Im Krieg gegen Frauen

von Andreas Speit
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 183 - März / April 2020

#Antifeminismus

antifa magazin der rechte rand
Berlin #unteilbar @ Mark Mülhaus / attenzione

Er kam, um zu töten. In der Nacht des 19. Februar 2020 erschoss ­Tobias Rathjen in Hanau neun Menschen. In etwa zwölf Minuten ermordete der Sportschütze mit Pistolen und schneller Schussfolge seine Opfer. Am frühen Morgen des nächsten Tages findet die Polizei in der Wohnung der Mutter – auch sie hat er erschossen – und des Täters beide tot auf. In jener Nacht wollte Rathjen möglichst viele, von ihm aus rassistischen Motiven ausgemachte Feinde hinrichten. Sehr viele auserwählte Feinde wollte auch Stephan Balliet in Halle töten. Am 9. Oktober vergangenen Jahres plante er aus antisemitischen Motiven an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in der Synagoge ein größtmögliches Massaker. Zwei Menschen starben. Bei allen Differenzen zwischen Rathjen und Balliet fällt nicht nur das gemeinsame Ziel auf, viele Menschen ermorden zu wollen, sondern auch eine Entschlossenheit, die sie mit früheren Attentätern gemein haben: die Verbindung von einer bestimmten Maskulinität und besonderer Frauenfeindlichkeit. Die aktuellen Tendenzen des rechten Terrors spiegeln weltweit den radikalen Antiislamismus, aggressiven Rassismus und militanten Antisemitismus wider, aber auch einen extremen Antifeminismus.

Schuldige heute: Frauen und Juden
In dem 24 Seiten starken Dokument, das Rathjen online stellte, geht er auf knapp vier Seiten auf sein Verhältnis zu Frauen ein. Unter der fett markierten Überschrift »Thema Frauen« führt er aus, dass er »noch keinerlei feste Freundin hatte, da mir vom ›Äußeren‹ nur sehr wenige gefielen« und er »besonders hohe Ansprüche« habe. Einen »Kompromiss« aber, sich »eine weniger gutaussehende Frau zu nehmen« habe er nicht gewollt: »Ich wollte das Beste haben, oder gar nichts.« »Nehmen« und »haben wollen« deuten eine besondere Vorstellung von Paarbeziehung und Geschlechterrollen an. Der erhobene Anspruch auf »attraktive Frauen« zeigt ein Grundverständnis von Männlichkeit, in dem einem Mann eine Frau zustehe. In seiner Vorstellung bedeutet attraktiv: »Kurze blonde Haare mit großer Oberweite«. Sein »Liebesglück«, so betont er in dem mit Verschwörungstheorien gespickten Dokument, scheiterte jedoch an der Überwachung durch den Geheimdienst. Er schreibt Frauen keine politische Verantwortung für die gesellschaftlichen Entwicklungen zu. Vielleicht weil nach seinem Verständnis Frauen gar keine solche Rolle spielen dürften. Der Grund, warum der 43-Jährige seine Mutter getötet hat, ist bisher nicht ermittelt.
Balliet sagte in seinem englischen Livestream am Tag seiner Tat gleich: »Ich glaube, der Holocaust ist nicht passiert« und der 27-Jährige bezeichnet den Feminismus als den Grund für die niedrige Geburtenrate im Westen, die zur Masseneinwanderung führe. Und er betont: »Die Ursache all dieser Probleme ist der Jude.« Das Statement des selbsternannten Internet-SSlers verbindet Antifeminismus mit Antisemitismus. Diese modernen Codes haben eine lange Tradition im deutschen Nationalismus.

