Über 100 Jahre Antifeminismus

von Mark Braumeister
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 183 - März / April 2020

#Tradition

Wer die Online-Selbstradikalisierung von Neofaschisten verstehen will, kommt um eine Betrachtung misogyner Traditionslinien nicht herum. Denn diese sind ein Teil ihres ideologischen Ursprungs.

Antifa Magazin der rechte rand
Frauen und Mädchen beim Erntedankfest 1935 des BDM-Gau Tübingen © W. Kleinfeldt

Das ideologische Scharnier zwischen der sogenannten »Manosphere« und dezidiert neofaschistischen Akteuren ist eine politisierte Form der Misogynie, des Hasses von Männern gegen Frauen: der Antifeminismus. Dieser entwickelte sich in Deutschland im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die aufkommende Frauenbewegung, sozialistische Frauenvereine und die Gründung des »Bund Deutscher Frauenvereine« 1894. Diese Entwicklung missfiel Konservativen und vor allem den Anhänger*innen der stärker werdenden völkischen Bewegung, die sich zum Beispiel 1891 im »Alldeutschen Verband« (ADV) konstituierte. Dieser Kreis betrachtete den Feminismus als eine die Nation zersetzende und politisch der Sozialdemokratie nahestehende Strömung. Als Alternative zur Emanzipation regte der ADV die »öffentliche Betätigung der deutschen Frau im Dienste des nationalen Gedankens« an. Wie die Historikerin Ute Planert feststellt, gab es Überschneidungen mit von der Frauenbewegung selbst erschlossenen Betätigungsfeldern. Jedoch wurden diese »von emanzipatorischen Ansprüchen gereinigt« und so in die Arbeit der nationalistischen Verbände integriert, beispielsweise durch die Gründung eigener Schulen. Später bildete sich im Milieu des ADV der dezidiert antifeministische »Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation« heraus. 25 Prozent der Mitglieder dieses Bundes waren selbst Frauen.

Von »Altgläubigen« bis zu »Rittern«
Deren Argumente waren vielfältig. Die frühe Feministin und Schriftstellerin Hedwig Dohm erstellt in ihrem 1902 erschienenen Buch »Die Antifeministen« eine Typologie. Die von ihr beschriebenen Antifeministen fallen in vier Kategorien.
Erstens die »Altgläubigen«, die an ewigen Überzeugungen und Althergebrachtem festhalten und neben einer religiösen Argumentation die Evolutionstheorie und naturwissenschaftliche Annahmen ins Feld führen, um traditionelle Rollenverteilungen zu rechtfertigen. Zweitens die »Herrenrechtler«, zu denen »die Charakterschwachen und die Geistesdürftigen« zählen, die um ihre eigenen Rechte besorgt sind, die sie von der Frauenbewegung bedroht sehen. Es geht ihnen um Identität und Überlegenheit als Männer und um die Angst, sich nicht mehr gegenüber Frauen durchsetzen zu können. Drittens der »praktische Egoist«, welcher sich um Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und seine eigenen materiellen Vorteile sorgt. Viertens die »Ritter« der »mater dolorosa« (»schmerzensreiche Mutter«); sie sind von einem idealistischen und verklärenden Bild der Frauen beseelt, nach dem diese »reine« und passive Geschöpfe seien.


Dohm vergleicht die Freude der »Herrenrechtler« an ihrer Männlichkeit mit dem Stolz des Ariers auf sein arisches Aussehen. Hiermit verweist sie zugleich auf einen frühen Bestandteil antifeministischen Denkens: den Antisemitismus. In der vom »Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband« herausgegebenen Schrift »Die radikale Frauenbewegung als nationale Gefahr« (1914) heißt es: »Frauenbewegung, Friedensbewegung, Sozialdemokratie und Judentum, diese vier sind innig miteinander verwandt; sie sind international und arbeiten im antinationalen Sinne.« Auch in einem Artikel im Monatsblatt des »Deutschen Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation« wird 1913 der Schwerpunkt auf eine Verknüpfung von nationalistischer und antifeministischer Argumentation gelegt. Dort heißt es: »Dem Manne der Staat, der Frau die Familie. […] denn Männer machen Geschichte und der Feminismus bedeutet den Untergang der Völker!« Ebenfalls häufig bemüht wird die Figur einer »Entmannung« Deutschlands durch die Frauenbewegung.
Die Angst vor dem »Untergang der Völker« wurde durch die um die Jahrhundertwende sinkende Geburtenrate befeuert, welche – so die Historikerin Planert – ein Katalysator für antifeministische Strömungen war. Obwohl der Abwärtstrend durch die niedrigere Säuglingssterblichkeit mehr als ausgeglichen wurde, wuchsen Ängste vor einer »Entvölkerung« Deutschlands. Demographische Panik brachte damals nicht nur die Idee der »Rassenhygiene« hervor, sondern auch Schuldzuweisungen gegenüber »egoistischen« Frauen und der Frauenbewegung.

Feind*in der Nation
Der Antifeminismus war auch von einem genuin misogynen Impuls getrieben. Religiöse Begründungen wurden durch eine naturwissenschaftliche Argumentation ergänzt. Weibliche Physiognomie, eine vermeintliche Disposition zur Hysterie, Größe und Gewicht des Gehirns sowie die Periode wurden ins Feld geführt, um zu untermauern, dass die Emanzipation von Frauen wider die Natur sei und Frauen schaden würde. Zudem seien diese zu emotional und zu mütterlich, um gute Staatenlenkerinnen abzugeben. Als gesellschaftlich eigenständige Akteurinnen würden Frauen, so die Antifeminist*innen dieser Zeit, die Familie und damit die Keimzelle der Nation zerstören. Der Internationalismus, der der Frauenbewegung unterstellt wurde, gepaart mit der Behauptung, diese würde die Nation schwächen, gehörte auch während des Ersten Weltkriegs zur Propaganda der antifeministischen Bewegung. Entgegen der skizzierten antinationalen Bedrohung war der Großteil der Frauenbewegung nicht etwa pazifistisch, sondern engagierte sich während des Ersten Weltkriegs an der sogenannten Heimatfront.

