Zickzackkurs

von Stefan Dietl
Antifa-Magazin »der rechte rand« Ausgabe 185 - Juli / August 2020

#Corona

Der innerparteiliche Konflikt in der »Alternative für Deutschland« gärt auch in der Corona-Pandemie. Während über den wirtschaftspolitischen Weg der Krisenbekämpfung gestritten wird, herrscht bei der Agitation gegen Hygieneauflagen, Maskenpflicht und Impfzwang aber Einigkeit.

Antifa Magazin der rechte rand
Björn Höcke © Mark Mühlhaus / attenzione

Seit Beginn der Corona-Pandemie befinden sich die Umfragewerte der »Alternative für Deutschland« (AfD) im Sinkflug. In manchen Landtagen müsste sie gar um den Wiedereinzug bangen und auf Bundesebene bewegt sie sich in Wähler*innenbefragungen seit Wochen im einstelligen Bereich. Für das Umfragetief gibt es mehrere Gründe. Zum einen scheint die gegenwärtige Ausnahmesituation einmal mehr zu bestätigen, dass in Krisenzeiten meist die Regierungsparteien an Zuspruch gewinnen. So konnte insbesondere die Union, aber auch die SPD in den Umfragen zulegen, während die Oppositionsparteien, allen voran die AfD, in der Gunst der Wähler*innen einbrachen. Zum anderen steht die Partei vor der wohl größten Zerreißprobe seit ihrer Gründung und machte in den vergangenen Monaten mit innerparteilichen Querelen Schlagzeilen. Der sich zuspitzende Konflikt über die sozialpolitische Ausrichtung, der eigentlich Mitte April auf einem Sonderparteitag beigelegt werden sollte, schwelt nach dessen coronabedingter Absage weiter. Zudem versucht die Mehrheit des Bundesvorstandes um Jörg Meuthen die Gunst der Stunde zu nutzen, um die Konkurrenz im eigenen Hause zu schwächen. Zuerst plädierte Meuthen offen für eine Spaltung der Partei, um den völkisch-nationalistischen »Flügel« loszuwerden. Kurz danach folgte der Parteiausschluss von Andreas Kalbitz, dem neben Höcke wohl exponiertesten Vertreter des neofaschistischen Lagers.


Inzwischen hat sich die AfD aber aus ihrer Schockstarre gelöst und versucht, sich an die Spitze der Bewegung für ein Ende der Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zu stellen. Dabei versucht die Partei von der Krise zu profitieren, indem sie die getroffenen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung und zur Bewältigung der ökonomischen Folgen des Coronavirus ins Visier nimmt. Hier zeigen sich jedoch deutlich die Widersprüche zwischen marktradikalen Hardliner*innen auf der einen und völkischen Nationalist*innen auf der anderen Seite, die es der AfD erschweren, öffentlichkeitswirksam mit eigenen wirtschaftspolitischen Positionen auf sich aufmerksam zu machen.

Sozialpopulistischer Stimmenfang
Inszenierte sich der Oppositionsführer im Thüringer Landtag, Björn Höcke, zu Beginn der Corona-Krise noch als »elder statesman« und rief dazu auf, den Anordnungen der Landesregierung Folge zu leisten, kehrte der völkisch-nationalistische Flügel schon bald zur gewohnten Fundamentalopposition gegen die »Systemparteien« zurück. Neben der Agitation gegen die Maskenpflicht und die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit sowie der üblichen Rhetorik von der »Merkel-Diktatur« – die sich unter anderem in einer deutlichen Annäherung an die Proteste der selbsternannten »Corona-Rebellen« ausdrückt – versuchen sie sich mit sozialpopulistischen Forderungen zu profilieren. Angesichts der immer deutlicher zutage tretenden ökonomischen Krise und deren Auswirkungen auf die Arbeitnehmer*innenschaft, wie stagnierende Löhne, wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit, sollen die Betroffenen dieser Entwicklung mit einer Kombination aus national-sozialer, neofaschistischer Rhetorik für die Partei gewonnen werden.


