Kampfbegriff und Schreckgespenst der radikalisierten Rechten in den USA
von Carl Kinsky
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 185 - Juli / August 2020
#Antifa
Das Erstarken antirassistischer und sozialer Bewegungen in den USA in den vergangenen Jahren wurde von einer Mobilisierung rassistischer und antikommunistischer Bewegungen und Narrative begleitet. Die haltlosen Ankündigungen von Präsident Trump, »die Antifa« als inländische Terrororganisation zu brandmarken, ist auf eine Erzählung zur Diskreditierung sozialer Proteste zurückzuführen.
Seit 2015 mehren sich verbale und physische Auseinandersetzungen zwischen antirassistischen Demonstrant*innen und rassistischen Gegendemonstrant*innen in vielen Städten. In Charleston hatte ein Rechtsterrorist am 17. Juni 2017 neun Mitglieder einer örtlichen afroamerikanischen Kirchengemeinde während eines Bibelkreises ermordet. Zuvor posierte er mit Symbolen der Sklavenhalterstaaten – der Konföderierten – in sozialen Medien. Dies tat er infolge erstarkter Forderungen nach der Entfernung von rassistischen Symbolen – insbesondere der Konföderierten – aus der Öffentlichkeit.
In den Südstaaten hatte sich nach Ende des Bürgerkriegs eine Gedenkkultur institutionalisiert, die die Sezession der Südstaaten zum Erhalt der Sklaverei zu einem »Freiheitskampf« umdeutete. Bis heute stehen vielerorts Denkmäler für Soldaten der Konföderation. Die meisten wurden in den 1920er Jahren und während der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren errichtet, um öffentlich die Vorherrschaft von Weißen zu unterstreichen. 2015 wurde in Selma (Alabama), wo 1965 Schwarze Bürgerrechtler*innen von der Polizei während des »Bloody Sunday« brutal niedergeprügelt wurden, eine Büste des Konföderierten-Generals und ersten Anführers des »Ku Klux Klan«, Nathan Bedford Forrest, eingeweiht. Viele Südstaaten haben die Flagge der Konföderierten noch als Teil ihrer Landesflaggen, oder hissen sie vor dem Landesparlament. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen über diese Gedenkkultur sind daher vor allem Debatten über Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft insgesamt. Proteste gegen diese Gedenkkultur führen immer häufiger zu direkten Konfrontationen zwischen antirassistischen und rechten Demonstrant*innen. Der rechtspopulistische Wahlkampf von Donald Trump ab 2015 intensivierte diese Auseinandersetzungen.
Wahlkampf und Faustkampf
Trumps Wahlkampf beruhte von Anfang an auf der Bedienung rassistischer Ressentiments und zeigte durch die Weigerung, sich kategorisch von der Unterstützung des »Ku Klux Klan« zu distanzieren, seine Offenheit gegenüber der extremen Rechten. Trump stellte sich früh hinter den Erhalt von Symbolen der Konföderierten. Antirassistische Demonstrant*innen wurden unter Zurufen von Trump bei Wahlkampfveranstaltungen von seinen Anhänger*innen beleidigt und angegriffen. Angesichts des rassistisch geführten Wahlkampfs und der Zunahme von öffentlichen Veranstaltungen der extremen Rechten organisierten antifaschistische Gruppen Proteste, um deren Handlungsspielraum einzuschränken. Antifaschistische Aktivist*innen trafen allerdings zunehmend auf für einen tödlichen Straßenkampf gerüstete, extrem rechte Schlägertrupps. Mit Reizgas, Schlagstöcken, Messern, Schutzausrüstung und teilweise mit Schusswaffen bewaffnet, griffen diese am Rande von Wahlkampfveranstaltungen Gegendemonstrant*innen an. Dies führte wiederum zu einem spürbaren Anwachsen militanter Selbstverteidigung seitens antifaschistischer Gruppen.
Die Konfrontationen wurden seitens der US-amerikanischen Medienindustrie für die breite Öffentlichkeit stark ausgeschlachtet, militante Antifaschist*innen weitestgehend als »anarchistische Agitatoren« abgetan. Rechte und extrem rechte Medien nutzten diese Bilder für eine Medienkampagne, in der die »Antifa« als eine Art Miliz der »Demokratischen Partei« dargestellt wurde, die wahlweise »sozialistisch«, »kommunistisch«, »anarchistisch«, aber auf jeden Fall »antidemokratisch« und »antiamerikanisch« sei.
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»Antifa is winning«
Sowohl rechte Medien wie »Fox News« als auch Trump forcierten seit der Amtseinführung im Januar 2017 das Szenario einer Bedrohung durch »Anarchismus« und »Antifa«. Proteste gegen Trumps Vereidigungszeremonie wurden großflächig mit diesen Stichwörtern versehen und kleinere Sachschäden zu »Krawallen« hochstilisiert, um eine ansonsten unübliche Repression durch Bundesbehörden zu legitimieren. Das Bundesjustizministerium unter Führung von Jeff Sessions griff auf Gesetze zurück, die 1968 als Teil der Bürgerrechtsgesetzgebung eingeführt wurden, um Aufstände in Schwarzen Gemeinden im gesamten Land gegen Polizeigewalt und Rassismus zu bekämpfen. Sie forcierten Prozesse gegen mehr als 200 Personen, darunter Journalist*innen, Sanitäter*innen und Rechtsbeobachter*innen, und drohten ihnen mit jahrzehntelangen Haftstrafen. 2018 wurden alle Prozesse von Gerichten einkassiert, da sie gegenstandslos waren. Die Staatsanwältin Jennifer Kerkhoff hatte gar versucht, gefälschtes Videomaterial des rechten Medienportals »Project Veritas« als Beweismittel einzureichen.
