Öffentliche Demokratieforschung
Paul Wellsow interviewt Matthias Quent
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 187 - Dezember 2020
»Anders als Geheimdienste arbeiten wir transparent, mit wissenschaftlichen Methoden und öffentlichen Quellen, anstatt folgenreiche Aussagen mit vermeintlichem Geheimwissen zu begründen.«
#Interview
Gibt es Alternativen zu einem geheimdienstlichen Verfassungsschutz? Paul Wellsow sprach für »der rechte rand« über die Frage mit Matthias Quent. Er ist Soziologe und Direktor des »Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft – Thüringer Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit« (IdZ) in Jena
drr: Seit 2016 gibt es in Jena das IDZ. Seine Gründung und Förderung durch das Land Thüringen war eine Konsequenz aus dem NSU-Skandal. Was sind die Aufgaben des Instituts?
Matthias Quent: Wir betreiben öffentliche Demokratieforschung in den Themenfeldern Rechtsradikalismus, Diskriminierung und Hasskriminalität. Teil dieses Ansatzes ist es, einerseits Befunde und Debatten in verschiedene Öffentlichkeiten zu kommunizieren, andererseits bringen wir Wissen und Impulse zivilgesellschaftlicher Akteure aus diesen Feldern in die wissenschaftliche Arbeit und Diskussionen ein. Die zentralen Aufgaben sind also Forschung vor allem zu aktuellen Demokratiegefährdungen sowie wechselseitiger Wissenstransfer.
Die gesellschaftliche Debatte und Entscheidungen der Politik sind oft von Einschätzungen und Informationen des Verfassungsschutzes mitgeprägt. Was unterscheidet die Analysen des IDZ von denen des Geheimdienstes?
Unsere primären Bezugsrahmen sind Menschenrechte, Antidiskriminierung, zivile Werte, wissenschaftliche Erkenntnisse und nicht der Staatsschutz. Unser Fokus liegt also auf der Vielfalt der Gesellschaft, nicht auf dem Staat und seinen Institutionen. Behörden und Staat haben sich durch die massive rechte Gewalt vor allem gegen gesellschaftlich marginalisierte Gruppen und gegen Linke über Jahrzehnte nicht als angegriffen wahrgenommen. Rechtsextremismus und Terrorismus begannen in der dominanten Lesart des Verfassungsschutzes erst, wenn der Staat und seine Institutionen angegriffen wurden. Das ändert sich langsam, vor allem wegen des massiven öffentlichen Drucks. Diese Fehleinschätzungen hängen eng zusammen mit den Irrtümern der Extremismusdoktrin, ohne die wir als Gesellschaft in der Thematisierung und Bekämpfung von Rassismus und anderen Ungleichwertigkeitsideologien heute schon viel weiter sein könnten. Anders als Geheimdienste arbeiten wir transparent, mit wissenschaftlichen Methoden und öffentlichen Quellen, anstatt folgenreiche Aussagen mit vermeintlichem Geheimwissen zu begründen. Wir sind keine Behörde, sondern eine wissenschaftliche Einrichtung in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung. Wir sind nicht Teil der staatlichen Institutionen, sondern der Zivilgesellschaft und der Forschungslandschaft. Das heißt auch, dass wir im Vergleich zu den Diensten prekär finanziert sind.
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In den letzten Jahren bemühen sich die Verfassungsschutzbehörden, Kenntnisse und Methoden der Sozialwissenschaften stärker aufzunehmen. Kann das gelingen und ist das ein Weg, die Analysen zu verbessern?
Es lässt sich durchaus feststellen, dass beispielsweise die Bewertung von Ethnopluralismus, der völkischen Identitären und auch der AfD sich seit dem Ende der Ära Hans-Georg Maaßen als Präsident im Bundesamt für Verfassungsschutz verbessert haben und nun offenkundig auch jahrzehntealte Befunde der Soziologie berücksichtigt werden. Perspektivenvielfalt und insbesondere eine Stärkung sozialwissenschaftlicher Ansätze verbessert Analysefähigkeiten mit Sicherheit. Andererseits werden sozialwissenschaftliche Methoden so zu einer Sozialtechnologie, die vor allem den institutionellen Machtlogiken dieser Institutionen anstatt einer mündigen Zivilgesellschaft dienen.
Grüne und Linke haben 2019 dem Bundestag Vorschläge vorgelegt, wie als Ergänzung oder als Ersatz für einen geheimdienstlichen Verfassungsschutz wissenschaftlich und transparent arbeitende Institutionen Analyse und Dokumentation der radikalen Rechten leisten könnten. Die Anträge fanden bisher keine Mehrheit. Was kann so eine Stelle leisten und wäre sie besser als der bisherige Verfassungsschutz?
Für eine aufgeklärte Gesellschaft wäre es ein Fortschritt, wenn Bildung, strategische und politische Beratung und öffentliche Diskussionen über die radikale Rechte und die demokratische Kultur insgesamt nicht mit den fragwürdigen und intransparenten Begriffen und Zahlen der Verfassungsschutzbehörden, sondern mithilfe überprüfbarer wissenschaftlicher Methoden und zeitgemäßer Konzepte geführt werden würden. Ich denke, dass ein angemessen ausgestattetes Institut insbesondere die öffentliche Aufklärung, das Berichtswesen und die politische Bildung besser, demokratischer und transparenter leisten könnte als die Dienste. Dabei müsste so eine Einrichtung auch die Expertise von Antifaschist*innen, Journalist*innen und die Perspektiven von Betroffenen von Diskriminierungen berücksichtigen. Statt Stigmatisierungen durch den Staat wäre auf wissenschaftlicher Basis eine Kritik undemokratischer Entwicklungen möglich. Aber natürlich hat so eine Institution Grenzen: Wissenschaft und Zivilgesellschaft können Debatten um Terrorismus und politische Gewalt einordnen und versachlichen. Doch Anschläge operativ verhindern können wir nicht. Aber immerhin ist mir kein Fall bekannt, in dem wissenschaftliche Forschung Terroranschläge maßgeblich begünstigt hat.
Vielen Dank für das Interview!