Auf der Suche nach den Wendefrauen

von Kai Budler
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 183 - März / April 2020

#Ostdeutschland

Die »Alternative für Deutschland« hat ein Problem: Frauen wählen sie deutlich seltener als Männer. In Ostdeutschland setzt die Partei daher auf eine Verbindung von Wende- und Anti-Gender-Rhetorik. Eine obskure Mischung mit mäßigem Erfolg.

Antifa Magazin der rechte rand
Aufmarsch in Chemnitz 2018 © Mark Mühlhaus / attenzione

Mit ihrer »Wende«-Rhetorik bezog sich die »Alternative für Deutschland« (AfD) in den Landtagswahlkämpfen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen offensiv auf die »Friedliche Revolution« im Jahr 1989. Über Parolen wie »Werde Bürgerrechtler«, »Hol Dir Dein Land zurück« und »Vollende die Wende« will die Partei jene erreichen, die im alten Ostdeutschland sozialisiert wurden und den damaligen gesellschaftlichen Umbruch miterlebten. Nach der DDR-Regierung gelte es jene in der BRD zu stürzen.

Wie so vieles in der AfD ist es auch nicht ohne Widersprüche, wenn sich umgekehrt Parteifunktionäre zu Wahlzwecken positiv auf die DDR beziehen. Schon vor der Landtagswahl in Brandenburg 2014 knüpfte der damalige Spitzenkandidat Alexander Gauland immer wieder an »ostalgische« Elemente an und auch der damalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke erklärte im September 2014: »Die innere Sicherheit war damals besser in der DDR als das in Westdeutschland der Fall war.« Ein ähnliches Spiel ereignete sich 2019, als vor allem in Westdeutschland geborene und aufgewachsene AfD-Funktionäre wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz von den DDR-Erfahrungen schwadronierten. Nicht umsonst gaben AfD-Wähler*innen in Ostdeutschland überproportional oft an, »Ostdeutsche sind Bürger zweiter Klasse«.

Für die 1960 in Sachsen geborene Andrea Wagner, Vorstandsvorsitzende des Landesfrauenrats Thüringen und seit 1995 Gleichstellungsbeauftragte in Weimar, ist diese Strategie offensichtlich und durchschaubar: »Zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls macht die AfD einen auf Ossi-Versteher und will die Leute mit der angeblich ostdeutschen Mentalität abholen. Sie springen halt immer auf all das auf, was gerade aufploppt. Es wird darüber gesprochen und die AfD knüpft daran an, ein gutes Timing haben sie ja für die Themen.« Doch mit ihrer offensiven »Wende 2.0«-Rhetorik erntete die AfD auch harsche Kritik von ehemaligen DDR-Dissident*innen und Oppositionellen, die der Partei eine »Geschichtslüge« vorwerfen. In einer Erklärung vom August 2019 heißt es: »Wir lehnen Parolen wie: ›Hol Dir Dein Land zurück – vollende die Wende!‹, die etwa die Brandenburger AfD im Wahlkampf einsetzt, ab. Das ist bereits unser Land!« Für »die Demagogen der AfD« sei man 1989 nicht auf die Straße gegangen, stattdessen habe man »ein Land, in dem noch viel zu ändern und zu verbessern ist. […] Dafür brauchen wir keine Spalterpartei wie die AfD«.
Die Partei selbst ficht das nicht an – die Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus veranstaltete gar eine Konferenz mit dem Titel »30 Jahre Friedliche Revolution. Nicht vergessen! Nichts gelernt?«. In der Einladung hieß es, zum 30. Jahrestag der »Friedlichen Revolution« wolle man an die Leistungen der Bürgerrechtler und der politisch Verfolgten erinnern. Neurechte Frauen wie Vera Lengsfeld dürfte das erfreuen, schließlich wechselte sie erst von Bündnis 90/Die Grünen zur CDU, um inzwischen als AfD-Unterstützerin zu gelten. Jüngst schrieb sie von bundesdeutscher »Gesinnungsdiktatur« gegen den CDU-Rechtsaußenverein »Werteunion« und dass Merkels »große Säuberung« in der Partei begonnen habe.

