Main-Gebiet in Schrecken. Betroffen waren fünf Wohnprojekte des Mietshäuser Syndikats in Frankfurt, Hanau und Schwalbach am Taunus, das Kultur-und Wohnprojekt »AU«, das Kulturzentrum »Café Exzess« und das feministische Wohnprojekt »Lila Luftschloss« in Frankfurt sowie das Autonome Kulturzentrum (AKZ) in Hanau. Während ein Großteil der Brände – glücklichen Zufällen geschuldet – gelöscht werden konnten, ehe größere Schäden entstanden, brannte das Mietshäuser-Projekt »Knotenpunkt« in Schwalbach und ein Bauwagen auf dem Gelände eines Wohnprojekts in Hanau komplett aus. Infolge der Brandstiftungen im AKZ Hanau und am »Lila Luftschloss« ordneten Anwesende und Passant*innen die Taten dem Frankfurter Joachim Scholz zu, so dass dieser vorläufig festgenommen wurde.

Recherchen legen politische Motivation nahe
Aufgrund der Auswahl der Objekte und erkennbarer Parallelen bei den Taten gingen die Bewohner*innen und Nutzer*innen der Projekte schon früh von einem Zusammenhang mit extrem-rechten Strukturen und einem politischen Motiv aus. Dieser Verdacht verdichtete sich mit der Festnahme von Scholz, der den Miethäuser-Projekten bereits seit 2015 bekannt war. Er hatte über zwei Jahre dutzende Wohnprojekte – darunter der »Knotenpunkt« und das »Lila Luftschloss« – wegen angeblicher oder tatsächlicher Formfehler in ihren Bilanzen oder nicht korrekter Homepage-Angaben bei den Behörden angeschwärzt. Zwar konnten Scholz keine direkten Verbindungen zu extrem rechten Strukturen oder die Teilnahme an rechten Veranstaltungen nachgewiesen werden. Doch über dessen Vorgehen gegen die Projekte des Mietshäuser-Syndikats hinaus zeigen Spenden von ihm an den hessischen Landesverband der “Alternative für Deutschland” (AfD), dass Scholz als politisch denkender und handelnder Täter bewerten werden muss. Allein im Jahr 2018 spendete er 1.700 Euro an die AfD.

Das als Reaktion auf die Brandserie gegründete Bündnis »Feurio« geht davon aus, dass Joachim Scholz 2015 nicht zufällig begann, sich gegen alternative Wohnprojekte zu wenden: „2015 war das Jahr des Aufstiegs von PEGIDA und der AfD. Rechte Akteur*innen inszenierten sich als »besorgte Bürger«, wurden von vielen Politiker*innen gepampert und dadurch wirkungsmächtiger.“

Brände nicht nur bei linken Zentren gelegt
Die Frankfurter Rundschau bezeichnete Scholz, der bereits 2002 wegen schwerer Brandstiftungen an Wohnhäusern zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, passend als einen „passionierten Pyromanen“. Sowohl damals als auch im Rahmen der aktuellen Serie konnten ihm zahlreiche Brandstiftungen nachgewiesen werden, die keine politische Motivation erkennen lassen. Allein von September bis Dezember 2019 stand er im Verdacht, trotz polizeilicher Observation bis zu zwei Dutzend Brände in Frankfurt und den nahegelegenen Landkreisen im Taunus gelegt zu haben. Obwohl er bereits zuvor wegen einzelner Taten vorläufig festgenommen worden war, wurde er erst nach der letzten Anschlagsserie in Untersuchungshaft genommen.

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Gericht und Staatsanwaltschaft sehen keine politischen Motive
In dem Prozess vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt warf die Staatsanwaltschaft Scholz 16 Taten vor. Nachgewiesen werden konnten ihm davon jedoch nur zehn – darunter jene auf das AKZ Hanau und das »Lila Luftschloss«. Dies waren zudem die einzigen Taten aus der erwähnten Brandserie, die Eingang in den Prozess gefunden hatten. Zwar war Scholz während seiner Taten wie bereits bei seinen Brandstiftungen 2001 stets alkoholisiert. Das Gericht sah jedoch eine eingeschränkte Schuld- und Steuerungsfähigkeit nur im Fall des AKZ gegeben. Mit einer Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren blieb das Gericht mit seinem Urteil hinter den von der Staatsanwaltschaft geforderten zehneinhalb Jahren zurück. Einig waren sich Staatsanwaltschaft und Gericht jedoch darin, dass hinter den Anschlägen auf das AKZ und das »Lila Luftschloss« kein politisches Motiv auszumachen sei. Die Staatsanwältin ging davon aus, Scholz habe beide Objekte zufällig ausgewählt. Berücksichtigt wurden im Fall des »Lila Luftschloss« weder die Bewertung eines ermittelnden Polizisten, der im Prozess von einem gezielten Vorgehen sprach, noch die Einschätzung des Hessischen Innenministeriums. Dieses hatte im Juni 2020 auf Anfrage im Hessischen Landtag die Brandstiftung gegen das »Lila Luftschloss« als Teil einer Brandserie gegen „linke Wohnprojekte“ bewertet.

Höchst fragwürdig erscheint die Bewertung der Staatsanwaltschaft, Scholz sei rein zufällig im AKZ Hanau gewesen, liegt dieses doch in einer wenig belebten Seitenstraße. Zudem hatten Anwesende des Abends der Tat als Zeug*innen vor Gericht berichtet,  Scholz habe vor Ort über die Brandserie gesprochen  und sei offensichtlich gut informiert gewesen. Doch auch diese Hinweise auf ein politisches Motiv fanden keinen Eingang in die Bewertung, obwohl die Richterin in ihrer Urteilsverkündigung mehrfach den Zeug*innen die Glaubwürdigkeit bescheinigt hatte.

Die Entpolitisierung der Taten riefen nicht nur bei den Betroffenen der Anschläge Entsetzen und Verwunderung hervor. Auch der Hessische Rundfunk schreibt zur Urteilsverkündung, dass mit Blick auf die Vorgeschichte von Scholz  „ein politisches Motiv nahe liegt.“

Wenig Hoffnung auf weitere Aufklärung
Für einen Großteil der noch nicht verhandelten Anschläge gibt das Innenministerium an,  die Ermittlungsverfahren seien noch nicht abgeschlossen . Doch viel Hoffnung auf Aufklärung haben die Betroffenen nicht. Bereits im Vorfeld des Prozesses sprachen Bewohner*innen und Nutzer*innen einzelner Projekte von „gravierenden Versäumnissen“ in den Ermittlungen. Im Fall des »Knotenpunkts« schlossen die Beamt*innen ein rechtes Motiv früh aus. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen gehe man davon aus, „dass der Staatsschutz die Akten noch eine Weile offen hält, ohne wirklich zu ermitteln, um die Verfahren dann einzustellen, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit für die Brandserie – infolge des Prozessendes – abgenommen hat“, so Tom Schmitz vom »Feurio«-Bündnis.