Die Schlammschlacht von Kalkar
von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 187 - November / Dezember 2020
#Meuthen
Der Bundesparteitag der »Alternative für Deutschland« in Kalkar sollte beweisen, dass die Partei sieben Jahre nach ihrer Gründung in Sozialpolitik, Rente und Gesundheit eigene Positionen liefern und vertreten kann. Doch der »Sozialparteitag« entpuppte sich als Schlammschlacht zwischen den verfeindeten Lagern der Partei.
Eigentlich sollte der Bundesvorsitzende der »Alternative für Deutschland« (AfD), Jörg Meuthen, die Mechanismen und Reflexe seiner Partei kennen. Wer die viel beschworene »Einheit« in der AfD hinterfragt, wird als »Spalter« schnell zur „persona non grata“ erklärt und läuft Gefahr, den Posten räumen zu müssen. Spätestens seit er 2017 für den Putsch gegen die damalige Bundesvorsitzende Frauke Petry mit dem inzwischen formal aufgelösten »Flügel« paktiert hatte, weiß Meuthen, auf welch tönernen Füßen das Amt des Vorsitzenden stehen kann. Mit seiner »Brandrede« auf dem Bundesparteitag der AfD am 29. und 30. November 2020 im nordrhein-westfälischen Kalkar hat er, der sein Amt mit der Hilfe von Faschist*innen errungen hat, sich dennoch weit aus der Deckung gewagt. Die Partei werde »nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten«, so Meuthen und schoss damit klar gegen den Chef der Bundestagsfraktion, Alexander Gauland: »Ist es wirklich klug, im Parlament von einer ‘Corona-Diktatur’ zu sprechen?« Damit erteilte Meuthen auch Bündnissen mit den Coronaleugner*innen eine Absage, obwohl diese bereits zum Zeitpunkt der Rede in weiten Teilen der AfD praktiziert werden. Auch der sächsische Co-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla äußerte anschließend Verständnis für die »Querdenker«-Bewegung und zählte diese zum “eigentlichen Bürgertum”. Der AfD sei wichtig, den Bezug zu den Leuten auf der Straße nicht zu verlieren. Das erinnert an die anfängliche Auseinandersetzung in der AfD um eine Zusammenarbeit mit der rassistischen Bewegung PEGIDA. Als der Parteikonvent der AfD Anfang 2018 das Verbot einer Zusammenarbeit gekippt hatte, zementierte er damit die Macht des Faktischen, nachdem Funktionär*innen sowie Kommunal- und Landesverbände der Partei bereits mit PEGIDA kooperiert hatten. In seiner Rede polterte Meuthen: »Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und sehr bald, oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft ein grandioses Scheitern erleben.« Wem das nicht gefalle, »der möge einen Abwahlantrag zum nächsten Parteitag stellen«. Damit spielt Meuthen strategisch auf Zeit. Denn: ein solcher Antrag wäre erst auf dem Parteitag in etwa einem Jahr möglich. Unwahrscheinlich, dass eine Revolte gegen Meuthen auf einem Parteitag im Frühjahr stattfindet, auf dem das Personal und die Strategie zur Bundestagswahl im September 2021 im Vordergrund stehen wird. Mit der Besetzung freier Stellen im Bundesvorstand hat er dort zwar eine Zweidrittelmehrheit, doch zu wenig Macht, um die Partei zu führen. Außerdem fehlt der Partei momentan ein Thema, das zur Mobilisierung taugt und die internen Konflikte überdeckt. Denn nach wie vor lebt die AfD davon, dass sich ihre Lager gegenseitig aushalten. Nur mit diesem Spannungsverhältnis ließen sich bisher Wähler*innen aus beiden Lagern gewinnen.