Wo die AfD weniger landen kann
Doch glücklicherweise war die Opposition in der DDR kein monolithischer Block, sondern eine heterogene Bewegung. Zu dieser gehörten auch Frauengruppen, die mit dem »Unabhängigen Frauenverband« (UFV) im Dezember 1989 ihre politische Interessenvertretung als öffentlich agierende, autonome Frauenbewegung gründeten. Die zentralen politischen Forderungen des UFV waren unter anderem die Sicherung der erreichten Teilhabe der Frauen an der Erwerbssphäre, eine umfassende Kinderbetreuung und die Beseitigung der Geschlechterhierarchien in Beruf und Familie. »Ein Zurück zum männlichen Ernährer, dem eine bestenfalls teilzeitarbeitende Hausfrau den Rücken frei hält – das vorherrschende Modell in der alten Bundesrepublik – sollte es auf keinen Fall geben, das erschien wie ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Verhältnisse«, schreibt Irene Dölling, damalige Mitbegründerin des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung in der Humboldt-Universität, in einem Rückblick. Vielmehr war die vorrangige Aufgabe, »den ›Emanzipationsvorsprung‹ der DDR-Frauen […] zu verteidigen«. Der Begriff allerdings stammt von einem westdeutschen Soziologen und auch Andrea Wagner spricht lieber von einem vermeintlichen Emanzipationsvorsprung. Zwar habe es für Frauen in der DDR bessere Bedingungen bei Kindergärten und -betreuung, Abtreibung und Arbeitsplätzen gegeben, doch: »Mitspracherecht und Gestaltungsmacht hatten die Frauen in der DDR ja nicht. Die wurden gebraucht als Arbeitskräfte und als Mütter, aber gleichberechtigt war das nicht. Wir sprachen immer von einer Dreifachbelastung.«

Bei ihrem weiblichen Publikum in Ostdeutschland verfängt die AfD mit ihrer Wende-Rhetorik jedenfalls deutlich weniger als bei ostdeutschen Männern. Ihre geschlechterspezifische Schieflage drückt sich auch in der mangelnden Repräsentanz der Frauen in Partei und Fraktionen aus. So waren unter den Bewerber*innen der AfD um ein Amt im Thüringer Landtag nur 12,5 Prozent Frauen – das ist im Vergleich zu den anderen Parteien der niedrigste Wert. Beim Frauenanteil der Mandatsträger*innen kommt die AfD mit drei weiblichen Abgeordneten auf nur 13,6 Prozent, nur die CDU hat weniger Frauen in den Thüringer Landtag entsendet. In Brandenburg bildet die AfD mit fünf Mandatsträger*innen und einem Frauenanteil von 21,7 Prozent das Schlusslicht unter den sechs Landtagsfraktionen, im sächsischen Landtag sind vier der AfD-Abgeordneten weiblich. Auch hier liegt die Partei im Vergleich der fünf Fraktionen mit einem Frauenanteil von 10,5 Prozent auf dem letzten Platz. Im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode verringerte sich damit auch der Gesamtanteil von Frauen in den drei Landesparlamenten. Er ging in Brandenburg um knapp sieben Prozentpunkte zurück, in Sachsen um rund sechs und bei den Landtagsabgeordneten in Thüringen um rund elf Prozent. Untersucht man das Wahlverhalten nach Geschlechterverhältnis, lassen sich bei allen letzten drei Landtagswahlen in Ostdeutschland Unterschiede von rund zehn Prozent zwischen AfD-Wählerinnen und -Wählern ausmachen.

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Wählen ja, mitbestimmen nein
Auch der AfD ist diese Repräsentanzlücke aufgefallen, wie ein Blick in das im Juli 2019 vom Bundesvorstand verabschiedete Papier »Strategie 2019 – 2025. Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei« zeigt. Die Partei solle demnach eine Strategie entwickeln, »wie der Stimmenanteil der AfD bei den weiblichen Wählern insbesondere in ihren Zielgruppen erhöht und die Partei für weibliche Mitglieder attraktiver werden kann«. Immerhin erreiche die AfD »bei Frauen nicht einmal 60 Prozent des Stimmenanteils, den sie bei Männern erzielt«. Noch schlechter sieht das Verhältnis im Bundestag aus, wo die AfD von allen vertretenen Parteien den niedrigsten Frauenanteil hat: Ende 2018 waren nur 17,1 Prozent der Abgeordneten weiblich.