Mit der Präsidentschaft von Trump fühlten sich rechtspopulistische ebenso wie extrem rechte Gruppierungen inner- und außerhalb der »Republikanischen Partei« ermutigt, noch stärker in der Öffentlichkeit zu wirken. Universitäten wurden zum neuen Schauplatz eines rechten Kulturkampfes »um die Meinungsfreiheit« erkoren. Während studentische Organisationen der »Republikanischen Partei« Rechte wie Ann Coulter oder Milo Yiannopoulos als Redner*innen einluden, traten auch Faschisten wie Richard Spencer und Matthew Heimbach auf. An vielen Universitäten regte sich starker Protest aus der Studierendenschaft; insbesondere Proteste gegen einen Auftritt von Yiannopoulos an der kalifornischen Universität Berkeley wurden von »Fox News« wiederum als Beweis angeführt, dass »die Antifa« die Meinungsfreiheit bedrohe, da die Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Die Proteste hatten erfolgreich die Auftritte auf dem Campusgelände verhindert. Als Richard Spencer 2018 gezwungen war eine geplante Veranstaltungsreihe abzusagen, musste er eingestehen: »Antifa is winning.«
Charlottesville als Wendepunkt
Der Großteil der US-amerikanischen Öffentlichkeit hörte nach der extrem rechten Demonstration in Charlottesville im August 2017 zum ersten Mal den Begriff »Antifa«. Nahezu alle Medien strahlten Beitrage aus, in denen bewaffnete Neonazis antirassistische Protestierende angriffen, schließlich von militanten Antifaschist*innen zurückgedrängt wurden – und wie ein Neonazi mit seinem Auto in eine antifaschistische Demonstration raste, zahlreiche Menschen verletzte und die Aktivistin Heather Heyer tötete. Folglich rückte die Bedrohung durch Rechtsterrorismus stärker in den Fokus der Öffentlichkeit, ein Thema, dem die Trump-Regierung keinerlei Aufmerksamkeit schenkt. Anstatt mit dem Finger auf eine linke Verschwörung zeigen zu können, musste Trump sich damit begnügen, »beiden Seiten« gleichermaßen die Schuld an der Gewalt zuzuschreiben, in diesem Zusammenhang steht auch sein Kommentar »Es gab auf beiden Seiten gute Leute.«
Im Juli 2019 reichten schließlich die republikanischen Abgeordneten Bill Cassidy und Ted Cruz einen erfolglosen Gesetzesvorschlag im US-Senat ein, welcher »die Antifa« als inländische Terrororganisation einstufen sollte. Einen Monat später drohte Trump nach antifaschistischen Protesten gegen extrem rechte Demonstrationen in Portland (Oregon), »die Antifa« als Terrororganisation einzustufen, obwohl er die Kompetenz hierzu nicht besitzt. Sehr wohl aber lässt sich mit dem Feindbild »Antifa« die eigene Basis anstacheln und der politische Gegner diskreditieren.
Sesamstraße und Antifa Hand in Hand?
Die aktuellen Ankündigungen von Trump und seinem derzeitigen Justizminister, William Barr, »die Antifa« als Terrororganisation einzustufen, sind genauso substanzlos wie vergangenes Jahr, die gesellschaftliche Lage ist hingegen deutlich angespannter. Nachdem der rassistische Polizist Derek Chauvin seinen Arbeitskollegen George Floyd – beide arbeiteten als Sicherheitspersonal in einer Disco – in Anwesenheit von Passant*innen und weiteren Polizisten zu Tode folterte, entlud sich Wut und Frust über rassistische Polizeigewalt im gesamten Land. Seit den 1960er Jahren hat es keine vergleichbar verbreiteten und intensiven Proteste gegen Rassismus gegeben. Kurz vor der Präsidentschaftswahl stellt dies eine akute Gefahr für die Trump Regierung dar, die Wahl im November zu verlieren. Der selbsterkorene »Law and Order«-Präsident muss einen bewaffneten Aufstand konstruieren, um einen Militäreinsatz im Inneren zu legitimieren. Daher schwadroniert Trump, ebenso wie »Fox News« oder die »One America News Network« pausenlos davon, dass »die Antifa« hinter Sachschäden und Plünderungen während der Proteste stecke. Insbesondere erzürnen sie sich über die Zerstörung von Rassisten gewidmeten Denkmälern in mehreren Städten. Die rechten Medienkampagnen nehmen absurde Züge an: Zuletzt witterte der Fernsehmoderator Tucker Carlson (»Fox News«) hinter der Kindersendung Sesamstraße eine »Verschwörung des linken Mobs«, da die Plüschfigur Elmo und sein Vater sich mit den Black Lives Matter-Protesten solidarisierten.
Das Feindbild »Antifa« legitimiert die Gewalt, die derzeit von extrem Rechten gegen die Proteste verübt wird: Menschen werden niedergeschossen, Anschläge werden geplant und in mindestens 18 Fällen haben sie Protestierende mit Autos angegriffen. Das Justizministerium hat mehr als 60 Strafprozesse für Taten während der antirassistischen Proteste an sich gezogen und nutzt wieder die Gesetze von 1968 als Grundlage hierfür. In keinem der Fälle geht es um Straftaten von Antifaschist*innen, aber in einem um einen geplanten rassistischen Anschlag.
Die Trump-Regierung konstruiert »linke Terroristen« und lässt Rechtsterroristen gewähren.