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Inzwischen aber hat die AfD ihren Zenit überschritten, ihr fehlt eine vermittelnde Führungsperson wie einst Alexander Gauland. Doch spätestens nachdem der Ehrenvorsitzende sich eindeutig auf die Seite des geschassten Andreas Kalbitz geschlagen und dabei öffentlich das Schiedsgericht seiner Partei kritisiert hatte, ist es vorbei mit seiner Vermittler-Rolle. Der Bundesvorsitzende Meuthen wiederum hat mit seiner Rede offen bewiesen, dass er an einer einigenden Funktion und an der AfD als “Bewegungspartei” keinerlei Interesse hat. Seine Rede folgt der strategischen Frage aus dem Frühjahr, ob sich die AfD nicht in zwei Parteien trennen sollte. Nach Meuthens Vorstellung könnte eine AfD ohne das inzwischen formal aufgelöste »Flügel«-Netzwerk auf der einen Seite Wähler*innen aus CDU und FDP gewinnen. Im Osten hingegen könne »ein in seinem sogenannten Sozialpatriotismus nicht mehr (…) eingeschränkter Flügel« der Linkspartei Wähler*innen abluchsen und zum Beispiel in Thüringen den Ministerpräsidenten »Bodo Ramelow womöglich noch weit mehr in Bedrängnis bringen« (s. https://www.der-rechte-rand.de/archive/6396/afd-mantra-einheit/). Mit solchen Überlegungen stößt Meuthen bei einem weitaus größeren Lager als nur dem »Flügel«-Netzwerk auf deutliche Ablehnung, wie die Mehrheitsverhältnisse in Kalkar zeigten: Bei der Abstimmung auf dem Parteitag zur Missbilligung des »spalterischen Gebarens« von Meuthen und seinen Anhänger*innen votierte nur knapp über die Hälfte gegen den entsprechenden Antrag, 47 Prozent stimmten für die Zulassung des Antrags.
Reaktionen von außerhalb
Genauso gespalten wie in der Partei fallen auch die Reaktionen der rechten Medien aus. Bei »Compact«, dem Haus- und Hofblatt vom »Flügel«, fordert Jürgen Elsässer einen »engen Schulterschluss mit den Querdenkern« und nennt Meuthen einen »Vasall der Corona-Diktatur«, Verräter und Totengräber der AfD. Ganz Bewegungsrhetoriker lobt Elsässer die außerparlamentarische Bewegung und stellt fest: »Die AfD kann nur überleben, wenn sie hier andockt, ohne eine Führungsrolle zu beanspruchen. Das ist nur möglich, indem sie Meuthen los wird.« Und in der »Sezession« wirft der langjährige Höcke-Vertraute Götz Kubitschek dem Bundesvorsitzenden und seinem Lager die Todsünde der Annäherung an die »Altparteien« vor: »Man will sich letztlich an dieser Beutegemeinschaft der Altparteien beteiligen und wird dadurch von der Alternative zur Ergänzung.« Meuthen wolle die Partei reinigen – und zwar in seinem Sinne und dem »des Establishments«, so dass sie zuletzt keine Alternative mehr sein könne. Kubitschek rät zu einem Gegenentwurf, um »Widerstandstugenden vorzustellen und auszubilden«. Dazu zählt er Durchhaltevermögen, unbedingten Zusammenhalt, Nachahmungsverbot, Beratungsresistenz und Eindeutigkeit.
Naturgemäß anders sehen das die Wochenzeitung »Junge Freiheit« (JF) und das Magazin »Tichys Einblick«. In der JF jubelt Christian Vollradt: »Nichts mit ›Vorsitzender auf Abruf‹: Meuthen gewinnt die Schlacht von Kalkar.« Trotzdem warnt er, habe sich dort der Riss »weiter mitten durch die AfD hindurch« gezeigt, so dass keine Seite einen Grund habe, »Siegeshymnen anzustimmen.« Bei »Tichys Einblick« konstatiert auch Thorsten Meyer nach dem Parteitag: »Meuthen gewinnt Richtungsstreit.« Im Lager des formal aufgelösten »Flügels« macht Meyer »Katzenjammer« aus. Dessen Kopf, der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke »hielt sich auf dem ganzen Parteitag bislang im Hintergrund und blieb passiv«. Tatsächlich mangelte es dem Höcke-Netzwerk an der auf den bisherigen Bundesparteitagen erprobten Fähigkeit, vor Ort Mehrheiten zu organisieren und effektiv zu agieren. Den Streit um eine Entscheidung zwischen Realpolitik oder Systemopposition scheint es in Kalkar verloren zu haben, während Meuthen auf die AfD als vermeintlich nationalistische und bürgerlich-konservative Partei setzt, um einen Pakt mit anderen konservativen Kräften schmieden zu können. Dieses Vorhaben ist aber mit einer derart gespaltenen Partei wie der AfD nicht umsetzbar, zumal dem Meuthen-Lager nun neues Ungemach droht. Den kommissarischen Vorsitzenden der AfD Bayern, Hansjörg Müller, haben mittlerweile Bundesvorstand und alle Landesvorstände zu einem Gipfeltreffen eingeladen. Der über die Landesliste Bayern in den Bundestag gewählte Müller war Mitunterzeichner der “Erfurter Resolution” und gehört dem formal aufgelösten »Flügel« an. Das klingt wie eine Fortsetzung der Schlammschlacht von Kalkar.