Im Thüringer Landtag forderte die AfD-Fraktion unter anderem die Anhebung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent für Erwerbstätige mit Kindern, beziehungsweise 80 Prozent für kinderlose. Zudem spricht sie sich dafür aus, Konsumgutscheine zu verteilen, die in Geschäften in Thüringen eingelöst werden können. Allein hierfür sollen nach dem Willen Höckes bis zu 300 Millionen Euro bereitgestellt werden. Im Gegensatz zum wirtschaftsliberalen Flügel der Partei betont die hiesige AfD auch bei ihren steuerpolitischen Forderungen vor allem die Entlastung der abhängig Beschäftigten. So sollen »sämtliche Ausgaben, die Arbeitnehmern infolge der Corona-Maßnahmen entstanden sind, als außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend gemacht werden können«. Außerdem soll die Pendlerpauschale auch für die Zeit im Homeoffice angerechnet werden. Auch der Co-Vorsitzende der Bundespartei, Tino Chrupalla, der ebenfalls dem Höcke-Lager zugerechnet wird, versucht mit sozialer Rhetorik zu punkten. In einer Pressemitteilung zum Konjunkturpaket der Bundesregierung stellt er sich gegen die »Bevorzugung von Großkonzernen« und fordert stattdessen diejenigen zu »berücksichtigen, die in der etablierten Berliner Politik keine starke Lobby haben«.

Gegen »Quasi-Staatswirtschaft«
Während die Flügel-Protagonist*innen mit ihren Forderungen nach staatlicher Krisenbewältigung neben regionalen mittelständischen Unternehmen die abhängig Beschäftigten adressieren, stellen sich die wirtschaftsliberalen Kräfte in der AfD dagegen und warnen, wie die Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel, vor einer »Quasi-Staatswirtschaft«, der »Gängelung, Überregulierung und Überbürokratisierung«.


In einem Beitrag für die »Junge Freiheit« (JF) wettert sie gegen »Staatswirtschaftsgläubige« und »Sozialismus-Infizierte«, die Staatshilfen für Unternehmen seien ein »Danaergeschenk«. »Denn wer zahlt, bestimmt, und je länger die direkte oder indirekte Beteiligung, desto größer der Einfluß«, so Weidel, die sich gegen staatliche Einmischungen in das Wirtschaftsleben und jegliche Staatsbeteiligungen ausspricht. Der Weg aus der Krise führe »nicht über schuldenfinanzierte staatliche Konjunkturprogramme, sondern über den Verzicht auf überflüssige Staatsausgaben, umfassende Steuersenkungen und Steuererleichterungen«. Sie sieht sogar eine indirekte Enteignung von Unternehmer*innen und Vermieter*innen aufziehen. Auch der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen warnt vor Verstaatlichung.

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Staatliches Handeln in der Pandemie lehnen jedoch auch die Wirtschaftsliberalen der AfD nicht generell ab, sofern sich dieses auf Zuschüsse ohne Vorgaben beschränkt: Weidel fordert steuerliche Entlastungen und Meuthen betont, dass die AfD den Plänen der Bundesregierung nicht nur ablehnend gegenüberstehe, sondern die geplanten Steuererleichterungen im Gegenteil sehr begrüße.
Eine Stärkung der Kaufkraft durch finanzielle Erleichterungen für abhängig Beschäftigte – wie sie auch der Höcke-Anhang propagiert – hält Meuthen hingegen für verfehlt. Seiner Einschätzung nach ist nicht etwa zu wenig Geld im Umlauf. Vielmehr sei die Kaufzurückhaltung auf Hygieneauflagen und Maskenpflicht zurückzuführen. »Jeder, der in ein Einzelhandelsgeschäft reingeht, ist doch froh, wenn er schnell wieder draußen ist. So kommt Kauflaune nicht auf«, so Meuthen.