Die Frau als Leerstelle in der AfD zu beschreiben wäre jedoch nicht nur eine reduzierende Betrachtung und verneint die Rolle von Frauen in der AfD. Dies betrifft auch die Frauen, die im Osten geboren wurden und um die infrastrukturellen Errungenschaften in der ehemaligen DDR wissen. Zwar sagt die Gleichstellungsbeauftragte Andrea Wagner: »Ich kenne kein prominentes Gesicht einer ostdeutschen Frau, die für die AfD auftritt und die so ein bisschen das Idol für Frauen in dem Alter sein könnte.« Doch bei der Europawahl 2019 feierte die AfD bei den Frauen in Ostdeutschland mit 18,1 Prozent ihre größten Erfolge bei den 45- bis 59-Jährigen, es folgte die Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen mit 17,5 Prozent und die 60 bis 69 Jahre alten Frauen mit 17,2 Prozent. Dass Frauen im Osten Deutschlands eine Partei wählen, die am liebsten ein westdeutsches Frauenbild aus den 1950er Jahren einführen würde, ist für Wagner kein Widerspruch, sondern eher an einen Reflex geknüpft, wie sie ihn bei ihrem Arbeitsbeginn in Weimar erlebt hatte: »Ich komme hier an und die sagen mir, das ist doch eh nur Alibi. Und die Frauen in der Verwaltung sind sauer auf mich, weil sie in mir als Gleichstellungsbeauftragte eine ›westdeutsche Erfindung‹ sahen, die ihnen jetzt aufgedrückt wurde. Das brauchen wir nicht, weil wir sind ja schon emanzipiert, sie fühlten sich in ihrem Stolz verletzt.«

»Herdprämie« gegen »Gender Gaga«
Ohnehin ist das von der AfD verhasste Gender-Mainstreaming seit Jahren Feindbild der extremen Rechten und somit auch der dort agierenden Frauen, um unter dem Motto »Gender Gaga« viele gesellschaftliche Entwicklungen anzugreifen und zu diskreditieren. Zugleich konnte die Rechte mit dem Thema Anschluss an den gesamtgesellschaftlichen Diskurs finden. Für sie ist der Begriff »Gender« ein Synonym für eine Gesellschaft, in der feste Kategorien ihre Bedeutung verlieren. Vor dem Hintergrund des heraufbeschworenen Untergangszenarios greift die AfD auf die »klassische Familie aus Vater, Mutter und Kindern […] als Grundpfeiler unserer Gesellschaft« zurück und setzt auf eine traditionelle Gesellschafts- und Geschlechterordnung. Da wird im Programm zur Bundestagswahl 2017 schon mal die Umwandlung des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend in ein »Bundesministerium für Familie und Bevölkerungsentwicklung« gefordert und gejammert, »die zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen […], die Umsetzung des ›Gender-Mainstreaming‹-Projekts und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertgebende gesellschaftliche Grundeinheit«.


Auch die AfD in Sachsen, die ihr Wahlprogramm 2019 als Entwurf eines Regierungsprogramms vorlegte, kritisierte eine »ideelle Relativierung der Familie aus Mann, Frau und deren Kindern in der Öffentlichkeit und im Bildungsbereich«. In dem Bundesland, in dem die AfD eine »Herdprämie« für Frauen einführen will, wählte knapp ein Viertel der Wähler*innen die AfD. Es ist anzunehmen, dass auch Frauen die AfD nicht trotz, sondern wegen deren Frauenbildes wählen, das für viele antiquiert wirkt. Im Vordergrund stehen andere Themen, wegen der sie der Politik der extrem rechten Partei ihre Stimme geben oder sich in ihr engagieren. Für ihr rassistisches, nationalistisches oder völkisches Denken bietet die AfD den Resonanzraum.