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Schuldige vor 200 Jahren: Frauen und Juden
Im August 1819 brachen in zahlreichen Städten des »Deutschen Bundes« Angriffe auf die jüdische Minderheit aus: Handwerker, Händler, Bauern und Studenten beteiligten sich und gaben »den Juden« die Schuld an den Folgen der frühkapitalistischen Industrialisierung. Zu den Anheizern der Ressentiments gehörten die Dichter der Romantik Achim von Armin und Clemens Brentano. Sie hatten bereits 1811 mit weiteren Männern in Berlin die christlich-deutsche »Tischgesellschaft« gegründet. Dieser Elitezirkel pflegte eine patriotische Gesinnung mit antinapoleonischer Haltung und schloss ausdrücklich Juden und Frauen aus. Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Asche weist 2019 in dem Essay »Geselligkeit und ‹Teutsche Tischgesellschaften› – Antisemitismus und Antifeminismus der Romantik« darauf hin, dass diese Gesellschaften eine aggressive Abwertung und Ausgrenzung von Juden und Frauen forcierten. Die in der Romantik angelegte Abkehr von den Ideen der Aufklärung von Egalität bis Emanzipation drückte sich hier politisch aus.

Mit der Unterscheidung zwischen einem »Wir« und den »Anderen« wurden in dieser Zeit die Grundlagen für einen politisch-rassistischen Antisemitismus sowie für einen politisch-biologistischen Anti­feminismus gelegt. Juden und Frauen erschienen als Feinde, als »Konstruktion des internen Anderen« in der »eigenen Kultur«. Diese Zuweisung der Frauen nahmen nicht bloß Reaktionäre vor. So weist Asche auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel hin. In der 1807 erschienenen »Phänomenologie des Geistes« schreibt Hegel Mann und Frau feste Rollen zu: Die Frau repräsentiere das »göttliche Gesetz« und die Familie, der Mann das Gemeinwesen und das »menschliche Gesetz«. Die Frau müsse für die weiblichen Aufgaben in der Familie bleiben und im »außergeschichtlichen Status«. Asche greift Hegels Angst sogleich auf, dass das Gemeinwesen so die »Weiblichkeit überhaupt [als] seinen inneren Feind« geriert.
Eines der populärsten Werke gegen Juden und Frauen legte 1903 Otto Weininger vor. Schon der Titel pointiert die These: »Geschlecht und Charakter«. Die angebliche Geilheit der Frau verbindet der Philosoph mit der »Weiblichkeit des Juden« und er betont die Minderwertigkeit von beiden. Frauen würden niemals eine geistige Reife erreichen, sie würden sich ausschließlich mit ihrer Sexualität beschäftigen. Weininger, selbst Jude, der später zum Protestantismus konvertierte, verbindet diese Zuschreibung mit der Behauptung, Juden hätten kein Moralgefühl und würden allein den Sexualtrieb kennen. Keine Überraschung, dass er Homosexualität ablehnt, denn den Homosexuellen wie den Frauen und Juden fehle es an schöpferischen Impulsen. Gier und Sex wurden zu einer weiteren Konstante in den Ressentiments. Ludwig Langemann, Vorsitzender des »Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation«, warnte 1919: »Wo der jüdisch-demokratisch-feministische Mammon den nationalen Heldengeist erst völlig vernichtet hat, ist eine Wiedergeburt ausgeschlossen, da steht der Untergang vor der Tür.«