Fähnchen im Wind
Hier zeigt sich auch die Gemeinsamkeit der verschiedenen Strömungen in der Corona-Krise. Angesichts der widersprüchlichen Positionen in wirtschaftspolitischen Fragen ist die AfD inzwischen zunehmend dazu übergegangen, sich in öffentlichen Verlautbarungen auf die verbindenden Elemente zu konzentrieren; auf die Agitation gegen Hygieneauflagen im Allgemeinen, Maskenpflicht im Speziellen und auf die Warnung vor einer drohenden Diktatur.


Die mühsam errungene Geschlossenheit kommt in beiden Lagern einer 180-Grad-Wende gleich, wohl um die eigene Wähler*innenschaft nicht zu verprellen. So forderte die AfD noch am 8. April die Bundesregierung auf, jeder Bürger*in Masken zur Verfügung zu stellen und Versorgungsengpässe zu beseitigen: »Durch den weitreichenden Einsatz von Mund-Nasenschutz-Masken kann die Verbreitung des Erregers wahrscheinlich wirksam eingedämmt werden«.
In Thüringen rief die AfD ihre Anhänger*innen anfänglich sogar auf, den Verordnungen der Landesregierung Folge zu leisten: »Akzeptieren Sie für den notwendigen Zeitraum die Schließung von nicht-medizinisch notwendigen Einrichtungen und Angeboten. Versuchen Sie die Abstandsregeln und die für einen Infektionsschutz erforderliche soziale Distanz einzuhalten. Sie zeigen damit keine Schwäche, keine Angst oder gar Hysterie, sondern Rücksichtnahme und Verantwortungsbewusstsein im besten Sinne!«

antifa Magazin der rechte rand
Der rechte Rand. Das antifaschistische Magazin (Hrsg.) Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts Einblicke in 20 Jahre »Institut für Staatspolitik« 184 Seiten | zahlreiche Fotos | 2020 | EUR 12.80 ISBN 978-3-96488-074-1


Auch Alice Weidel sprach sich zu Beginn der Pandemie im Namen der AfD-Bundestagsfraktion für ein entschiedenes Regierungshandeln aus und verwies darauf, dass »von dem Virus eine höhere Ansteckungsgefahr und ein größeres Mortalitätsrisiko ausgehe, als von der gewöhnlichen Grippe«. Dabei bedauerte sie, dass die Bundesregierung so spät handle, während andere EU-Länder das öffentliche Leben bereits heruntergefahren hätten.
Heute präsentiert sich die Partei hingegen als lautstärkste Verfechterin schneller Lockerungen und einer Abschaffung der Maskenpflicht. Weidel sprach auf einer maßgeblich von Impfgegner*innen organisierten Kundgebung in Stuttgart und Höcke kündigte an, die Einschränkungen vor dem Verfassungsgerichtshof in Weimar prüfen zu lassen.

Neues Spaltungspotential?
Die AfD als Sammelbecken verschiedener rechter Strömungen schweißte bisher nicht zuletzt der Erfolg zusammen. Angesichts des stetig wachsenden Wähler*innenzuspruchs war man gern bereit, allzu strittige Themen auszuklammern. Auch in der Corona-Pandemie konnte man sich mit der Fixierung auf ein schnelles Ende der Beschränkungen vorerst auf einen gemeinsamen Kurs einigen. In den nächsten Monaten werden jedoch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise zusehends in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion rücken. Der ungelöste Konflikt in der wirtschafts- und sozialpolitischen Ausrichtung der Partei – und die damit verbundenen Schwierigkeiten öffentlich Position zu beziehen – könnten dabei zunehmend zum Problem für die AfD werden.


Noch besetzt das wirtschaftsliberale Lager die wichtigsten Schlüsselpositionen sowohl im Bundesvorstand als auch in der Bundestagsfraktion und bestimmt so im Wesentlichen die programmatische Ausrichtung. Sollte es angesichts der ökonomischen Talfahrt zu größeren sozialen Verwerfungen kommen, könnten die völkischen Nationalist*innen mit ihrer neofaschistischen Kombination aus sozialen Heilsversprechen und rassistischer Hetze, allerdings schnell zur dominierenden Kraft in der AfD werden.