»Sexuelle Bolschewisierung«
In der Weimarer Republik verloren die antifeministischen Verbände der Kaiserzeit zunehmend an Bedeutung und die Frauenbewegung konnte einige politische Erfolge erzielen. Zugleich wuchs eine neue antifeministische Bewegung, die vorherige Argumentationen radikalisierte und aus ihrer Überzeugung einer männlichen Überlegenheit keinen Hehl mehr machte. Die völkische Bewegung lobte den Männerbund und warnte vor der »sexuellen Bolschewisierung« der Frauenemanzipation.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die repressiven Geschlechterrollen der völkischen Bewegung Regierungspolitik. Zugleich knüpften die Nazis an die Strategie der völkischen Bewegung im Kaiserreich an, Frauen aktiv einzubinden. Im Vorwort des »N. S. Frauenbuch« von 1934 wird dies wie folgt begründet: »Als Volksgenossin ist die Frau ebenso wie der Mann in die Verantwortung für das Leben und den Bestand unseres Volkes gestellt. Es genügt nicht, daß sie nur Hausfrau, Mutter oder Berufstätige in den Grenzen ihres oft engen Lebensbezirkes ist, sondern sie muß darüber hinaus lebendigen Anteil nehmen an den großen Lebensfragen unseres Volkes, die nur in beiderseitiger äußerster Pflichterfüllung organisch gelöst werden können.« Auch die antisemitischen Untertöne vorheriger antifeministischer Bewegungen wurden von den Nazis aufgegriffen. Eine Rede Hitlers zur »völkischen Sendung der Frau« in der erwähnten Publikation führt aus: »Das Wort von der Frauen-Emanzipation ist ein nur vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort, und der Inhalt ist von demselben Geist geprägt. Die deutsche Frau brauchte sich in den wirklich guten Zeiten des deutschen Lebens nie zu emanzipieren.«

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Aufstieg des Anti-Genderismus
In der Bundesrepublik sah es eine Zeit lang so aus, als ob politisch organisierter Antifeminismus langsam schwächer werden würde. Dennoch waren die Gegenstimmen konstant zu vernehmen. In den frühen 1990er Jahren erweiterte die antifeministische Bewegung ihre Angriffsziele. In Form eines sogenannten Anti-Genderismus wurden nun die zweite und dritte Welle des Feminismus, trans* Personen, Homo- und Bisexuelle sowie die Geschlechterwissenschaften als akademische Disziplin angegriffen und zu einem einzigen »gefährlichen Phänomen« verquickt. Im Fokus der Angriffe standen Gender Mainstreaming, geschlechtergerechte Sprache, die Unterscheidung von biologischem und sozialem Geschlecht und immer wieder die vermeintliche »political correctness«.
Konservative Stammtische und neu-rechte Kreise warnen seither vor der »Gender-Ideologie«, die zu einer Frühsexualisierung von Kindern führe, die traditionelle Familie angreife und für das Aussterben der Deutschen mitverantwortlich sei. Ebenso werden Geschlechterquoten als Untergrabung von Meritokratie angeprangert und in der Tradition des Poststrukturalismus stehende Ansätze des Feminismus als »Kulturmarxismus« gegeißelt.

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Antigenderistische Ideen verbreiteten sich aber auch im Internet, in den Foren und auf den Blogs eines dezidiert antifeministischen Männer-Milieus, der »Manosphere«. In diesem Online-Raum wurde aus Fragmenten eine Ideologie gesponnen. Dort fanden sich die von Dohm skizzierten antifeministischen Typen in neuem Gewand wieder. Reaktionäre Christen und Evolutionspsychologen (»Altgläubige«), die mit Verweis auf die Bibel oder erfundene Geschichten über das Mammut nachweisen möchten, dass Frauen an den Herd gehören. Unfreiwillig Zölibatäre beziehungsweise »Incels« und frustrierte Männerrechtler (»Herrenrechtler«) sowie jene, die Angst vor weiblicher Konkurrenz am Arbeitsmarkt haben (»praktischen Egoisten«) oder die Hausfrau beziehungsweise »Tradwife« als Glücksmodell propagieren (»Ritter der mater dolorosa«).

Petrischale für Ideologie und Rechtsterror
Es ist diese Szene, die weltweit nicht nur regelmäßig »Lone Wolf«-Attentäter hervorbringt, sondern sich als Nährboden für neofaschistische Ideen erwiesen hat. So gelang es Akteuren der »Alt-Right« in den USA, an den Frauenhass und die Verachtung von Gleichstellungspolitiken anzuknüpfen und Mitglieder der Manosphere von antisemitischen Verschwörungstheorien zu überzeugen, nach denen Feminismus eine jüdische Verschwörung sei. Zudem verstanden es die Agitatoren, den antifeministischen Zorn mit Rassismus sowie demographischer Panik zu verbinden und Angst vor einer »Umvolkung« oder dem »White Genocide« zu schüren.
Mit Blick auf die historische Entwicklung des Antifeminismus zeigt sich, dass sich dessen Argumente seit über hundert Jahren ähneln – mit unterschiedlichem Anklang in Politik und Gesellschaft. Dieser war umso geringer, desto stärker und besser organisiert diejenigen waren, die für Gleichberechtigung und Emanzipation kämpften.