Die »Weiße Welt« verteidigen
Das Ende der Welt der weißen Männer sah knapp hundert Jahre später auch Balliet. In seinen Pamphleten beschreibt er seine Ziele: »Töte so viele Anti-Weiße wie möglich« und er schreibt weiter, töte »bis alle Juden tot sind oder du die Existenz von Waifus in Valhalla beweist.« Waifus sind weibliche Figuren aus japanischen Anime-Comics, mit denen einsame Männer eine Fantasiebeziehung pflegen. In Valhalla – auch Walhall – leben nach der nordischen Mythologie die gefallenen Kämpfer weiter, die sich tapfer schlugen. In seiner Argumentation ist Balliet nahe an den Positionen von Brenton Tarrant und Anders Behring Breivik. Vor seinem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch hatte Tarrant das Manifest »The Great Replacement« veröffentlicht. Es ist ein Text für Männer, die wieder Kämpfer werden sollten, um ihr Land und ihre Frauen zu schützen. Doch maskuline Fähigkeiten seien durch feministische Eigenschaften mehr als geschwächt. 51 Menschen ermordete er. Breivik geht in seinem über 1.500 Seiten starken Manifest »2083 – A European Declaration of Independence« immer wieder auf den Feminismus ein. Kein »Aspekt der politischen Korrektheit« habe heute eine »wichtigere Rolle« inne als die »feministische Ideologie«, meint er und beklagt, im Fernsehen werde eine »Minderwertigkeit des Mannes und Überlegenheit der Frau« präsentiert und in den Universitäten hätten sich die »Gender-Studies« vermehrt. Besonders zu verletzen scheint ihn, dass Frauen selbst »im Militär […] in Kampfpositionen« aktiv seien. Für ihn ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau eine der verheerenden Folgen des »Kultur-Marxismus«.

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Starke Frauen, selbstbestimmte Sexualität – das ist zu viel für Breivik. Der Mörder von 77 Menschen fantasiert von einer »Kriegsführung gegen den europäischen Mann« und sieht diesen durch zwei Frauen-Typen bedroht: die selbstbewusste Frau aus dem Abendland, deren Waffen Belästigungsklagen und gendersensitive Trainings seien und die muslimische Frau mit ihrer angeblich besonderen Fruchtbarkeit. In der Beschreibung seiner Feind*innen, der Frauen, Jüdinnen und Juden sowie Muslim*innen, findet sich immer eine Beschreibung des Selbst – als Mann, Soldat und Internet-SSler. Diese Männlichkeit kennt nur Härte gegenüber sich und anderen. Eine Weichheit, so schreibt Klaus Theweleit in »Männerphantasien«, das erstmals 1977 erschien, würde einem Zerfließen gleichkommen. »Der richtige soldatische Mann will töten, mit so viel Spaß wie möglich«, betont er im Nachwort der neuen Auflage 2019. Mit der Disziplinierung für das Selbstbild werden die eigene Natur, Gefühle, Regungen und Triebe reglementiert. Diese Beherrschung der Natur als kulturelles Gut von Maskulinität geht mit der politischen Vorhaltung der Nichtbeherrschung seiner Natur einher. Schon in der »Dialektik der Aufklärung« legen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dar, die Zivilisationsgeschichte sei vom männlichen Beherrschen der Natur – auch in sich selbst – geprägt. Diese Selbstbestimmung sei eine Selbstverleugnung. Hieraus resultiere eine Anfeindung gegen all jene, denen eine Affinität zur Natur oder eine nicht vollständige Zivilisierung des Selbst zugeschrieben wird. Über ihr vermeintlich sexuelles Wesen wird gerade Jüdinnen und Juden sowie Frauen eine Natürlichkeit angedichtet, für die sie ausgeschlossen werden sollen. Antisemitismus und Antifeminismus können folglich als Schattenseite der Zivilisationsgeschichte eingeordnet werden. Karin Stögner warnt in »Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen«, eine Gleichsetzung »post-emanzipatorischer Bewegungen« sei nicht dienlich. Sie erinnert daran, dass Adorno und Horkheimer bei dem »antidemokratischen Einstellungssyndrom« früh von »verschiedenen ideologischen Versatzstücken« ausgingen. Die »westliche Zivilisation« würde denn auch weitere Repräsentant*innen der Naturverhafteten projizieren: neben Jüdinnen und Juden auch Frauen, »Zigeuner« und Migrant*innen. Aus Angst erfolgt die Abwertung. Im Akt des Attentates erwächst der Täter erst zum Starken, so Theweleit. Es war die Angst vor dem vermeintlichen Untergang der angeblich weißen Welt und des weißen Mannes, welche die Attentäter antrieb.